22./23.5. 2019 AUTEA-Fachtagung in Bielefeld
22./23.5. 2019 AUTEA-Fachtagung in Bielefeld
Am 22./23.5. fand in Bielefeld eine von AUTEA veranstaltete Fachtagung zum Thema „Autismus und Beziehungen – Unterschiedliche Perspektiven“ statt. In einer Reihe von spannenden Beiträgen wurde das Thema aus Sicht von Autisten und von Fachkräften aus dem In- und Ausland beleuchtet und der Mythos, dass autistische Menschen beziehungsunfähig seien, eindrucksvoll widerlegt.
Der gut besuchte Vortragssaal
Ich war als Vertreter von Aspies e.V. vor Ort in der Ravensberger Spinnerei, um mir ein Bild von der Veranstaltung zu machen und um die Gelegenheit zu nutzen, unsere Vereinsarbeit vorzustellen und Kontakte zu knüpfen. Gleich der erste Vortrag (Titel: „Great Minds Don’t Always Think Alike“) stammte von einem „Stargast“, Steve Silbermann aus den Vereinigten Staaten, Autor von „Neurotribes“. Beginnend mit der Rolle von Hans Asperger und Leo Kanner beschrieb er, wie sich das Bild von Autismus im Lauf der Zeit gewandelt hat, wobei er aufzeigte, dass, nachdem Asperger zunächst einen Ansatz der Stärkenorientierung und ein von Akzeptanz der Vielfalt geprägtes Bild des Autismus vertreten hat, in den USA seit Kanner eher eine tiefenpsychologische Sicht vorherrschte: Die „Kühlschrank-Mutter“ wurde dafür verantwortlich gemacht, dass autistische Menschen in geschlossene Anstalten abgeschoben wurden. Ein Umdenken habe erst ganz allmählich nach der „kognitiven Wende“ in der Psychologie begonnen, als man (wieder) erkannt habe, dass Autismus genetische Ursachen habe und daher auch nicht „wegtherapierbar“ sei und dass er ein größeres Spektrum an Ausprägungen aufweise, als man bis dahin angenommen habe. Das habe dann den Weg freigemacht für eine Sichtweise unter dem Blickwinkel der Neurodiversität, ein Begriff, der von Judy Singer geprägt wurde. Silberman plädierte eindringlich dafür, dieses Konzept der Neurodiversität, d.h. die Anerkennung des Andersseins, als Grundlage für den Umgang mit autistischen Menschen zu nehmen. Dazu gehöre, dass im Vordergrund stehen müsse, wie man eine inklusive Umgebung gestalte, die es autistischen Menschen erlaube, im Sinne des Empowerments ihr Potenzial auszuleben und die ihren Eigenarten gerecht werde. Der Vortrag mit dieser von Verständnis geprägten Haltung, die nicht die Anpassung an eine Norm sucht und die im autistischen Menschen nicht in erster Linie einen behinderten, zu behandelnden Patienten sieht, hat mich beeindruckt und ist auch vom Publikum mit lang anhaltendem Applaus quittiert worden. Im Anschluss ergab sich an dem Stand, an dem Silverman sein Buch anbot, für mich dann auch noch die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch mit ihm
Ein Bild mit Steve Silberman
Als nächster folgte ein Vortrag von Felix Munch aus Dänemark, in dem ein Projekt beschrieben wurde, bei dem autistische Eltern in einem Fragebogen über ihre Lebenssituation Auskunft geben konnten. Munch, selbst autistischer Sohn eines autistischen Vaters, ging es darum aufzuzeigen, mit welchen konkreten Schwierigkeiten autistische Eltern in ihren Familien konfrontiert sind, wobei deutlich wurde, dass diese Diagnose oft auch mit erheblichen Kompetenzen einhergeht, die in der Forschung bislang nur selten erkannt und gewürdigt wurden.
