Hilfe, meine Diagnostik ging zu schnell!

  • @Blaubeere
    Spezifische Tests gibt es eh nicht, all diese Tests sind entweder Screening-Tests, oder eigentlich für andere Störungen ursprünglich entwickelt, oder es werden Dinge getestet die eigentlich nicht relevant für eine AS-Diagnostik sind. (Man ist sich in der Fachwelt nichtmals einig was AS ist, man weiß nicht wie es entsteht, wie sollte man dann Tests dafür haben...) Diese ganzen Tests liefern alle nur Hinweise auf AS, kein einziger beweist irgendetwas, und die Diagnostiker sind sowieso nicht daran gebunden (die Einschätzung eines Menschen, in dem Falle Diagnostiker, zählt immer mehr als die Tests). An manchen Stellen machen sie wegen der Forschung diese Tests. Da werden dann also die Patienten die zur Diagnostik kommen genutzt, um Tests an ihn en auszuprobieren und Dinge zu erforschen, nicht zwangsläufig deswegen, weil das wirklich für eine sichere Einschätzung nötig ist.
    Kritischer würde ich eher eine fehlende Fremdeinschätzung einstufen. Sowohl von einer aktuellen Bezugsperson als auch wenn möglich, von einer Bezugsperson als man im Vorschulalter war. Aktuelle Bezugsperson: deswegen, da man selbst sich anders sieht, als Außenstehende (in beide Richtungen möglich: man kann sich als umgänglicher und normaler sehen als man ist, oder man kann sich selbst auch als gestörter einschätzen, als man ist), und die Eltern deswegen, da so eben Infos über die relevante Zeit eingeholt werden können, wo man selbst aber noch zu klein war. Allerdings können Eltern sich auch nicht mehr richtig erinnern können (zu alt), oder sich falsch erinnern, oder sich geschönt erinnern, oder einen schützen wollen vor einer Diagnose/Psychiatrie, oder sich selbst ein schlechtes Gewissen fernhalten wollen (dass sie früher nichts unternahmen), uswusf. Ist also insgesamt auch nicht so arg verlässlich. Vielleicht reichten deine Grundschulzeugnisse, wenn da hilfreiches drinstand.

    Ich denke, dass man sicherlich sofort autistisches Verhalten feststellen kann, eben auch nach 2,5h.
    Ich denke aber auch, dass wohl nicht sicher festgestellt werden kann, was genau dahinter steckt.

    Das denke ich auch, und man weiß ja gar nicht genau, was dahintersteckt, wie sollte man das also auch feststellen.

    Das mag durch die Aufarbeitung der jeweiligen Vergangenheit versucht vermieden zu werden, aber letztlich sind Erinnerungen auch nur plastische Dinge, die als Grundlage einer wissenschaftlichen Untersuchung einfach nicht ausreichen. Die Subjektivität durch den Behandler darf man auch nicht vergessen, das ist der schwerwiegendste brüchige Stein, der den gesamten Bau zum Einsturz verurteilt.

    Ich kann nur sagen, dass ich die übliche Herangehensweise für unwissenschaftlich deklariere und sie nicht als aussagekräftig anerkenne.

    Ja, das ist halt Psychiatrie...
    Es ist alles sehr schwammig und unsicher, das ist unbefriedigend, aber es ist so. Ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass Psychiater/Psychologen Diagnosen weniger Bedeutung beimessen, als die Patienten selbst. Hier wird immer sehr viel diskutiert über richtige und falsche Diagnosen, als gäbe es da ein ichtig oder falsch... ob richtig oder falsch ist doch letztlich nur Ansichtssache des jeweiligen Psychiaters/Psychologen? (und ein anderer, mag den selben Menschen wieder anders einschätzen).

  • Ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass Psychiater/Psychologen Diagnosen weniger Bedeutung beimessen, als die Patienten selbst

    Ja, den habe ich auch gewonnen. Für Psychiater ist die Diagnose wohl eher so eine grobe Orientierung, wie eine zukünftige Therapie/Hilfestellung gut funktionieren könnte. Daß Ankreuztests nur eine Faktenbereicherung darstellen und der persönliche Eindruck des Diagnostikers entscheidet, soll auch so sein, sonst könnte jeder Laie ohne Erfahrung die Blätter abarbeiten und die Diagnosen vergeben.

    Daß die Definitionen schwammig und die Störungsbilder uneinheitlich sind, bedeutet aber nicht, daß die Diagnosen deshalb keinerlei Wert oder Aussagekraft hätten. Ich nehme meine jedenfalls durchaus ernst und tue sie nicht als "schlechte Tagesform" oder "Psychiatervorurteile" ab.

