Autismus vs. Schizotypie - persönliche Diagnosen-Unentscheidbarkeit

  • *Achtung, ziemlich langer Beitrag*

    Hey liebes Forum,

    ich müsste eigentlich Statistik lernen, aber seit heute morgen werde ich gewisse Gedanken einfach nicht los. Vielleicht hilft es ja, darüber zu schreiben.
    Ich bin auf Twitter über den Hashtag #selfdxisvalid (Selbstdiagnosen sind gültig) gestolpert (rw) und habe Stellungnahmen dazu gelesen, was eine Kaskade von Denkprozessen ausgelöst hat. Meine Diagnostik-Situation bringt mich öfter zum Grübeln. Es so: ADS ist ganz sicher und von vier Ärzt*innen bestätigt - aber ich habe definitiv nicht nur ADS. Was dieses "andere" ist, haben Ex-Therapeutin, 3 Psychiater*innen und eine Psychologin herauszufinden versucht.

    Die Therapeutin, die mich über fast zwei Jahre regelmäßig gesehen hat (allerdings noch in Ausbildung war) kam mit ihrem Supervisor zur Diagnose "Schizotypische Störung" (F21). Ich hätte einen exzentrischen Persönlichkeits- und Kleidungsststil, teilweise bizarre überwertige Ideen, eine unkonkret-sprunghafte und teils idiosynkratische Art zu sprechen (kann ich auch alles bestätigen), desweiteren sah sie meine Depersonalisation anscheinend als "unnormale Wahrnehmung" an (die Synästhesie vermutlich auch). Soziale Ängstlichkeit, die ich auch habe, steht auch in den Kriterien zur Schizotypie, desweiteren die Tendenz zu sozialem Rückzug, Sensibilität und affektive Probleme.

    Ich war bei allem, was die Therapeutin so sagte, sehr skeptisch, weil ich mich meistens nicht verstanden gefühlt habe. Ich war aber auch ziemlich verzweifelt. Deswegen nahm ich ihren Vorschlag gleich an, es mit einem Atypischen Neuroleptikum (Amisulprid) zu versuchen. Und das hilft mir - in minimaler Dosierung - enorm! Die Depersonalisation und auch der soziale Rückzug sind seitdem geringer, außerdem scheint es mir, als würde ich mich tatsächlich "normaler" verhalten (ist aber relativ schwer festzustellen, finde ich - die Therapeutin jedenfalls sah eine deutliche Besserung). Nun ja, normal für meine Verhältnisse ist noch nicht normal im Sinne von NT-normal. ;) Jedenfalls dachte ich: Ein Medikament gegen Schizotypie wirkt, also muss ich das haben. Aber das hieße ja, dass ich ständig bizarre Vorstellungen habe, die nicht ganz realitätskonform sind. Das hat dazu geführt, dass ich glaubte, meinen eigenen Gedanken nicht mehr trauen zu können und extrem unsicher wurde, was ich überhaupt denken soll.

    Komisch ist nur, dass ich die Kernkriterien der Schizotypie eigentlich kaum erfülle. Ich habe keine Tendenz zu magischem Denken, im Gegenteil (hab mal einen Test dazu gemacht: 2 Punkte im Vergleich zum Mittelwert von 7), und das soll ja relativ typisch sein. Außerdem bin ich nicht misstrauisch oder paranoid, im Gegenteil, ich bin häufig extrem naiv und gutgläubig. Außerdem würden die wenigsten Schizotypen überhaupt Hilfe suchen und zum Therapeuten gehen. Mein Psychiater meinte dazu auch: Das kann nicht sein, das passt übrehaupt nicht.
    Aber irgendwas ist ja da... Ich habe davor schon relativ viel zu Autismus recherchiert und mich in vielem wiedergefunden, in biographischen Texten etc. - es machte vieles einfach total Sinn. Die Therapeutin hat, als meinen Verdacht vorsichtig äußerte, allerdings gelacht, so absurd erschien ihr das.

