Begabt und gleichzeitig behindert?

  • Hallo Leute,

    ich denke irgendwie gerade viel über mich und mein Leben nach. Über die Zukunft und die Vergangenheit.

    Ich hab meine komplette Vergangenheit dafür kämpfen müssen, dass meine Lehrer/Erzieher bzw. Eltern meine Begabungen und meine intellektuelle Unterforderung in der Schule und im Kindergarten erkennen (was sie teilweise bis heute nicht haben, aber das ist ein anderes Thema). Ich habe mich jahrelang nach jedem bisschen intellektueller Forderung gesehnt und war meinen Mitschülern fachlich teilweise Jahre voraus.

    Und jetzt bin ich erwachsen, scheitere an meinem Traumstudium (also formal und studienorganisatorisch/sozial) und habe überhaupt nicht die Noten, die mein Begabungspotenzial mir eigentlich bescheren müsste. Ich hatte in der Schule immer gedacht, dass es nach dem Abi besser wird, weil mir dann keiner mehr im Weg steht. Aber so wie es aussieht, steht AS mir jetzt "im Weg". Also nicht, dass ich irgendwie sauer bin (die Phasen, in denen ich mir mein Gehirn mit der Bohrmaschine aus dem Kopf bohren wollte, weil ich dachte, dass mein Gehirn an allem schuld ist, sind vorbei), aber es ist halt für mich mega ungewohnt, dass ich jetzt plötzlich versuchen muss, mein Umfeld davon zu überzeugen, dass ich tatsächlich Unterstützung und Hilfe brauche. Weil ich etwas nicht kann.

    In meiner Abi-Zeitung haben sie mich als zukünftigen Nobelpreisträger verhandelt (was schon mal ein schönerer Titel war als der "Streber" all je Jahre davor) und oft höre ich aus meinem Umfeld: "Wenn ich nur so schlau und so begabt wäre, wie du!" Trotzdem liege ich oft weinend auf dem Bett, weil ich das Gefühl habe, dass mich der Alltag so extrem überfordert. Weil es mich traurig macht, dass ich an den einfachsten Dingen des Lebens so kläglich scheitere. Weil ich Angst habe, nie einen Job zu finden, indem ich tatsächlich arbeiten kann.

    Kennt ihr das Gefühl auch? Wie geht ihr damit um?

    Viele Grüße,
    Lena

  • Liebe Lena.
    Es bewegt mich gerade sehr, was du schreibst.
    Ich denke generell sehr viel (zu viel?) nach. Auch über meine Vergangenheit, mein jetziges Leben und die Zukunft. Ich habe viele und große Ängste. Ich schaffe es nur mit viel Hilfe.
    Ich stehe allerdings woanders als du jetzt. Ich bin schon länger im Beruf etc.
    Aber ich fühle mich oft genug als wäre ich gestern erst aus dem Haupt Studium raus spaziert. Also als wäre ich ein kompletter Anfänger. :(
    Ich weiß auch nicht, nach wie vielen Jahren Erfahrung das Gefühl weniger wird.
    Ich kämpfe sehr viel. Meine Diagnose bekam ich 2015. ich bräuchte gute 2,5 Jahre sie anzunehmen. Das ist aber nun wirklich geschehen.
    Ich bin oft traurig wenn ich etwas nicht kann. Leisten kann. Wobei ich zugeben muss, dass ich mich selber sehr über Leistung definiere.
    Behindert fühle mich nicht. Wohl aber beeinträchtigt. :(
    Für mich ist das nicht das selbe. Ich wünsch dir auf jeden Fall alles alles Gute und dass du deinen persönlichen Weg findest.

    Lg Veronika.

    Man sieht nur mit dem Herzen gut.
    Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
    (Antoine de Saint-Exupéry)

    "Was ist falsch an sonderbar?"

    "Das Ende der Störung ist derzeit nicht absehbar."

  • Wie geht ihr damit um?

