11. + 12. November 2019 – Aspies e.V. bei den Inklusionstagen 2019 des MBAS in Berlin
11. + 12. November 2019 – Aspies e.V. bei den Inklusionstagen 2019 des MBAS in Berlin
Am 11. und 12. 11.2019 lud das BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) wieder zu den Inklusionstagen ins Berliner Kongress Center ein, das Thema in diesem Jahr: „Kultur, Freizeit, Sport, Tourismus“. Diese Inklusionstage sind immer eine große Veranstaltung. Bereits 2016 war Aspies e.V. einmal dabei. Leider hatten wir damals den Eindruck, dass sich das BMAS dort mit großem Aufwand hauptsächlich selbst feiert. Wir waren entsprechend enttäuscht zu sehen, dass dafür so viel Geld ausgegeben wurde, was in der konkreten Unterstützung für behinderte Menschen sehr viel besser angelegt gewesen wäre. In diesem Jahr war es aber etwas anders:
An einer Stelle wurde gesagt: „Die Inklusionstage sind Bestandteil des Nationalen Aktionsplans (NAP). Sie sollen dazu beitragen, Punkte zusammenzutragen, wo Inklusion noch nicht klappt […] sollen Empfehlungen gesammelt werden für das BMAS“
Neben den vielen üblichen Grußworten und Ansprachen von Politikerinnen und Ministern, gab es auch sehr viele interessante Beiträge von Betroffenen sowie thematische Arbeitsgruppen, in denen in gemeinsamer Arbeit z.T. Empfehlungen und Forderungen bzgl. der Umsetzung der in der UN-BRK festgeschrieben Rechte behinderter Menschen zusammengetragen wurden, die ans Ministerium weitergegeben wurden. Ob sich dadurch viel verbessern wird? Eher unwahrscheinlich, aber „steter Tropfen höhlt den Stein“ und je lauter und ausdauernder wir unser Forderungen anbringen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich doch was „tut“.
Vorträge
Besonders inspirierend waren diese 2 Vorträge:
Ninia Binias erklärte dem Publikum auf unterhaltsame Weise, wie ignorant sich die Umwelt manchmal gegenüber Kleinwüchsigen verhält und wie sehr sie das ärgert. Der Titel ihres Poetry Slams: „Einmal Tätscheln bringt Glück, das nächste Mal ‘ne Anzeige“. Zitat: „Menschen lächeln und streicheln mir den Kopf – Nein!, Ich will nicht auf die Schulter …“ | |
Reinfried Blaha berichtete in seinem Vortrag „Mit dem Rollstuhl durch die Welt“, wie viel auch mit Behinderung möglich ist, wenn man sich traut, so selbstbewusst zu sein, um Forderungen zu stellen und ggf. Mitmenschen anzusprechen, um sie um Unterstützung zu bitten. Seine Erfahrung: Die wenigsten verweigern sich, wenn sie wissen, was sie konkret tun können, um zu helfen. |
Arbeitsgruppen
Es gab eine große Auswahl an Themenworkshops/ Foren. An zweien konnte man sich beteiligen:
Forum „Ehrenamt“
Hier wurde zunächst 2 Grundsatzforderungen formuliert:
1. Auch Menschen mit Beeinträchtigungen muss ehrenamtliche Tätigkeit ermöglicht werden.
2. Menschen mit Beeinträchtigungen müssen sich für ihre Rechte als Betroffene auch selbst einsetzen können. Es darf nicht sein, dass dies nur den professionellen Fachkräften überlassen wird.
Solange diese beiden Forderungen nicht erfüllt seien, liege eine Verletzung der in der UN-BRK festgeschriebenen Rechte behinderter Menschen vor.
Beiträge:
Im ersten Beitrag wurden staatliche Programme für Freiwilligendienste im In- und Ausland i.B. auf Zugangsmöglichkeiten und Barrierefreiheit verglichen. Das sei immer noch ein großes Problem:
Inland: Für eine Teilnahme an Programmen für Inlandsfreiwilligendienste (FSJ, FÖJ, BFD) sei die Gewährung von notwendigen Teilhabeleistungen immer noch eine Ermessensentscheidung des Trägers. Dieser könne aber bis zu 100% Zuschuss für den Mehrbedarf erhalten. Sonstige Leistungen für den behinderten Menschen würden jedoch nicht finanziert, z.B. Assistenzleistungen.
Ausland: Staatliche Auslandsprogramme haben manchmal Richtlinien für Mehrbedarfsfinanzierung („Weltwärts“ ja, Kulturweit“ nein, „IJFD“ nein, „Europäisches Solidaritätskorps“ ja).
Insgesamt muss also festgestellt werden, dass behinderte Menschen, bis auf Ausnamefälle, kaum je die Möglichkeit haben, an solchen Programmen teilzunehmen. Weil sie notwendigen Teilhabe-Leistungen zum großen Teil selbst finanzieren müssten, was sie meist nicht können.