    Ich habe mich in der Charité auf Autismus testen lassen, bzw. wollte einfach nur wissen, was mit mir los ist. Das Ergebnis: ADS ja, eventuell Sozialphobie, aber kein Autismus. Das hat mich ziemlich zur Verzweiflung gebracht: Bildete ich mir alles nur ein? Die folgenden Monate bin ich tatsächlich ziemlich zusammengebrochen, bin aus meiner WG abgehauen, habe draußen geschlafen (Ende März) etc., hatte nicht das Gefühl, dass die Gesellschaft einen Platz für mich hat. Mit dem Medikament ist die Situation dann besser geworden, aber die Diagnosen-Unklarheit blieb, und, auch wenn manche das nicht nachvollziehen können, die richtige Diagnose zu haben IST enorm wichtig für mich - für die Identitätskonstruktion, aber allein auch deshalb, weil das ja Implikationen für die korrekte Behandlung hat.

    Der Psychiater, den ich dann kennenlernte, schien mich endlich mal zu verstehen - endlich jemand, der sich mit AD(H)S und Autismus auskannte. Bei der dritten Sitzung oder so brachte ich ihm einen ausführlichen und mit Zitaten aus wissenschaftlichen Texten versehenen Aufsatz mit inkl. einer Liste meiner Symptome, mit dem Titel "Is it Autism?". Er schien erst verwundert, meinte, ich wäre eher hochsensibel und dass meine Emotionalität nicht zu Autismus passen würde (eine seltsame Aussage, finde ich). Er fragte mich dann nach den typischen Empathie-Defiziten und als ich das bejahte, schien er den "Diagnosevorschlag" doch plausibel zu finden. Nachdem er den Text dann gelesen hatte, stimmte er mir zu und er trug die Diagnose "Atypischer Autismus" ein.

    Allerdings habe ich aufgrund dieser doch eher informellen Prozedur immer wieder Zweifel an der Gültigkeit meiner Diagnose. Der Psychiater ist zwar sehr gut, aber er kennt mich verhältnismäßig wenig. Ich war mir nicht sicher, ob er die Diagnose eher eingetragen hat, weil ich das so wollte, oder weil das auch seine "wissenschaftliche" Meinung war. Deshalb habe ich ihn dann explizit gefragt: "Darf ich sagen: Ich bin Autistin?" und er meinte, Ja.
    Mir scheint allerdings, dass ich auch hier kaum die Kernkriterien erfülle. Routinen und eingeschränkte Interessen und Verhaltensweisen? Nicht wirklich - ich mache nur viel Stimming, das zählt vielleicht als "repetitive Verhaltensweise", und Spezialinteressen bzw. eine spezielle Art, Wissen zu sammeln, habe ich auch. Und Einschränkungen in der Kommunikation? Zumindest sind die Probleme nicht so extrem. In vertrauten Situationen bin ich sogar ziemlich sozialkompetent und kognitiv flexibel. Augenkontakt kann ich halten (außer bei Erschöpfung), Umarmungen und Händeschütteln sind okay. Die autistischen Probleme sind eigentlich eher die, die gerade nicht klassischerweise in den Diagnosekriterien stehen. Ich kann mich auch mit dem Konstrukt der "Kontextblindheit" gut identifizieren, und das wäre wieder so eine Sache, die auch bei Schizophrenen vorkommt.

    Schizotypie und Autismus haben deutliche Überlappungen (siehe hier). Ich weiß schon seit über einem Jahr, dass ich diagnostisch in jeder Hinsicht zwischen die Schubladen falle (rw), aber so richtig komme ich immer noch nicht damit klar. Manchmal macht es mich einfach fertig: Soll ich anderen sagen, dass ich im Autismusspektrum bin? Oder stimmt das gar nicht? Darf ich einen Blogbeitrag über autistische Wahrnehmung schreiben?
    Und: Was wäre, wenn Schizotypie weniger stigmatisiert wäre und wenn es eine Neurodiversitäts-Bewegung auch in diese Richtung gäbe? Ein Gedankenspiel.
    Manchmal denke ich auch, ich sollte mich einfach davon abhalten, weiter über dieses Thema nachzudenken, weil es einem unlösbaren philosophischen Problem nahekommt. Vermutlich ist das eine vernünftige Option :roll:


    Wie auch immer, es wird schon viel zu lang :oops:
    Aber ich habe mein Ziel erreicht und mir alles von der Seele geschrieben (rw).

