"Du bist doch nicht behindert!" bzw. "Autismus ist doch keine Behinderung!"

  • Hallo zusammen,

    jahrelang haben sich viele in meinem Umfeld über mich aufgeregt, mich nicht verstanden, sich von mir provoziert gefühlt usw. Bis dann im Mai diesen Jahres die offizielle Asperger-Diagnose gekommen ist. Für einen Teil meines Umfeldes hieß das: "Okay, endlich haben wir eine Erklärung dafür." für den anderen Teil hieß das: "Du bist doch nicht autistisch." Die Diagnose (die für den Diagnostiker selbst Zitat "offensichtlich" war) wird entweder kontrovers diskutiert ("Du kannst nicht autistisch sein, weil du mich gestern gefragt hast, wie es mir geht.") oder komplett ignoriert ("Jetzt bist du halt Autist, na und?")

    Einen Kommentar, den ich aber so oft höre, dass er mir schon richtig auf die Nerven geht, ist: "Du bist doch nicht behindert!" bzw. das finde ich eigentlich noch krasser "Autismus ist doch keine Behinderung!"
    Weil ich das Gefühl habe, dass diese Aussagen zwar zeigen, dass ich im Leben scheinbar klar komme irgendwie, aber weil die auch zeigen, dass den Menschen in meiner Umgebung offensichtlich nicht klar ist, wie viel Anstrengung mich dieses "klar kommen" jeden Tag kostet. Wie müde mich das macht. Wie schnell mich das erschöpft. Wie sehr mich das teilweise davon abhält, mein Potenzial zu entfalten. Wie dringend ich eigentlich Unterstützung brauche und Verständnis. Und was die eigentlich von mir verlangen, wenn sie sagen: "Jetzt reiß dich doch endlich mal zusammen!"

    Kennt ihr diese Aussagen auch? Wenn ja, was antwortet ihr darauf? Wie geht ihr damit um?

    Viele Grüße
    MathePinguin

  • Autismus an sich muss keine Behinderung sein, weder mein Freund noch ich fühlen uns so.
    Aber natürlich muss man im Leben deutlich mehr auf eine geeignete Umgebung aufpassen als bei NTs.

    Wer sind diese Menschen, denen du es erzählst, und warum verlangen sie überhaupt irgendwas?

    Warum lässt du dich von anderen so beeinflussen? Da liegt das Problem - ungeeignetes Umfeld und zu wenig Abgrenzung...

  • Ich habe GdB 70 und die Merkzeichen G und B aufgrund des Asperger Syndroms. Von meinem Umfeld höre ich solche Kommentare nicht, wenn überhaupt dann von Fremden. Ich habe gelernt mich und meine besonderen Eigenschaften gut zu erklären. Auch habe ich mehr zu mir gefunden, das gibt mir Kraft bei mir zu bleiben in solchen Situationen.

  • Also, von Leuten, die mich länger als ein paar Minuten kennen, höre ich das nicht.
    Am Auffälligsten ist bei mir halt, dass ich Sarkasmus/Ironie zu 80% missverstehe.
    Wenn nicht das, dann, dass mir spontanes Reden manchmal unmöglich ist usw.
    Meinen Eltern fällt es hauptsächlich daran auf, dass meine exekutiven Funktionen mangelhaft sind.
    Meine Ordnungs-und Planungsfähigkeit ist immer noch auf dem Stand eines Kindes.
    Mein Weltblick ist so eingeschränkt, dass mir Alltägliches manchmal unbekannter erscheint, als Chinesisch. (Ich kann kein Chinesisch.) Ich weiß die simpelsten Dinge nicht.
    Wenn ich mich mit anderen vergleiche, so kommen diese irgendwie problemlos klar im Leben.
    Von Beziehungen und Beruf mal abgesehen.
    Aus diesem Blickwinkel ist es eine Behinderung.

