Vortragsveranstaltung von ASPI aus Schweden am 07.06.19
Vortragsveranstaltung von ASPI aus Schweden am 07.06.19
Im Juni 2019 waren VertreterInnen der schwedischen Selbstvertretungsorganisation autistischer Menschen in ASPI in Deutschland auf Vortragsreise, u.a. auch in Berlin. Mitorganisator war unserer Vorstandsmitglied Hajo Seng, der im Rahmen von autWorker und autSocial seit Jahren in sehr gutem Kontakt mit ASPI steht. Am 07.06.19 fand die Vortragsveranstaltung von ASPI in statt. Diese war sehr interessant und informativ.
3 VertreterInnen von der Organisation ASPI kamen zur Vortragsveranstaltung „Autismus aus autistischer Sicht. Ein gutes Leben mit Autismus: Erfahrungen eines autistischen Unternehmens aus Göteborg“ nach Berlin (Programmübersicht siehe in der Ankündigung auf: https://www.aspies.de/termine.php)
Hajo Seng am Infostand von Aspies e.V. bei der ASPI-Veranstaltung im „Glaskasten in Berlin-Wedding
1.) Einleitung
Ein intensiver Austausch unseres Vorstandsmitgliedes Hajo Seng mit autistischen AktivistInnen in Schweden besteht schon seit 2013. Vor ca. 1 Jahr lernte er im Rahmen seiner Tätigkeit bei autWorker bzw. autSocial Thorbjörn Anderson und seine Firma ASPI aus Göteborg kennen. ASPI gab es schon seit Jahren, aber man wusste noch nicht viel voneinander. Man fand aber, dass gegenseitiger Austausch sehr wichtig sei. Ein Ergebnis dessen ist u.a. die Vortragsveranstaltung vom 07.07.19 in im „Glaskasten“ in Berlin Wedding.
2.) Vortrag von Johannes Haglund
Johannes erzählt zunächst aus seiner Kindheit und Jugend. Mit 10 Jahren erhielt er die Diagnose „Asperger“. Man sage zwar, dass i.A. eine frühe Diagnose wichtig sei, aber in seinem Fall habe sich das nicht positiv ausgewirkt. Denn damals habe es noch keine angemessenen Unterstützungsangebote in Regelschulen gegeben. Es habe zwar schon Unterstützung gegeben, aber nicht die richtige Art.
Seine Probleme hätten auch erst mit Beginn der Schulzeit begonnen. Er komme aus einer Familie mit sehr vielen Kindern. Sein Anderssein sei zwar offensichtlich gewesen, aber das sei, inmitten der Vielfalt, kein Problem gewesen.
Sein soziales Leben habe, außerhalb der Schule, auch gut funktioniert. U.a. sei wahrscheinlich die Teilnahme an einer Amateurtheatergruppe eine große Hilfe gewesen.
Johannes kann Amateurtheater AutistInnen nur empfehlen. Die sei ein guter Experimentierraum, aber trotzdem mit festen Strukturen. Außerdem: „… es wird klar, welche Körpersprache … welche Wirkung beim Publikum ankommt“
Außerdem empfiehlt er Gesellschaftsspiele, “auch wenn’s auf den ersten Blick nicht so aussieht“. Auch dies seien ein relativ sicherer Experimentierraum für Sozialkontakte (die „Spielregeln gäben eine gewisse Sicherheit)
Wg. seiner schulischen Abschlüsse sagt Johannes, er habe den 2. Bildungsweg genutzt (für AutistInnen mit Schulproblemen auch in Deutschland eine Möglichkeit, die evtl. noch viel zu wenig in Anspruch genommen wird). Allerdings böte Schweden hier viel mehr als die deutsche „Volkshochschule“: Hier könne man Bildungsabschlüsse als Erwachsener nachholen in div. individuell passenden Rahmenbedingungen. Z.B. auch mit Wohnmöglichkeit in einer Art Internat, inkl. Freizeitangebote, während des Bildungskurses.
