Buchempfehlung - Autisten fühlen mehr als wir - Henry Markram

  • Die Antwort hätte auch von mir kommen können. Für mich ist das tatsächlich Heuchelei, wenn irgendeine Zeitung schreibt "ganz Deutschland trauert", weil die doch wirklich nicht wissen können ob (und es sehr unwahrscheinlich ist dass) jeder (!) trauert. Sowas regt man dann oft auf. So ein Satz will wohl nach außen transportieren, dass man das Gegenüber (z. B. ein anderes Land oder eine andere Person) trösten und unterstützen will. Ich verstehe aber trotzdem nicht, wieso man das in so pauschalen Aussagen tun muss. Wahrscheinlich darf man so etwas wie "ganz Deutschland" dann wiederum nicht wörtlich nehmen.

    Ich denke es drückt ein Gefühl aus, dass in der Masse spürbar ist. Das wäre ähnlich wie bei einer WM. Dann sagt ein Reporter "Die Stimmung ist super!" und am nächsten Tag steht dann vielleicht "Deutschland im WM-Rausch". :d

    Ich gucke heutzutage eigentlich quasi kein Fernsehen mehr. Ich glaube ARD/ZDF sind zumindest früher im "Auti-Style" aufgreten und habe einfach mimisch-neutral erzählt was Sache ist. Weiß nicht, ob es heute noch so ist, dass da jemand mit Blatt sitzt und erzählt was so los war. :roll:

    Zur landesweiten Trauer... also ich denke das hat ansonsten auch was mit sozialen Regeln zu tun. Die signalisierte Betroffenheit kommt vermutlich öfters besser an als der "Ist-mir-egal-Style". Ich finde das bei Ereignissen, wo Politiker dann auf den Plan gerufen sind auch manchmal sehr deutlich. Ich will aber jetzt nicht andeuten, dass das alles immer nur geheuchelt oder frisiert ist, ich weiß es nicht. Aber manchmal gab es doch so kleine Artikel in den Tageszeitungen, wo nach die Menschen unzählige Male pro Tag lügen und auch der "soziale Honig" oder die "soziale Schmiere" gehört sicherlich auch dazu. Ich denke mir aber, dass im Allgemeinen viele Menschen oft eher mit Freundlichkeit und auch mal bisschen Schönrederei klarkommen als wenn ihnen jeder Mensch verbal/nonverbal zum Ausdruck bringt, was er z. B. vom Autisten hält. Trotz dieser Erklärung erwische ich mich öfters dabei, dass ich bei AS-Medienartikel, wenn die Dinge zu kitschig und krampfhaft auf "Ey, ihr seid echt alle voll krass over-the-top!" getrimmt sind, sich ein Gefühl von Verarschung oder "kleines Kind" einstellt, denn dort machen Menschen so etwas auch. :roll:

    Es würde mich Null interessieren, ob irgendwelche Bild-Zeitung-Leser (oder andere Zeitungleser) mit mir fühlen oder nicht.

    Aber wie wäre es, wenn morgen die BILD eine Serie starten würde: Deutschland unter vier Augen - VIPs und sonstige Menschen sagen ehrlich was sie von Autisten halt bzw. wie sie darüber denken.

    Wo würdest du dich tendenziell eher wiederfinden?
    a) Wenn es zu negativ ist, dann wünsche ich, dass ich es nie erfahren hätte. Die Welt ist schlecht! :(
    b) Auch wenn es negativ ist: Da muss/will ich durch! :|
    c) WTF? So negativ? :x Ich bin ja tolerant, aber bei NT endet die Toleranz. Jetzt erst recht! :x

    In letters of gold on a snow white kite I will write "I love you"
    And send it soaring high above you for all to read

  • Mich würde mal interessieren, wie viele Leute dann einfach "ich hätte dann Angst" angeben, weil sie gelernt haben, dass man in einer solchen Situation Angst hat