    Im Moment versuche ich, meine Selbstorganisation massiv zu verbessern, primär, indem ich mir Routinen aneigne (hatte vorher gar keine), alle Aufgaben auf mehrere digitale Todo-Listen schreibe (inklusive Subtasks bzw. Next Actions), jeden Termin sofort im Kalender eintrage, Teile des FlyLady-Programms umsetze, mir für alle Aufgaben Defaults festlege (z.B. immer zum gleichen Paketshop beim Versenden von Paketen statt immer wieder in andere Paketshops, immer zu den gleichen Ärzten für bestimmte Rezepte, möglichst nicht dauernd random in verschiedene Supermärkte usw.), Urlaube genauer plane usw.

    Weil ich Angst habe, nie einen Job zu finden, indem ich tatsächlich arbeiten kann.

    Das denke ich nicht, an einer Musikschule kannst du garantiert arbeiten, auch, wenn du schriebst, dass das nicht dein Traumjob sei ;)
    (Ich kann das so gar nicht nachvollziehen, bei uns waren die Musiklehrer an der Schule immer total gefrustet, weil die Schüler nie mitgemacht haben und immer nur Filme schauen wollten. An der Musikschule hingegen geht es mega chillig zu, gehe selbst zu einer :nod: Aber musst du natürlich selbst wissen! Z.B. kann man als Musikschullehrer Bandprojekte leiten, wo dann merkwürdige Aspie-Frauen wie ich ihre hoch emotionale, negative Lyrik singend zum besten geben ;))

    Was sind denn konkret die Dinge, mit denen du Probleme hast?

    2 Mal editiert, zuletzt von seven_of_nine (23. April 2019 um 21:40)

  • Die Diskrepanz von guten Schulnoten und späterem (Miss-)Erfolg kenne ich auch gut. Das ist schon frustrierend, wenn man in der Schule immer bei den Besten war und später "unter ferner liefen" im hinteren Mittelfeld oder auch manche Sachen gar nicht hinbekommt.

    Wenn du mal eine Diagnose hast, dann wird du dich noch intensiver damit auseinandersetzen müssen, wie dein Stärken-Schwächen-Profil aussieht, und vielleicht findest du einen Weg, wie du deine Stärken nutzen kannst, sodass du dich dennoch gut entfalten kannst. Denn die Stärken sind ja trotzdem noch da, auch wenn einem zu dem Zeitpunkt dann die Schwächen sehr bewusst werden.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • On topic:
    Klar kann man gleichzeitig begabt und behindert sein. Denk an körperlich Behinderte, da ist es schnell einleuchtend. Es ist nur schwieriger, das so zu sehen, wenn es um Funktionen im Gehirn geht, wie soziale, emotionale, exekutive Funktionen.

    Und keiner kann alles allleine, Unterstützung in irgendeiner Form ist auch für den Begabtesten wichtig, und wenn es nur darum geht, dass man bestimmte Dienste, wie Wohnungsrenovierung o.ä., an Profis delegiert. Wenn man gut sozial eingebunden wäre, würde einem das wahrscheinlich gar nicht auffallen, man hilft sich halt gegenseitig, oder ein Bekannter kennt da einen, der dies und das kann, was man nicht kann. Je isolierter man ist, desto mehr fällt es ins Gewicht, was man alles nicht alleine kann.

    Eine generelle Erkenntnis "ich brauche Unterstützung" kann emotional schwierig sein. Leute, die z.B. frisch im Rollstuhl sind, kämpfen damit auch häufig. Ich würde mir einen Plan machen, für welche Dinge ich konkret Unterstützung brauche, und wie diese aussehen könnte. Gibt es Hilfsmittel oder Workarounds, mit denen ich evt. keine fremde Hilfe brauche (siehe z.B. @seven_of_nines Post)? Habe ich Leute im Umfeld, die mich darin unterstützen können? Wo könnte ich mir sonst Unterstützung organisieren? Gibt es jemanden, der mir helfen kann, Hilfe zu organisieren?