In dem Vortrag „Wochenendrebellen“ von Mirco und Jason von Juterczenka beschrieben ein Vater und sein autistischer Sohn ihre besondere Beziehung. Statt in dem Sohn einen „Problemfall“ zu sehen, hat sich der Vater auf die autistischen Eigenheiten eingelassen. Der „Tick“ des Jungen, Dutzende von Fußballvereinen kennenlernen zu wollen, um für sich entscheiden zu können, welcher von ihnen nach seinen autistischen Maßstäben am geeignetsten erscheint, um ihr Fan zu werden, hat dazu geführt, dass auch der Vater unzählige Stadionbesuche, einschließlich Reisen bis in den Balkan, mitgemacht und dabei gelernt hat, die Welt auch mit den Augen seines autistischen Sohnes zu sehen. Beide hatten seither auch in den Medien immer wieder Gelegenheit, über diese Erfahrungen zu berichten. Mit Stolz berichtete der Vater, wie sein Sohn, der von manchen in der Vergangenheit nur als „Behinderter“ mit psychischen Einschränkungen wahrgenommen wurde, für seinen Blog mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Es war dann auch die Idee des Sohnes, die Einnahmen aus der gemeinsamen Vortragstätigkeit einem Projekt zum Brunnenbau in Äthiopien zu Gute kommen zu lassen.
Ich kann nicht auf alle Vorträge im Detail eingehen, will aber zumindest über ein paar von ihnen noch kurz berichten:
Im Vortrag von Gerhard Roth vom Institut für Hirnforschung an der Uni Bremen ging es um „Autismus und Beziehungen aus Sicht der Neurowissenschaften“, wobei hier die Forschung mittels bildgebender Verfahren, aber auch neueste Entwicklungen im Bereich der Empathieforschung präsentiert wurden, die deutlich machen, dass das Bild, wonach autistische Menschen generell über weniger Empathie verfügen, veraltet ist.
Marco Bertelli aus Italien beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem Thema der professionellen Unterstützung für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung und Entwicklungsverzögerung und den damit verbundenen ethischen Fragestellungen.
Glenn Osborne aus den USA befasste sich dann damit, welche Art von Beziehungen für autistische Menschen im Übergang zum Erwachsenenalter wichtig sind; dabei wurde sowohl die Rolle der Familien als auch der Umgang seitens Studien- oder Arbeitskollegen beschrieben und aufgezeigt, wie im Alltag entsprechende Beziehungen gestaltet werden können, um autistischen Menschen das Leben zu erleichtern.
Zum Abschluss ging es im Vortrag von Wenn Lawson aus Australien dann noch um das facettenreiche Thema Liebe, Partnerschaft und Sexualität bei Menschen im autistischen Spektrum.
Insgesamt fand ich die Veranstaltung äußerst informativ und war vor allem davon angetan, dass ein positiver, stärkenorientierter Ansatz in allen Beiträgen die selbstverständliche Grundlage war und die autistische Perspektive hier nicht, wie sonst leider noch zu oft bei Fachveranstaltungen, ein „Feigenblatt“ inmitten einer von Psychologen mit ihrer medizinischen und leider nicht selten auch pathologisierenden Sichtweise darstellte, sondern dass hier Autisten und Fachkräfte gleichberechtigt aufgetreten sind und Innen- und Außenperspektive gezeigt wurden, mit dem Ziel, autistische Menschen mit ihren Besonderheiten und einzigartigen Biografien ernst zu nehmen. Ich hatte den Eindruck, dass im Publikum vor allem Eltern, Erzieher und „interessierte Laien“ in der Mehrzahl waren, aber auch Autisten sind in den entsprechenden Diskussionsrunden zu Wort gekommen und haben ihre Anerkennung für diesen Ansatz geäußert. In entsprechenden Gespräche am Rande der Veranstaltung habe ich feststellen können, dass die Besucher überwiegend aus der Region Westfalen kamen und ich konnte die Gelegenheit nutzen, diesen Gästen die Arbeit und die Angebote von Aspies e.V. näherzubringen. Ich denke, AUTEA als Veranstalter hat hier gute Arbeit geleistet im Sinne von Akzeptanz und Inklusion und sich damit auch für die Zukunft als Kooperationspartner von Aspies e.V. empfohlen. Bei künftigen, ähnlichen Fachtagungen von AUTEA sind wir dann sicher wieder mit dabei. Der Verein wird in jedem Fall auch den Kontakt zu Steve Silberman aufrechterhalten und da wir auch Folien und Kurzzusammenfassungen der Vorträge zur Verfügung gestellt bekommen haben, reichen wir diese gern an Interessenten weiter, sobald wir hierfür eine entsprechende Freigabe bekommen haben.