    Das ist tatsächlich ein Thema, mit dem ich mich schon länger beschäftige. In dem Fall vor allem bei Eifersucht. "Eifersucht" ist keines der "Grundgefühle". Aber was steht hinter Eifersucht? Verlustangst könnte das sein. Aber genauso gut doch Aufregung, weil man nicht weiß, was der andere macht. Oder Vorfreude auf das nächste Treffen. Oder Vermissen. Oder oder oder. Wir haben aber gelernt, dass diese vor allem körperlichen Reaktionen und das Denken an die andere Person Eifersucht sein muss. Die selben körperlichen Reaktionen, während die Person anwesend ist, könnte zB "Erregtheit" sein. Aber wir haben gelernt, dass es Eifersucht ist und dass man eifersüchtig sein darf/muss - und in dem Moment, wo wir denken, dass das Eifersucht ist, fangen auch die Gedanken an. "Mit wem trifft er sich eigtl? Und warum?" etcpp.
    Ich denke, viele Gefühle sind von der Gesellschaft einfach "erschaffen". Genauso ja Scham. Es gibt zwar Scham als Grundgefühl, das durchaus sinnvoll ist. Aber erst unsere Eltern bringen uns bei, dass man sich schämen müsse für irgendwas. Und in den Situationen werden wir uns dann immer schämen, bis wir uns selbst beigebracht haben, dass man das gar nicht muss.

    Aber wie wäre es, wenn morgen die BILD eine Serie starten würde: Deutschland unter vier Augen - VIPs und sonstige Menschen sagen ehrlich was sie von Autisten halt bzw. wie sie darüber denken.
    Wo würdest du dich tendenziell eher wiederfinden?
    a) Wenn es zu negativ ist, dann wünsche ich, dass ich es nie erfahren hätte. Die Welt ist schlecht! :(
    b) Auch wenn es negativ ist: Da muss/will ich durch! :|
    c) WTF? So negativ? :x Ich bin ja tolerant, aber bei NT endet die Toleranz. Jetzt erst recht! :x

    d) Wow, was ein Aufhänger die dieses Mal gefunden haben. Die sinken echt immer tiefer. Werde die trotzdem nicht unterstützen indem ich mir so einen Schrott kaufe. Oder? Mal kurz überlegen... Ne, ich hab noch genug Klopapier zuhause. Ich muss nicht auf die BLÖD zurückgreifen.

  • Ne, ich hab noch genug Klopapier zuhause. Ich muss nicht auf die BLÖD zurückgreifen.

    :lol: Hihi!

    Ich habe das Buch von Wagner/Markram empfohlen und geschenkt bekommen und habe es erst mal weggelegt.
    ich dachte: "Zuviel fühlen? Das ist doch sonnenklar! Zu viele Sinneseindrücke, zu frühe Forderungen (ab 6 Jahren Schulpflicht in D), zu viel dies, zu viel das....wie glücklich sind Menschen, die nur die für sie wirklich wichtigen Eindrücke zentral aufnehmen können!"

    Damit meine ich, dass mir diese Einsichten über die Innenwelt von Autisten vollkommen einleuchten, es schien mir deshalb im Buch nichts wirklich Neues angesprochen zu sein....
    Und gestern habe ich aus lauter lenagweile dieses Buch aufgeschlagen und konnte nicht aufhören zu lesen.

    Sehr eingängig und einfühlsam geschrieben. :thumbup:

    Für Menschen, die keine Ahnung von Autismus haben, sehr gute Unterstützung, auch für "Experten", die auf ihrer einmal gefassten Einstellung herumreiten, Autisten könnten dies nicht und jenes nicht.

    Ich würde es empfehlen, wenn mich jemand fragen würde.

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • Ich höre seit letzte Woche das Hörspiel Der Junge, der zu viel fühlte von Lorenz Wagner nach dem Leben von Henry Markram. Weil es sich um eine andere literarische Verarbeitung desselben Themas handelt, finde ich es unnötig, ein eigenes Thema aufzumachen.

