Spektrumsgrenzen und Neurotypikalität

  • Hallo,
    ich frage mich schon seit einiger Zeit, inwiefern denn die Spektrumsauffassung ausdefiniert ist. Ich stimme vollkommen damit überein, dass sich Autismus über ein Spektrum erstreckt, dass verschiedenste Ausformungen hat und so divers wie die Zahl von Autisten selbst ist. Meist liest man dann die Formulierung, das Spektrum erstrecke sich bis in die Normalbevölkerung hinein. Aber weiter reicht die Definition oder Erklärung nicht. Neurotypikalität ist doch gewiss auch kein gleichförmiger Zustand, der komplett ohne Spektrum auskommt. Autisten haben ja nicht das Spektrum gepachtet. Gibt es Versuche, auch unter Neurotypischen so etwas wie ein Spektrum zu beschreiben?
    Ich hoffe, ihr wisst in etwa, was ich damit meine.
    Viele Grüße,
    Kevin

  • Hmm, viel eher warum es im Autismus ein Spektrum geben soll, aber die neurotypische Welt gleich und ohne Spektrum sein soll. Wenn man Autismus als eine Normvariante der Gehirnvernetzung und Informationsverarbeitung sehen will, dann muss ebenfalls spiegelbildlich verschiedene Ausformungen neurotypischer Verarbeitung in Spektrumform ansetzen.

  • So kann man das betrachten, aber beide Spektren müssen zwangsläufig verknüpft sein, weil eine Lücke zwischen beiden unlogisch wäre.
    Das müsste also so aussehen, wobei ich einfach mal NT und AS mit Ausprägungsstärken +0- verknüpfe:
    NT+...NT0...NT-...AS-...AS0...AS+

  • Hmm, viel eher warum es im Autismus ein Spektrum geben soll, aber die neurotypische Welt gleich und ohne Spektrum sein soll.

    Das ist ein einziges Spektrum, was von autistisch bis neurotypisch geht. Jeder NT hat autistische Anteile und jeder Autist hat neurotypische Anteile. Und doch wird da irgendwo die Grenze zwischen "hat AS" und "hat kein AS" gesetzt. Die wird in der Regel da gesetzt, wo klinisch relevante Einschränkungen zu sehen sind.
    Die neurotypische Welt ist also auch auf dem Spektrum angeordnet, symmetrisch zu Autismus.

  • Ich glaube, dass man Neurotypikalität nicht als Spektrum beschreibt, weil das ja als der "Normalzustand" definiert wird. Ein NT-Mensch wird nicht zum Arzt oder Psychologen gehen, weil er NT ist und/oder sich eine NT bescheinigen zu lassen. Man nimmt ja Diagnostik eher in Anspruch, wenn man glaubt, dass etwas nicht so ganz der Norm entspricht. Der Begriff der Spektrums erleichtert, aus meiner Sicht, lediglich die Diagnostik.

    Phänomena, die nicht der Norm entsprechen- egal, ob nun rein somatischer (körperlicher) oder psychologischer Natur- werden dann meistens so definiert, dass man sie irgendwie objektiv diagnostizieren kann. Sie sind aber selten schwarz oder weiß. In der Medizin/Psychologie ist eigentlich nichts schwarz oder weiß. Selbst gut definierte Krankheitsbilder weisen extrem großer interindividuelle Unterschiede auf- sogar auf molekularer Ebene kann man bei ein und demselben Krankheitsbild bei unterschiedlichen Menschen Unterschiede identifizieren (z.B. unterschiedliche mutierte Gensegmente oder unterschiedliche Mutationen, die sich aber im gleichen Krankheitsbild äußern). Im Prinzip könnte man jede Krankheit (bis auf wenige Ausnahmen) als ein Spektrum definieren- man wird aber feststellen, dass die meisten Krankheiten hinsichtlich der Ausprägung von Symptomen in die eine oder andere Richtung gewichtet sind. Es ist selten so, dass ein einziger Faktor (z.B. eine einige Mutation eines einzigen Gens) zur Krankheitsausprägung führt.