Das heutige Leben von Johannes: Ursprünglich habe er keine Paarbeziehung gewollt. Aber während des Bildungskurses habe er seine jetzige Frau kenngelernt. Die Art seiner guten Beziehung kann Johannes auch anderen AutistInnen empfehlen: „ … funktioniert – aber weil man offen miteinander kommuniziert“. D.h. Johannes erklärte ehrlich und offen, was seine (von ihm selbst so beurteilten) „schlechten (Autismus-) Eigenschaften“ seien – Seine zukünftige Frau konterte mit einer entsprechenden Liste ihrer „schlechten (NT‘)-Eigenschaften: Das Ergebnis sei seine, nunmehr seit 9 Jahren, gute eheliche Beziehung.
Johannes arbeitet seit 5 Jahren bei ASPI. Er hat dort mit Mitte 30 angefangen. Es ist sein erster richtiger Job. Seine Arbeitsinhalte: Vorträge, Aufklärung über Autismus … Die Zusammenarbeit im Team (nur autistische KollegInnen) sei sehr gut, da man sich untereinander respektiert, inkl. aller individuellen Besonderheiten, auch wenn sie gegensätzlich sein sollten.
3.) Vortrag von Thorbjörn Anderson
Der Vortrag von Thorbjörn war etwas anderer Art. Thorbjörn ist mit seinen 55 Jahren auch um Einiges älter als Johannes. Er habe 1996, mit 32 Jahren, von Christopher Gillbert seine Diagnose erhalten. In diesem Jahr sei die Lektüre von Gunilla Gerlands Buch „Ein richtiger Mensch sein“ ein einschneidendes Erlebnis gewesen (siehe: https://www.aspies.de/bibliothek.php)
Im Gegensatz zu Johannes hätten die Eltern von Torbjörn kein Verständnis für seine autistischen Besonderheiten gehabt („Du könntest, wenn du nur wolltest!“). Im Gegensatz zu manchen anderen AutistInnen habe er seine Jugend inmitten von sozialen Gruppierungen verbracht. Allerdings waren deren Mitglieder auch eher „outsider“. Z.B. von anarchistisch geprägten Gruppierungen oder Gruppen, in denen viele Drogen konsumiert wurden. Auch Thorbjörn sei drogenabhängig geworden, habe es aber letztendlich schaffen können, „hartnäckig wie viele AutistInnen sind“, ohne Drogen weiterzuleben.
Zeitweise habe er im Arbeitsleben (IT-Bereich) großen Erfolg gehabt und auch viel Geld verdient.
Dieses habe dann in Autismus-Projekte investiert. Auf die Gründung von ASPI sei er sehr stolz. Nicht nur, weil er sich gut fühle, nun endlich „sein eigener Chef“ zu sein. Das sei zwar eine erhebliche Entlastung, aber sein Hauptinteresse seien die Belange autistischer Menschen. Das könne er bei ASPI umsetzen. Geld verdienen sei hier nicht mehr möglich: Alle 5 MitarbeiterInnen erhalten dasselbe Gehalt. Geteilt wird, „was reinkommt“. Und das wird von Jahr zu Jahr weniger. Die staatliche Unterstützung für solche Projekte werde in Schweden immer mehr reduziert. D. . dass auch die Anfragen von „potenziellen Kunden“ (wie Schulen, Pflegekräfte u.Ä.) zurückgehen, die ja ebenfalls auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen sind – Ein Teufelskreis – Fazit des Vortrags von Thorbjörn: „Evtl. muss man wieder was Neues versuchen“.
Foto von li. nach re.: Johannes Haglund (ASPI); Thomas Schulze (Aspies e.V.); Imke Heuer (Aspies e.V., autSocial) ; Autilus Divfikus, das Maskottchen von Aspies e.V. (in Imkes Händen); Hajo Seng (Aspies e.V., autSocial); Thorbjörn Anderson (ASPI)