    Zuerst ist das Hörspiel die Geschichte der Familie Markram, die sich wundert, was mit ihrem Sohn Kai los ist. Während einer anstrengenden Expertenodyssee wird zuerst ADHS vermutet, erst später Autismus. An der Stelle behauptet der Erzähler keine andere Störung/Krankheit/Behinderung löse bei den Eltern so viel Leid aus, wie Autismus. Stimmt das, oder ist das nur eine Überreaktion.
    Im Verlauf wandelt sich die Geschichte aber zu jener eines Wissenschaftlers, dem es nicht gelingt, seine persönliche Erfahrung im Einklang mit der gängigen Lehrmeinung über Autismus zu bringen. Er forscht nach und stellt seine eigene Theorie auf, die vielen populären Annahmen widerspricht. Das erinnert mich an die von Thomas Kuhn postulierten Paradigmenwechsel: Zentrale wissenschaftliche Theorien wurden im Laufe der Geschichte oft durch eine Revolution abgelöst; Anzeichen für die Falschheit dieser Paradigmen wurden von Wissenschaftlern eher als Kuriositäten oder mögliche Messfehler interpretiert. Auch bei der Intense World Theory könnte es sich um einen Paradigmenwechsel handeln, sofern sie sich durchsetzt (oder hat sie das schon?).

    "Igitt, die Muse hat mich geküsst." ~ ein autistischer Künstler

  • Vielen Dank für diesen Link und das Hochholen des Threads.

    Ich habe mir das Hörbuch auch vorgemerkt und werde es mir als Nächstes holen.

    Mir persönlich ist so in etwa das Gleiche passiert wie dem Vater. Ich kannte die gängigen Lehrbuchvorstellungen vom Autismus, weil ich mich damit beschäftigt habe, seit mein Freund die Diagnose bekam.
    Blöderweise passen bei ihm viele Symptome, weswegen ich sie nie hinterfragt habe.
    Aufgrund vom Fehlen vieler dieser Klischees bei mir habe ich immer gedacht, ich könnte deswegen nicht autistisch sein, obwohl vieles dafür sprach.
    Nachdem ich von mehreren Autisten darauf angesprochen wurde und sie mir versicherten, dass man es nicht haben muss, beschäftige ich mich mit eigenen Forschungen, was Autismus nun wirklich ist. Weil die alte Theorie so vieles nicht berücksichtigt, dass sie falsch sein muss.

    Natürlich habe ich ganz andere Möglichkeiten als ein Neurologe, nämlich nur Beobachtungen vieler Autisten und Schlussfolgerungen über die Zusammenhänge. Plus Sammeln von Ideen anderer Autisten, die ähnliche Forschungen betreiben.

    Aber am Ende ist es das Gleiche - es muss eine neue Theorie her, die alle Symptome berücksichtigt...

  • Stimmt das, oder ist das nur eine Überreaktion.

    Ich denke, es ist eine Überreaktion. Es gibt Behinderungen wie z.B. solche, wo die Kinder früh sterben, und die Eltern dabei nur zusehen können. Das ist doch schlimmer als Autismus.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Ich denke, es ist eine Überreaktion. Es gibt Behinderungen wie z.B. solche, wo die Kinder früh sterben, und die Eltern dabei nur zusehen können. Das ist doch schlimmer als Autismus.

    Ich könnte mir auch sehr viel Schlimmeres als Autismus vorstellen. Zumindest bei HFA.

  • An der Stelle behauptet der Erzähler keine andere Störung/Krankheit/Behinderung löse bei den Eltern so viel Leid aus, wie Autismus. Stimmt das, oder ist das nur eine Überreaktion.

    Weder stimmt es noch ist es eine Überreaktion :?

    Selbstverständlich gibt es schlimme Ereignisse für Kinder und Eltern, die vor allem im Endergebnis kaum zu ertragen sind. Siehe @Shenyas Bemerkung.
    Aber bei den chronischen Erkrankungen nimmt Autismus eine Sonderstellung ein, weil es sich eben um die sogenannte "unsichtbare Behinderung" handelt.

    Auch Eltern mit schwer mehrfach behinderten Kindern habe ähnliche Probleme. Auch sie werden oft "hängen gelassen" und bekommen manchmal nur nach Kämpfen die notwendigen Hilfen. Genau wie bei Autisteneltern.
    Aber bei den Ersteren sieht man die Behinderung des Kindes - bei den Letzteren, in der Regel, sieht man nichts!

