Es allen Recht machen wollen

  • Es ist ein psychologisches Phänomen, welches ich persönlich nicht mit Autismus in Verbindung bringe, sondern eher mit etwas Anderem (ich weiß allerdings nicht, mit was genau). Ich habe ein tiefsitzendes Denk- und Verhaltensmuster, welches mich oft dazu antreibt, es möglichst allen Menschen in meinem sozialen Umfeld Recht machen zu wollen. Dabei weiß ich aber, dass es im Hinblick auf die (insbesondere psychische) Gesundheit sehr wichtig ist, auch auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten und auch mal "Nein" zu sagen. Manchmal gelingt mir dies, ist allerdings noch sehr "ausbaufähig". Kennt von euch jemand dieses Problem auch? Wie geht ihr damit um?

    Meine Schwester ist im Gegensatz zu mir sehr resolut und durchsetzungsfähig, obwohl sie Nichtautistin ist. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre so wie sie.

    Einmal editiert, zuletzt von Sonnenseele (4. August 2019 um 16:20)

  • Von mir selbst kenne ich es nur im Ansatz, aber mein Sohn hat das sehr ausgeprägt. Er versucht es allen recht zu machen. Ganz besonders bei seiner kleinen Schwester.
    Mittlerweile befinden sich beide in einem blöden Kreislauf, er tut alles, um sie zum Spiel zu animieren und sie nutzt es total aus. Teilweise lässt sie ihn bewusst auflaufen.

    Ich habe auch keine wirkliche Erklärung dafür, geschweige denn wie das zum Autismus passt.
    Die Ärzte/Therapeuten sagen, es passt überhaupt nicht bzw. es schließt den Autismus sogar aus.

    Für uns Eltern echt schwierig damit umzugehen, wenn man nicht weiß, was der Grund ist.

  • Meine Schwester ist im Gegensatz zu mir sehr resolut und durchsetzungsfähig, obwohl sie Nichtautistin ist. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre so wie sie.

    Natürlich gibt es auch sehr viele Nichtautisten, die sehr resolut und durchsetzungsfähig sind, da war meinerseits ein Logikfehler. Ich wollte es ursprünglich andersherum formulieren, also dass das von mir geschilderte Problem sehr untypisch für Autismus ist.

  • Ich habe auch keine wirkliche Erklärung dafür, geschweige denn wie das zum Autismus passt.

    Die Ärzte/Therapeuten sagen, es passt überhaupt nicht bzw. es schließt den Autismus sogar aus.

    Vielleicht gibt es Autisten mit solchen Wesenszügen/Verhaltensmustern. Auszuschließen ist es nicht, denke ich.

  • Machmal ist es besser, erst ein andere schädigendes Verhalten konsequent zu stoppen, und dann erst nach dem Grund zu forschen.

    Es allen Recht machen wollen hat ja viel mit Angst vor Kritik zu tun.
    Je abhängiger das Selbstwertgefühl von der Anerkennung anderer, desto mehr Angst vor Kritik, die es wenigstens zu vermeiden gilt.
    Je mehr innere Kritik zu sich selbst, desto geringer das Selbstwertgefühl, desto mehr Angst, dass durch andere "bestärigt und verstärkt" zu bekommen, desto mehr Angst, etwas "falsch" zu machen, desto mehr Verneidungsversuche, das Erebnis ist also der Versuch, es allen Recht zu machen.

    Um jetzt doppelt zu vermeiden - die potenzielle Kritik der anderen als auch diese "Bestätigung" und das sonst irgendwie doch unterdrückte Fühlen zu dem, was im Inneren zu sich selbst gedacht und irgendwann geglaubt wird.

  • Meine Schwester ist im Gegensatz zu mir sehr resolut und durchsetzungsfähig, obwohl sie Nichtautistin ist.

    Das "obwohl" verstehe ich hier nicht. Findest du denn eher, dass Autisten resolut und durchsetzungsfähig sind?

    Edit: Entschuldigung, du hast es weiter oben selbst erklärt.

  • Es allen Recht machen zu wollen, hat meiner Meinung nach, nach meinem Verständnis, nicht viel mit Angst vor Kritik zu tun.
    Es erscheint mir primär eine Taktik zu sein, Konflikte zu vermeiden.
    Die Denkweise könnte so lauten: „Wenn ich alles mache, was man von mir will, dann gibt es keine Probleme und ich werde gemocht.“
    Umkehrschluss aus der Tatsache, dass es allermeistens Stress gibt, wenn man eine Bitte ablehnt.
    Umkehrschluss aus der Tatsache, dass Menschen, die etwas für andere machen, beliebter sind, Dankbarkeit.
    Es dürfte ja bekannt sein, dass Autisten ausgenutzt werden.

    Ich wüsste nicht, was damit gegen Autismus spricht.
    Autisten haben u.a. auch Angst vor Bewertung, das ist Kern der sozialen Phobie, welche mWn eine mögliche Komorbidität darstellt.