    Konkret zu deiner Situation:

    scheitere an meinem Traumstudium (also formal und studienorganisatorisch/sozial)

    Was heißt formal? Fristen verpassen? Was heißt studienorganisatorisch? Hast du schon eine Beratung z.B. bei der Fachschaft in Anspruch genommen? Was heißt sozial im Studium scheitern? Probleme mit Profs oder wissenschaftlichen Mitarbeitern? Oder wichtige Sachen nicht mitbekommen, weil kein Anschluss an Kommilitonen?

    OT:

    Z.B. kann man als Musikschullehrer Bandprojekte leiten

    Das geht auch an der Schule, als AG. Das Problem mit der Musikschule ist leider oft die prekäre Beschäftigung = kein sicheres Einkommen wie als Lehrer an der Schule. Damit muss man halt auch klarkommen können.

    “The amount of energy needed to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.”
    ― Alberto Brandolini

    2 Mal editiert, zuletzt von Turtle (24. April 2019 um 08:22)

  • Ja, ich kenne das, weil es auf mich auch zutrifft. Die Intelligenz kann zwar helfen, besser mit AS zurechtzukommen, allerdings sehe ich die Kombi aus
    beidem meisten als doppelt negativ an, da man nirgends reinpasst und die Mitmenschen einem noch weniger glauben, dass man Hilfe braucht.
    Ich kam allerdings irgendwann in der Schule nicht mehr zurecht, im Studium war es besser bei mir. Gut, für mein Studium musste man auch
    nicht so viele Veranstaltungen belegen. Ich habe sogar noch als Externe promoviert und das hingekriegt, da es ja aus meiner Eigenmotivation entsprang
    und irgendwie war es "einfacher", als viele Alltäglichkeiten. Das Soziale, mit dem ich Probleme habe, viel ja auch weg.

  • On topic:
    Klar kann man gleichzeitig begabt und behindert sein. Denk an körperlich Behinderte, da ist es schnell einleuchtend.

    Ja, natürlich. Aber auch das leuchtet vielen Menschen nicht wirklich ein, bzw. auch Körperbehinderte wurden häufig primär als Hilfsbedürftige und Geringqualifizierte gesehen und ihnen die Chance auf eine höhere Bildung verwehrt. Um ihren Kindern zu ermöglichen, ein Gymnasium zu besuchen, Abitur zu machen und zu studieren, mussten beispielsweise die Eltern der Contergangeschädigten noch gegen viele Widerstände ankämpfen. Geschafft haben es letztlich fast nur diejenigen, die selbst schon gutsituierte Akademiker waren. Und auch für andere Körperbehinderte war es lange Zeit noch sehr schwierig, das durchzusetzen. Im Zeitalter von Inklusion ist das entgegen aller "Lippenbekenntnisse" noch immer keine Selbstverständlichkeit. Generell habe ich den Eindruck, dass der eigene Erfolg und Lebensweg bei Körperbehinderten sehr viel stärker als in der Durchschnittbevölkerung von den Ressourcen der Herkunftsfamilie abhängt.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Die Diskrepanz von guten Schulnoten und späterem (Miss-)Erfolg kenne ich auch gut. Das ist schon frustrierend, wenn man in der Schule immer bei den Besten war und später "unter ferner liefen" im hinteren Mittelfeld oder auch manche Sachen gar nicht hinbekommt.

    Absolut. Das kann sehr deprimierend sein. Und es kann für das eigene Selbstwertgefühl und Selbstverständnis enorm helfen, sich dann als behindert zu definieren und wahrzunehmen. Denn dann muss man sich nicht sagen, dass man ja objektiv gesehen doch nicht begabt und im Grunde genommen ein "Versager" ist. Die "Behindertenidentität" kann dann sehr "entschulden".

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Kennt ihr das Gefühl auch? Wie geht ihr damit um?