  • fing sie an, mir weiter zu erklären, was Autismus sei, da sie ja ein autistisches Kind kannte. Da kam ich mir richtig blöd vor. Hätte ich in dem Moment gesagt, daß ich selbst Asperger-Autismus habe, hätte sie mir glatt gesagt, daß das Blödsinn sei und die Ärzte eine Menge Fehldiagnosen stellen. Es ist also so, daß meine Diagnose oder besser gesagt das dafür als typisch Wahrgenommene mir nicht widergespiegelt wird. Meine Schwierigkeiten werden von der Umwelt einfach geleugnet oder kleingeredet.

    Du sprichst mir aus der Seele. Genau diese Situation habe ich schon öfters mit Bekannten und Verwandten erlebt. Manchmal denke ich darüber nach, meine Diagnose mitzuteilen, aber dann verwerfe ich den Gedanken auch wieder, weil es vielleicht nur eine kurzfristige Erleichterung für mich ist, denn ich weiß nicht wer sonst noch alles davon erfahren würde, was ich auch nicht möchte.

    Einmal editiert, zuletzt von Gluon (25. Mai 2018 um 06:40)

  • Daß die Definitionen schwammig und die Störungsbilder uneinheitlich sind, bedeutet aber nicht, daß die Diagnosen deshalb keinerlei Wert oder Aussagekraft hätten.

    Gerade bei einer ASS hat die Diagnose ja auch Auswirkungen auf die Art der Therapie und den Umgang mit dem "Patienten", insofern finde ich eine einigermaßen verlässliche Diagnostik auch wichtig.

    Mein eigener Diagnosetermin ist schon länger her, 2010, und dauerte auch nur knappe zwei Stunden, was aber damals, glaube ich, durchaus üblich war. ADOS war in der Erwachsenendiagnostik zu der Zeit überhaupt nicht "in Mode", es gab nur die Screeningtests, die man im Vorfeld ausgefüllt hat, und dann das diagnostische Gespräch. Es gab in ganz Deutschland, glaube ich, 3 oder 4 Autismusambulanzen. Dort waren dann halt die absoluten Spezialisten versammelt. Laut deren Aussage ist das diagnostische Gespräch das Allerwichtigste an der Diagnostik. Die ganzen Tests könnte man sich im Grunde sparen, wie z.B. ADOS. Das ist nur ein Hilfsmittel, und nicht einmal ein besonders verlässliches im Erwachsenenbereich.

    Ich habe mich aber auch sehr oft gefragt, ob der Arzt sich nach diesem knapp zweistündigen Gespräch wirklich sicher sein konnte. Später habe ich jede Fachperson, bei der ich war, (Psychiater, Psychologen) gebeten, nochmal zu schauen, ob sie die Diagnose bestätigen kann oder nicht, und bisher haben sie alle bestätigt. Liegt aber vielleicht auch einfach daran, dass eine einmal gestellte Diagnose ungern hinterfragt wird, oder daran, dass diese Fachpersonen eben keine Spezialisten für ASS waren, und sie der Meinung des Spezialisten vertrauten.

    Aktuell bin ich bei einer Psychologin, die seit Jahren in einem Autismustherapiezentrum arbeitet. Sie ist also mindestens genauso Spezialistin wie der Arzt in der Autismusambulanz von 2010. Also wenn sie auch keine Zweifel an der Diagnose hat, dann wird es wohl tatsächlich "wasserdicht" sein. Und ich hätte mir die ganzen Zweifel der letzten 8 Jahre sparen können.

    Ich würde sagen, dass die Erfahrung von einem Diagnostiker ziemlich schwer wiegt, und in einer Autismusambulanz gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, dass sich mehrere Ärzte miteinander austauschen. Dann wird das schon ziemlich verlässlich sein.
    Ein niedergelassener Arzt kann auch viel Erfahrung haben, läuft aber vielleicht eher Gefahr, ein bestimmtes (eingeschränktes oder falsches) Bild von Autismus zu bekommen, weil er selten die Möglichkeit hat, sich mit anderen auszutauschen.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Ich würde sagen, dass die Erfahrung von einem Diagnostiker ziemlich schwer wiegt, und in einer Autismusambulanz gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, dass sich mehrere Ärzte miteinander austauschen. Dann wird das schon ziemlich verlässlich sein.

