Diagnose wenn Eltern verstorben sind

  • Die alleinerziehende Mutter erkennt die Probleme, ist aber nicht in der Lage ein ausgeglichenes Umfeld von Reizüberflutung zu schaffen.

    Oh wie gräzzlich!

    Diese alleinerziehenden Mütter!! :sarcasm:
    Sie schaffen es einfach nicht! :m(:

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • Als ich im Kindergarten gearbeitet hab, haben die kleinen Kids die Sachen schöner und genauer ausgemalt und ausgeschnitten als ich es jemals hin bekommen würde.

    Ging mir genauso. Zum Glück muss eine Erzieherin -entgegen sämtlicher Klischees- keine ausgesprochene Bastelbegabung haben. ;)

    So wie ich es verstanden habe, müssen zwar Auffälligkeiten/Besonderheiten/Abweichungen schon seit frühester Kindheit bestanden haben, aber Probleme deshalb können auch erst im späteren Lebensverlauf entstanden sein.

    Das ist auch mein Kenntnisstand.
    Da das nicht das einzig Fragwürdige an der Diagnostik war und es auch keine Spezialambulanz war, stehe ich jetzt auf der Warteliste einer ASS-Ambulanz, um da größtmögliche Sicherheit zu bekommen. In welcher Richtung auch immer.

    Blieb dieser Blödsinn denn unkommentiert/unwiderlegt?!?

    Ich habe darauf hingewiesen, dass meine Mutter aufgrund der Gesamtsituation mir nicht übermäßig viel Aufmerksamkeit schenken konnte; es gab andere Sorgen, als was ich mit meinen Spielzeugen gemacht habe. Antwort des Diagnostikers: "Das ist ja schon wieder* Theory-of-Mind. Das ist das Gegenteil von Autismus."

    *"Schon wieder", weil er bereits vorher fand, ich hätte Theory-of-Mind, weil ich mir vor einem Gespräch überlege, wie das Gespräch verlaufen könnte.

    "Dat best is jümmer", seggt Jochen Brümmer, "sick an sien egen Nees to fat'n un anner Lüüd in Roh to lat'n."
    (mündlich überliefert)

    Einmal editiert, zuletzt von Mya (3. Januar 2020 um 17:56)

  • weil ich mir vor einem Gespräch überlege, wie das Gespräch verlaufen könnte.

    Wobei es da aus meiner Sicht Unterschiede gibt:
    a) jemand berücksichtigt das Wissen des Gegenübers (Antizipation) und versucht daraus Reaktionen abzuleiten
    b) jemand bildet alle vorstellbaren Kombinationen und siebt durch analytisches Denken die unwahrscheinlichen Fälle aus

    Mit genügend Lebenserfahrung kommt man mit Methode b) recht nah an das Ergebnis von a) heran.

  • Interessant finde ich bei den ganzen Formulierungen in meinen Zeugnissen, daß sie immer eine "positive Tendenz" zeigen. Also: "... ist noch zu zurückhaltend, beginnt sich aber zunehmend am Unterricht zu beteiligen..."

    Das ist in meinen Zeugnissen auch sehr auffallend. Ich vermute, dass es damit zusammenhängt, dass ich aus 'gutem Elternhaus' stamme und man wohl auch seitens der Lehrerschaft davon ausging, dass das noch wird. Die Hinweise zur Beteiligung sind bei mir fast wortgleich.
    In der Oberstufe habe ich mich dann tatsächlich sogar in einigen Fächern fleißig beteiligt, weil es mir irgendwann Spaß machte, die richtigen Antworten zu nennen, wenn die sonst nur wenige wussten. In anderen Fächern wie Deutsch, Politik, Geschichte habe ich selten etwas gesagt, aber diese Differenzierung spiegelt sich im Zeugnis überhaupt nicht wider.

  • Die gesplitte Note ist immer ergänzt, so dass man sehen kann, dass sich eine 3 aus mündlich 4 und schriftlich 2 zusammensetzt.

    Das hätte ich auch gerne gehabt. Mich hat das Mündliche häufig auf eine 2 oder 3 runtergezogen. In meinem Studienzeugnis ist es das erste Mal aufgesplittet und fällt sehr ins Auge.