    LG julai

    "autistische traits" und seit der Diagnostikvorlesung glaube ich nicht mehr ans Klassifikationssystem :D

    ~all brains are beautiful~

  • kurzer Text.

    Ich bin als Kind oft als schizotypisch diagnostiziert worden.

    ADHS & Autismus.
    and I'm an eurasian Crossbreed

    Dummheit ist nicht "Nicht Wissen" oder "Nicht Wissen Wollen", Dummheit ist "Glauben genug zu Wissen"

  • @rowdy okay, ich find ihn lang :)

    falls du das mitteilen möchtest, wie kam es, dass du doch die AS-Diagnose bekommen hast?

    "autistische traits" und seit der Diagnostikvorlesung glaube ich nicht mehr ans Klassifikationssystem :D

    ~all brains are beautiful~

  • Wie war denn deine Kindheit?
    Das ist ja ein sehr wichtiges Kriterium für die Diagnostik. Wenn du z.B. ein beschissenes Elternhaus hattest, könnte auch sowas in Richtung Borderline oder andere Persönlichkeitsstörung in Frage kommen.
    Wenn in der Kindheit alles normal war, ist wieder Autismus etwas wahrscheinlicher.

    PS: mit normal im letzten Satz meine ich, dass es ein normales Elternhaus war.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • @rowdy okay, ich find ihn lang :)

    falls du das mitteilen möchtest, wie kam es, dass du doch die AS-Diagnose bekommen hast?

    nachdem ich buchstäblich meinen verstand verloren hatte, kam ich mit 15 11 Monate in die Psychiatrie.

    Dort stand ich so unter Beobachtung, dass man erkannte, was los ist.

    ADHS & Autismus.
    and I'm an eurasian Crossbreed

    Dummheit ist nicht "Nicht Wissen" oder "Nicht Wissen Wollen", Dummheit ist "Glauben genug zu Wissen"

  • @Shenya meine Eltern (und soweit ich mich erinnern kann, alle anderen auch) waren sehr lieb zu mir. Es gab nur pränatalen Stress. Mit 7 habe ich die ADS-Diagnose bekommen und Medikamente und Ergotherapie erhalten.
    Ich würde vermuten, meine psychischen Abweichungen sind eher genetisch bedingt, aber das kann auf Persönlichkeitsstörungen ja auch in gewissem Maß zutreffen...

    @rowdy oh, okay. 11 Monate ist ja echt lang. Interessanterweise habe ich mit 15 auch ein wenig meinen Verstand verloren, das wurde aber wieder besser.

    "autistische traits" und seit der Diagnostikvorlesung glaube ich nicht mehr ans Klassifikationssystem :D

    ~all brains are beautiful~

  • @julai Sie wollten mich einfach nicht gehen lassen,,

    Auch heute neige ich manchmal zu psychotischen zügen, erkenne die gefahr aber rechtzeitig. das letzte mal wurde mir das richtige medikament verschrieben

    ich neige auch zu "magischen denken". Aber mit der Zeit habe ich das unter Kontrolle gekriegt und heute lebe ich zu 93% in der realität

    ADHS & Autismus.
    and I'm an eurasian Crossbreed

    Dummheit ist nicht "Nicht Wissen" oder "Nicht Wissen Wollen", Dummheit ist "Glauben genug zu Wissen"

  • Ich würde vermuten, meine psychischen Abweichungen sind eher genetisch bedingt, aber das kann auf Persönlichkeitsstörungen ja auch in gewissem Maß zutreffen...

    Bei einer Persönlichkeitsstörung kommt aber normalerweise noch eine Belastung im Leben dazu, wie eben z.B. ein schlechtes Elternhaus.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • *Achtung, ziemlich langer Beitrag*

    Wow, also deine Geschichte klingt meiner sehr ähnlich.

    Darf ich fragen, wann du bei den Psychiatern warst? In der Kindheit? Wann fing es an?

    Bei mir lief es so ADS, Anpassungsstörung, Schizotype Störung... Autismus, va Borderline...
    Bin gerade noch in einem neuen Diagnostikprozess.