    Wenn Autisten nach ihrer Diagnostik weiterhin persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern haben (wie in meinem Fall die Kölner Spezialambulanz), haben auch die Mitarbeiter, die nicht bei der Diagnostik dabei waren, die Möglichkeit, sich ein Bild von den Autisten zu machen. Ich denke, dass sich dann die Mitarbeiter auch weiterhin untereinander darüber austauschen, welche Eindrücke sie von den Autisten bekommen.

  • Nach dieser Logik müßte man dann zwanzig Testungen durchlaufen und die Quote an Diagnosen als Maß dafür nehmen, was nun stimmt.

    Nicht mal das würde ausreichen.
    Aber ja, das würde die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens schon sehr deutlich erhöhen.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

    Einmal editiert, zuletzt von Cloudactive (25. Mai 2018 um 14:27)

  • Ist jetzt etwas philosophisch, aber es kommt wohl eben darauf an, als was man Autismus betrachtet, genauer: definiert.
    Als eine Form von Verhaltensmustern, die der Augenblick hergibt, oder als eine Grund-Entität.

    In Anbetracht der historischen Autismusforschung besteht die Tendenz zu einer Grund-Entität.
    In Anbetracht der Applikation jener Wissensbegründungen besteht methodisch die Tendenz, Autismus als eine Form von Verhaltensmustern zu betrachten.

    Das mag auf den ersten Blick nicht relevant erscheinen, aber:

    1) Die Annahme, Autismus als eine Form von Verhaltensmustern zu betrachten, inkludiert wortlautgemäß keine Konsistenz über einen gewissen Zeitraum.
    Das heißt wiederum, dass Autismus folglich dieser Betrachtung tatsächlich eine Momentaufnahme ist und eine besagte Konsistenz ja gar nicht von Nöten ist.
    -> Das führt dazu, dass alle Momentaufnahmen für eine Diagnose gültig sind.
    Jede kann für sich selbst eine Aussage treffen, Diagnosen können sich widersprechen, da es ja nur um eine Momentaufnahme geht per definitionem.

    Dies wird meiner Meinung nach aber nicht dem Forschungsstand und der Tatsache gerecht, dass Autismus wohl zu einem hohen Grad genetisch bedingt ist.

    2) Die Annahme, Autismus sei eine Grund-Entität, führt zu einer apriorischen Voraussetzung: Konsistenz über einen gewissen Zeitraum, genau genommen, IMMER.
    Daraus folgt, dass Autismus im Gegensatz zur obigen Position eben keine Momentaufnahme darstellt, sondern intrinsisch in der Natur der Sache liegt.
    -> Das führt dazu, dass Momentaufnahmen für sich genommen keine absolute Aussagekraft besitzen, sondern lediglich eine Annäherung durch die Menge an Momentaufnahmen darstellen (in Form einer Wahrscheinlichkeit).
    Momentaufnahmen, oder speziell: Diagnosen dürfen keine absolute Aussagekraft für sich beanspruchen, sie dürfen sich nicht widersprechen, da es ja um eine Grund-Entität geht, die gegeben ist, zu der es eben nur eine Wahrheit gibt.

    Diese Position finde ich realistischer und der Thematik im Ganzen gerecht werdend, auch wenn es vielleicht eine (noch) unrealisierbare Methodik erfordert.


    Wenn ich die übliche Praxis betrachte, so lässt sich keine dieser Positionen in Reinform finden.
    Wie gesagt, besteht allerdings die stärkere Tendenz darin, Autismus als eine Form von Verhaltensmustern zu betrachten.
    Was dazu führt, dass dem Patienten versucht wird, zu vermitteln, dass die Methodik und die Diagnose schon wissenschaftlich und seriös sind, im Endeffekt aber sind sie es dann doch nicht.
    Das kann man schön an solchen Sätzen erkennen wie "Es ist davon auszugehen, dass...".
    Die Folge dessen ist eine, den meisten Patienten nicht einmal bewusste, Diskrepanz zwischen Schein und Wahrheit.
    Man könnte es auch Täuschung nennen.
    Dem Patienten wird vermittelt, dass es gute Gründe für etwas gibt, wirklich sicher kann man sich aber nie sein.
    Der Patient wird damit dann alleine gelassen.


    ....
    Abschließendes Resümee:

    Man darf gespannt sein auf neurobiologische oder andere fachlich verwandte, wissenschaftliche Tests, die dem Ganzen endlich eine Seriosität verleihen, die es allem Anschein nach, verdient.