    Warum lässt du nicht mal ein wenig von deiner Kompensation ab und zeigst ihnen, wer und wie du bist, wenn du dich nicht anstrengst, dich anzupassen?
    Wenn sie das erfahren, sollten sie es eigentlich verstehen lernen.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • Leuten die mir den Aufwand wert sind und die mich verstehen wollen erkläre ich das über die Löffeltheorie:

    https://autistenbloggen.wordpress.com/2015/12/23/abe…loeffeltheorie/

    Die funktioniert auch super um z.B. den Anstrengungsgrad bei einer Depression zu verdeutlichen.

    Daa klingt ja so, als ob NTs unbegrenzte Menge an Energie hätten...
    Stimmt aber nicht, sie sind auch nur Menschen.

    Ich würde eher sagen, dass soziale Aktivitäten mit unpassenden Menschen Autisten einfach deutlich mehr Energie kosten als NTs. Plus viele Sinnesreize...

  • Daa klingt ja so, als ob NTs unbegrenzte Menge an Energie hätten...Stimmt aber nicht, sie sind auch nur Menschen.

    Ich würde eher sagen, dass soziale Aktivitäten mit unpassenden Menschen Autisten einfach deutlich mehr Energie kosten als NTs. Plus viele Sinnesreize...

    Haben sie natürlich nicht, denken das scheinbar oft und genau darum geht es ja unter anderem bei der Löffeltheorie:


    Ich bat sie, die Löffel zu zählen und sie fragte warum. Daraufhin erklärte ich, dass man als gesunder Mensch unbewusst davon ausgeht, dass man einen unerschöpflichen Nachschub an “Löffeln” zur Verfügung hat. Aber wenn du nun deinen Tag planen würdest, dann müsstest du genau Bescheid wissen, wie viele Löffel dir am Anfang zur Verfügung stehen. Es gibt keine Garantie, dass dir nicht ein paar Löffel auf dem Weg verloren gehen, aber zumindest hast du eine ungefähre Idee, mit wie vielen du beginnst. Sie zählte 12 Löffel. Sie lachte und sagte sie wolle mehr haben. Ich enttäuschte sie und sagte Nein, und wusste, dass meine Idee funktionieren würde, obwohl wir noch nicht einmal begonnen hatten. Ich wollte seit Jahren mehr Löffel und hatte bis jetzt noch keinen Weg gefunden, mir neue zu verschaffen, warum sollte sie dann mehr bekommen? Ich sagte ihr auch, dass sie sich nun immer bewusst sein müsste, wie viele Löffel sie noch habe und sie dürfte auch keine fallen lassen, denn ab jetzt würde sie nie vergessen, dass sie Lupus hat.

  • Kennt ihr diese Aussagen auch? Wenn ja, was antwortet ihr darauf? Wie geht ihr damit um?

    ja, ich kenne solche Aussagen von meiner Familie. Aber (bisher) nur von dort.
    Ich weiß nicht, was die ,,beste" Reaktion darauf wäre. Ich versuche es derzeit immer zu ignorieren oder schnell das Thema zu wechseln... :shake:

    Was ich brauch' ist ein Pinguin mit Übergewicht, der für mich das Eis bricht, denn ich kann das nicht! ~Jennifer Rostock

  • Aus diesem Blickwinkel ist es eine Behinderung.

    Das kann ich so unterschreiben.
    Bei mir zeigen sich größten Teils die gleichen Probleme wie bei dir und ich bin deswegen schon oft beschimpft worden weil keiner wsste was mein problem war.
    Ich habe erst die Diagnose nochmal offiziell erhalten nachdem ich schon in Beruf etc gescheitert war und außer meiner Mutter kein anderes Sozial-leben mehr vorhanden war und ich habe da vielleicht das Glück (auch wenn es sich doof anhört das so zu nennen) nicht das Problem allen Leuten die mich irgendwie kennen denn da sind ja keine- nun zu erklären was mit mir los ist.
    Wenn ich irgendwann jemand neu kennenlerne wird es eh in einem Rahmen sein wo ich Leuten begegne die auch Handicaps haben oder auch autistisch sind weil ich mich sonst eh in keine anderen Dinge begebe wo ich näheren Kontakt zu anderen habe.

