Empathiedefizite bei Empathieexperten (MPI Leipzig)

  • Hier gehts nun nicht speziell um Autismus, aber doch wird das Thema in meinen Augen berührt:


    Über mehrere Max-Planck-Institute gibt es derzeit Berichte von Mobbing und Drangsalierungen durch Vorgesetzte an jungen Wissenschaftlern. Unter anderem dabei ist das Leipziger MPI für Kognitionswissenschaften, Leitung Frau Prof. Tania Singer. Man forscht dort insbesondere zu Fragen der sozialen Kognition und Empathie und streift dabei immer wieder auch das Thema Autismus (beispielhaft Einsatz von Oxytocin).


    Das Institut hat auch hier in diesem Forum schon mehrfach Probanden für Studien angefragt.
    (zuletzt hier: Neue Studie zur Erforschung des Sehens bei Menschen mit einer Diagnose aus dem Autismus-Spektrum)


    Was in Leipzig vorgegangen sein soll, ist u.a. hier nachzulesen:


    http://www.sciencemag.org/news/2018/08/s…ntimidated-them

    http://www.spiegel.de/lebenundlernen…-a-1221885.html


    Ausgerechnet die ausgewiesenen Empathie-Experten haben also Probleme mit der hausinternen Mitmenschlichkeit. Da kann man schon "vom Glauben abfallen" (RW) was die vermeintliche soziale Überlegenheit der "NTs" angeht.


    Ich frage mich an der Stelle erneut, wie wichtig die theoretische Verfügbarkeit von ausgereiftem Empathievermögen überhaupt ist und ob nicht viel mehr die persönliche Einstellung zu den Mitmenschen viel entscheidender ist und somit die Defizite, die man als Autist so hat, gar nicht das Bedeutendste im zwischenmenschlichen Umgang sind?
    Wenn selbst die Top-Expertin auf dem Empathiegebiet solche Defizite offenbart- was sagt das aus?


    Jedenfalls weiß ich gar nicht so recht, ob ich gerade "lachen oder weinen" (RW) soll. Alles sehr sonderbar, fast Realsatire.


    Was meint ihr dazu?

  • Hm, bedeutet Empathie zu haben denn zugleich dass man ein prosoziales Verhalten zeigt?
    Meine Therapeutin sagte, ich würde fehlende Empathie durch echtes Interesse und Wohlwollen meinen Mitmenschen gegenüber kompensieren.
    Vielleicht gibts da, unabhängig davon dass man von der Person in dieser Position und mit dieser Rolle etwas anderes erwarten würde, viele nicht genauer benannte Faktoren die zu dem Verhalten führten.
    Interessanter Artikel. Und schade.

  • Ich frage mich an der Stelle erneut, wie wichtig die theoretische Verfügbarkeit von ausgereiftem Empathievermögen überhaupt ist und ob nicht viel mehr die persönliche Einstellung zu den Mitmenschen viel entscheidender ist und somit die Defizite, die man als Autist so hat, gar nicht das Bedeutendste im zwischenmenschlichen Umgang sind?

    Ist das eine rhetorische Frage? Selbstverständlich ist die persönliche Einstellung entscheidend. Sogenannte kognitive Empathie (ich gehe davon aus, das Du sie meinst) wird schließlich auch dazu "genutzt", andere auszunutzen oder ihnen anderweitig zu schaden; sie macht noch lange keinen wohlwollenden Menschen aus.

    Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind. Ich mich auch.

  • Hm, bedeutet Empathie zu haben denn zugleich dass man ein prosoziales Verhalten zeigt?

    Gerade die große Fähigkeit zum Empathievermögen sollte doch irgendwo dazu verpflichten, dieses auch abzurufen. Besonders, wenn man sich in so einer Rolle befindet wie die Institutsleiterin. Sonst ist alles schöne Dahergerede (und dazu lässt sich von Frau Singer viel finden, sie plädiert dafür, man solle "mehr fühlen") ja schlicht Makulatur. Über Notwendigkeit von Frauen in der Forschung sprechen, dann aber Schwangere drangsalieren...


    Ist das eine rhetorische Frage? Selbstverständlich ist die persönliche Einstellung entscheidend.

    Nicht ganz. Wenn man über Autismus liest, sind Schwierigkeiten im Bereich Zwischenmenschlichkeit sehr häufig Thema. Zumeist geht der Tenor in die Richtung, dass diese Probleme durch mangelnde Emotionserkennung erklärbar sind. Auch und gerade von Autisten selbst. Da geht es eher selten darum, dass die persönliche Einstellung zu Mitmenschen eine Rolle spielt.

  • Zitat von Willowtree

    Ausgerechnet die ausgewiesenen Empathie-Experten haben also Probleme mit der hausinternen Mitmenschlichkeit. Da kann man schon "vom Glauben abfallen" (RW) was die vermeintliche soziale Überlegenheit der "NTs" angeht.

    Wir sind alle nur Menschen. Deshalb ist auch niemand perfekt in dieser Welt aus Sein und Schein. Was sich da in Leipzig zugetragen hat, steht doch nur sinnbildlich für die Ellenbogengesellschaft, in der wir leben. Es wird drauf gehauen, und zwar immer auf die vermeintlich Schwächeren.

  • Man muss einfach kongitive Empathie von emotionaler Empathie unterscheiden. Autisten haben (in der Regel, nicht alle) keinen Mangel an emotionaler Empathie, nur an kognitiver Empathie. Umgekehrt ist es bei Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung (landläufig "Psychopathen" genannt).

    Es kommt sehr häufig zu Missverständnissen, weil der Begriff "Empathie" für beide Phänomene genutzt wird.