    Das, was du so schilderst kenne ich, auch, dass nichts allein so wirklich perfekt passt und alles erklärt.
    Mittlerweile glaube ich, dass es ein "Fisch" ist, den man einfach nicht "greifen" kann (Metapher).
    Es ist tatsächlich ein Gemisch, man geht zu streng mit sich um oder es ist ein Bild, was noch nicht beschrieben wurde.
    Aber nach und nach nähere ich mich den Gedanken an, dass es wirklich nicht so wichtig ist.
    Das wird durch Informationen über Inkompetenz der Ärzte, mangelnder Verlässlichkeit der Diagnostik und der variantenreichen psychischen Konstitution der Menschen unterstützt.
    Leider bin ich aber zu neugierig, so dass es immer wieder hoch kommt.

    Etwas zur Strenge: Ich habe von Ärzten gehört, dass niemand alle Kriterien einer psychischen Diagnose dieser Kategorie erfüllt.


    Eine sehr interessante Frage hätte ich: Hat einer in deiner Verwandtschaft Schizophrenie?

    Und: Was wäre, wenn Schizotypie weniger stigmatisiert wäre und wenn es eine Neurodiversitäts-Bewegung auch in diese Richtung gäbe? Ein Gedankenspiel.

    Das verstehe ich nicht.

    ++++

    Würde mich übrigens interessieren, wie Neuroleptika bei Nicht-Schizophrenen wirken, ob sie wirken.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • Auch heute neige ich manchmal zu psychotischen zügen, erkenne die gefahr aber rechtzeitig. das letzte mal wurde mir das richtige medikament verschrieben

    ich neige auch zu "magischen denken". Aber mit der Zeit habe ich das unter Kontrolle gekriegt und heute lebe ich zu 93% in der realität

    Ah ja. Interessant! Ich hab auch gelesen/vom Psychiater mitbekommen, dass psychose-artige Phasen bei Autismus vorkommen können.
    Ehrlich gesagt, je mehr ich über Autismus lese, desto weniger weiß ich, was Autismus eigentlich ist.

    93% klingt gut :) Ich denke, 100% erreicht niemand, dafür haben Menschen eine zu unzureichende Wahrnehmung mit zu vielen kognitiven Verzerrungen.

    @Shenya Belastung im Leben, ja, ich denke aber es muss nicht unbedingt eine aus der Kindheit sein. Jedenfalls war meine Kindheit zwar ein bisschen chaotisch, aber ich habe genug Zuwendung erhalten. Kann natürlich immer sein, dass irgendetwas mich belastet hat und ich das einfach nicht kapiert habe (soziale Vorgänge um mich herum habe ich generell wenig kapiert). Die große psychosoziale Stress kam jedoch definitiv später.

    "autistische traits" und seit der Diagnostikvorlesung glaube ich nicht mehr ans Klassifikationssystem :D

    ~all brains are beautiful~

  • Das ist ja ein sehr wichtiges Kriterium für die Diagnostik. Wenn du z.B. ein beschissenes Elternhaus hattest, könnte auch sowas in Richtung Borderline oder andere Persönlichkeitsstörung in Frage kommen.
    Wenn in der Kindheit alles normal war, ist wieder Autismus etwas wahrscheinlicher.

    Das kann man so nicht sagen.
    Gerade weil ein Kind autistisch ist, können Eltern überfordert sein und sich deshalb "nicht normal" benehmen.

    Ich frage mich auch häufig, was ein "normales Elternhaus" sein soll.
    In einer Serie letztens, durfte nicht gestritten werden, alle Gefühle wurden unterdrückt, eine heile Welt zu jeder Zeit gespielt, die Tochter hat sich angefangen zu ritzen.
    Was ist also normal?
    Streit? Kein Streit?

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • @Cloudactive, ich beantworte mal deine Fragen :)

    Mein Psychiater-Erstkontakt war mit 7 zur ADS-Diagnostik. Seitdem gab es regelmäßige Konsultationen bei verschiedenen Ärzten. Von 12 bis 19 ungefähr habe ich keine Medikamente genommen und war nicht beim Psychiater. Das Krisengedöns kam erst, als ich von zu Hause auszog (das überforderte mich komplett).

    Bei mir in der Familie gibt es soweit ich weiß keine Schizophrenie-Betroffenen, es gibt eher ADS, Ängste und Suchtprobleme :roll: evtl. auch Borderline-ähnliche Geschichten, aber das ist nur Vermutung.