    Ja absolut, ich habe mich lange Zeit dafür gehasst, habe mich für die absolute Versagerin gehalten...... Abitur zu haben und einen super Studienabschluss und dann trotzdem im Beruf nicht belastbar zu sein und genug Geld zu verdienen um gut davon leben zu können. :cry:

    Aber seit ich im Februar meine Diagnose bekommen habe, bin ich da viel entspannter, denn jetzt sage ich mir, dass ich für die Voraussetzungen, unter denen ich angetreten bin, schon viel geleistet habe. Manches schaffe ich eben nicht.... So what? Alles ist gut so wie es ist! :)

    Immer wenn mir jemand sagt ich wäre nicht gesellschaftsfähig, werfe ich einen Blick auf die Gesellschaft und bin sehr erleichtert...... :d

  • Hallo !
    Ich leide sehr unter meinen "theoretischen Möglichkeiten" und dem was ich tatsächlich "leisten" kann und wie (wenig) "erfolgreich" ich bin.
    Ich empfinde die Diskrepanz als sehr, sehr hoch und mich macht das mehr als traurig und verzweifelt. Ich fühle mich (oder mein Potential) als
    völlig verschwendet. Verrentet, mit Behindertenausweis.....und ohne (erfüllenden) Job, der mir sehr, sehr wichtig wäre.
    Grüsse
    Alys

  • Musste mir heute an der Hochschule wieder sagen lassen, dass meine Leistungen deutlich unter meinem Niveau sind. Ist ja nicht so, dass ich das nicht weiß. Ich weiß nur nicht, wie soll ich mein Potenzial entfalten? Wie komme ich da ran? Und vor allem: Woher soll ich die Energie zum Lernen und Leisten nehmen, wenn mich schon die 10 Minuten Straßenverkehr auf dem Weg zur Hochschule völlig an meine Grenzen bringen??

  • Ja absolut, ich habe mich lange Zeit dafür gehasst, habe mich für die absolute Versagerin gehalten...... Abitur zu haben und einen super Studienabschluss und dann trotzdem im Beruf nicht belastbar zu sein und genug Geld zu verdienen um gut davon leben zu können. :cry:

    Ja, genau. Das ganze bei mir zweimal, also erfolgreicher bzw. sehr erfolgreicher Studienabschluss, im Beruf zunächst ebenfalls immer erfolgreich, aber eben nicht lange leistungsfähig :cry: Mich frustriert das derzeit phasenweise noch sehr, aber ich habe meine Diagnose auch erst seit Anfang des Monats. Ich brauche wohl noch etwas mehr Zeit zum Verarbeiten und Integrieren.


    Ich weiß nur nicht, wie soll ich mein Potenzial entfalten? Wie komme ich da ran? Und vor allem: Woher soll ich die Energie zum Lernen und Leisten nehmen, wenn mich schon die 10 Minuten Straßenverkehr auf dem Weg zur Hochschule völlig an meine Grenzen bringen??

    Ich fürchte, die Antwort ist einfach, aber unerfreulich: Es geht nicht. Das Energielevel muss im Tagesrhythmus, bzw. hin und wieder ausnahmsweise auch mal im Wochenrhythmus, ausgeglichen werden, um leistungsfähig zu bleiben (oder zu werden). Wenn du unter den jetzigen Bedingungen nicht leistungsfähig bist, musst du die Bedingungen ändern. Also alles, was Energie kostet, eliminieren. Das ist nur bis zu einem gewissen Punkt möglich. Entsprechend steht dir die Energie eben nicht mehr für Anderes zur Verfügung.
    Routinen sind sehr hilfreich. Aber wenn bereits 10 Minuten Straßenverkehr ein Problem darstellen, wird es schwierig, da bliebe dann nur ein Fernstudium. Und später ein Arbeitsplatz zu Hause, teilweise gibt es das ja.

    Es ist wirklich schwierig, zu akzeptieren, dass es eine nicht behandelbare Störung ist. Einerseits nimmt das den Druck, sich nach Jahrzehnten noch immer weiter erfolglos abzumühen, andererseits nimmt es einem auch die Hoffnung, dass die Bemühungen eines Tages vielleicht doch noch erfolgreich sein könnten :(
    Sollte sich für mich keine geeignete Einsatzmöglichkeit mehr finden, werde ich wohl ein drittes Studium absolvieren. Einfach, um was für den Kopf zu haben.

