Hallo zusammen,
ich hatte seit ich denken kann das Gefühl, auf dieser Welt hier irgendwie falsch zu sein. Zuerst dachte ich, es lag daran, dass ich immer schon lieber ein Junge gewesen wäre als ein Mädchen. Dann dachte ich, es hätte was damit zu tun, dass ich irgendwie schlauer war als die Leute in meiner Klasse und dass es nach dem Abi besser werden würde. Aber das wurde es nicht. Kein bisschen. Irgendwann war dann mal meine kleine Schwester mit mir in der Stadt und meinte: "Sag mal, bist du Autist?" Ich hab erst gedacht, dass das so ein typischer dummer Spruch von kleinen Geschwistern ist und eine Beleidigung sein sollte. Aber dann sind mir immer mehr Situationen aufgefallen, in denen ich ganz anders funktioniere als andere. Und auch Situationen aus meiner Vergangenheit sahen plötzlich anders aus.
2016 hab ich dann meine erste Therapie angefangen und so ziemlich das erste, was die Therapeutin fragte, war: "Hat mit dir schon mal jemand über Autismus geredet?" Sie wollte mich dann eigentlich gerne zur Diagnostik zum Spezialisten schicken, aber ich wollte nicht (irgendwie war mir das peinlich) und dann waren auch die Suizidgedanken deutlich heftiger als meine sozialen Schwierigkeiten... Wir haben das ganze also schleifen lassen. 2017 wurde das dann irgendwie immer deutlicher und meine Therapeutin wieder "Du solltest zum Spezialisten gehen." Und ich so "Will ich nicht." Weil ich nicht wollte, dass irgendwer das merkt. Weil ich dachte, dass ich mich schon irgendwie durchgekämpft kriege. Weil meine Eltern und Lehrer ja auch immer gesagt haben: "Mach nicht so ein Theater, pass dich einfach mal bisschen an."
2018 hat meine Therapeutin mich dann mit der Verdachtsdiagnose Asperger zur Psychiatrischen Ambulanz hier überwiesen, bei der ich noch immer in Behandlung bin. Mit der bitte, dass die das abklären. Aber die Psychologin da meinte lediglich "Sie sind doch einfach nur depressiv." Und damit war das Thema für sie erledigt. Und ich hatte nicht den Mut, ihr zu widersprechen. Bzw. hab es dann später getan und es hat trotzdem nichts genützt.
Ich persönlich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass an der Verdachtsdiagnose was dran ist. Weil es einfach so vieles erklären würde. Und weil ich jedes Mal, wenn ich Bücher über AS lese denke: "Woher kennen die mich?" Die Frage ist halt auch, wenn es nicht AS ist, was ist es dann?
Bin jetzt auf der suche nach einem offiziellen Diagnosetermin, auch für Nachteilsausgleich an der Hochschule. In meinem Umfeld (vor allem meine Familie) stößt der Verdacht schon auf große Zustimmung. Gleichzeitig gibt es aber auch einige Leute die sagen: "Du bist doch kein Autist, dafür bist du doch viel zu normal."
Und ja, ich glaube schon, dass ich mir viel von meiner Schwester abgeschaut habe, die früher auch systematisch mit mir geübt hat, wie man 'normal' ist. Sie hat mir die Welt erklärt nach dem Motto "Normale Menschen würden jetzt lachen, weil..." Sie hat mir gesagt, was angesagt ist, was cool ist, wie ich mich in der Öffentlichkeit verhalten soll. Natürlich hab ich das nicht wirklich kapiert und sie nachzuahmen hat auch nur bedingt geklappt, aber ich glaube schon, dass ich mir so ein normales Pokerface erarbeitet habe. Und dass ich manchmal schon so wirken kann, wie normale Leute, nur dass mich das halt extrem anstrengt... Eben wie ein Pinguin, der sich die Klippe runterstürzt und mit den Flügeln wackelt. Natürlich "fliegt" der auch paar Sekunden durch die Luft, aber das ist doch nicht das selbe.
Jetzt ist der Text ziemlich lang geworden. Sorry. Alles was ich fragen wollte, ist: Wie geht ihr mit der Ungewissheit um? Wollt ihr eine Diagnose? Was kommuniziert ihr eurem Umfeld?
Ich will eine Diagnose. Und ich bin jetzt auch aktiv auf der Suche. Aber ich habe gleichzeitig auch Angst davor. Und ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst habe: Angst, dass da tatsächlich AS rauskommt und ich möglicherweise einen Lebensentwurf habe, den ich so gar nicht erreichen kann. Oder Angst, dass es doch nicht AS ist und ich dann noch immer keine Erklärung habe, für all die Probleme und Schwierigkeiten, die mich schon mein ganzes Leben begleiten.
Wie ist das bei euch?