    Leider bin ich aber zu neugierig, so dass es immer wieder hoch kommt.

    Geht mir auch so. Ich müsste mir wirklich keinen Kopf darüber machen, aber ich kann es nicht lassen - ein Rätsel, das gelöst werden will, eine Forschungsfrage, die beantwortet werden will. Auf manche Fragen gibt es allerdings, aufgrund der Natur der Frage, keine Antwort. Habe schon überlegt, ob ich mir doch noch ein paar Fragebögen aus der Testbibliothek ausleihe und mal schaue, für welche Diagnose ich die höchste Punktzahl bekomme :oops:

    Das verstehe ich nicht.

    Der Gedankengang war folgender:
    - ich merke, der Gedanke, eine sichere Autismusdiagnose zu haben, ist für mich positiv besetzt --> warum eigentlich?
    - evtl. könnte es mit der Autismus-Bewegung zu tun haben, die mir Identitätsstiftung, Selbstakzeptanz und ein Gefühl, keine Fehlkonstruktion zu sein, gibt
    - es wäre also möglich, falls meine Diagnose aus wissenschaftlicher Sicht nicht korrekt ist, dass ich es mir trotzdem einrede, um Teil dieser "Community" zu sein
    - wenn das der alleinige Grund wäre, müsste sich das Konzept auf andere Diagnosen übertragen lassen --> auch Schizotypie
    - daraus ergibt sich die Frage, warum es zwar eine große Autismus-, aber keine Schizotypie-Community gibt --> evtl. weil der Begriff veraltet ist? Oder weil Schizotypie stigmatisiert und negativ behaftet ist? Weil es tatsächlich eher Krankheit als Neurodiversität ist? Oder weil Schizotype keine Community-bildende Art von Menschen sind?
    - was wäre, wenn Schizotypie nicht negativ behaftet wäre? Was wäre, wenn es auch Schizotypische Blogger/Youtuber/Autor*innen gäbe, in der Vielfalt wie jetzt im Bereich Autismus?
    - würde ich dann diese Diagnose "haben wollen"?

    ... deshalb "Gedankenspiel"...

    "autistische traits" und seit der Diagnostikvorlesung glaube ich nicht mehr ans Klassifikationssystem :D

    ~all brains are beautiful~

  • Gerade weil ein Kind autistisch ist, können Eltern überfordert sein und sich deshalb "nicht normal" benehmen.

    Ich frage mich auch häufig, was ein "normales Elternhaus" sein soll.

    Das stimmt. Da muss man schon genauer hinschauen, was Ursache und Wirkung angeht.
    Ich hatte eher so eindeutige Fälle im Kopf, wenn Eltern z.B. Alkoholiker oder anderweitig psychisch krank sind und deshalb die Kinder vernachlässigen, oder wenn Kinder misshandelt oder missbraucht werden.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Habe schon überlegt, ob ich mir doch noch ein paar Fragebögen aus der Testbibliothek ausleihe und mal schaue, für welche Diagnose ich die höchste Punktzahl bekomme

    Braucht man da nicht noch einen "Interviewer"?


    - ich merke, der Gedanke, eine sichere Autismusdiagnose zu haben, ist für mich positiv besetzt --> warum eigentlich?

    Habe ich auch die meiste Zeit.
    Warum? Weil es einfach passt.
    Vom "kleinen Professor" bis zum "komischen" Außenseiter.
    Ich will nicht so sein, ich bin es.
    Ich will nicht "schlau" sein, also dieses Klischee vom Autismus bekommen, ich bin schlau, dafür brauche ich keine Diagnose.
    Das sind Gedanken und Motive, die Patienten haben, die Autismus haben möchten.


    - evtl. könnte es mit der Autismus-Bewegung zu tun haben, die mir Identitätsstiftung, Selbstakzeptanz und ein Gefühl, keine Fehlkonstruktion zu sein, gibt

    - es wäre also möglich, falls meine Diagnose aus wissenschaftlicher Sicht nicht korrekt ist, dass ich es mir trotzdem einrede, um Teil dieser "Community" zu sein

    Ja, ein Gefühl, zu etwas dazuzugehören, ist ein guter Grund.

