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10. November 2018: Der Autismus-Kongress in Wuppertal

10. November 2018: Der Autismus-Kongress in Wuppertal

Am 10.11. 2018 organisierte Regine Winkelmann ihren ersten Autismuskongress – Von und für AutistInnen und Interessierte. Eine Vertreterin von  Aspies e.V. war dabei und begeistert. Wie bei unseren Aspies e.V – Autismustagen waren sämtliche ReferentInnen im Autismuspektrum. Und stellten somit, im Gegensatz  zu vielen herkömmlichen Autismus-Fachtagungen, als ExpertInnen aus eigenem Erleben ihr Wissen zur Verfügung. Woran auch viel Bedarf und Interesse gezeigt wurde. Denn der Kongress war ausgebucht, das Publikum gut gemischt: Je 1/3 war entweder im Autismusspektrum oder kam als Fachkraft oder als interessierter Angehöriger. U.a. auch wg. dieser verschiedenen Interessens- und Erfahrungsperspektiven ergab sich eine ausgesprochen konstruktive  Kommunikation miteinander. Nach der Veranstaltung ging jeder Teilnehmende mit ein wenig mehr Verständnis des für Bedürfnisse und Schwierigkeiten der jeweils anderen nach Hause. Die gesamte Atmosphäre der Veranstaltung war erfreulicherweise von Offenheit geprägt. Man kam, um einander zuzuhören. Dies empfand die Teilnehmerin von Aspies e.V. als sehr angenehm. Ein großes Lob für Regine Wickelmann und ihr Team für diesen gelungenen Fachtag.

– Das Programm –

Der Titel des ersten Vortrags war „Die Hürden, die ihr nicht seht“: Dieter Klawan, ein 56jähriger Mathematiker und Softwareentwickler, sprach über Probleme und Schwierigkeiten von autistischen Menschen, insbesondere des Aspergertypus‘.  Ein Typischer Problem sei z.B. der eigene Körper. Der Köper sei ein erstes Stück Außenwelt. Körper- und Emotionskontrolle sei anstrengend. Dauerhafte Überlastungen führten zu typischen Erkrankungen wie Vitamin D-Mangel, Schlafstörungen oder Magenerkrankungen durch Stress. Ein weiteres typisches Problem sei u.a. die eigene Wahrnehmung. Das könne dazu führen, dass man Schwierigkeiten habe, die Ordnung zu wahren oder mit der Außenwelt zu kommunizieren. Der Referent nannte noch mehrere  weitere Probleme, die AutistInnen typischerweise hätten.

In der anschließenden Diskussion waren die Reaktionen geteilt: Hajo Seng (Vorstandsmitglied von Aspies e.V.) und andere AutistInnen bedauerten die zu starke Besinnung auf die Probleme und hätten sich auch eine Hinwendung zu Stärken und Fähigkeiten gewünscht. Die genannten Besonderheiten, die in einigen Lebensbereichen Problem verursachten, wären u.U. in anderen als besondere Stärken nutzbar. Nichtautistische Teilnehmende äußerten sich hingegen dankbar, dass der Referent ihnen Einblicke in autistische die Befindlichkeiten gegeben habe. Sie könnten ihre Kinder/ KlientInnen nun besser verstehen.

Den nächsten Vortrag hielt Regina Winckelmann selbst. Ihre Einleitung: „Ihr seht, das meine Flexibilität gefordert wird – Technik fiel aus, Lichtprobleme … Nicht dass ich hinterher zu hören kriege: ‚Geht doch!‘“ Das habe sie früher viel zu erlebt: „Bist doch sonst so intelligent, da wirst‘e das wohl auch hinkriegen“. Der äußere Eindruck täusche oft. AutistInnen hätten i.d.R. ein inhomogenes Kompetenzprofil. Wenn sie selbst heute so eine Großveranstaltung organisieren könne, könne es sein, dass sie  Montag evtl. nicht mal den Einkauf hinbekomme.