  • Wobei es da aus meiner Sicht Unterschiede gibt:
    a) jemand berücksichtigt das Wissen des Gegenübers (Antizipation) und versucht daraus Reaktionen abzuleiten
    b) jemand bildet alle vorstellbaren Kombinationen und siebt durch analytisches Denken die unwahrscheinlichen Fälle aus

    Ich würde behaupten, es ist bei mir weder - noch. Ich phantasiere mir ein Gespräch zusammen, dessen "Rahmenbedingungen" quasi vorgegeben sind. Also mit wem ich wo rede. Ich überlege, was ich erzählen kann/möchte/muss und spinne von da aus weiter, welche Reaktionen kommen könnten und wie ich darauf reagieren könnte. Die von mir vermuteten Reaktionen kommen selten, das ganze Gespräch verläuft selten in der Art, wie ich es mir ausgedacht haben. Und nach dem Gespräch dreht sich das Gedankenkarussell weiter - wie hätte ich anders erzählen/antworten können, was hätten dann für Reaktionen kommen können etc. Das passiert so von alleine und lässt sich so schwer stoppen, dass schon mal jemand meinte, das klingt nach Zwangsgedanken.

    "Dat best is jümmer", seggt Jochen Brümmer, "sick an sien egen Nees to fat'n un anner Lüüd in Roh to lat'n."
    (mündlich überliefert)

  • @TalkativeP
    Ich hatte es missverständlich formuliert. Von außen war dann leider in meinem Fall nicht zu erkennen, dass ich fachlich auch in diesen Fächern gut bis sehr gut war und es manchmal nur an der mündlichen Beteiligung lag, dass es keine 1 oder 2 wurde.
    Ich finde es fairer, wenn die Note so aufgesplittert dargestellt wird, wann man dann als Außenstehender besser ablesen kann, wo die Stärken und Schwächen liegen.

  • Antwort des Diagnostikers: "Das ist ja schon wieder* Theory-of-Mind. Das ist das Gegenteil von Autismus."

    Dass Autisten mehr oder weniger Einschränkungen mit der Theory-of-Mind haben, ist zwar richtig, aber in diesem Kontext habe ich den Eindruck, dass der Diagnostiker die Meinung vertritt, dass sich Autisten grundsätzlich keinerlei Gedanken darüber machen, was andere Menschen denken (könnten). Das ist meiner Meinung nach eine veraltete Vorstellung vom Autismus.

  • Ich dachte es wäre so, dass die ToM bei Autisten nicht intuitiv funktioniert, aber gelernt werden kann (bei entsprechender Intelligenz und Motivation)?
    Der NT versteht automatisch, was jemand vorhat oder warum jemand etwas getan hat. Der Autist muss sich alles bewusst herleiten, was anstregend ist aber je nach Situation mehr oder weniger gut funktioniert?
    Jedenfalls habe ich hier im Forum schon viele Antworten gesehen, wo sich einige Gedanken über den Anderen gemacht und dann auch geäußert wurden.

    Woher weiß denn der Diagnostiker in der von Mya beschriebenen Situation, dass die Mutter das nicht explizit gesagt hat, also überhaupt ToM nötig war?

    Einmal editiert, zuletzt von Shaluna (4. Januar 2020 um 14:13)

  • aber in diesem Kontext habe ich den Eindruck, dass der Diagnostiker die Meinung vertritt, dass sich Autisten grundsätzlich keinerlei Gedanken darüber machen, was andere Menschen denken (könnten). Das ist meiner Meinung nach eine veraltete Vorstellung vom Autismus.

    Exakt das hat er vertreten, er sagte wortwörtlich: "Autisten denken nicht darüber nach, was andere denken könnten." Meinem (natürlich höchst subjektiven) Eindruck nach waren dort so einige Klischees und/oder veraltete Vorstellungen von Autismus vorhanden, auch bei den anderen beteiligten Diagnostikern. War vermutlich (m)ein Fehler, in eine allgemeinpsychiatrische Ambulanz zu gehen statt gleich in eine Spezialambulanz.

    Woher weiß denn der Diagnostiker in der von Mya beschriebenen Situation, dass die Mutter das nicht explizit gesagt hat, also überhaupt ToM nötig war?

    Das war ein weiteres Problem während der Diagnostik, es wurde kaum etwas hinterfragt. Bei diesem speziellen Beispiel ist in der Tat keine ToM nötig gewesen. Zum einen hat meine Mutter selbst gesagt: "Ich hatte nicht nur ein Kind, da kann ich mich nicht an alles erinnern." Zum anderen habe ich jahrelange Therapien und andere Hilfen hinter mir. Und immer wieder hieß es von Therapeutenseite: "Da war Ihre Mutter ja sehr belastet; da sind Sie sicher zu kurz gekommen; da haben Sie nicht genug Beachtung bekommen." und ähnliches. Ich selber habe das früher gar nicht so gesehen, es war eben so wie es war. Meine Antwort in der Diagnostik war also alles andere als intuitiv.