    Edit: Was die Durchsetzungsfähigkeit betrifft, die habe ich nicht berücksichtigt.
    Ich würde sie separat betrachten, ich würde von mir selbst sagen, dass ich es fast allen Recht machen will, mich aber ganz gut durchsetzen kann, also hängen beide Sachen nicht direkt zusammen.
    Auf der einen Seite gibt es eben „Konfliktvermeidung“ auf der anderen „das Richtige tun und fördern“, diese beiden Maximen treffen in mir immer wieder aufeinander.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

    Einmal editiert, zuletzt von Cloudactive (4. August 2019 um 21:12)

  • Dass es kein autismus-typisches Verhalten ist, ist klar. Aber denkst du, dass es mit Autismus vereinbar ist, sich also nicht widerspricht? :?

    einiges hat ja schon @Cloudactive dazu gesagt.

    Was ich ergänzen möchte.
    Asperger sind ja erst mal ganz normale Menschen. Das heißt auch, das meiste, was psychologisch abläuft ist wie bei NTs auch.
    An der einen oder anderen Stelle wirkt das schwächer, oder stärker bis extrem viel stärker, oder zeigt sich zu anderem, oder zeigt sich etwas anders, aber auch das ist individuell unterschiedlich wie bei allen Menschen.

    Ich glaube aber, auch aufgrund der vielfältigen Kombinatiionen, aus denen sich das individuelle Asperger zusammensetzt sowie der vielen unterschiedlichen Lebens- und Lernerfahrungen, dass es prinzipiell kein gezeigtes Verhalten gibt, aufgrund dessen sich Asperger ausschleißen lässt.

    Die Motivation bzw die Motivations- und Gefühls-Hintergründe zu und in einem Verhalten sind auch wieder individuelle, aufgrund der Lebens- und Lernerfahrungen unterschiedlich, auch hier, aufgrund einzelner Aspekte lässt sich da nichts ausschließen.

    Diese Lebens- und Lernerfahrungen enden ja nicht mit der Diagnose. ich vermute, dass sich in den nächsten jahren das diagnostische Instrumentarium auch sehr verändern wird, und es dann solche Aussagen wie "die können nicht/das schließt es aus" wegfallen und Autismus nicht mehr diagnostiziert wird nach dem was "fehlt", sondern nach dem, was darin DA ist.

  • @Grübler_1988


    Laut den Diagnosekriterien für Erwachsene mit Asperger heißt es:

    A. Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion

    .... - möchte anderen nicht gefallen oder seine/ihre Erfahrungen mitteilen

    ich weiß nicht, in wieweit das relevant ist.

    Einmal editiert, zuletzt von Karou (5. August 2019 um 16:55)

  • .... - möchte anderen nicht gefallen oder seine/ihre Erfahrungen mitteilen

    Ist das nicht zu klischeehaft? Demnach hätten Aspies z.B. kein Bedürfnis nach Freundschaften, geschweige denn Partnerschaften. Auch Zweiteres finde ich unsinnig, denn das würde z.B. Selbsthilfegruppen für Aspies widersprechen.

  • @Karou
    Das Ärzteblatt beschreibt meiner Meinung nach sehr gut die Problematik spätdiagnostizierter hochfunktionaler Autisten. Ich hatte es mir vor einiger Zeit mal durchgelesen. Meine AS-Diagnose erhielt ich von der im Ärzteblatt erwähnten Arbeitsgruppe.

  • Ja, dieses Kriterium trifft gut auf Kinder zu.
    Ich war früher tatsächlich so, habe mich aber verändert, nach und nach habe ich Erfahrungen mitgeteilt, das fehlte meiner Mutter.
    Übrigens tragen Mobbingerfahrungen maßgeblich dazu bei, dass es einem nicht egal ist, was andere denken.

    Ich traf auch nicht einen einzigen Aspi im Erwachsenenalter, der dieses Kriterium genau so noch erfüllen würde.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • @Karou
    Das Ärzteblatt beschreibt meiner Meinung nach sehr gut die Problematik spätdiagnostizierter hochfunktionaler Autisten. Ich hatte es mir vor einiger Zeit mal durchgelesen. Meine AS-Diagnose erhielt ich von der im Ärzteblatt erwähnten Arbeitsgruppe.

    der Text des Ärzteblattes ist zutreffend (hab nur verlinkt, da hier der Kasten 1 abgebildet ist auf den ich mich bezog.)
    Ich finde die Kriterien in diesem Kasten 1, zu "flach", bzw. sie lassen keinen Spielraum für Interpretationen.

  • Übrigens tragen Mobbingerfahrungen maßgeblich dazu bei, dass es einem nicht egal ist, was andere denken.

    da muss ich zustimmen, ich lasse mich nur ungern "verbiegen" , die Meinung anderer ist mir ziemlich egal und trotzdem, bei Mobbing bin auch ich eingeknickt "RW"

  • da steht ja ODER dazwischen, das heißt, es muss nur entweder das eine oder das andere erfüllt sein (und ich meine, es müssen nicht einmal alle Punkte aus "qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion" erfüllt sein, sondern nur eine bestimmte Anzahl. Das habe ich aber nicht im Kopf).

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!