Autistische Menschen hätten eine andere Gehirnstruktur, sie dächten anders und würden anders wahrnehmen. Daraus erwüchsen unsere Probleme, aber auch besondere Fähigkeiten. Leider würden autistische Fähigkeiten in einer nicht autistischen Umwelt nicht oder weniger geschätzt sowie  auf Belastungen, die aufgrund individuelle autistischer Besonderheiten auftreten, kaum Rücksicht genommen. Regine Winckelmann nannte hierzu Beispiele: Ein Arbeitgeber wendet sich wegen Problemen mit einem behinderten  Angestellten ans Integrationsamt. Dieses antworte: „Sie wussten doch, dass Sie einen Autisten eingestellt haben. Sie kriegen ja auch Gelder für ihn.“. Daraufhin der Chef: „Ja, seine guten Fähigkeiten sind auch sehr nützlich – aber inzwischen hätte er doch auch mal lernen müssen, dass man ab und zu einen Kunden belügen muss“. Als weiteres Beispiel nannte sie ein Schulerlebnis ihres Sohnes. Die Aufgabe war Beschreibung eines Wochenmarktes. Der Junge schrieb zwar kaum etwas auf, zeichnete dafür ein Bild mit allen Details. Die Lehrerin und die Mitschüler seien sprachlos gewesen und erklärten dann, dass sie nun besser verständen, dass er schnell erschöpft sei und oft früher nach Hause gehen müsse, wenn er jederzeit die Umwelt so ungefiltert wahrnehme und nie unwichtige Details ausblenden könne. Gleichzeitig hätten sie sein außergewöhnliches Zeichentalent bewundert, dass sich bei der Gelegenheit zeigte.

Der dritte Vortrag von Dr. Christine Preißmann musste leider aufgrund von Anreiseproblemen mit der Deutschen Bahn entfallen.  

 Daher wurde nach einer Pause sofort die geplante Podiumsdiskussion angeschlossen. Am meisten fanden folgende Themen Interesse: Medikamente, Arbeitsassistenzmöglichkeiten. Autismus + ADHS. Außerdem kamen immer wieder Nachfragen nach Adressen von Diagnose- und Therapiemöglichkeiten sowie von Selbsthilfegruppen. Diesbzgl. konnte die Vertreterin von Aspies e.V. einen Beitrag leisten (siehe unten). 

– Aktivitäten von Aspies e.V. –

Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten gab es nur wenig Raum, um Info-Material anzubieten. Michael Schmitz war so freundlich, uns einen Teil seines Büchertisches zur Verfügung zu stellen, so dass wir zumindest ein paar unserer Flyer auslegen konnten. Danke dafür nochmal an Micheal Schmitz.

Auch wenn wir nur wenig Materialien dabei hatten, hat sich die Arbeit an unsere Info-Ecke absolut gelohnt: Nachdem Regine Winckelmann vom Podium aus auf unseren Stand hingewiesen hatte, war der Andrang groß. Wir bekamen so viele neue Einverständnis-Erklärungen von Autismusfachkräften für die Veröffentlichung ihrer Adressen in unserer Online-Datenbank wie noch nie (https://www.aspies.de/adressen.php?category=3). Freundlicherweise konnten wir vor Ort noch zusätzliche Formulare kopieren. Darüber hinaus erhielten wir auch viele neue Infos über SHGs in der Region, sodass sich auch diese Adressen-Übersicht auf unserer Webseite erweitern wird (https://www.aspies.de/adressen.php?category=1).

Auch aufgrund dieser vielen neuen Kontakte, erwies sich die Teilnahme von Aspies e.V.  an Regine Winkelmanns Kongress als außerordentlich gewinnbringend.     

Für die Vertreterin von Aspies e.V. eine angenehme Überraschung: Einige autistische Teilnehmende kamen zu uns, um sich für unsere Adress-Listen zu bedanken. Mit ihrer Hilfe hätten sie nach langem Suchen endlich erfolgreich Anlaufstellen in ihrer Nähe gefunden (z.B. für Diagnose oder eine SHG). Solch ein Lob hörte man gern! Unsere Datenbanken werden zwar häufig in Anspruch genommen, wir erhalten aber selten so ein nettes Dankeschön für unsere Arbeit.

Gute neue Kontakte entstanden aber nicht nur während des Fachtags: Nach Ende ergab sich ein gravierendes Problem, das allein durch die Solidarität autistischer Menschen untereinander gelöst wurde.

Kein Bus fuhr, man kam nicht mehr vom Berg herunter, die Heimreise mehrerer Beteiligter war gefährdet. Dann auf dem Bahnhof: Alle Zugeverbindungen geändert, vom Personal keine oder falsches Info. Nichts war mehr klar.

Die Vertreterin von Aspies e.V. möchte sich auf diesem Wege noch einmal ausdrücklich bei all den unbekannten freundlichen autistischen Menschen bedanken, die gemeinschaftlich dabei geholfen haben, diese Probleme zu lösen, sodass zumindest diejenigen, die am Ende verwirrt und kurz vor der Panik auf dem Bahnsteig standen, die richtigen Züge gefunden haben. Ihr alle seid hoffentlich auch wieder gut heimgekommen.