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • Daß die Definitionen schwammig und die Störungsbilder uneinheitlich sind, bedeutet aber nicht, daß die Diagnosen deshalb keinerlei Wert oder Aussagekraft hätten. Ich nehme meine jedenfalls durchaus ernst und tue sie nicht als "schlechte Tagesform" oder "Psychiatervorurteile" ab.

    Hast du vorher andere Diagnosen gehabt, war das da auch so?

    Mir wurde von mehreren Leuten gesagt, ich bzw meine gezeigten Symptome, wäre sehr typisch - bei beiden psychiatrischen Diagnosen die ich im Leben bekam (Autismus, Depression). Aber in anderem Zusammenhang sagte man mir auch, dass die wenigsten Patienten 100% genau in Diagnosen hineinpassen. Es wäre also normal, wenn Leute da nicht 100% alles erfüllen. Ich denke das liegt auch daran, dass viele Störungen ineinander über gehen. Die Gehirne lassen sich eben nicht nach Typen unterteilen (wie das hier öfter mal suggeriert wird). Da finde ich es aber durchaus nachvollziehbar, wenn Patienten dann eben finden, dass eine Diagnose die sie bekamen, sie sie nicht richtig/vollständig wiedergibt.

  • @Cloudactive, demnach gibt es für dich auch "autistischere Tage" oder Phasen bei NT's?
    Ansonsten ließe sich ja von einem Termin, bei dem eine Momentaufnahme eine autistische Person zeigt, auch darauf schließen, dass diese betroffen ist.
    Oder der Patient spielt, um es einmal so provokativ auszudrücken.

    "Ich? Gescheitert? Niemals!
    ... Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren." -Thomas Edison, zumindest so ähnlich

  • 1) Die Annahme, Autismus als eine Form von Verhaltensmustern zu betrachten, inkludiert wortlautgemäß keine Konsistenz über einen gewissen Zeitraum.
    Das heißt wiederum, dass Autismus folglich dieser Betrachtung tatsächlich eine Momentaufnahme ist und eine besagte Konsistenz ja gar nicht von Nöten ist.
    -> Das führt dazu, dass alle Momentaufnahmen für eine Diagnose gültig sind.
    Jede kann für sich selbst eine Aussage treffen, Diagnosen können sich widersprechen, da es ja nur um eine Momentaufnahme geht per definitionem.

    Hmm ne, Entwicklungsstörungen sollen überdauernde Muster sein, die sich bis in die frühe Kindheit zurück verfolgen lassen. Aber gerade das ist ja bei bei bereits erwachsenen Patienten schwierig herauszufinden.

  • Hast du vorher andere Diagnosen gehabt, war das da auch so?

    Ja, von einem Therapeuten Nekrophilie und Bindungsstörung, von den anderen wurden mir gar keine Diagnosen gegeben. Zwei Psychiater sagten nur, sie sähen durchaus Anpassungsprobleme und soziale Schwierigkeiten, die aber keinen Krankheitswert für sie hätten (z.B. O-Ton: "Sie schildern mir da typische Alltagsprobleme, und ich sehe ein, daß diese Sie belasten, aber dafür kann ich Ihnen keine Diagnose Depression geben.")
    Ich habe später gelesen, daß man vor der Stellung der Einzeldiagnose "Bindungsstörung" u.a. Autismus ausschließen soll, was bei mir nicht getan worden war. Ich fühle mich auch nicht bindungsgestört, außer eben sexuell. Ernst genommen habe ich natürlich alles, was mir Fachleute sagten, nur war mir eher wichtig zu erfahren, was mir denn konkret helfen könnte, nur da kam leider nicht viel Praktisches. Deshalb erhoffe ich mir ja Hilfe durch das beantragte Budget.

  • Konsistenz über einen gewissen Zeitraum, genau genommen, IMMER.
    Daraus folgt, dass Autismus im Gegensatz zur obigen Position eben keine Momentaufnahme darstellt, sondern intrinsisch in der Natur der Sache liegt.
    -> Das führt dazu, dass Momentaufnahmen für sich genommen keine absolute Aussagekraft besitzen, sondern lediglich eine Annäherung durch die Menge an Momentaufnahmen darstellen (in Form einer Wahrscheinlichkeit).

    Ich verstehe den Beitrag nicht komplett, aber speziell an dieser Stelle im Zitat hätte ich jetzt gesagt, dass die Schlussfolgerung gegenteilig sein müsste. Wenn etwas IMMER da ist, dann ist doch eine Momentaufnahme aussagekräftig für die Gesamtheit, eben weil es immer da ist, also konstant, egal in welchem Moment.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • demnach gibt es für dich auch "autistischere Tage" oder Phasen bei NT's?