Im zweiten Beitrag wurde das Modellprojekt „Inklusionsbotschafter*innen“ vorgestellt. Es gibt auch autistische Inklusionsbotschafter, z.B. Aleksander Knauerhase oder Birger Höhn.
Nach den Vorträgen ging es in eine Kleingruppenarbeit. Ziel: „Zusammenstellen von Forderungen/ Empfehlungen an das BMAS u.a. Entscheidungsträger, damit Menschen mit Beeinträchtigungen gleichfalls ihr Recht auf ehrenamtliche Arbeit ausüben können
Wie man sieht, wurden hier vielfältige, sehr konkrete Empfehlungen und Forderungen zusammengetragen. Eines wurde in jeder Arbeitsgruppe formuliert, da waren sich alle einig: „Ehrenamtliche Leistungen sind Leistungen für die Gesellschaft. Also muss die Gesellschaft auch dafür sorgen, dass ehrenamtliche Leistungen erbracht werden können und die Kosten dafür übernehmen“ | |
2. Forum „Medien“
Auch in diesem Forum war das Ziel, am Ende Empfehlungen für das BMAS zur Verbesserung der Umsetzung der UN BRK zu formulieren. Anders als im ersten Forum gab es hier aber keine Arbeitsgruppen, sondern nur Vorträge.
Ein Vortrag analysierte Filme bzgl. der Darstellung (bzw. auch das Nicht-Vorkommen) von Figuren, die eine Behinderung haben mithilfe von Tests (Disrep -Test/ Tyrion -Test) . Die Referentin kannte keinen Film, der diese Tests bestehe. Mindestens an Frage 2 scheiterten schon die meisten (Die Rolle des Behinderten ist auch mit einem behinderten Schauspieler besetzt).
Forderung: Es müsse mehr sichtbar werden, dass behinderte Menschen ein natürlicher Teil der Gesellschaft sind und Personen mit verschiedenen, individuellen Charakteren. Deshalb genüge es nicht, einfach nur behinderte Menschen in Filmen zu zeigen, wenn diese Darstellungen nur klischeehaft und einseitig auf die Behinderung fokussiert sind. Außerdem sollten Filmproduzent*innen auf die Meinung von Betroffenen hören (Aleksander Knauerhase nannte hier das Beispiel der Serie „Ella Schön“).
Ein weiterer informativer Vortrag stellte „Capito“ vor, eine App für „Leicht verständliche Sprache“. Diese App übersetze Sprache in verschiedene Niveaus von Verständlichkeit. Diese App ist kostenlos, aber leider nur für bereits übersetzte Texte. (https://www.capito.eu/ld/projekt/capito-app-ll/)
Sehr praxisnah und hilfreich ist die Checkliste für barrierearme Kommunikation in den sozialen Medien, die im Vortrag „Barrierefrei Posten“ vorgestellt wurde. Hier kann sich jeder informieren, der seine Webeseiten oder Internetpräsenzen für viele Gruppen von Behinderungen und Beeinträchtigungen möglichst barrierefrei gestalten möchte. Die Empfehlungen für den Autismusbereich stellte Aleksander Knauerhase vor (https://barrierefreiposten.de/barrierefreiPosten.html).
Sonstiges
Die Inklusionstage boten auch gute Möglichkeiten zur Vernetzung. So konnten z.B. wir persönlichen Kontakt mit Vertreter*innen von „Selbstbestimmt Leben e.V.“ herstellen, der in Zukunft vertieft werden soll. Groß war die Freude, Aleksander Knauerhase hier zu treffen und sich mit ihm mal wieder persönlich auszutauschen.
Eine persönliche Bereicherung stellte die Erfahrung dar, Barrieren von Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen kennenzulernen und die Welt sozusagen aus deren Perspektive wahrzunehmen. So wollte die Vertreterin z.B. einem Blinden den Weg zum Hotel erklären. Gar nicht so einfach …
Während der Inklusionstage wurde Inklusion ernst genommen. Sowohl bei Organisationsmitabeiter*innen als bei Referent*innen waren Menschen mit und ohne Behinderung vertreten. Großartig war auch der Versuch, es möglichst für alle barrierefrei zu machen (Gebärdendolmetscherin, großer Bildschirm, auf Vorträge zeitgleich mitlesbar waren, …). Dass dies nicht 100%ig möglich ist, zeigt folgendes Beispiel: Während es für die einen Barrieren abbaut, über Kopfhörer die Vorträge in einfacher Sprache verfolgen zu können, erhöht dies gleichzeitig die Barriere für Menschen mit sensorischen Überempfindlichkeiten, wenn in Nachbarschaft diese Geräusche mithören. |