"Du bist doch nicht behindert!" bzw. "Autismus ist doch keine Behinderung!"

  • Vielleicht war "way of life" die falsche Formulierung.

    Aber "Modediagnose" x( - wie wär's damit?
    Habe ich schon öfter gehört. Kommt mir hier passend vor, nämlich von Leuten geäußert, die nicht wirklich Ahnung haben, aber mitreden möchten - leider auch entscheidend manchmal.

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • Und "ich kenne ja einen Autisten..." x(

    hier frag ich mittlerweile immer "kannst du mich mit dem/der bekannt machen, es gibt ja nicht so viele und der Umgang ist dann immer so leicht und selbstverständlich" - danach ist zumindest das mit dem "Kennen" inhaltlich vom Tisch/RW.

  • hier frag ich mittlerweile immer "kannst du mich mit dem/der bekannt machen, es gibt ja nicht so viele und der Umgang ist dann immer so leicht und selbstverständlich" - danach ist zumindest das mit dem "Kennen" inhaltlich vom Tisch/RW.

    Das Beste ist dann immer noch wenn es um einen schwer betroffenen frühkindlichen Autisten geht...

  • Das Beste ist dann immer noch wenn es um einen schwer betroffenen frühkindlichen Autisten geht...

    damit hab ich auch anfangs gekämpft. Vor allem zu der Zeit, als ich noch geschockt war von der Diagnose und mir mit mir und meinen Ausprägungen nicht im Renien war.

    meine Routine jetzt:
    1. Nachfragen ob miit geistiger Behinderung verbunden oder nicht.
    Meist wissen die anderen das gar nicht...
    2. Darauf hinweisen, wie doof ds für DEN ist, denn mit geistiger Behinderung fällt es ja noch schwerer vieles zu lernen, ohne ist Leiden am langsamen weil schwierigen Lernen noch größer.
    3. Jetzt weise iich auf Änhlichkeiten mit mir hin - Danke Diagnoseschreiben :d - wenn ich andere darauf hinweise, dann sehen sie es ja auch.
    Und sage ganz offen, dass prinzipiell die Unteschiede gar nicht so groß sind, und und es rein zufällig ist, wer wie stark betroffen ist.
    3. Es kommt mein mittlerweile ausgefeilter Kurzautismuusvortag" - komplett sind das genau 3 minuten, 30 Sekunden, wenn keine Zwischenfragen kommen, mit NT-verständlichen Vergleichen. Dazu nutze ich das, von dem ich ausgehen kann, dass so ziemlich alle NTs das mal erkebt haben bzw das, was ich an äinfos aus dem Leben des anderen schon aufgeschnappt habe, und biege die darauf zurecht
    4. Auf Rückfragen gezielt eingehen - wichtig, übertragbare Beispiele, eigenes Erleben schildern.
    5. Gaanz wichtig: Die ganze Zeit kein bisschen leidend oder so wirken, sondern fröhlich und selbstverständlich vom "Normalsten der WElt" reden, von dem einfach noch nicht alle wissen können. Wusste ja auch lange nicht jede/r, dass die Erde rund iist.

    Tja, meist ist dann schon mehr Verständnis und Interesse da. Fluchtquote bei ca 15 % nach Vortrag. :d Damit kann ich leben. :d

    Letztens bedankte sich sogar eiin paar Tage später eine Lehrerin per email bei mir über das Gespräch im Wald. Sie arbeitet total engagiert,und was sie beschrieb von ihrer Arbeit zeigte mir, sie braucht nur ein paar weitere Infos, um zu verstehen, und auch, um sich sicherer zu sein gegen Kollegenbemerkungen, dass sie alles richtig macht. Siie fühlt es zwar, brauchte aber etwas, um das auch ganz zu glauben.
    So eine hätte ich gerne gehabt und würde se allen Autistinnen wünschen.

