Ziele des Vereins

Beschlossen auf der Mitgliederversammlung 2008

Präambel

Autismus ist keine Krankheit!
Ob er für einen Menschen eine Behinderung darstellt, hängt nicht nur davon ab, welche individuellen Fähigkeiten und Schwächen er oder sie konkret hat, sondern auch davon, unter welchen Umständen dieser Mensch lebt. Behindert wird man immer „bei etwas“ und „durch etwas“ AutistInnen z.B. häufig durch zu viel Lärm und Parallelanforderungen am Arbeitsplatz. Fähigkeiten und Schwächen sind bei autistischen Menschen meist extremer ausgeprägt als bei NichtautistInnen. Wir wehren uns dagegen, dass Autismus nur über Defizite definiert wird. Selbstvertrauen und Lebensperspektiven finden wir über unsere persönlichen Stärken. Wir möchten gefördert werden und nicht bekämpft.

Autismus ist vielfältig!
Es ist ein weites Spektrum von Menschen mit einem „leichten“ Autismus bis hin zu „sehr stark“ autistischen Menschen, die Reize nicht genügend filtern und sortieren können, um viel über die Welt zu lernen. Was viele nicht wissen: Leichte Formen von Autismus sind sehr viel häufiger als extreme Ausprägungen. Die übergänge in diesem Spektrum sind fließend und Menschen entwickeln sich manchmal anders, als Fachleute es in ihrer Kindheit vorhergesagt haben. Aspies e.V. ist eine Selbsthilfeorganisation für alle Menschen im Autismusspektrum.

Autismus ist Bestandteil unserer Persönlichkeiten!
Wir haben ein Recht darauf, als Menschen genauso akzeptiert zu werden wie andere Leute auch. Autismus kann man weder wegoperieren noch mit Medikamenten „heilen“. Das Gehirn eines Menschen lässt sich nicht von seiner Persönlichkeit trennen. Die Art, wie wir anders sind als andere Menschen, zu pathologisieren, empfinden wir als Diskriminierung. Das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ gilt auch für uns und umfasst nicht nur die reine Existenz, sondern auch das Recht, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und zu entfalten. Wir sehen autistische Menschen als Bestandteil gesunder neurologischer Vielfalt.

Grundziele des Vereins

Wir treten für uns selbst ein und sprechen für uns selbst. Der Verein setzt sich zum Ziel, die Anliegen und Erfahrungen autistischer Menschen zu sammeln und unsere Interessen gegenüber Fachleuten und Institutionen zu vertreten. Bei dem, was AutistInnen betrifft, betrachten wir uns als kompetente Gesprächspartner und erwarten, dass nicht über unsere Köpfe hinweg über uns und stellvertretend für uns gesprochen und Entscheidungen getroffen werden. In diesem Sinne setzt sich Aspies e.V. zum Ziel, über Autismus zu informieren und sich an Forschungen, Tagungen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu beteiligen.

Wir organisieren und schaffen Räume, in denen AutistInnen sich treffen und unter sich sein können. Im Alltag sind wir oft eine Minderheit, die nur aus uns selbst besteht. Die meisten AutistInnen haben eine Lebensgeschichte voller Ausgrenzung, Herabsetzungen und Mobbing aufgrund ihres Anderssein hinter sich. über manches können wir nur reden und manches können wir nur tun, wenn wir geschützte Räume haben, zu denen neurotypische Menschen keinen Zugang haben. Der Kontakt zu anderen AutistInnen hilft uns, uns selbst besser kennen und schätzen zu lernen und Alltagsprobleme gemeinsam zu reflektieren, ohne in die Rolle des „Hilfebedürftigen“ gedrängt zu werden, dem ein „allmächtiger Helfer“ gegenüber sitzt. In diesem Sinne schaffen wir Begegnungsräume im Internet, in Selbsthilfegruppen und durch Veranstaltungen, Freizeitangebote, die Unterstützung selbstorganisierter Wohnprojekte und kultureller Projekte.