    Ich habe manchmal das Gefühl das NTs die Dinge die hier Leute beklagen nicht zu können, von ganz allein lernen und sich da hin entwickeln das irgendwann zu können, weshalb es ganz normal für sie ist auszuziehen, einen Job zu finden, Freude und auch Partner zu finden.
    Das ist sicher auch für NTs nicht immer leicht, aber sie schaffen das idR irgendwie.
    Ich habe das Gefühl das viele Autisten sich da nicht entwickeln, wie Cloud schon sagte, da auf dem Stand eines Kindes verbleiben (zumindest fühlt es sich auch bei mir so an) ich habe nicht den Wunsch auszuziehen also das Gefühl von den Eltern weg zu wollen ist bei mir garnicht vorhanden.
    Auch jemand anderes kennen lernen und diesem menschen dann zu vertrauen bzw sowas wie Beziehung ist für mich fremd, ich kann dazu keine Emotion entwickeln bzw ich spüre dazu nichts.
    Das geht sicher nicht jedem Autisten so (Es gibt ja Leute die da bessere Fähigkeiten haben) aber ich kann mir vorstellen wie ansträngend das sein muss.
    Ich habe mich früher nach der Schule um diesem Alltag von Schulunterricht gerecht zu werden auch oft so müde gefühl das ich oft erstmal einen Mittagsschlaf bzw Nachmittagsschlaf brauchte. Das problem war dann, ich war nachts oft wach bzw schlafen fiehl mir dann schwerer, das war nicht gut.
    Die Schule war aber auch extrem ansträngend. Das problem hatte ich auf der Förderschule nicht, ich hatte das immer nur auf öffentlichen Schulen.
    Und ich war auf diesen Schulen alles andere als angepasst. ich wurde dort immer als Freak gesehen mit dem so gut wie niemand was zutun haben wollte.

    Go bad or go home!

  • Kennt ihr diese Aussagen auch? Wenn ja, was antwortet ihr darauf? Wie geht ihr damit um?

    Ich kenne das eine oder andere. Ich kann es teilweise ganz gut verstehen, dass die Menschen so reagieren.

    Zum Beispiel "Du bist doch aber gar nicht autistisch!". Das ist ja nicht unbedingt etwas, was jetzt speziell nur von einem nichtautistischen Umfeld kommt. Denn in über zehn Jahren Forum habe ich so oft gelesen, dass die Leute, die selbst keine Ahnung hatten was mit ihnen los ist, verwundert sagten "Was? Autistisch? Ich?". Ich finde "autistisch" und "Autismus" auch höchst irritierend, vor allem beim Asperger-Syndrom. Autismus stand immer für ein Insichgekehrtsein, eine Gefangenschaft im eigenen Ich, "im Käfig lebend", für eine krankhafte Isolierung von der Umwelt, für eine Wir-Insuffizienz, für eine Unfähigkeit zur Kommunikation mit der Umwelt. Ich war nie erfreut darüber, dass sich die Dinge so entwickelt haben. Früher sprach man in the majority of cases vom Asperger-Syndrom. Abgesehen davon, dass ich Privat überhaupt nicht mehr über AS reden mag und ich es auch verdränge, hätte ich kein Problem damit, wenn jemand sagt "Du bist doch nicht autistisch!", da ich dieses Wort auch niemals für mich benutzen würde. Ich finde es absurd, es irritiert und verzerrt mehr als es beschreibt. Wenn Menschen zwischen BAP und "Hardcore-Kanner" (LFA) autistisch sind - was sagt einem das bloße Wort "autistisch" dann noch?


    oder komplett ignoriert ("Jetzt bist du halt Autist, na und?")