    Einmal editiert, zuletzt von Platypus (27. April 2019 um 12:59)

  • Verrentet, mit Behindertenausweis.....und ohne (erfüllenden) Job, der mir sehr, sehr wichtig wäre.

    Das tut mir sehr leid für Dich! Wahrscheinlich würde ich es ähnlich empfinden, wenn ich noch jünger wäre..... Ich jetzt in meinem Alter mit 59 wäre dankbar, wenn ich verrentet würde. Ich bekäme dann die staatliche und meine Berufsunfähigkeitsrente, das wäre für mich wie ein Sechser im Lotto! Stattdessen, weiß ich nicht an die 50% GdB zu kommen, damit ich zwei Jahre früher in Rente gehen kann, weil alle finden, dass ich ja sooo fit bin. :nerved: Ich wünschte, die entsprechenden Leute könnten einmal FÜHLEN wie erschöpft ich von meinem Alltag bin..... x(

    Sollte sich für mich keine geeignete Einsatzmöglichkeit mehr finden, werde ich wohl ein drittes Studium absolvieren. Einfach, um was für den Kopf zu haben.

    Wenn ich die Hoffnung hätte, noch etwas machen zu können, was mich nicht so auslaugt, würde ich es gerne versuchen, aber wenn ich nicht die Jahre bis zur Verrentung meine Teilzeitbeschäftigung durchziehen kann, besteht die Gefahr, dass ich in die Grundsicherungsrente falle. Und das bedeutet, dass der Staat mir dann noch meine private Rente wegnimmt und das Haus, das ich von meiner Mutter nach ihrem Tod erben werde. Also ist das kein Option..... :cry:

    Woher soll ich die Energie zum Lernen und Leisten nehmen, wenn mich schon die 10 Minuten Straßenverkehr auf dem Weg zur Hochschule völlig an meine Grenzen bringen??

    Wenn Du so schnell an Deine Grenzen kommst, solltest du tatsächlich darüber nachdenken, Dich komplett umzuorientieren. Denn mit zunehmndem Alter nimmt die Leistungsfähigkeit eher ab als zu. Und dann stehst Du da und hast Dich mit dem Studium vergeblich gequält.

    Aber wenn bereits 10 Minuten Straßenverkehr ein Problem darstellen, wird es schwierig, da bliebe dann nur ein Fernstudium. Und später ein Arbeitsplatz zu Hause, teilweise gibt es das ja.

    Das würde ich Dir unter den gegebenen Umständen auch empfehlen! Bastel Dir lieber ein Leben, was zu Deinen Möglichkeiten passt, als dass Du jetzt kämpfst bis zum Umfallen, obwohl das Scheitern im Grunde vorprogrammiert ist.....

    Immer wenn mir jemand sagt ich wäre nicht gesellschaftsfähig, werfe ich einen Blick auf die Gesellschaft und bin sehr erleichtert...... :d

  • Musste mir heute an der Hochschule wieder sagen lassen, dass meine Leistungen deutlich unter meinem Niveau sind. Ist ja nicht so, dass ich das nicht weiß. Ich weiß nur nicht, wie soll ich mein Potenzial entfalten?

    Alternativer Ansatz: Sich damit anfreunden, dass es ok ist, auch mal schlechtere Leistungen abzuliefern. Ist zwar schade, aber schlimmer finde ich, sich zu sehr unter Druck zu setzen. Die Aussage "unter deinem Niveau" ist evt. auch einfach als netter Hinweis gemeint, also dass jemand bemerkt hat, dass du momentan nicht deine beste Leistung bringst. Ob momentan nicht mehr geht, oder du eigentlich noch Kapazitäten gehabt hättest, die du für's Party machen o.ä. verwendet hast, das wusste derjenige ja nicht.

