"Du bist doch nicht behindert!" bzw. "Autismus ist doch keine Behinderung!"

  • @MangoMambo danke für deine Beispiele! Ich habe da auch Schwierigkeiten, und finde es hilfreich und interessant, "Alltagsbeispiele" zu lesen.
    Dass andere Menschen von mir abweichende Lebenserfahrungen gemacht haben, und deswegen natürlich zu anderen Entscheidungen und Einstellungen gelangen, verstehe ich nur ganz oberflächlich, und habe es erst mit ca 33 Jahren überhaupt wahr genommen als etwas, das es gibt und das zu berücksichtigen ist. Meistens muss mich jemand/etwas(ein Text oder so) erst daran erinnern.

  • @AspiIT es ist ja in dem Sinne mehr Gedankenexperiment als Test:

    Sally und Anne spielen mit einem Ball. Auf dem Boden stehen ein Korb und eine Truhe. Sally packt den Ball in den Korb und geht weg, sodass sie nicht sehen und hören kann, was passiert.
    In der Zeit nimmt Anne den Ball aus dem Korb und legt ihn in die Truhe.
    Dann kommt Sally zurück. Wo wird Sally zuerst nach dem Ball suchen?

    Wie du im oben verlinkten Thread lesen kannst können auf diesem Niveau die meisten Erwachsenen HFA die Frage beantworten. Jedoch nicht alle. Da ich das durch dich verlinkte Buch nicht habe, kann ich darauf keinen Bezug nehmen. Ich nehme jedoch an, dass die dort beschriebenen ToM Probleme über dieses Experiment hinaus gehen?(Lohnt sich die Lektüre?)

    Noch mal:

    Ich habe nur 50% Empathie, nämlich das Mitfühlen. Ich bin nicht in der Lage mich in andere Einzufühlen, also weder in Gefühle, Gedanken, noch Absichten.


    Vielleicht hast du noch ADHS, den Text nicht richtig gelesen. Denn es wäre absolut nicht normal, da nicht auf die Lösung zu kommen.Das ist reine Anwendung von Logik.


    Aufermerksamkeitsdefizit habe ich nicht. Einen Zappelphillip schon. Besprechung + Kugelschreiber = genervete Kollegen. Wasserflasche + Pummeln am Eticket = genervte Kollegen. TV + e-Kippe = dauerhaftes spielen mit der e- Kippe und häufiges hin und her gerutsche.

    Zitat Zeugnis 1- und 2. Klasse:

    Wenn er sich den konzentrieren würde ist er in der Lage den Sachverhalt schnell zu erfassen und korrekt wieder zu geben.

    Das sagt eigentlich schon alles.

    Logik hat nichts mit hinter den Kopf gucken des Gegenübers zu tun. Einfühlungsvermögen, so die Theorie, ich habs halt net. Kann nur mitfühlen.

  • Mal ein Beispiel aus dem Alltag.

    Das sind aber alles Dinge, die im ersten Impuls so sind, und wenn man nicht weiter nachdenkt. Das kenne ich alles auch. Zum Beispiel in der Mittagspause die Kollegin fragen, ob man was mitbringen soll aber nicht sagen, wo man vorhat hinzugehen (die Kollegin dachte, ich gehe in die Kantine und hat sich gewundert, was ich ihr aus der Kantine mitbringen will).
    Aber der Sally-Anne-Test ist rein theoretisch, und wenn man auch nur ein klein bisschen sorgfältig ist und richtig überlegt, dann findet man die Lösung.

    Der Alltag ist was anderes als so ein Test.
    Was ich mir noch vorstellen könnte, wäre dass es einen Unterschied gibt, ob man den Test für sich allein löst, oder ob jemand neben einem oder gegenüber sitzt, der auf die Antwort wartet.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Zitat von Gruen

    Dass andere Menschen von mir abweichende Lebenserfahrungen gemacht haben, und deswegen natürlich zu anderen Entscheidungen und Einstellungen gelangen, verstehe ich nur ganz oberflächlich, und habe es erst mit ca 33 Jahren überhaupt wahr genommen als etwas, das es gibt und das zu berücksichtigen ist.