    Das sind die Glücksmomente nach denen ich singend aus dem Wald komme :)

  • Ich finde es recht fragwürdig, als Therapeutin pauschal zum Auting zu raten

    Natürlich überlassen die einem immer die Entscheidung und drängen nicht. Aber wenn man von Problemen, Ablehnung usw. berichtet, dann ist es eben naheliegend, die Frage zu stellen, ob die anderen Leute denn über die Diagnose Bescheid wissen, und dann darüber zu reden, was die Vorteile wären, wenn sie es wüssten. Ggf. auch Nachteile, falls es welche geben könnte. Die, wo ich war, hatten jedenfalls immer eher eine befürwortende Haltung zum Outen. Nie habe ich gehört "seien Sie vorsichtig, sagen Sie es in der Situation lieber nicht".

    Ich persönlich denke auch, dass Offenheit meistens der einfachere und langfristig bessere Weg ist, selbst wenn man dann erstmal auf seltsame Reaktionen stößt. Ich hatte anfangs nur extreme Schwierigkeiten, überhaupt einen Weg zu finden, das Thema zur Sprache zu bringen, also jemandem zu sagen, dass ich Asperger habe. Die ersten Outings waren alle schriftlich, weil es mündlich gar nicht ging. Inzwischen kann ich es ab und zu auch mündlich.

    Ich muss doch nicht von vorneherein sagen, dass ich Autistin bin, um mich nicht auf Familienveranstaltungen zu tummeln oder früher zu gehen. Es reicht, wenn ich freundlich, aber bestimmt sage, dass mir das zuviel wird.

    Kommt darauf an. Gewisse Andersartigkeiten sind halt so, dass man das nicht nur mit normalen Erklärungen erklären kann. Ich denke, niemand würde verstehen, wenn man nicht zur Hochzeit seiner Patenkinder kommt, das ist eigentlich No-Go. Sofern ich das überhaupt begründen kann, dann nur mit Asperger. Aber wahrscheinlich wird selbst das dann schwierig zu akzeptieren sein. Um die Erstkommunionsfeier und Firmung habe ich mich schon herumgedrückt.

    Aber es ist halt einfach nicht immer günstig. Was habe ich damit gewonnen, wenn ich es jedem sage, wenn ich dann jedes Mal erklären muss, was es ist, was es bedeutet, und dann darüber diskutieren muss, ob die Diagnose überhaupt richtig sein kann, es nur eine Modediagnose ist, ich mich wichtig machen oder drücken will etc.?

    Solche Aussagen habe ich bisher noch nicht im RL gehört. Mein Hauptproblem ist, dass die Leute später nie wieder darüber reden und keine Fragen stellen. Da denke ich dann oft, dass sie eigentlich noch nicht alles verstanden haben können. Aber der Grund ist wohl Unsicherheit, und sie wollen sich mit Fragen nicht aufdrängen. Man müsste also von sich aus ggf. das Thema nochmal anfangen, aber mir ist es gar nicht so wichtig, dass die Leute alles verstehen, ich will nur, dass sie ggf. wenn ich was Komisches mache, dann zuordnen können, dass es nicht ist, weil ich blöd bin, sondern weil ich Asperger habe.

    Wenn mir jemand sagen würde, es sei nur eine Modediagnose oder ich wolle mich vor etwas drücken, dann würde ich sagen, dass ein Fachmann die Diagnose gestellt hat, und ggf. dass die Person nicht über meine Probleme urteilen kann. Letztendlich kann ich niemanden zwingen, meine Lage zu verstehen, aber wenn ich alle Informationen gegeben habe, dann ist es zumindest nicht meine Schuld, wenn es mit dem Verständnis nicht klappt.

    Deshalb habe ich eine eher positive Haltung zum Outen, aber das heißt auch nicht, dass die andere Haltung, sich nicht zu Outen schlecht wäre. Das hängt immer von allen möglichen Umständen und von jedem selbst ab.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Mir wurde von jemandem, der sich mit den Konsequenzen am Arbeitsplatz auskennt, ausdrücklich davon abgeraten mich zu outen, allerdings vor dem Hintergrund, dass ich viele Beschwerden/Begleiterscheinungen auf eine andere Erkrankung schieben kann, die bekannter und für viele nachvollziehbarer ist.