    Zitat

    Wie komme ich da ran? Und vor allem: Woher soll ich die Energie zum Lernen und Leisten nehmen, wenn mich schon die 10 Minuten Straßenverkehr auf dem Weg zur Hochschule völlig an meine Grenzen bringen??

    Bei mir ist es so, dass mich z.B. Strassenverkehr auch mehr stresst, wenn ich anderweitig bereits am Limit bin. Könnte das auch bei dir der Fall sein, oder hat dich der Weg schon immer so fertig gemacht?

    Würde es evt. helfen, im Studium ein wenig kürzer zu treten, also z.B. eine Veranstaltung aufs kommende Semester zu verschieben, um mehr Luft zu bekommen?

    “The amount of energy needed to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.”
    ― Alberto Brandolini

  • "Wenn ich nur so schlau und so begabt wäre, wie du!" Trotzdem liege ich oft weinend auf dem Bett, weil ich das Gefühl habe, dass mich der Alltag so extrem überfordert. Weil es mich traurig macht, dass ich an den einfachsten Dingen des Lebens so kläglich scheitere. Weil ich Angst habe, nie einen Job zu finden, indem ich tatsächlich arbeiten kann.

    Kennt ihr das Gefühl auch? Wie geht ihr damit um?

    Same here. Mein IQ ist sehr hoch. Ich habe mehrere Fächer studiert, die sich nicht aufeinander beziehen. Was hat es mir genutzt? Für mich selbst viel, weil es mich entwickelt hat, so viel zu lernen. Weil ich es liebe, mich mit bestimmten Themen intensiv auseinanderzusetzen.

    Für meinen Job: Null. Ich habe in der Sozialarbeit angefangen und war nicht in der Lage, den Job zu wechseln, obwohl ich total unglücklich war in dem Job.
    Ich war unglücklich mit den Umständen an meinen Arbeitsplätzen und noch sehr viel mehr damit, dass ich mich ständig extrem gelangweilt habe, weil ich immer zu wenig zu tun hatte, im Gegensatz zu meinen Kollegen, die mit Burnout umgefallen sind, wie die Fliegen (RW). Kann ich bis heute nicht nachvollziehen.
    Ich war immer die Exotin, die, die alles weiß aber damit extrem nervt, extrem Druck macht, immer anschiebt usw. Not nice!

    Meine Exekutive ist sowas von Schrott, dass ich zwar oft weiß, was gut wäre und auch, was ich theoretisch machen müsste, um mein Leben besser zu gestalten, ich kriege es aber nicht hin. Da nutzt mir die ganze Intelligenz genau nichts. Ich wäre furchtbar gerne mal für einen Moment so was ähnliches wie glücklich oder entspannt. Ich kenne das irgendwie nicht. Mein Hirn ist mir immer auf die eine oder andere Art im Weg. Entweder, es kann etwas nicht, was für andere ein Kinderspiel ist oder es kann etwas in Lichtgeschwindigkeit, das alle anderen überfordert oder das Oberstübchen stresst mich, weil es mich immer antreibt, mich mit etwas "Sinnvollem" zu beschäftigen. Diese Sinnorientierung und Ergebnisorientierung ist oft Mindfuck.

    Die Reizüberflutung kenne ich natürlich auch. Ich empfinde sie umso schlimmer, je unzufriedener und gestresster ich bin.

    Ich arbeite nicht mehr, bin berentet und habe endlich sowas ähnliches wie Frieden in mir. Ich beschäftige mich mit dem, was mich interessiert und tue es auf meine Weise. Ich kann meinen Rhythmus leben und meistens entscheiden, mit wem ich mich umgebe und wann ich mich Reizen aussetze.
    Ich bin aber fast 30 Jahe im Job gewesen, Du hast da noch einen Weg vor Dir, wenn ich Dich richtig verstehe.

    Wie Du damit umgehen kannst, ist leichter geschrieben als umgesetzt. Es wurde schon gesagt: Du brauchst Bedingungen, die für Dich passen.