    - daraus ergibt sich die Frage, warum es zwar eine große Autismus-, aber keine Schizotypie-Community gibt --> evtl. weil der Begriff veraltet ist? Oder weil Schizotypie stigmatisiert und negativ behaftet ist? Weil es tatsächlich eher Krankheit als Neurodiversität ist? Oder weil Schizotype keine Community-bildende Art von Menschen sind?

    Ich weiß darüber, dass in Amerika es eine Persönlichkeitsstörung ist.
    Des Weiteren fand ich mal folgenden Beitrag:
    https://www.psychotherapiepraxis.at/pt-forum/viewtopic.php?t=30842

    Vielleicht hilft dieser dir weiter.

    - würde ich dann diese Diagnose "haben wollen"?

    Kann schon sein.
    Ich glaube aber nicht, dass du sie wirklich haben willst.
    Ich denke, du willst eine Antwort.
    Diese Antwort ist für dich Autismus.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • Braucht man da nicht noch einen "Interviewer"?

    Theoretisch schon... aber nun ja, wenn ich es schaffe, ganz ehrlich zu mir selbst zu sein, kriege ich es vielleicht hin, so einen Test sowohl durchzuführen als auch auszuwerten.

    Ich will nicht so sein, ich bin es.

    Ich stimme zu...

    Ich weiß darüber, dass in Amerika es eine Persönlichkeitsstörung ist

    Im DSM-5, ja. Im ICD-11 fällt die Schizotypische Störung unter den Bereich der Schizophrenie-ähnlichen Störungen.

    Ich denke, du willst eine Antwort.
    Diese Antwort ist für dich Autismus.

    Auf jeden Fall will ich eine Antwort und ja, im Moment ist Autismus Teil dieser Antwort. Was ich aber auch will: Ich will das Richtige tun. Es kann gut sein, dass ich zu hohe moralische Ansprüche an mich habe (ich neige dazu) - jedenfalls möchte ich mich mit keiner Diagnose "labeln", die ich nicht richtig ist... irgendein Teil von mir hielte das für nicht moralisch korrekt, insbesondere, wenn ich aus Gründen reiner Selbstaufwertung/Selbstdarstellung oder anderer nicht dringlicher/existenzieller Gründe eine Diagnose ersuchen würde.

    Ich merke, während ich das schreibe, so richtig Sinn machen meine Gedanken auch irgendwie nicht... Aber so etwas in der Art scheint in meinem Denken stattzufinden. Keine Ahnung, ich kapiere das nicht so richtig, eventuell wenn ich mich besser konzentrieren kann als heute Abend...

    "autistische traits" und seit der Diagnostikvorlesung glaube ich nicht mehr ans Klassifikationssystem :D

    ~all brains are beautiful~

  • Auf jeden Fall will ich eine Antwort und ja, im Moment ist Autismus Teil dieser Antwort. Was ich aber auch will: Ich will das Richtige tun. Es kann gut sein, dass ich zu hohe moralische Ansprüche an mich habe (ich neige dazu) - jedenfalls möchte ich mich mit keiner Diagnose "labeln", die ich nicht richtig ist... irgendein Teil von mir hielte das für nicht moralisch korrekt, insbesondere, wenn ich aus Gründen reiner Selbstaufwertung/Selbstdarstellung oder anderer nicht dringlicher/existenzieller Gründe eine Diagnose ersuchen würde.

    Ich merke, während ich das schreibe, so richtig Sinn machen meine Gedanken auch irgendwie nicht... Aber so etwas in der Art scheint in meinem Denken stattzufinden. Keine Ahnung, ich kapiere das nicht so richtig, eventuell wenn ich mich besser konzentrieren kann als heute Abend...

    Ne, du willst schon die Wahrheit.
    Aber bevor man die Wahrheit kennt, existieren noch weitere Wahrheiten vorher.