Wir setzen auf Empowerment und selbstbestimmtes Leben. AutistInnen brauchen in erster Linie das Recht auf eine freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Dazu gehört die Möglichkeit, selbstbestimmt und gegebenenfalls mit Assistenz in eigenen Wohnungen zu leben, sich Therapien und Zwangsmedikationen zu verweigern und sich seine Lebensziele selbst zu setzen.
In diesem Sinne beteiligen wir uns an Initiativen wie z.B. „Daheim statt Heim“, die sich für ein selbstbestimmtes Leben für alle Menschen einsetzen, und organisieren Rechtshilfe für AutistInnen, denen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verweigert wird.

Dass jemand Unterstützung benötigt, bedeutet nicht, dass sie/er behindert ist. Alle Menschen brauchen Unterstützung in vielen Dingen und können nicht alles alleine tun. Alle Menschen können auch einmal Unterstützung geben. Aspies e.V. organisiert Unterstützung als gegenseitige Hilfe und setzt sich dafür ein, dass AutistInnen die Möglichkeit gegeben wird, sich mit eigenen Beiträgen an der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zu beteiligen.
In diesem Sinne weisen wir auch auf die Leistungen besonders begabter AutistInnen hin, die in vielen Bereichen zum gesellschaftlichen Fortschritt beigetragen haben, ebenso wie auf die kleinen Beiträge im Alltag, wo AutistInnen oft durch ihre andere Sichtweise Beiträge leisten können, die andere Menschen nicht leisten könnten.

Aspies e.V. setzt sich für eine angemessene medizinische und therapeutische Versorgung für AutistInnen ein. Der Zugang zum Gesundheitssystem ist für AutistInnen voller Barrieren: Volle Wartezimmer, die Notwendigkeit, mit einem ungeduldigen Arzt über das eigene Befinden zu sprechen, sich von einem fremden Menschen anfassen zu lassen oder in Krankenhäusern zu essen, was einem vorgesetzt wird usw. Viele autistische Menschen vermeiden es deshalb, zum Arzt zu gehen und sind von der Gesundheitsversorgung faktisch ausgeschlossen, wofür man sie oft auch noch bestraft (z.B. durch Nichtübernahme von Kosten bei Zahnbehandlungen). Andere AutistInnen werden „gegen Autismus behandelt“, obwohl sie eher eine spezifische Sozialberatung oder Unterstützung gegen Mobbing bräuchten. TherapeutIinnen und Krisendienste wissen oft nicht genug über Autismus und verlangen zuerst mal, dass man mit ihnen redet. Aspies e.V. bemüht sich, aufzuklären und die Verwirrung und die Barrieren zu abzubauen, um Fehlbehandlungen vorzubeugen und AutistInnen den Zugang zu medizinischer und therapeutischer Versorgung zu erleichtern.

Außerdem setzen wir uns besonders dafür ein, dass Barrieren in der Ausbildung zu entsprechenden Berufen abgebaut werden, denn viele AutistInnen haben aus der Notwendigkeit heraus, sich selbst zu helfen, Interesse an diesem Bereich entwickelt und ungewöhnlich große Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die sie insbesondere dafür einsetzen könnten, anderen AutistInnen zu helfen.