    Ich würde vermuten, daß es energiereiche, gute Tage bei Autisten gibt, in denen sie oberflächlich weniger auffällig wirken (z.B. besser Augenkontakt halten), und daß es miese Tage bei NTs gibt, in denen sie kommunikationsgestörter wirken. Also jeder hat um seine Diagnoseschwere herum so einen Kreis, in dem er sich bezüglich seiner Auffälligkeiten bewegen kann, und wer eher dicht an der Diagnosegrenze zu etwas liegt, wird an einem guten Tag vielleicht nicht diagnostiziert und an einem schlechten schon. Wer dagegen schwer betroffen ist, wird auch diagnostiziert, wenn er sich gerade am unteren Rande seiner persönlichen Schwankungsskala bewegt. Und dann hängt es natürlich noch davon ab, auf welche Symptome die Diagnostiker besonders achten und ab wann sie da jemanden als auffällig oder gestört einstufen. Das sehe ich ja an mir selbst, ich wurde je nach Fachmann unterschiedlich "problematisch" bewertet, weil deren Einstellungen/Bewertungen unterschiedlich waren, obwohl ich nun nicht soooo verschieden war (habe immer viel geredet, diskutiert und freimütig alles beantwortet).

  • Wenn etwas IMMER da ist, dann ist doch eine Momentaufnahme aussagekräftig für die Gesamtheit,

    Wenn du z.B. eine soziale Phobie hast, dann fällt sie je nach Lebensumfeld und Tagesform mal mehr auf und mal weniger, und mal kann man sich eher öffnen und mal nicht. Deshalb kann man an einem Tag eher unauffällig wirken und an einem anderen auffälliger, obwohl man diese Phobie immer in sich trägt. Bei mir gibt es auch starke Schwankungen, aber innerlich bin ich natürlich immer dieselbe mit denselben Persönlichkeits-"Hindernissen".

  • Ja, es ging mir da um dasselbe Argument, das Shenya noch einmal besser ausgedrückt hat. Dass eine Momentaufnahme ja eigentlich dann umso aussagekräftiger sein müsste, weil man eben entweder autistisch ist, und das auch dauerhaft, oder eben nicht. Und weil es keine Anreihung von Verhaltensmustern ist, die "willkürlich auftauchen", da hätte man ja mit einem Diagnostiktermin fast eine Art Lotteriespiel.

    Edit: Vorausgesetzt natürlich, ein Diagnostiker ist in der Lage, autistisches Verhalten von neurotypischen Problematiken zu unterscheiden, sodass es nur die Fehldiagnose "Kein AS" weil unauffällig gibt, nicht aber die Fehldiagnose "AS" weil einen schlechten Tag.

    "Ich? Gescheitert? Niemals!
    ... Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren." -Thomas Edison, zumindest so ähnlich

    Einmal editiert, zuletzt von Blaubeere (25. Mai 2018 um 16:07)

  • Dass eine Momentaufnahme ja eigentlich dann umso aussagekräftiger sein müsste,

    Das würde aber voraussetzen, daß man ALLES in dieser Momentaufnahme festhalten, beobachten, richtig zuordnen und bewerten kann. Wenn jemand kurze Zeit in einer künstlichen, geschützten Gesprächssituation einem (auch nicht allwissenden und umfassend erfahrenen) Psychiater gegenübersitzt, ist diese "Momentaufnahme" eben nur ein kleiner Bruchteil dessen, was insgesamt korrekt beobachtet und erklärt werden könnte, rein theoretisch gesehen. Und diese Momentaufnahme nimmt leider auch nur das gezeigte und beobachtbare Verhalten auf, nicht das innere Erleben und Verarbeiten, auf das ja bei der Diagnostik zurückgeschlossen werden muß. Dasselbe Verhalten kann verschiedene Gründe haben, und umgekehrt können konträre Verhaltensweisen zwei Strategien zum Umgang mit demselben Problem sein - das in kurzer Zeit nur durch Gespräche und Fragebögen herauszufinden, finde ich ohnehin eine Mammutaufgabe. Eigentlich müßte man die Person länger beobachten, auch unter Alltagebedingungen und vor allem unter Streß (dann bricht oft die Fassade bzw. Kompensationsstrategien weg, deshalb finde ich solche Momentaufnahmen besonders wertvoll).