    Daher immer der Rechtfertigungszwang, das Kämpfen um alle zustehenden Hilfen usw.
    Das zermürbt und lässt Eltern oft hilflos werden. Besonders schlimm ist es, wenn sie ihr Kind gut kennen und die Möglichkeiten sehen, die nicht genutzt werden können. Das ist bitter. :cry:

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • Tut mir leid, ich wollte eigentlich "Übertreibung" schreiben, nämlich ob es eine übertriebene Aussage ist, dass Eltern autistischer Kinder so viel leiden - emotional, wirtschaftlich oder wie auch immer. Ich wollte nicht wissen, ob die Eltern überreagieren (eine solche Überreaktion würde Leid ja erklären).

    "Igitt, die Muse hat mich geküsst." ~ ein autistischer Künstler

  • Das kommt immer auf den Einzelfall an. Denn jeder Mensch ist nunmal anders und empfindet anders.
    Sicher ist, dass es tatsächlich oft schwierig ist mit einem Autistischen Kind. Sowohl im Familienumfeld als auch außerhalb.
    Am meisten gelitten habe ich eigentlich als mein Sohn jünger war, denn wir hatten keinerlei soziale Kontakte. Ich war immer mit ihm allein. Was macht man mit einem Kind,was so anders ist, nicht mal reden kann, damit man versteht was gewollt wird ?
    Mittlerweile habe ich mich in den 14 Jahren so daran gewöhnt, dass mir die sozialen Kontakte bestimmt immer noch fehlen, es mir jedoch nicht mehr so auffällt. Auch viele Dinge die man eigentlich täglich gern gemacht hat fallen weg, auch daran gewöhnt man sich. Wir gehen eben nicht gemeinsam bummeln oder auf Feste, so wie ich es mit meinen Töchtern gemacht habe. Wir gehen essen, aber nur zum gewohnten Griechen usw...
    Was Capricorn schreibt stimmt- eine frühere Freundin hat mich mal gefragt ob es nicht besser wäre er wäre richtig behindert, im Rollstuhl usw,... Deshalb ist sie eine frühere Freundin. Aber tatsächlich - Niemand käme auf die Idee ein Kind ohne Arme aufzufordern doch zu schreiben, mein Sohn soll es immer wieder obwohl er es eben nicht handschriftlich kann. Er soll Sprinten und Ausdauer trainieren, obwohl er wegen der Diagnosen ständig über seine eigenen Füße stolpert. Er hat den Freischwimmer, das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, seine Beinarbeit ist nicht korrekt... Er soll sich benehmen und anderes- es ist sehr anstrengend immer wieder allen zu erklären wie er denkt und tickt und dass es eben so wie sie wollen deswegen nicht funktionieren kann. Ständig bekomme ich Beschwerden, die Schulbegleitung meint ihn zu durchschauen und maßregelt ihn wenn es unpassend ist, sie denkt er ist aufgeregt, weil er laut und schnell spricht- nein aufgeregt und kurz vor der "Explosion" ist er erst wenn es anfängt dass Kopf und Arme unkontrolliert zucken....Wenn ich wieder Beschwerden bekomme, weiß ich oft erstmal nicht was ich sagen soll. Denke ich dann in einer ruhigen Minute darüber nach kann ich mittlerweile ganz genau erkennen- was die anderen falsch gemacht haben, nicht mein Sohn. Allerdings wird dies gerne auch belächelt und ich bin dann die Helikopter(RW) Mutter, die ihr Kind stets in Schutz nimmt statt es ordentlich zu erziehen. Jeder ist anders, es ist toll, dass es so viele Bücher und Bedienungsanweisungen für Autistische Kinder gibt- aber all das kann nicht ersetzten jedes Kind als Einzelperson in seiner Gänze zu sehen und individuell zu reagieren. Kinder sind keine Roboter, für sie gibt es keine Bedienungsanleitung und auch keinen An und Ausschalter( der Papa meines Sohnes wollte, dass ich meinen Sohn endlich "abstelle")- zu blöd hatte ich doch bei der Produktion ganz vergessen, dass da Schalter dran sein müssen....