    Und ich finde das immer noch wahnsinnig verwirrend.

  • Zitat von AspiIT

    Logik hat nichts mit hinter den Kopf gucken des Gegenübers zu tun. Einfühlungsvermögen, so die Theorie, ich habs halt net. Kann nur mitfühlen.

    Hier ist die "Logik" gemeint zu erkennen, dass Sally nicht wissen kann, dass der Ball in der Truhe ist, da sie den Vorgang nicht gesehen hat. Wenn man herausgefunden hat, dass Sally die Information fehlt und die von der Information "Ball ist in Korb" ausgehen muss, da sie kein Update der Information erhalten hat richtet sich ihre Suche an der veralteten Information aus und beginnt am Korb.

  • Anderes Beispiel: Jemand bittet mich etwas zu erklären oder beschreiben. Ich weiß als intelligenter Mensch, dass er es nicht genauso nachvollzieht wie ich und anders denkt es sich anders vorstellt. Aber unbewusst, ohne mich auf den Umstand zu fokussieren, gehe ich erstmal davon aus, dass der andere die gleichen Vorraussetzungen anlegt wie ich.

    Das geht aber unter Umständen jedem so; das Wissen darüber, dass andere von anderen Voraussetzungen ausgehen, bietet ja keinen Aufschluss darüber, welche es denn im Einzelnen nun seien.

    Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind. Ich mich auch.

  • @MangoMambo
    Ich drückte mich schlecht aus. Da man nicht weiß, was der andere nicht weiß, bleibt einem erst ein Mal ohnehin nichts anderes übrig, als von den eigenen Voraussetzungen auszugehen, unabhängig davon, ob das bewusst oder unbewusst geschieht. Erst danach kann man sich allmählich herantasten, indem man Gedankenschritt für Gedankenschritt abgleicht. Doch dazu ist man meiner Beobachtung je nach Verfassung, Befindlichkeit und Einstellung keineswegs ohne Weiteres in der Lage, was keine Frage der Intelligenz oder des Wissens ist - da wird man oft von dem eigenen, jeweils vorherrschenden Gefühl gleichsam davon getragen. Die Übung, die man darin hat, spielt auch eine Rolle:

    Im Laufe der Jahre bin ich deutlich besser darin geworden

    Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind. Ich mich auch.

  • Ein Mensch ist ein Individuum und somit ist der Vergleich zweier Menschen nicht möglich. Alleine die Persönlichkeit ist schon nicht zu vergleichen.

    Das ein anderer Mensch, die gleichen Voraussetzungen wie man selbst, ist bereits die Grundlage für Missverständnisse am Fließband. Wenn man davon ausgeht, dass die Voraussetzungen eben unterschiedlich sind, dann kann man etwas auch erklären.

    Wenn die Voraussetzungen und Wissen gleich sind, dann brauchste auch nix zu erklären.

  • @AspiIT wenn das für dich so logisch ist, warum fällt es dir dann schwer zu erfassen, dass Sally weniger weiß als Anne? Du weißt ja, was Anne weiß "Ball in Korb" also musst du da ja gar nichts von ihren Gedanken wissen. Wo denkt Sally, dass der Ball ist, wäre doch dann eigentlich leicht?

    Versuche da nur rauszufinden wo genau die , Probleme mit ToM liegen, deshalb die Frage. Finde das Thema sehr spannend.

  • @AspiIT Man kann das Sally Anne Problem auch auf dein Arbeitsgebiet (Linux-Admin) übertragen: Server A und B greifen auf die Anwendung zu. Server A legt das Applications Log auf Verzeichnis X ab. Dann ist Server A offline. In Der Zeit verschiebt Server B das Log in Verzeichnis Y. Jetzt geht Server A wieder online, wo wird er das Log suchen? (es findet keine Kommunikation zwischen den Serven ab und keine Synchronisation)

  • Zitat aus hochfunktionaler Autismus bei Erwachsenen kognitiv-verhaltenstherapeutisches Manual:

    "
    Außerdem spielt Empathie(das„Mitschwingen“bzw„Spiegeln“ der Gefühle Anderer)
    eine wichtige Rolle für soziale
    Interaktionen,denn sie stellt häufi geine‚emotionale Brücke“zum Anderen dar. Empathie, steine emotionale Eigenschaft und keine kogni-
    tive Fähigkeit, daher kann sie auch nicht über die Vernunft oder durch den Einsatz von Intelligenz trainiert werden.
    "

  • @AspiIT Man kann das Sally Anne Problem auch auf dein Arbeitsgebiet (Linux-Admin) übertragen: Server A und B greifen auf die Anwendung zu. Server A legt das Applications Log auf Verzeichnis X ab. Dann ist Server A offline. In Der Zeit verschiebt Server B das Log in Verzeichnis Y. Jetzt geht Server A wieder online, wo wird er das Log suchen? (es findet keine Kommunikation zwischen den Serven ab und keine Synchronisation)


    Läuft die Anwendung auf einem dritten Server?

    Anwendung auf einem dritten Server:

    Server A kann das Application Log nirgends ablegen, weil die Anwendung das Log selbst auf dem dritten Server ablegt. Da man ja ein gewisses Maß an IT- Security hat, alleine wegen dem Datenschutz, kann und darf Server A überhaupt nicht auf das Anwendungs Logfile zugreifen.

    Das gleiche gilt für Server B.

    Was hat den das bitte mit Gedanken von Menschen zu tun? Nix.

  • Und ich finde das immer noch wahnsinnig verwirrend.

    Wie alt bist Du, falls ich fragen darf? Mir gelang in dieser Hinsicht auch vieles erst spät (bin 41). Auch mit 30 Jahren half mir die Erkenntnis, um die grundsätzlich vorhandene Abweichung der Lebenserfahrungen, nur bedingt weiter.

    Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind. Ich mich auch.

    Einmal editiert, zuletzt von Eurich Wolkengrob (17. September 2019 um 12:24)

  • @AspiIT aber Theory of Mind heißt nicht Empathie. Zu verstehen ob Sally weiß wo der Ball ist braucht weder Verständnis für ihre Gedanken noch ihre Gefühle. Nur darüber was sie weiß, mitbekommen haben kann, und was nicht.

    Theory of Mind Kann man trainieren. Empathie nicht, nur versuchen das nachzuvollziehen.

  • Ich bin von 2 Logservern, welche auf die Applikation eines 3. Servers zugreifen und die Logs verwalten und in einem externen Verzeichnis ablegen.

    Was hat Sally-Anne mit Gedanken zu tun? Es geht da nur drum zu erkennen, dass Sally weniger weiß als Anne, also die veraltete Information nutzen wird.

    Deshalb ist es ja auch auf Gedankenloses übertragbar. Bei ToM auf diesem Level geht es weder um Gedanken noch Gefühle. Nur darum zu erkennen, dass andere weniger/mehr/anderes Wissen bzw. andere Wissensstände haben?

    @Eurich Wolkengrob jetzt bin ich 21, da bleibt also noch Hoffnung.

  • Zitat aus hochfunktionaler Autismus bei Erwachsenen kognitiv-verhaltenstherapeutisches Manual:

    "
    Außerdem spielt Empathie (das„Mitschwingen“bzw„Spiegeln“ der Gefühle Anderer) eine wichtige Rolle für soziale
    Interaktionen,denn sie stellt häufi geine‚emotionale Brücke“zum Anderen dar. Empathie ist eine emotionale Eigenschaft und keine kognitive Fähigkeit, daher kann sie auch nicht über die Vernunft oder durch den Einsatz von Intelligenz trainiert werden.
    "


    Der erste Satz bezieht sich auf Gespräche mit anderen, dass man da offen signalisiert, dass man zuhört und auf das Gesagte des anderen inkl. ggf. dessen Gefühle eingeht. Also z.B. nicken, lächeln, mal einen Satzteil wiederholen oder Fragen stellen, sowie die gesamte Mimik und Körpersprache. Sodass die andere Person merkt, dass man Interesse oder bei Bedarf Mitgefühl hat.
    Autisten haben zwar sehr oft Mitgefühl, zeigen es aber nicht so, wie andere Menschen das erwarten.