    Mich wundert in dem Zusammenhang, weshalb nicht auch in der normalen Diagnostik häufiger Videoaufnahmen gemacht werden, um wenigstens kein beobachtbares Verhalten zu verpassen und das auch durch mehrere Beobachter im Nachhinein bewerten lassen zu können. :idea:

  • 1) Die Annahme, Autismus als eine Form von Verhaltensmustern zu betrachten, inkludiert wortlautgemäß keine Konsistenz über einen gewissen Zeitraum.
    Das heißt wiederum, dass Autismus folglich dieser Betrachtung tatsächlich eine Momentaufnahme ist und eine besagte Konsistenz ja gar nicht von Nöten ist.

    Gemeint sind, wie Neoni auch schon schreibt, überdauernde Verhaltensmuster. Autismus ist eine Entwicklungsstörung, da werden (günstigerweise) sehr lange Zeiträume überblickt, um eine Diagnose zu stellen. Da gehts doch gar nicht um Momentaufnahmen, das sind dann nur Anekdoten. Wenn zu lesen ist, dass die Diagnose verhaltensbasiert ist, ist damit jedenfalls nicht so etwas wie die "Tagesform" gemeint, sondern eher, wie sich die Person im Leben so einrichtet, ihre sozialen Beziehungen gestaltet, den Alltag verlebt, und das über Jahre. Es ist sehr wohl eine gewisse Zeitstabilität verlangt.


    Die Folge dessen ist eine, den meisten Patienten nicht einmal bewusste, Diskrepanz zwischen Schein und Wahrheit.
    Man könnte es auch Täuschung nennen.
    Dem Patienten wird vermittelt, dass es gute Gründe für etwas gibt, wirklich sicher kann man sich aber nie sein.
    Der Patient wird damit dann alleine gelassen

    Also die Autismusfachleute, denen ich so begegnet bin, reflektieren das durchaus auch gegenüber den Patienten. Ich habe da so gar nicht den Eindruck, dass von absoluten Weisheiten gesprochen wird, sondern die Autismusforschung etwas ist, was sehr "im Fluss" ist.

    Man darf gespannt sein auf neurobiologische oder andere fachlich verwandte, wissenschaftliche Tests, die dem Ganzen endlich eine Seriosität verleihen, die es allem Anschein nach, verdient.

    Sicher wäre eine verlässlichere Diagnostik schöner. Aber im Sinne einer Kosten-Nutzen-Abwägung frage ich mich wirklich, ob da die genaueste Aufschlüsselung der Hintergründe des Autismus eine der vordringlichen Aufgaben für die medizinische Forschung sein sollte. Da gibt es anderswo viel größeren Notstand. An Autismus stirbt man jedenfalls nicht.
    Zudem gibt es immer den Spruch: "Wer heilt, hat recht". Wenn schon die Diagnosestellung bzw. therapeutische Angebote als Folge dem Patienten helfen, ist das doch eine positive Sache. Auch dann, wenn man etwas nicht 100% erklären kann. Meiner Erfahrung nach interessieren sich längst nicht alle im Spektrum für die theoretischen Hintergründe, sondern wollen eher praktische Hilfen dafür, wie sie ihr Leben verbessern können.


    Im Allgemeinen möchte ich mir erlauben zu schreiben, dass dein Beitrag relativ kompliziert herüberkommt, nicht sonderlich zugänglich für den Leser ist. Das liegt vor allen Dingen an deiner Wahl des sprachlichen Ausdrucks. Womöglich aber war das ja auch unabdingbar, weil Philosophen manchmal dazu neigen, sehr auf exakte Formulierungen bedacht zu sein ;) .

  • @Cloudactive, demnach gibt es für dich auch "autistischere Tage" oder Phasen bei NT's?
    Ansonsten ließe sich ja von einem Termin, bei dem eine Momentaufnahme eine autistische Person zeigt, auch darauf schließen, dass diese betroffen ist.
    Oder der Patient spielt, um es einmal so provokativ auszudrücken.

    1) Um darauf jetzt eine vertretbare Antwort geben zu können, müsste ich wissen, was du genau mit "Phasen" meinst.
    Ich gehe also erst mal von meiner Ansicht aus:

    Ja, ich denke durchaus, dass einige Menschen "autistische Tage bzw. Momente" haben und Autisten an manchen Tagen weniger autistisch sind, als an anderen.
    Wobei Tage schon relativ hochgegriffen sind, es handelt sich bei den üblichen Diagnostiken ja lediglich um ca. 2h.
    In Ausnahmefällen vielleicht auch bis zu 5h.
    Da kann der eine aber eben tags zuvor einen schlechten Tag gehabt haben, sich in einer Depression mit sozialer Phobie befinden, die Zeit zuvor auf der Arbeit gewesen sein, an irgendetwas rumgewerkelt haben, sehr lange mit dem Zug zur Universitätsklinik gefahren sein :roll: o.ä., während der andere sich die ganze Zeit vorher entspannen konnte.
    Wer mit welchen vorhergehenden Aktivitäten wahrscheinlich autistischer wirken wird, ist deduzierbar:
    So werden die entspannten vermutlich eher nicht so auffallen, wie die gestressten.