  • Weder stimmt es noch ist es eine Überreaktion :?
    Selbstverständlich gibt es schlimme Ereignisse für Kinder und Eltern, die vor allem im Endergebnis kaum zu ertragen sind. Siehe @Shenyas Bemerkung.
    Aber bei den chronischen Erkrankungen nimmt Autismus eine Sonderstellung ein, weil es sich eben um die sogenannte "unsichtbare Behinderung" handelt.

    Auch Eltern mit schwer mehrfach behinderten Kindern habe ähnliche Probleme. Auch sie werden oft "hängen gelassen" und bekommen manchmal nur nach Kämpfen die notwendigen Hilfen. Genau wie bei Autisteneltern.
    Aber bei den Ersteren sieht man die Behinderung des Kindes - bei den Letzteren, in der Regel, sieht man nichts!

    Daher immer der Rechtfertigungszwang, das Kämpfen um alle zustehenden Hilfen usw.
    Das zermürbt und lässt Eltern oft hilflos werden. Besonders schlimm ist es, wenn sie ihr Kind gut kennen und die Möglichkeiten sehen, die nicht genutzt werden können. Das ist bitter. :cry:


    Ich habe das Buch auch gelesen, und bin auch über diese Stelle gestolpert. Dem Zitat fehlt ein Teil, ich zitiere aus dem Buch:

    "Wenn Kinder krank sind oder behindert, tragen die Eltern schwer daran. Viele Ärzte und Psychologen haben sich mit dieser Belastung beschäftigt., Bücher und Aufsätze darüber geschrieben. Bouma und Schweitzer, Hastings und Johnson, Sanders, Morgan, Weiss und wie sie alle heißen. Sie alle kamen zu einem Ergebnis: Keine chronische Krankheit, keine Störung oder Behinderung lässt Eltern mehr leiden als Autismus. Und ist der Fall schwer, wendet sich das Kind vollständig ab und schenkt ihnen keine erkennbare Liebe, kein Wort, kein Lächeln, ist ihr Leid so tief, wie es sein kann."

    Dieser letzte Satz, an dem bleibe ich immer wieder hängen. Denn es beschreibt genau unsere Lage, mein Kind hat sich tatsächlich komplett abgewandt, eingegraben, in sich verschlossen. Jedes Mal wenn ich in ihr Zimmer gehe, ist da diese Beklemmung. Manchmal beachtet sie mich, manchmal ignoriert sie mich. Ich sehe, sie leidet. Aber ich bin außen vor. Und ich verwende so viel Kraft für sie, so viele Gedanken, so viel Zeit, schlaflose Nächte. Es tut einfach so wahnsinnig weh, wenn nichts zurück kommt. Die ganze Familie leidet sehr, weil es so schwer zu verstehen ist. Vielleicht ist es bei uns noch schlimmer dadurch, daß sie ja einst an unserem Familienleben teilnahm. Ich habe regelmäßige Episoden tiefer Trauer, und bin auch selber deswegen in psychologischer Behandlung.

    Natürlich weiß ich nicht im Detail, wie es Eltern von Kindern geht, die anderweitig krank oder behindert sind. Ich dene, es ist einfach leichter für alle, wenn die Behinderung oder Krankheit sichtbar oder leichter zu verstehen ist. Und vor allem, wenn eine emotionale Bindung besteht. Ich sehe in dem Zitat nicht "nur" den Autismus als Ursache dieses großen Leids der Eltern, sodern die emotionale Abkehr. Meinem Verständnis nach zeigt der Autismus sich ja nicht in allen Fällen so extrem.

    Generell hat mir das Buch sehr gefallen, ich finde es wertschätzend und liebevoll geschrieben und doch auch sachlich sehr wertvoll. Die Intense-Mind-Theory von Markram hilft mir sehr, meine Tochter zu verstehen.

  • Ich denke, es ist einfach leichter für alle, wenn die Behinderung oder Krankheit sichtbar oder leichter zu verstehen ist. Und vor allem, wenn eine emotionale Bindung besteht. Ich sehe in dem Zitat nicht "nur" den Autismus als Ursache dieses großen Leids der Eltern, sodern die emotionale Abkehr. Meinem Verständnis nach zeigt der Autismus sich ja nicht in allen Fällen so extrem.