    Wenn Du auch dazu neigst, zu systematisieren, kannst Du es mal mit einer Liste versuchen:
    Schreib Dir auf, welche Bedingungen Du bräuchtest und warum und sortiere sie dann von leicht umsetzbar bis schwer umsetzbar.
    Schreib Dir auch auf, wo Du evtl. Hilfe bräuchtest, um eine Bedingung zu ändern, wie diese Hilfe aussehen müsste und was Du alleine bewerkstelligen kannst.
    Denk dabei nicht darüber nach, wie realistisch das alles ist. Wichtig ist erstmal, das Chaos im Kopf zu sortieren.
    Es wäre gut, wenn es jemanden gebe in Deinem Leben, mit dem/der Du Deine Überlegungen dann durchgehen könntest. Das kann ein Freund sein oder ein Coach oder eine Therapeutin (m/w).

    Wenn Du eine Diagnose hast, überleg Dir, ob Du Dich outest bei den wichtigen Leuten im Job. Das könnte es leichter machen, Dir die Bedingungen zu geben, die Du brauchst. Will aber gut überlegt sein.

  • Trotzdem liege ich oft weinend auf dem Bett, weil ich das Gefühl habe, dass mich der Alltag so extrem überfordert. Weil es mich traurig macht, dass ich an den einfachsten Dingen des Lebens so kläglich scheitere. Weil ich Angst habe, nie einen Job zu finden, indem ich tatsächlich arbeiten kann.

    Kennt ihr das Gefühl auch? Wie geht ihr damit um?

    Ja, das kenne ich sehr gut. Mir müsste mit meiner attestierten Hochbegabung eigentlich auch Vieles zufliegen (RW) - tut es aber nicht. Wenn ich nicht so hart kämpfen würde, wie ich es tue, könnte ich meinen 2er-Schnitt unmöglich halten. Dabei sollte ich von meinem Potenzial her auch mit wenig Anstrengung eigentlich 1er schreiben. Und oft bin ich auch kurz davor, abzubrechen, weil mich der viele Menschenkontakt überfordert, weil alles so viel und laut und bunt ist. Etwas, was andere prima wegstecken, die dann auch mit weniger Potenzial ihren Weg gehen. D.h. weniger Potenzial, richtig gute Noten zu schreiben, aber viel mehr Potenzial, wenn es um Lebenstauglichkeit geht.

    Einen Umgang damit habe ich noch nicht gefunden. Ich habe ja immernoch die Hoffnung, dass ich doch etwas anderes bzw. zusätzliches zu Asperger habe. Etwas, dass man vielleicht doch behandeln kann. Viele meiner Besonderheiten mag ich ja und andere sind okay für mich. Aber ich würde so gerne Reize und Stress besser aushalten können.

    Vielleicht würde auch dir eine Psychotherapie helfen, damit umgehen zu lernen, dass theoretisches und praktischen Potenzial nicht zusammenpassen?

    Das überlege auch ich, in Anspruch zu nehmen, denn dieses ewige Gefühl des Scheiterns kann einen echt depressiv machen.

    Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind. - Sir Arthur Conan Doyle

  • Musste mir heute an der Hochschule wieder sagen lassen, dass meine Leistungen deutlich unter meinem Niveau sind. Ist ja nicht so, dass ich das nicht weiß. Ich weiß nur nicht, wie soll ich mein Potenzial entfalten? Wie komme ich da ran? Und vor allem: Woher soll ich die Energie zum Lernen und Leisten nehmen, wenn mich schon die 10 Minuten Straßenverkehr auf dem Weg zur Hochschule völlig an meine Grenzen bringen??

    Gehörschutz und sowas nimmst du wahrscheinlich schon, oder? Wäre es eine Alternative, Fahrrad zu fahren?

    Ich kann das auf jeden Fall nachvollziehen. Der ÖPNV nimmt mir bestimmt 30 - 50 % meiner Kraftreserven.