    Natürlich benehmen Autisten sich manchmal auch wie NTs, sonst gäbe es z.B. nicht die späten Diagnosen und die Anmerkung, dass man Autismus einem nicht ansieht.
    Nur weil einer mit den Händen flattert, nicht spricht oder nicht in die Augen schaut, heißt es ja nicht gleich abschließend Autismus.
    Da kann es eben mehrere Gründe dafür geben, Stichwort: Differenzialdiagnostik.

    (Ich gehe die ganze Zeit von problematischen und nicht eindeutig abgrenzbaren Fällen aus.)


    2) Ja, deine letzten beiden zitierten Sätze zeigen, dass du es fast verstanden hast.

    Also, warum Momentaufnahmen unter Annahme der Position 2) aus meinem vorigen Beitrag nicht aussagekräftig sind:

    Da Position 2) (pro Grund-Entität) eine Konsistenz voraussetzt, kann anhand einer Momentaufnahme keine Konsistenz gewährleistet werden, da eine Momentaufnahme per definitionem keine unmittelbare Erkenntnis über Konsistenz ermöglicht.
    Was Erinnerungen und "Zeugenaussagen" betrifft, so schrieb ich meine Bedenken dazu bereits ausführlich.
    Ich schrieb auch etwas zum Thema Subjektivität seitens des Behandelnden.
    Daraus folgt, dass für eine wirklich aussagekräftige Diagnose, eine unmittelbare Erkenntnis über die Konsistenz erforderlich wäre.


    dass die Schlussfolgerung gegenteilig sein müsste. Wenn etwas IMMER da ist, dann ist doch eine Momentaufnahme aussagekräftig für die Gesamtheit, eben weil es immer da ist, also konstant, egal in welchem Moment.

    Sie ist eben durch das mögliche Auftreten eines vorübergehenden autistischen Verhaltens nicht aussagekräftig.
    Natürlich könnte man in einer Momentaufnahme etwas feststellen, was immer da ist, aber da es eben sein kann, (durch die mangelnde Kenntnis über die Konsistenz) dass es eben nicht immer so ist/war, ist es durch fehlendes Ausschlussverfahren nicht sicher, dass es genau dies oder das ist (was sich eben definitionsgemäß durch Konsistenz auszeichnet).
    Man muss beide Seiten betrachten.

    Wenn man diese nötige Konsistenz eben nicht hätte, ( Position 1) des obigen Beitrags) gäbe es dieses Problem tatsächlich nicht.
    Dann würde man der genetischen Veranlagung allerdings nicht gerecht werden.
    Diese Position wird ja auch derzeit methodisch vertreten, weil man sich nicht anders zu helfen weiß, ohne etablierte geeignetere Methoden ist man eben dazu gezwungen.


    Ich würde vermuten, daß es energiereiche, gute Tage bei Autisten gibt, in denen sie oberflächlich weniger auffällig wirken (z.B. besser Augenkontakt halten), und daß es miese Tage bei NTs gibt, in denen sie kommunikationsgestörter wirken. Also jeder hat um seine Diagnoseschwere herum so einen Kreis, in dem er sich bezüglich seiner Auffälligkeiten bewegen kann, und wer eher dicht an der Diagnosegrenze zu etwas liegt, wird an einem guten Tag vielleicht nicht diagnostiziert und an einem schlechten schon. Wer dagegen schwer betroffen ist, wird auch diagnostiziert, wenn er sich gerade am unteren Rande seiner persönlichen Schwankungsskala bewegt. Und dann hängt es natürlich noch davon ab, auf welche Symptome die Diagnostiker besonders achten und ab wann sie da jemanden als auffällig oder gestört einstufen. Das sehe ich ja an mir selbst, ich wurde je nach Fachmann unterschiedlich "problematisch" bewertet, weil deren Einstellungen/Bewertungen unterschiedlich waren, obwohl ich nun nicht soooo verschieden war (habe immer viel geredet, diskutiert und freimütig alles beantwortet).