    :nod:
    Oh ja, hier ist etwas Wichtiges angesprochen:

    Was an und für sich als Grundbedürfnis jedes Menschen gilt, nämlich Anerkennung/Wertschätzung zu bekommen, fehlt den Autistenmüttern besonders und den Autistenvätern häufig.
    Dafür erhalten wir "im Gegenzug" ungebeten Erziehungsratschläge :m(:
    Und leider fehlt auch die seltene Wertschätzung häufig, die wenigstens bei allem persönlichen Leid zumindest manchmal die Eltern von schwer mehrfach behinderten Kindern erreicht: Die dankbare liebevolle Zuwendung des eigenen Kindes. Die seltenen Momente des Lächelns, des engen Kontakts.
    Mir geht es immer besser, wenn ich mit dem Söhnen in Kontakt bin. Nicht streiten wegen nichts und angeblafft werden, sondern echte & gute Kommunikation.

    Und es fehlt auch häufig die Wertschätzung für unseren täglichen Kampf durch Nachbarn, Verwandte, Behördenvertreter*innen.

    Natürlich sind stark betroffene Autisten oft die, deren Eltern am wenigsten Anerkennung bekommen. Andererseits gibt es dann auch ein paar Hilfsangebote. Familien mit relativ "gut" funktionierenden ASpie-Kindern gehen auch oft auf dem Zahnfleisch(RW), bekommen aber kaum adäquate Hilfen. x(

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

    2 Mal editiert, zuletzt von Capricorn (20. Oktober 2019 um 17:10)

  • Ich stimme dem auch zu, dass die Nichtzuwendung nicht immer gut zu ertragen/begreifen ist.

    Es wird besser, wenn man sich auf kognitiver Ebene austauschen kann:

    sondern echte Kommunikation.

    genau. Die ist auch Gold wert. Aber ab und zu zu merken..da ist noch etwas auch emotional....ist in den Momenten wunderschön.*

  • Dieser letzte Satz, an dem bleibe ich immer wieder hängen. Denn es beschreibt genau unsere Lage, mein Kind hat sich tatsächlich komplett abgewandt, eingegraben, in sich verschlossen. Jedes Mal wenn ich in ihr Zimmer gehe, ist da diese Beklemmung.

    Und liegt das denn am Autismus? Denn so ab Teenageralter gibt es häufig auch bei nichtbehinderten Kindern eine totale Abkehr von den Eltern.

    Ich war mal bei einem Vortrag von Christine Preißmann, da fragte ein Vater aus dem Publikum, ob es normal ist, dass junge erwachsene Aspies nichts mehr mit ihren Eltern zu tun haben wollen. Frau Preißmann sagte dazu, dass das absolut nicht typisch sei, sondern im Gegenteil die Beziehung oft im Erwachsenenalter noch sehr eng sei.

    Ich schätze mal, es gibt alle Nuancen.

    Die totale Abkehr, die in dem Buch erwähnt ist, wird sich auf die Kinder beziehen, die von Anfang an aufgrund ihres schweren Autismus gar nicht mit den Eltern kommunizieren. Es fällt mir allerdings schwer zu glauben, dass es das tatsächlich gibt, weil selbst ein mir bekannter sehr schwer behinderter Autist zeigt dennoch durch bestimmte Gesten, dass er eine Bindung an seine Eltern hat. Auch wenn er sonst schwer zugänglich ist.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Mein Sohn war schon von keinauf nicht so zugewandt/kuschelig usw wie seine Brüder.
    Er ist nicht schwerstbehindert, aber speziell schon immer.

    Wenn er krank war hingegen, wollte er auch als Teen noch mich neben sich schlafen haben.
    Kontrastprogramm. :roll:

  • Ich war mal bei einem Vortrag von Christine Preißmann, da fragte ein Vater aus dem Publikum, ob es normal ist, dass junge erwachsene Aspies nichts mehr mit ihren Eltern zu tun haben wollen. Frau Preißmann sagte dazu, dass das absolut nicht typisch sei, sondern im Gegenteil die Beziehung oft im Erwachsenenalter noch sehr eng sei.