    Was ich damit sagen will: es gibt bestimmte Symptomkonstellationen, welche die Diagnose einer bestimmten Krankheit zulassen. Aber manchmal ist das Krankheitsbild so vielfältig ausgeprägt, dass man nicht sagen kann, dass nur ein Mensch mit x Symptomen diese Krankheit hat, sondern dass es vielleicht bestimmte Kernsymptome gibt, weitere Symptome aber variabel ausgeprägt sein können, ohne, dass das etwas an der Diagnose ändern würde. Deswegen nimmmt man das Konzept eines Spektrums/Kontinuums- das erleichtert vor allem die Diagnostik. Bei Neurotypikalität gibt es dieses Problem nicht, weil man das ja i.d.R. nicht diagnostizieren muss. Die meisten Menschen wissen das auch ohne Diagnose bzw. machen sich darüber keine Gedanken, weil ihnen und ihrem Umwelt alles "normal" vorkommt.

    Also, ich kann deine Idee verstehen. Sicherlich ist Neurotypikalität auch ein Spektrum- aber es gibt anscheinend einfach keinen Bedarf das so zu definieren. Die Grenze zum Autismusspektrum ist wahrscheinlich dort erreicht, wo ein Individuum einen Leidensdruck verspürt, oder wo die Schnittmenge mit dem Autismus-Spektrum so groß wird, dass eine Diagnose gestellt werden kann (Auftreten von "Kernsymptome").

    Ein Beispiel: es gibt bestimmt auch nicht-autistische Menschen mit Spezialinteressen, ohne Leidensdruck. Wenn diese Menschen aber keine Probleme mit sozialer Interaktion haben, immer gut mit ihren Mitmenschen klargekommen sind und ansonsten ein unauffälliges Leben leben, würde niemand auf die Idee kommen, die Diagnose "Autismus" zu stellen. Strenggenommen erfüllt diese Person aber ein Kriterium für Aspeger Autismus. Es fehlen aber alle andere Symptome, daher keine nennenswerte Schnittmenge zum Autismus-Spektrum. Auf einem fiktiven Neurotypikalitätsspektrum wäre diese Person aber vielleicht nicht so ganz in der Mitte, sondern vielleicht in die Nähe eines Extrems gerutscht. Das ist aber kein Problem. Das ist oft so.

    Der wichtigste Faktor ist aber wahrscheinlich, dass diese Person, und generell NT-Personen, in der Regel keinen Leidensdruck empfinden (es sei denn natürlich, es gibt andere Symptome, die für eine bestimmte Krankheit sprechen würde). Es wäre daher, aus meiner Sicht, nicht besonders zielführend Neurotypikalität als ein Spektrum zu definieren.

  • Hmm, viel eher warum es im Autismus ein Spektrum geben soll, aber die neurotypische Welt gleich und ohne Spektrum sein soll.

    Ich halte von dem Begriff "neurotypisch" nichts und verwende ihn auch nur der Gängigkeit und Einfachheit in AS-Foren wegen. "neurotypisch" wurde afaik von Autisten erfunden und ich halte das für eine sehr unscharfe und schwammige, aber manchmal praktische Bezeichnung für eine "graue Masse" um den Autismus herum. Es ist nur meine Meinung, aber ich halte es für kontraproduktiv und absurd die Menschen um sich herum so einheitlich "NT-grau" zu sehen oder zu behaupten, dass sie "neurotypisch" seien. Woher soll man das wissen? Es gibt Menschen, die kommen aspie-like daher, ohne dass sie vermutlich in die AS-Schublade gehören. Ich finde solche Schubladen, auch wegen der zunehmenden Masse oft etwas kitschig, aber es gibt natürlich Situationen und Orte, wo so eine Schublade im Sinne einer Diagnose wichtig sein kann oder gar als Erklärungsmodell existieren muss (→ Ämter, → Behörden). Für mich gibt es Menschen. Unter ihnen befinden sich z. B. Aspies und ganz viele andere Menschen (→ neurologische Vielfalt).

    Kurz: die "neurotypische" Welt ist eben nicht so gleich, das haben die damaligen Schöpfer nur so grau gesehen. Die haben sich verguckt. :d Ich sehe auch innerhalb des ASS im AS nochmals ein Spektrum, weil ich auch nicht alle Aspies sonderlich gleich finde, sondern auch dort öfters derbe Unterschiede beobachte. Bei manchen habe ich das Gefühl sie ticken ähnlich, andere hingegen überhaupt nicht (was aber nicht bedeutet, dass ich deshalb Zweifel bei ihnen habe, die können genauso bei mir liegen bzw. es wäre auch eine öde graue AS-Welt, wenn Aspies so einheitlich grau und einfach gestrickt wären :d ).

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  • "Neurotypisch" klingt auch wie eine Störung irgendwie. Vielleicht soll das irgendwie tröstend wirken? "Mach dir nichts draus autistisch zu sein, andere sind dafür neurotypisch"...