    Deshalb ergibt der zweite Satz keinen Sinn, denn an Gefühlen mangelt es den Autisten nicht, und alles andere kann man sehr wohl trainieren. Die Schwierigkeit liegt da in der Vielzahl an Gedanken, die man sich im Alltag in so einer Situation machen muss, um richtig reagieren zu können. Das klappt aus Kapazitätsgründen nicht immer.

    Außerdem gibt es noch eine andere emotionale Komponente, die nichts mit Mitgefühl oder Empathie zu tun hat. Wenn nämlich Autisten z.B. nicht richtig trösten können, dann liegt das auch nicht nur daran, dass sie nicht wissen, wie, sondern auch daran, dass es extrem unangenehm ist, sich Gefühlen auszusetzen. Das ist dann schon etwas, was man kaum trainieren kann, hängt aber nicht mit mangelnder Empathie zusammen, führt nur dazu, dass man seine Empathie nicht zeigen kann.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Also, da hat @MangoMambo Recht, es geht um die Fähigkeit, zu wissen, dass verschiedene Entitäten einen eigenen Blickwinkel haben, genauer gesagt, dass Person A ein Bewusstsein besitzt und Sinne, durch die sie Informationen aufnimmt, während Person B ebenfalls ein Bewusstsein und Sinne besitzt, durch die sie potentiell als auch real andere Informationen aufnehmen kann.

    Als Informatiker sollte man das aber beherrschen. Da ist diese Denkweise eigentlich Basis.
    Man weist doch gewissen Werten einen Speicherplatz zu “Variablen” und muss sich quasi in das Programm hinein fühlen, wann man wie eine Variable aufführen/einführen muss, dass das Programm auch ausführt, was man möchte, dass es ausführt. Man muss sich stets überlegen, wann die Maschine die Variable jetzt wie bräuchte, in welcher Form und Anordnung, dass sie das liefert, was der Anwender haben möchte.
    Das ist eigentlich musterhaftes Hineinfühlen in eine andere Entität.

    Da mir das tatsächlich schwer fällt, wundert es mich auch immer, dass so viele Autisten in der IT sind, oder gut Schach spielen, wo mir das ebenfalls schwer fällt.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • Aber der Sally-Anne-Test ist rein theoretisch, und wenn man auch nur ein klein bisschen sorgfältig ist und richtig überlegt, dann findet man die Lösung.

    Ja, und zwar auch als Kind schon. Ich halte für möglich, dass auch viele autistische Kinder solche Tests korrekt lösen. Insbesondere, sofern die testende Person freundlich ist, auf das Kind eingeht und eine angenehme Atmosphäre schafft. Hier war ja auch schon häufiger von Kindern zu lesen, die im Spielverhalten etwa mit einer Therapeutin unauffällig und altersgerecht erschienen. Nur sagt das gerade bei Menschen, die im alten System eine Asperger-Diagnose bekommen hätten, also durchaus gerne reden und keine Sprachverzögerung haben, nur begrenzt etwas aus. Viel wesentlicher ist da der Kontakt mit Gleichaltrigen. Und auch bei Erwachsenen ist es nicht anders. Ich denke, Bildergeschichten kommentieren und sich die Emotionen der Gezeigten vorstellen, können durchaus auch manche Autisten (vielleicht insbesondere Autistinnen) auf "neurotypische" Weise. In ruhigen, überschaubaren Situationen, in denen sie nicht persönlich angegriffen werden, können viele auch Empathie zeigen. In der Theorie kann man auch vieles über Kommunikation und Körpersprache lernen und so im "normalen" Alltag vergleichsweise unauffällig (wenn auch vielleicht trotzdem merkwürdig) 'rüberkommen. Aber das heißt noch nicht, dass man sich in Konflikten positionieren, in Gruppendynamiken funktionieren, Beziehungen aufbauen und generell in komplexen, unübersichtlichen Situationen noch soziale Signale verstehen oder anwenden kann. Im Alltag geht das, was der Sally-Anne-Test prüft, bei mir auch manchmal schief, dennoch wäre ich auf den vermutlich auch als Kind nicht herein gefallen.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

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