  • @Shenya Ja, so differenziert, wie du das ausführst, gehe ich da konform mit dir.
    Ausgangspunkt waren eben @MathePinguins Erfahrungen. Ich selbst habe tatsächlich auch nur zwei Negativerlebnisse gehabt, und auch anderer Art als die von Pinguin beschriebenen. Aber da ich öfter solche Dinge gelesen habe hier im Forum, wäge ich eben sehr genau ab.
    Ja, Nachfragen würde ich mir auch eher wünschen in den Fällen, wo dann nichts mehr kommt. Aber das ist wohl immer schwierig bei Behinderungen oder auch Krankheiten, und das darf man glaube ich auch nicht pesönlich nehmen.
    Ja, bei der Hochzeit des Patenkindes würde ich mit dem Patenkind darüber sprechen, und mir wohl einen Kompromissvorschlag überlegen. ZB zur kirchlichen Trauung und Kaffeetrinken da sein, aber dann gehen. Ich würde auch deutlich machen, wie viel Entgegenkommen allein dieser Vorschlag für mich bedeutet, bei Unverständnis auch ergänzen, dass ich dafür Tage vorher schon extrem auf mich achten muss und hinterher auch noch mal Tage zur Regeneration brauche, um einigermaßen danach meinen ohnehin eingeschränkten Alltag wieder halbwegs wuppen zu können. Wenn das nicht akzeptiert wird, würde ich das nicht als meine Baustelle sehen. Und ich würde es auch ansonsten nur sehr Nahestehenden gegenüber erklären.
    Vor meiner Diagnose habe ich mich übrigens mal mit inem akuten Magen-Darm-Infekt völlig unwidersprochen entschuldigt. Das ist so eine der sehr wenigen Situationen, wo ich auch eine Notlüge akzeptabel finde. Kann ich aber nur schriftlich :m(:

    @Question Bei der Arbeitssuche wiederum kann ich nur mit Auting: Meine Erwerbsbiografie ist so schräg, und meine realen Möglichkeiten im Vergleich zu meinen Studienabschlüssen so gegensätzlich, dass ich im Gegenteil froh bin, das endlich erklären zu können.

    Letztlich sind es alles höchst individuelle Einzelfallentscheidungen...

  • Wusste ja auch lange nicht jede/r, dass die Erde rund iist.

    Danke!!! Das ist mein Lieblingssatz des Tages. :) Und macht Hoffnung, dass die Menschen in 500 Jahren vielleicht kapiert haben werden, dass es okay ist, verschieden zu sein. Und dass Pinguine keine kaputten Störche sind, sondern eben einfach Pinguine. Und dass ihre Flügel nicht kaputt sind, sondern einfach Schwimmflügel. ;)

  • Einen Kommentar, den ich aber so oft höre, dass er mir schon richtig auf die Nerven geht, ist: "Du bist doch nicht behindert!" bzw. das finde ich eigentlich noch krasser "Autismus ist doch keine Behinderung!"
    Weil ich das Gefühl habe, dass diese Aussagen zwar zeigen, dass ich im Leben scheinbar klar komme irgendwie, aber weil die auch zeigen, dass den Menschen in meiner Umgebung offensichtlich nicht klar ist, wie viel Anstrengung mich dieses "klar kommen" jeden Tag kostet. Wie müde mich das macht. Wie schnell mich das erschöpft. Wie sehr mich das teilweise davon abhält, mein Potenzial zu entfalten. Wie dringend ich eigentlich Unterstützung brauche und Verständnis. Und was die eigentlich von mir verlangen, wenn sie sagen: "Jetzt reiß dich doch endlich mal zusammen!"

    Ich vermute, die bewundern bestimmte Fähigkeiten, also Dinge, die du viel besser und mit weniger Mühe kannst, als sie. Dann denken die vielleicht, dass du doch keinen Grund hättest, zu klagen, weil du doch so gut bist.
    Und Autismus gilt ja tatsächlich nicht mehr als schwerste Mehrfachbehinderung (Menschen, die schwer geistig behindert sind und in Heimen leben), sondern seit dem Asperger-Syndrom gelten sie ja als Genies ("Einstein war ein Aspie" ect), daher dann wohl das "Autismus ist doch keine Behinderung".

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