    Folgendes ist Hobbypsychologie, a try to understand, also hilfreich gemeint:

    Ich denke, du willst auf der einen Seite, Autismus haben, als Antwort auf dein Sein.
    Auf der anderen Seite, sträubst du dich aber dagegen, weil du Angst hast, den Vorwurf zu bekommen, du hättest sie dir aus (für dich) unmoralischen Motiven "geholt".
    Du hast Angst, dass du deine Identität unter dem Gesichtspunkt "Autismus" interpretierst und entsprechend handelst, du aber eigentlich kein Autist bist und infolgedessen ein Betrüger wärst.
    Das ist verständlich. Du willst aufrichtig sein. Vielleicht, weil man dich öfters nicht ernst genommen oder dir nicht geglaubt hat, so hast du das Bedürfnis, deine Aufrichtigkeit beweisen zu müssen.
    Doch das musst du nicht. Erstens, interessieren sich die meisten Menschen gar nicht für die Wahrheit, zweitens wollen sie die gar nicht hören. Dafür gibt es viele Gründe.

    Für dich existiert eine absolute Wahrheit, sonst würdest du an die Wahrheit der Ärzte glauben, an die Gültigkeit ihrer Diagnosen und somit an die Wahrheit ihrer Urteile.
    Somit begibst du dich aber auf eine abstrakte Ebene, die dich grübeln lässt und die dir keinen Halt bietet, außer deinem Ziel: die Wahrheit zu finden.
    Bildlich gesprochen, bewegst du dich durch die Luft, lediglich angetrieben durch deine Suche.

    Gleichzeitig bemerke ich durch diese dir selbstauferlegten Verbote, dass du solche Motive verachtest, zumindest nicht gut heißt, bei jedem.
    Was wäre, wenn es niemanden stören würde, wenn die Leute Motive wie Selbstdarstellung, Aufmerksamkeitssuche, Selbstaufwertung usw. sogar schätzen würden?
    Wenn das "edle" Beweggründe wären? Wäre es immer noch "das Falsche"?

    Ich denke, du bist ein intelligenter Mensch und grübelst viel und machst dir viel Mühe.
    Kann es sein, dass du, wenn du bis jetzt immer noch keine eindeutige Antwort finden konntest, vielleicht niemals eine findest?
    Vielleicht gibt es sie nicht?
    Was würdest du machen, wenn du das wüsstest?

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

    Einmal editiert, zuletzt von Cloudactive (12. Januar 2019 um 23:20)

  • Er fragte mich dann nach den typischen Empathie-Defiziten und als ich das bejahte, schien er den "Diagnosevorschlag" doch plausibel zu finden. Nachdem er den Text dann gelesen hatte, stimmte er mir zu und er trug die Diagnose "Atypischer Autismus" ein.

    Diese Vorgehensweise wirkt äußerst suspekt.

    Bei dem was du schreibst würde ich eher dem Urteil der Charité vertrauen als dem Psychiater. Und das entspricht ja auch deinem Gefühl.

    Einmal editiert, zuletzt von Dungeonmaster (12. Januar 2019 um 23:34)

  • Schizotypie und Autismus haben deutliche Überlappungen

    Das war mein größtes Problem bei der Selbstdiagnose - diese Abgrenzung, bzw. Unterscheidung. Beim Diagnosegespräch habe ich das auch angesprochen und bekam eine (wie ich finde) recht einfache Unterscheidungsmöglichkeit:

    Wenn die Probleme schon seit der frühen Kindheit bestehen, ist Autismus vermutlich richtig - weil es eine angeborene Störung ist. Treten die Probleme erst später, z.B. mit der Pubertät, auf, ist eine Persönlichkeitsstörung wahrscheinlicher - weil die erworben wird.
    Ich finde die Erklärung schlüssig und konnte sie für mich auch so annehmen.

    Das heißt aber auch, dass tatsächlich beides vorliegen kann.

    ~ Es ist kein Zeichen von Gesundheit, an eine von Grund auf kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein. ~

  • Ich muss mich korrigieren, bei mir hieß es Schizoaffektive Störung.
    Habe ich verwechselt...
    Deswegen war es damals auch so schräg, weil vielleicht 2-3 Kriterien erfüllt waren.

    @Leseratte
    Schizophrenie ist halt auch angeboren, bzw. die Veranlagung und ob die immer erst im Erwachsenenalter ausbrechen, ist fraglich.
    Wenn also Symptome schon seit Kindheit vorhanden sind, ist es leider nicht so eindeutig, weil man nie weiß, wann was angefangen hat, was einen späteren Anfang hat.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

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