    Was mich an dieser Stelle interessieren würde ist, ob du bestimmte Erwartungen hast? Wenn ja, was erwartest oder erhoffst du dir? :)

    In letters of gold on a snow white kite I will write "I love you"
    And send it soaring high above you for all to read

  • Kennt ihr diese Aussagen auch? Wenn ja, was antwortet ihr darauf? Wie geht ihr damit um?

    Ich merke zumindest, dass immer noch erwartet wird, dass ich alles kann, so wie andere. Viele legen einem das glaube ich als Ausrede aus, weil es eben nicht offensichtlich ist, wie nicht laufen zu können.
    Ich hoffe ja noch auf den Schwerbehindertenausweis. Den kriegt man ja nicht einfach, wenn alles in Ordnung ist.

    Autismus an sich muss keine Behinderung sein, weder mein Freund noch ich fühlen uns so.

    Du hast ja auch wie ich deinem Profil entnehme keine Diagnose. Deshalb finde ich es unpassend, dass du MathePinguin gleich unterstellst, dass sie sich nicht abgrenzt und es nur am unpassenden Umfeld liegt.

  • @Fidoline
    Genau deswegen habe ich meinen Freund gebracht - er hat eine Diagnose.
    Aber er hat für einen entsprechenden Arbeitsplatz und sonstige passende Umgebung gesorgt.

    Würde er einen Beruf machen, den hier viele ausüben, würde er eingehen. Ich übrigens auch.

    Insofern ja, es kann eine Behinderung sein, wenn man sich in eine unpassende Umgebung begibt.

    Steht, glaube ich, überall bei Autismusseiten so, es ist keine Behinderung per se, es ist meistens die unpassende Umgebung, die einen behindert. Plus perfektionistische Ansprüche an sich selbst, unbedingt anders zu sein als man ist. Das erzeugt sehr viel Druck...

  • Auch im passenden Umfeld sind Schwierigkeiten mit der TOM, Probleme mit den exekutiven Funktionen, Probleme mit der Reizverarbeitung immer noch vorhanden. Die Behinderung verschwindet nicht durch ein optimales Umfeld. Nur der Umgang damit ändert sich.

  • Sind HS dann auch automatisch behindert, weil sie Probleme mit der Reizverarbeitung haben?
    Und alle introvertierten Menschen sind behindert, weil sie Probleme mit Gruppen haben und von lauten Menschen überfordert sind?

    Klar, ist alles eine Definitionssache, wie man mit eigenen Stärken und Schwächen umgehen möchte...

  • Es geht eben nicht nur um Stärken und Schwächen. Das, was du da aufzählst bedingt keine Diagnose. Ich schreibe über Dinge, die über Stärken und Schwächen hinaus gehen, einen behindern. Und deshalb eine Diagnose erfordern.

  • Es geht eben nicht nur um Stärken und Schwächen. Das, was du da aufzählst bedingt keine Diagnose. Ich schreibe über Dinge, die über Stärken und Schwächen hinaus gehen, einen behindern. Und deshalb eine Diagnose erfordern.

    Soweit ich weiß, wird eine Diagnose eben nicht danach vergeben, wie gut man gelernt hat damit umzugehen.

    Bzw sollte es nicht sein - deswegen haben ja gut kompensierende Autisten Probleme, die Diagnose zu bekommen, weil zu sehr auf sichtbare "Behinderungen" geschaut wird...

    Hier werden Ambulanzen gelobt, die sich auf die Eigenschaften an sich konzentrieren und nicht darauf, wie gut man zurechtkommt.

  • Ich denke, es wird allgemein gesagt, dass man über die Behinderung eines andern nicht urteilen kann, sondern dass das jeder für sich selbst definiert.