    Wäre es eine Idee, noch näher an die Uni ziehen, sodass du laufen kannst?

    Oder kannst du es so organisieren, dass du vielleicht nur 3 - 4 Tage die Woche zur Uni musst?

    Es gibt auch die Möglichkeit, in Teilzeit zu studieren. Das wäre vielleicht auch eine Überlegung wert.

    Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind. - Sir Arthur Conan Doyle

  • Hallo Leute,

    Danke für eure Antworten!! Meine Schallschutzkopfhörer sind meine besten Freunde.

    Und ich fahre mit dem Fahrrad. Da bin ich zwar wenigstens alleine, aber irgendwie ist das mit dem Straßenverkehr trotzdem nicht so meine Stärke. Irgendwie ist mir das einfach zu unordentlich. ÖPNV finde ich absolut schrecklich. Laufen wäre möglich (ca 35 Minuten) und vielleicht tatsächlich entspannter. Allerdings ist es so, dass mein Zimmer meine energiemäßige Tankstelle und Basisstation ist. Und ich mir manchmal vorkomme, wie ein Astronaut, der außerhalb seines Raumschiffs nur kurze Zeit überleben kann. Und wenn ich mit dem Rad fahre, kann ich morgens länger zuhause bleiben und bin Mittags (wenn ich dringend nach Hause muss) schneller wieder in "Sicherheit".

    Vielleicht würde auch dir eine Psychotherapie helfen, damit umgehen zu lernen, dass theoretisches und praktischen Potenzial nicht zusammenpassen?

    Ich bin seit 2,5 Jahren in Therapie. Und die Antwort meiner derzeitigen Therapeutin ist: "Sie sind doch einfach nur depressiv." Natürlich bin ich depressiv, aber warum wohl. Sie sagt dann, ich soll positiv denken. Aber ich kann hundert Mal denken: "Ich liebe den Straßenverkehr. Ich liebe Gruppengekuschel." Das hilft nur nicht.

    Du brauchst Bedingungen, die für Dich passen.

    Ich fürchte, da ist was dran. "Fürchte", weil ich mir mit 12 Jahren vorgenommen habe, dieses Fach zu studieren. Und seitdem ging es für mich nur darum, diesen Studienplatz zu bekommen. Jetzt hab ich ihn und läuft nicht so...

    Das Schwierigste an der Sache ist vermutlich, sich seine Grenzen einzugestehen und zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die halt einfach nicht möglich sind. :-/

  • Das Schwierigste an der Sache ist vermutlich, sich seine Grenzen einzugestehen und zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die halt einfach nicht möglich sind. :-/

    Ja, genau. Ich bin ja schon Ü 50 und habe ganz, ganz viel Kompensation und Camouflage so automatisiert, dass ich mein "SEIN" und meine Grenzen erstmal kennen lernen muss. Versuch und Irrtum tun oft weh, aber anders geht es nicht.

    Ich würde allerdings von dem kategorischen "einfach nicht möglich" etwas abweichen und sagen: auf die Art und Weise nicht möglich, die Du gerade versuchst, aber vielleicht auf eine andere Weise.
    Ich habe mit mir selbst von Klein auf die Erfahrung, dass ich IMMER, wirklich IMMER, andere Wege suchen muss, um ein Ziel zu erreichen, als meine NT Mitmenschen.
    Das bringt viele Hindernisse mit sich. Ich wurde als ich noch in Schule, Ausbildung und Job war ganz oft ausgebremst, weil man "das doch so nicht machen kann".
    Dass ich meine Ziele eher und besser erreicht habe, wenn man mich gelassen hat, war scheinbar egal. Weil es so oft nicht ums Ergebnis geht, leider.

    Was ich eigentlich sagen möchte: wenn Dir Deine Ausbildung oder was auch immer wichtig ist, gibt nicht auf. Schau Dich um, informiere Dich, welche Möglichkeiten gibt es noch, das zu bekommen, was Du Dir wünscht?

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!