    "Dat best is jümmer", seggt Jochen Brümmer, "sick an sien egen Nees to fat'n un anner Lüüd in Roh to lat'n."
    (mündlich überliefert)

    2 Mal editiert, zuletzt von Mya (4. Januar 2020 um 14:55)

  • Ich dachte es wäre so, dass die ToM bei Autisten nicht intuitiv funktioniert, aber gelernt werden kann (bei entsprechender Intelligenz und Motivation)?
    Der NT versteht automatisch, was jemand vorhat oder warum jemand etwas getan hat. Der Autist muss sich alles bewusst herleiten, was anstregend ist aber je nach Situation mehr oder weniger gut funktioniert?

    So verstehe ich das auch. Gerade viele autistische Mädchen - aber auch manche Jungen - lernen schon in der Kindheit sehr viel über soziales Verhalten durch Lektüre oder auch durch gezielte Imitation. Bei Nichtautisten findet dieses soziale Training in der Kindheit viel stärker auf intuitiver Ebene statt. Zudem ist auch das meiner Ansicht nach ein Spektum. Auch bei Autisten fehlt die intuitive ToM, wie ich denke, in den seltensten Fällen völlig. Sie ist nur schwächer ausgeprägt als bei den meisten anderen Menschen. Ein größerer Anteil an sozialer Aktion ist gezielt gesteuert und daher anstrengender und störanfälliger.

    Und das mit dem "positiv und ermutigend" Schreiben verstehe ich. Damals diente das sicher dazu, um die Schüler zu motivieren und aufzubauen. Heute wohl eher um sich die Anwälte der Eltern vom Hals zu halten

    :d Ja, kann gut sein.

    Bei meinen Grundschulzeugnissen gab es ab der dritten Klasse zusätzlich zu den Kommentaren Noten. Und selbst die Noten wurden teilweise kommentiert. Z.B. das die Note in Schrift besser als ausreichend ist. Was ich übrigens in Anbetracht meiner Handschrift für einen "geschenkten" Kommentar halte... Meine damalige Lehrerin ist eine "fast Nachbarin" zu meinen Eltern... Man wil sich ja nicht mit den Nachbarn zerstreiten...

    :lol: Möglich. Aber vielleicht sieht man hier auch den Konflikt zwischen der potentiell verletzenden Benotung und dem Anspruch, möglichst ermutigend zu sein.

    (z.B. habe ich gerne meine Erlebnisse erzählt - jedenfalls meiner Lehrerin, die Kinder saßen halt zufällig dabei und für deren Erzählungen hatte ich kaum Interesse).

    :d Das kenne ich auch. Erwachsenen, die mir "gewogen" waren und auf mich eingingen, erzählte ich im Grundschulalter sehr gerne etwas (später nicht mehr so). Bei Gleichaltrigen war ich hingegen da schon zurückhaltend und kam auch gar nicht darauf, ihnen viel zu erzählen. Da sollte man schon genau hinschauen, wem gegenüber ein Kind offen und "redselig" war.

    Dazu kommt, dass auch Lehrer nur Menschen sind. Manche haben Lieblingskinder. Meine Klassenlehrerin mochte brave, etwas ängstliche Mädchen, das war in der Schule ein offenes Geheimnis. Da fielen Zeugnisse eher noch positiver aus; es ist auch eine gängige Strategie, ängstliche Menschen besonders zu loben, damit sie mehr Selbstvertrauen bekommen.

    Stimmt. Ich habe bei Lehrern immer stark polarisiert. Es gab einige, die mich sehr mochten und für interessant und originell hielten. Da fielen Beurteilungen auch immer ganz besonders positiv aus. Daneben gab es aber von Anfang an welche, die mir kritisch bis ablehnend gegenüberstanden und mich für "komisch" und "streberhaft" hielten. Auch das schlug sich in den Bewertungen nieder, auch in manchen Grundschulzeugnissen, die eher "bemüht positiv" wirken.

    Schlussfolgerung des Diagnostikers: "Wo keine Erinnerungen sind, da waren auch keine Auffälligkeiten!"