    Darüber hinaus ist meine persönliche Sichtweise (etwas radikaler) die: Wenn jemand Schwierigkeiten hat, in einem Umfeld klarzukommen, in dem die absolute Mehrheit der Menschen (ca. 99%) keine Schwierigkeiten hat, dann liegt das Problem offensichtlich mehr bei der einzelnen Person als am Umfeld. Ich vermisse da die angebliche Logik der Autisten, wenn Aussagen kommen, wie es läge nur am Umfeld. Wenn das Umfeld die natürliche Umgebung ist, in der alle anderen auch leben und alle anderen klarkommen, dann haben oder sind nicht die andern das Problem, sondern man selbst.

    Eine Diagnose wird vergeben, wenn es Schwierigkeiten in wichtigen Lebensbereichen gibt (Arbeit, Beziehungen, Wohnen, Freizeit), und mit einer passenden Umgebung kann man sich das vielleicht ein bisschen erleichtern, aber die Schwierigkeiten sind deswegen nicht weg. Zum Beispiel kann ich auch unter guten Arbeitsbedingungen keine 5 Tage in der Woche arbeiten (ich kann mir nicht vorstellen, wie die Bedingungen sein müssten, unter denen das ginge), aber für meine Restarbeitsfähigkeit gibt es gute oder schlechte Arbeitsbedingungen, d.h. ich kann es leichter oder schwerer haben. Dabei sind die Schwierigkeiten wohl unterschiedlich verteilt, manche kommen im Arbeitsumfeld gut klar, dafür woanders nicht.
    Ich betrachte mich selbst eigentlich am Rand des Autismusspektrums, weil ich so hochfunktional bin, dass ich auf den ersten Blick gar nicht auffalle. Trotzdem hatte ich in meinem Leben noch nie eine intime Beziehung und konnte nur ganz kurze Zeit unter Schwierigkeiten mal Vollzeit arbeiten. Ich kann im Prinzip nur einen Lebensbereich am Laufen halten; wenn ich voll arbeiten gehen würde, dann würden Freizeit, Beziehungen und Wohnen unter den Tisch fallen, und am Ende vielleicht auch die Gesundheit. Würde ich eine intime Beziehung eingehen wollen, bräuchte ich auch dafür meine gesamte Konzentration und Energie, sodass andere Bereiche nicht mehr funktionieren würden.

    Ich denke oft, dass ich die Diagnose wahrscheinlich "gerade so" noch bekommen habe (wenn man mit mir spricht, fällt wirklich gar nicht viel auf), deshalb bin ich oft verwundert, wenn ich von Leuten lese, die angeblich eine Diagnose haben, aber so wunderbar mit allem zurechtkommen und ein normales Leben führen.

    Übrigens sagen mir auch manchmal Leute, dass man mir das Asperger-Syndrom nicht anmerkt, aber die Leute sehen ja nicht die Details, wie ich lebe, die sehen nur das Interface, das ich ihnen im Gespräch zeige, und das natürlich antrainiert ziemlich unauffällig wirkt. Die Leute, die das sagen, wissen im Grunde nichts über mich. Außerdem ist eine Menge Höflichkeit mit dabei, wenn Leute das sagen, sie wollen damit eben zeigen, dass sie einen nicht für auf den ersten Blick "krank" halten. Bei Autismus denken viele an größere Auffälligkeiten als das, was man bei einem Hochfunktionalen von außen sieht.