    Zitat

    Zugleich ist das System sehr kompetitiv, der Druck, möglichst viel zu publizieren, ist hoch.

    Das ist ohnehin der größte Schwachsinn, Unis und Lehrstühle nach der Anzahl ihrer Publikationen zu ranken. Klar, dass dann alles versucht wird, um diese eine Kennzahl zu maximieren, koste es was es wolle.

    Zitat

    Schuld daran ist ein System, in dem Professoren über viel Macht verfügen. Sie bestimmen über Verträge und Arbeitszeiten,

    Ja, warum eigentlich? Ich habe noch nie verstanden, warum man Forschung und Verwaltung nicht trennt. Ein guter Forscher ist nicht automatisch ein guter Verwalter und umgekehrt und ein guter Forscher sollte sich nicht dadurch auszeichnen, dass er besonders gut Geld heranschaffen kann.

    Einmal editiert, zuletzt von seven_of_nine (15. August 2018 um 13:32)

  • Ich tue mich ein bisschen schwer mit dem Begriff Empathie, weil er anscheinend mehr umfasst als ich früher dachte. Was meines Wissens nach in der Regel den Unterschied zwischen Autisten und NTs ausmacht, ist, dass erstere die Gefühle ihrer Mitmenschen schlechter erkennen oder zuordnen können, weil sie Schwächen in der non- und paraverbalen Kommunikation haben. Nur weil man die Gefühle des anderen nicht immer (richtig) erkennt, heißt das aber noch lange nicht, dass dieser Mensch und seine Gefühle einem egal sind. Der umgekehrte Fall ist genauso gut möglich, d.h. man erkennt zwar die Gefühle des anderen, aber handelt nicht so wie man es vielleicht von einem rücksichtsvollen Menschen erwarten würde.

    Für mich ist Empathie die Fähigkeit, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt eines anderen hineinversetzen zu können. Meiner Ansicht nach ist diese Fähigkeit bei vielen Menschen nicht sonderlich gut ausgeprägt. Ich habe nämlich oft den Eindruck, dass es Menschen schwer fällt sich in die Lage eines Menschen hineinzuversetzen, der sich in einer völlig anderen Lebenslage befindet und vielleicht auch ganz anders "tickt". Manche sind sehr einfühlsam und können auf die verschiedensten Menschen gut eingehen; andere dagegen scheinen nur Menschen zu verstehen, die ihnen selbst vom Erfahrungshorizont und der Persönlichkeit her ähnlich sind.

  • Der umgekehrte Fall ist genauso gut möglich, d.h. man erkennt zwar die Gefühle des anderen, aber handelt nicht so wie man es vielleicht von einem rücksichtsvollen Menschen erwarten würde.

    Genau das ist der Unterschied zwischen kognitiver und emotionaler Empathie.

    Man könnte eine ähnliche Unterscheidung bei "sozialer Kompetenz" einführen.

  • Man muss einfach kongitive Empathie von emotionaler Empathie unterscheiden. Autisten haben (in der Regel, nicht alle) keinen Mangel an emotionaler Empathie, nur an kognitiver Empathie. Umgekehrt ist es bei Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung (landläufig "Psychopathen" genannt).

    Ich bin mir nicht recht sicher, ob nicht auch die kognitive Empathie bei "NTs" hin und wieder ausfällt- dann wenn eigene Interessen zu sehr im Vordergrund stehen, Stress eine Rolle spielt, Vorurteile ( Auseinandersetzungen zwischen Völkern basieren nicht selten auf dieser Grundlage, obwohl der Emotionsausdruck universell ähnlich ist) usw. usf.


    Und das kann ja auch in diesem Fall vorliegen- dass also die theoretische Befähigung,sich in andere hineinzuversetzen, nicht abgerufen wird, weil beispielhaft nur die eigenen Forschungsziele im Blick behalten werden. Das ist was anderes als (wie im Fall eines Psychopathen) man sich schon einfühlt, dieses dann aber trampelig übergeht bzw. sogar manipulativ für die eigenen Zwecke missbraucht.

    Für mich ist Empathie die Fähigkeit, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt eines anderen hineinversetzen zu können. Meiner Ansicht nach ist diese Fähigkeit bei vielen Menschen nicht sonderlich gut ausgeprägt. Ich habe nämlich oft den Eindruck, dass es Menschen schwer fällt sich in die Lage eines Menschen hineinzuversetzen, der sich in einer völlig anderen Lebenslage befindet und vielleicht auch ganz anders "tickt". Manche sind sehr einfühlsam und können auf die verschiedensten Menschen gut eingehen; andere dagegen scheinen nur Menschen zu verstehen, die ihnen selbst vom Erfahrungshorizont und der Persönlichkeit her ähnlich sind.

    Ja, genau.

  • Ich bin mir nicht recht sicher, ob nicht auch die kognitive Empathie bei "NTs" hin und wieder ausfällt- dann wenn eigene Interessen zu sehr im Vordergrund stehen, Stress eine Rolle spielt, Vorurteile ( Auseinandersetzungen zwischen Völkern basieren nicht selten auf dieser Grundlage, obwohl der Emotionsausdruck universell ähnlich ist) usw. usf.

    Das sind ja nur pauschale Tendenzen, die nicht immer anwendbar sind. Auch die Grenzen zwischen NTs und Nicht-NTs sind ja nicht so eindeutig, worauf ich hier selbst mehrfach hingewiesen wurde ;)
    Aber ja, interessanter Punkt. Für Geschäftsessen im Ausland brauchen auch NTs Knigge-Bücher oder Kurse, weil sie die dort vorherrschenden Regeln schlichtweg nicht kennen. Auch haben NTs wohl oft Probleme, sich in Nicht-NTs hineinzuversetzen.

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