    Richtig, sehe ich auch so.
    Kleines Beispiel:
    So auch bei mir, bei einem Test schien ich wohl nicht hinreichend monoton und auffällig gesprochen zu haben, in den anderen allerdings schon und auch andere sprachen diese Eigenheit bei mir an.
    Den Punkt dafür habe ich da nicht bekommen.


    da hätte man ja mit einem Diagnostiktermin fast eine Art Lotteriespiel.

    :d
    Was meinst du, wie viele unterschiedliche Diagnosevorschläge ich schon gehört habe von verschiedenen eigentlich ernst zu nehmenden Fachpersonen?
    Selbst bei Anwälten hört man immer mal wieder anderes, obwohl es da festgeschrieben Gesetze gibt, könnte man meinen. :roll:


    Das würde aber voraussetzen, daß man ALLES in dieser Momentaufnahme festhalten, beobachten, richtig zuordnen und bewerten kann. Wenn jemand kurze Zeit in einer künstlichen, geschützten Gesprächssituation einem (auch nicht allwissenden und umfassend erfahrenen) Psychiater gegenübersitzt, ist diese "Momentaufnahme" eben nur ein kleiner Bruchteil dessen, was insgesamt korrekt beobachtet und erklärt werden könnte, rein theoretisch gesehen. Und diese Momentaufnahme nimmt leider auch nur das gezeigte und beobachtbare Verhalten auf, nicht das innere Erleben und Verarbeiten, auf das ja bei der Diagnostik zurückgeschlossen werden muß. Dasselbe Verhalten kann verschiedene Gründe haben, und umgekehrt können konträre Verhaltensweisen zwei Strategien zum Umgang mit demselben Problem sein - das in kurzer Zeit nur durch Gespräche und Fragebögen herauszufinden, finde ich ohnehin eine Mammutaufgabe. Eigentlich müßte man die Person länger beobachten, auch unter Alltagebedingungen und vor allem unter Streß (dann bricht oft die Fassade bzw. Kompensationsstrategien weg, deshalb finde ich solche Momentaufnahmen besonders wertvoll).

    Mich wundert in dem Zusammenhang, weshalb nicht auch in der normalen Diagnostik häufiger Videoaufnahmen gemacht werden, um wenigstens kein beobachtbares Verhalten zu verpassen und das auch durch mehrere Beobachter im Nachhinein bewerten lassen zu können.

    So hätte ich es gerne geschrieben.
    Danke dafür.

    Sicher wäre eine verlässlichere Diagnostik schöner. Aber im Sinne einer Kosten-Nutzen-Abwägung frage ich mich wirklich, ob da die genaueste Aufschlüsselung der Hintergründe des Autismus eine der vordringlichen Aufgaben für die medizinische Forschung sein sollte. Da gibt es anderswo viel größeren Notstand. An Autismus stirbt man jedenfalls nicht.

    Also grds. liegt ja das große Interesse an einer biologischen Testung daran, dass man Betroffene schon vor dem 3. Lebensjahr, also so früh wie möglich erkennen kann und ihnen präventiv geholfen werden kann.
    Gibt ja wohl relativ große Erfolge, wenn man die Versuche frühkindlicher Förderungen betrachtet.

    http://www.spiegel.de/gesundheit/psy…n-a-876742.html

    "Als Ron Breining* drei Jahre alt ist, kann er weder "Mama" noch "Papa" sagen. Anderen Menschen sieht er nicht in die Augen, er spielt mit sich allein und immer nur das Gleiche. Ron hat frühkindlichen Autismus. Knapp vier Jahre später besucht er eine reguläre Grundschule, fragt Klassenkameraden, ob sie mit ihm spielen wollen, kennt Zahlen und Buchstaben, kann schreiben. "

    Wobei man da eben auch das Problem hat, nicht zu wissen, wie die Kinder sich sonst weiter entwickelt hätten. :d :roll:

    „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
    (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.)

  • Natürlich könnte man in einer Momentaufnahme etwas feststellen, was immer da ist, aber da es eben sein kann, (durch die mangelnde Kenntnis über die Konsistenz) dass es eben nicht immer so ist/war, ist es durch fehlendes Ausschlussverfahren nicht sicher, dass es genau dies oder das ist

    Ach so, jetzt verstehe ich das.

    Aber anscheinend gehen die Diagnostiker davon aus, dass das, was man sieht, so spezifisch ist, dass sie trotzdem die Diagnose stellen können... zumindest in den klareren Fällen und bei großer Erfahrung des Diagnostikers.

    In den unklaren Fällen braucht man dann zusätzliche Termine.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

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