    Der klassische frühkindliche Autismus und das Asperger-Syndrom/hochfunktionale Autismus sind schon zwei verschiedene Kategorien, die man nur schwer miteinander in Verbindung bringen kann. Aber der Übergang vom einen zum andern ist fließend und die Grundschwierigkeiten doch die gleichen, daher kann man beides gar nicht einfach voneinander abgrenzen und irgendwo die Trennlinie ziehen. Autismusspektrum finde ich von daher richtig, obwohl ich mir für die Zukunft wünschen würde, man könnte es anhand Genetik irgendwann doch wieder in Kategorien einteilen und dadurch klarer benennen. Damit Leute bei der Nennung der Diagnose nicht denken, man würde sich im nächsten Moment den Kopf an die Wand schlagen oder nur noch murmelnd vor und zurück wiegen... damit einfach gleich klar wäre, was man sich darunter vorzustellen hat. Aber wahrscheinlich wird das sowieso nicht klappen, weil die Leute nicht jede Diagnose kennen können, also wird man einfach nicht darum herumkommen, zu erklären, was es ist und wie es sich auswirkt. Oder man muss damit leben, dass die anderen sich was anderes darunter vorstellen, mir persönlich macht das nicht so viel aus. Wen's interessiert, der kann googeln oder mich fragen.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • @Shenya
    Ich kann ja nur für meinen Freund sprechen. Ihm sieht man es wirklich an. Er ist nicht unauffällig - er kommuniziert häufig holprig, hat eine seltsame Mimik, wenn er überfordert ist (und das ist er schnell) usw. Seine Körperhaltung ist auch nicht unauffällig.
    Auch bei Diagnostik hatte er keine Schwierigkeiten, eher umgekehrt. Er kam in die ADHS-Ambulanz, wurde aber sofort zur Autismus-Ambulanz weitergeleitet, weil er auffällig war.
    Auch sein Hausarzt hat diese Vermutung (Asperger) gehabt, aber wir haben es bezweifelt, eben weil er gut zurechtkommt.

    Er arbeitet seit 14 Jahren Vollzeit, hatte mehrere langjährige (ca. 4 Jahre) Beziehungen und auch zusammen gewohnt. Er kommt im Alltag gut zurecht, ist halbwegs gut organisiert (für das, was er braucht) und hatte selten Schwierigkeiten. War auch relativ gut sozial integriert. Verbringt viel Zeit mit seinem SI und passenden Menschen.

    Ist allerdings akustisch sehr empfindlich und schnell überreizt.

    Als ich damals Threads von Angehörigen von erwachsenen Autisten gelesen habe, um für mich zu lernen, waren die spät diagnostizierten Asperger-Partner alle gut im Berufsleben und wenig Alltagsprobleme.

    Ich weiß nicht, woher es kommt, dass man als Asperger unbedingt seinen Alltag nicht auf die Reihe kriegen MUSS.

    Jeder hat seine eigene Kompensationsmechanismen und seine eigenen Stärken und Schwächen. Und unterschiedlich gelernt sie einzusetzen.

    Er hat übrigens ziemliche Probleme mit Exekutivfunktionen, vor allem unter Zeitdruck.

    Aber als Informatiker mit wenig Stress und passenden Freunden hat man ein deutlich einfacheres Leben als in anderen Berufen und unter anderen Lebensumständen.

  • https://www.vice.com/de/article/5g4…her-roboter-070

    Hier ist es gut beschrieben. Auch die Zahlen, 15% Autisten arbeiten Vollzeit. Wenn man bedenkt, wieviele LFA und MFA darunter sind, ist der Prozentsatz bei HFA natürlich deutlich höher.
    Wenn ich lese, wie viele hier in sozialen Berufen, Pflege, viel Kundenkontakt gearbeitet haben - nun, da könnte ich nicht mal 10 Stunden pro Woche arbeiten, das würde mich heillos überfordern.
    Meinen Freund genauso...

    Zitat

    Autistische Menschen haben einen überdurchschnittlich hohen IQ und sind im akademischen Bereich normalerweise sehr erfolgreich. Wenn sie da Hilfe, Unterstützung, Liebe, Zuneigung und das notwendige Verständnis erhalten, werden Autisten keinem Leben voller Traurigkeit entgegensehen müssen, die irgendwann in Depressionen und Selbstmordgedanken mündet. Wir sind in der Lage, Beziehungen einzugehen, ein glückliches Leben zu führen und einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Autistische Menschen benötigen bloß etwas Verständnis. Wir sind keine emotionslosen Roboter. Wir sind menschliche Wesen.

    Einmal editiert, zuletzt von Sonne (13. September 2019 um 15:06)

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