    Das halte ich für zu pauschal. Gerade bei Eltern mit mehreren Kindern "verschwimmt" vielleicht manches in der Erinnerung. Und bei zurückhaltenden Kindern werden Probleme und Auffälligkeiten eventuell auch von den Eltern übersehen. Insbesondere, wenn sie viel Stress und andere Lebensthemen haben und/oder ähnlich wie das Kind "gestrickt" sind bzw. Verwandte mit ähnlichem Persönlichkeitstypus haben und es daher gar nicht als auffällig empfinden.

    Viele Aspies haben Schwierigkeiten mit der Feinmotorik, zeigen sich da tendenziell ungeschickter als Nicht-Aspies. Also fallen Dinge wie Ausschneiden, Zeichnen, Ausmalen, mit Ton formen etc. oft schwerer und das Ergebnis ist weniger schön. Das ist natürlich wirklich nur eine Tendenz, es gibt individuelle Unterschiede und ein offizielles Diagnosekriterium ist es auch nicht.

    Ein Diagnosekriterium nicht, aber eine eigene Problematik, eine Teilleistungsstörung, Dyspraxie, die ähnlich wie Legasthenie oder Dyskalkulie häufig gemeinsam mit Autismus auftritt. Leider wird das Thema in Deutschland bisher kaum beachtet und in seinen sozialen Folgen völlig unterschätzt.

    Zusätzlich gehen manche Diagnostiker auch immer noch davon aus, dass Kreativität (und Phantasie) grundsätzlich bei Autisten nicht vorkommen.

    Ja, leider. Dabei ist unter Künstlern der Autistenanteil sogar überdurchschnittlich hoch. Gleichzeitig ist an dem Thema schon etwas dran, meinem Eindruck nach. Ich kenne die Problematik sehr gut. Oft kommt Probleme mit der Phantasie und Kreativität wohl bei Autisten mit nonverbaler Lernstörung vor. Dazu gehört nicht selten ein schlecht ausgeprägtes räumliches und überhaupt visuelles Vorstellungsvermögen. Wie gesagt, ein Thema, von dem längst nicht alle Autisten betroffen sind, viele haben in den Bereichen ja sogar Stärken. Aber die, wo es zutrifft, können dadurch Schwierigkeiten haben, sich etwa ein "Kunstwerk", ein Bild oder einen Gegenstand, der gebastelt werden soll, vorzustellen. Inzwischen gilt auch das als Teilleistungsstörung, Aphantasie genannt. Meinem Eindruck nach ist auch das oft ein Spektrum. Ein total "fehlendes Bild", also gar kein "inneres Auge", ist eher selten, das Problem, sich Dinge deutlich vorstellen und "im Kopf" zu variieren, kommt hingegen wohl häufiger vor. Auch das hat, gerade in Kombination mit Autismus, schlechter Motorik und schwachen exekutiven Funktionen, ernstzunehmende soziale Folgen.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

    3 Mal editiert, zuletzt von Leonora (4. Januar 2020 um 16:03)

  • In Norddeutschland sind die Spezialambulanzen rar gesät. Oder, wie meine Psychiaterin es ausdrückte: "Was das angeht, sind wir hier oben Entwicklungsland." Die Psychiaterin war es auch, die mir sagte, wo in der Nähe überhaupt Diagnostik gemacht wird. Ich hatte zwar schon mal von ASS-Ambulanzen gelesen, aber auch von den Wartezeiten. Zwei Jahre warten auf Gewissheit (soweit es überhaupt Gewissheit geben kann) schien mir nicht aushaltbar. Ich schaffe auch keine längeren Strecken zu fahren, schon gar nicht mehrmals in kurzem Zeitraum. Und, naiv wie ich manchmal bin, dachte ich mir, ich könnte ja Glück haben und auch woanders auf kompetente Leute treffen. Wenigstens ging es da sehr schnell mit den Terminen und ich habe "nur" ein halbes Jahr verloren. :nerved:

    "Dat best is jümmer", seggt Jochen Brümmer, "sick an sien egen Nees to fat'n un anner Lüüd in Roh to lat'n."
    (mündlich überliefert)

  • Ich weiß nicht, ob ich es in diesem Beitrag schon mal geschrieben habe. Aber meine Eltern wurden in der zweiten Diagnostik nicht befragt. Meine Aussagen zur Kindheit waren eindeutig genug, gespickt mit 2-3 Informationen meiner Oma.

    Ich fand meine Zeugnisse auch recht auffällig dafür, dass ich mich ganz anders in Erinnerung habe vom Sozialen her. Irgendwo im Zeugnis-Thread habe ich dazu auch die Texte rausgesucht.

    Also es geht auch ohne Eltern.

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