    Dies ist bei mir der Fall.

    Die Aspies, die nichts mehr mit ihren Eltern zu tun haben wollen, haben ja in der Regel schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht, z.B. wegen fehlender Akzeptanz/fehlendem Verständnis für das Anderssein und den damit verbundenen Schwierigkeiten.

    Einmal editiert, zuletzt von Sonnenseele (20. Oktober 2019 um 17:54)

  • Ich erlebe selbst immer noch als schmerzhaft, wenn ich versuche, meine AS-typischen Probleme anderen zu vermitteln, und dann kommt dieses "kennt doch jeder, muss man einfach".
    Wenn die "Frage was denn genau dieses "einfach" an "wie und was genau, damit es einfach" wird erst auf unverständnis stößt, dann die Frage kritisiert wird und dann aus dem eigenen Nicht-Beantworten-Können alles umgedreht wird und daraus ein "Wenn du das nicht kannst, bzw dir nicht an Fähigkeit zulegeb kannst, dann bist du nicht geeignet, zu behindert" gemacht wird.

    Erst gestern wieder erlebt.

    Mittlerweile habe ich zumindest gelernt, hier nicht mehr in Verzweiflung zu versinken und mich auch noch selbst ganz rauszunehmen.

    Mittlerweile vergleiche ich die Anforderungen an Aspies mit Rollstuhlfahrenden, von denen gefordert wird, zu allen Stufen, die ihnen begenen, selbst die Rampen konstruieren und bauen zu sollen und das bitte, ohne dabei Lärm, Dreck und Behinderung auf den Wegen der NTs zu erzeugen. Was aber auch wieder nicht richtig ist, weil als Voraussetzung gilt, an Dingen telzunehmen, solche Stufen ohne Rampe überwidenn zu können. Selbst wenn Stufen gehen können absolut nichts mit dem zu tun hat, was man eine Stufe höher dann machen soll.

  • Ich kenne hier eine Familie dessen 6 Jähriger Sohn an Krebs erkrankt ist.
    Nicht zu vergleichen mit nichts, wen ich mir ansehe wie verzweifelt die Eltern des Jungen um ihn kämpfen aber hauptsächlich nur zusehen können wie es ihm schlechter und schlechter. Leider wird der kleine es nicht schaffen, der Tumor sitzt an einer inoperablen Stelle im Gehirn

    Ehrlich Leute, das will ich nicht durchmachen.
    Jeden Tag mein Kind ansehen und mich fragen wie lange er noch leben wird, ob es ihm morgen schlechter geht.
    Ich denke das schlimmste in der Situation ist das man als Eltern völlig machtlos ist und nichts tun kann um das eigene Kind zu retten.
    Während andere in seinem Alter dieses Jahr mit der Schule angefangen haben, liegt er meist geschwächt Zuhause. Während andere Eltern aufgeregt sich über den ersten Schultag ihrer Kinder unterhalten, plant diese Familie wie sie die letzte Zeit mit ihrem Sohn noch sinnvoll gestalten können was ihnen sichtbar schwer fällt, wer will schon die Beerdigung seines eigenes Kindes gestalten/miterleben, es so früh gehen lassen.

    Ich will von niemandem die Probleme klein reden.
    Aber dann lieber denn Autismus, da kann ich als Elternteil zumindest Aktiv unterstützen und das Leben meines Kindes versuchen zu erleichtern. Keine Ahnung wie sich das jetzt besser beschreiben soll. Mann kann immer irgendwoher Lebensqualität in jedem Bereich schöpfen oder es versuchen. Wie sagt man immer so schön "wo es leben gibt, da gibt es Hoffnung"

    Ich will damit nur sagen, schwerer Autismus ist sicher nicht immer einfach für die betroffenen Eltern aber was die Familie von dem Kleinen Jungen durchmacht wünsche ich keinem auch die Zeit danach wird sicher schlimm für sie.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!