Barrierefreiheit in Gesellschaft und Verein: So wie es für Rollstuhlfahrerinnen Rampen und Aufzüge gibt, brauchen auch AutistInnen oft besondere Bedingungen, um Zugang zu öffentlichen Räumen zu bekommen. Da es den „einheitlichen“ Autismus nicht gibt, ist es oft sehr unterschiedlich, was wir als Barriere empfinden und was nicht. Der Verein setzt sich zum Ziel, Informationen über Barrieren für autistische Menschen zu sammeln und zu weiterzugeben, bekannte Barrieren innerhalb des Vereins abzubauen und nach Lösungen zu suchen. Er setzt sich auch für Barrierefreiheit im öffentlichen Raum ein.
Besonders wichtig sind die Möglichkeiten, sich ohne Reizüberflutungen zu beteiligen, die Möglichkeit der schriftlichen Kommunikation und die Berücksichtigung von Autismus in der Ausbildung von Lehrerinnen, ärztinnen, Sozialarbeiterinnen, Rechtsanwältinnen etc. Für die meisten von uns liegen die Barrieren weniger in den Dingen, sondern eher im Verhalten und in den Erwartungen der Menschen, mit denen wir kommunizieren müssen. Aber auch Dinge wie Neonröhren oder Lärm, grelle Farben und Muster oder ein Übermaß von Reizen z.B. im Supermarkt, können für AutistInnen eine Barriere sein. Manchen AutistInnen fällt es schwer, sich mündlich auszudrücken oder an Versammlungen teilzunehmen – dies ist für einen Verein eine Herausforderung, die wir gern annehmen! Unsere Erfahrungen bei der Entwicklung von Barrierefreiheit im Verein betrachten wir zugleich als eine Forschung, an der ihr euch beteiligen könnt: Wenn ihr auf Barrieren stoßt, draußen oder im Verein, informiert uns!

Wir setzen uns ein für eine Teilhabe autistischer Menschen gemäß ihren Fähigkeiten in Schule, Ausbildung und Studium, Arbeit und Beruf und in allen öffentlichen Angelegenheiten. Dazu fördern und fordern wir sowohl eigenständige Projekte autistischer Menschen und geschützte Räume, in denen sie sich frei entfalten können, als auch Möglichkeiten der Integration. AutistInnen sollen selbst entscheiden können, ob und wann sie sich zurückziehen und mit eigenen Interessen beschäftigen wollen und woran sie sich beteiligen möchten. Wir machen uns stark gegen Ausgrenzung, gegen Abschiebung in unqualifizierte Arbeit, die Zuweisung stereotyper Beschäftigungen und gegen Schulsituationen, in denen AutistInnen benachteiligt werden. Wir setzen uns ein für Chancengleichheit in Bildung und Beruf und entwickeln dazu Ideen und Projekte. In diesem Sinne entwickelt Aspies e.V. ein eigenes Bildungsprogramm, gibt Anregungen und Informationen weiter und und fördert die berufliche Integration von AutistInnen.

Wir setzen uns ein und beteiligen uns an neuen Wegen in der AutismusForschung: Nicht unsere Gene müssen erforscht werden, sondern die Möglichkeiten, unsere Lebenssituation zu verbessern!

Wir engagieren uns für eine aufklärende Darstellung von Autismus in Massenmedien und Fachliteratur. Abwertende Begriffe haben in der Wissenschaft über Menschen nichts zu suchen. Autismus ist auch kein Schimpfwort und AutistInnen sind weder bemitleidenswerte Geschöpfe noch sensationelle Exoten. Sie sind kein Grund zum Unglücklichsein und nicht „schlechter“ als andere Menschen auch. Solche Darstellungen verängstigen Eltern und belasten die zwischenmenschlichen Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern, zu Gleichaltrigen und von AutistInnen zu sich selbst. Wir kritisieren deshalb exemplarisch die „Highligts“ der alltäglichen Diskriminierung und bemühen uns um sachliche Informationen.

„Menschenkenntnis“ ist ein gegenseitiger Lernprozess. Nichtautistinnen haben dieselben Schwierigkeiten, AutistInnen zu verstehen, wie AutistInnen umgekehrt Schwierigkeiten haben, Nichtautistinnen zu verstehen. Aspies e.V. setzt sich zum Ziel, Austausch und Begegnungen auf gleichberechtigter Ebene und der Basis von gegenseitiger Toleranz und Anerkennung zu schaffen für alle, die an einem solchen Austausch interessiert sind. Von „neurotypischen“ Menschen erwarten wir dabei, dass sie nicht nur etwas über Autismus lernen wollen, sondern auch bereit sind, uns über Nichtautistinnen aufzuklären.

Diese umfangreichen Ziele wird Aspies e.V. nur in Kooperation mit anderen Menschen und Organisationen erreichen, mit denen wir in bestimmten Punkten gemeinsame Interessen haben. Wir werden solche Kooperationen anstreben und mit eigenen Vorschlägen anregen.