  • "Neurotypisch" klingt auch wie eine Störung irgendwie. Vielleicht soll das irgendwie tröstend wirken? "Mach dir nichts draus autistisch zu sein, andere sind dafür neurotypisch"...

    Haha, ja, das finde ich auch! :D Wir haben definitiv auch etwas "besonderes" an uns, das NTs nicht haben.

  • "Er ist neurotypisch"
    "Och, das tut mir leid. Wie kommt er damit im Leben klar? Fällt es dir schwer mit ihm umzugehen?"
    :D

    Es hat ja auch diese Auswüchse angenommen, also es war wohl früher hier so, dass "neurotypisch" teilweise abwertend verwendet wurde. Als wären Autisten was Besseres.

  • Es hat ja auch diese Auswüchse angenommen, also es war wohl früher hier so, dass "neurotypisch" teilweise abwertend verwendet wurde. Als wären Autisten was Besseres.

    Ich hatte früher oft den Eindruck, dass am Asperger-Syndrom viel mehr die "Besonderheiten" faszinierten als die langweiligen Gemeinsamkeiten mit "NT" oder die zu gewöhnlichen Probleme. Ohne diese "Besonderheiten" wäre das Asperger-Syndrom vermutlich eine stinklangweilige Diagnose, die kaum herausragt. AS? Schizoide PS? NPS? Ach alles langweilig - will keiner haben, will keiner sein. Normal sein ist nicht in, nicht normal sein ist aber auch zu langweilig - besonders sein, das ist cool. :d


    Hinweis: Der Beitrag ist mit einer Prise Humor gezuckert.

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  • Phänomena, die nicht der Norm entsprechen- egal, ob nun rein somatischer (körperlicher) oder psychologischer Natur- werden dann meistens so definiert, dass man sie irgendwie objektiv diagnostizieren kann. Sie sind aber selten schwarz oder weiß. In der Medizin/Psychologie ist eigentlich nichts schwarz oder weiß. Selbst gut definierte Krankheitsbilder weisen extrem großer interindividuelle Unterschiede auf- sogar auf molekularer Ebene kann man bei ein und demselben Krankheitsbild bei unterschiedlichen Menschen Unterschiede identifizieren (z.B. unterschiedliche mutierte Gensegmente oder unterschiedliche Mutationen, die sich aber im gleichen Krankheitsbild äußern). Im Prinzip könnte man jede Krankheit (bis auf wenige Ausnahmen) als ein Spektrum definieren

    Bei somatischen Erkrankungen sind hämatologische Tumore (Leukämien und Lymphome) ein sehr gutes Beispiel. Mit jeder ICD-10- bzw. ICD-O-Neuauflage hat sich da die Einteilung wieder verändert. Selbst wenn man weiß, welche Zelllinie nun der Übeltäter ist (myeloische, b-lymphozytische, t-lymphozytische etc.) gibt es immer noch unzählige Variationen, so dass, genau besehen, jeder Patient seinen ganz eigenen "Blutkrebs" hat. Irgendwie muss man dieses Spektrum aber unterteilen - aus klinischen Gründen, um eine Behandlung auswählen zu können, aus molekularbiologischen Motiven, um die Grundlagen besser zu verstehen usw. Und die klinische Einteilung, die die Therapie im Sinn hat, entspricht dabei (noch) nicht zwangsläufig den Erkenntnissen der Grundlagenforschung. Und mit Vorstufen wie MGUS z.B., die ärztlicherseits einfach nur beobachtet werden, ist auch der Übergang zum nicht-pathologischen Bereich ("Gesundheit") nicht so ganz klar zu verorten.

    "Ich würde nie einem Club beitreten, der bereit wäre, jemanden wie mich als Mitglied aufzunehmen" (Groucho Marx) “Sich zu akzeptieren als den, der man ist, ohne etwas anderes sein zu wollen - das ist Freiheit“ (Ramesh Balsekar)

    Einmal editiert, zuletzt von Bhai (21. Februar 2016 um 06:20)

  • Hallo, vielen Dank für die vielen Antworten. :)
    Mit dem Begriff "neurotypisch" habe ich eben das Problem, das ich hier angesprochen habe. Ich bin froh, dass es einen Begriff gibt, unter den man "Nicht-Autisten" fassen kann, das halte ich für wichtig. Allerdings führt das zu genau dem, was man durch den Spektrumsbegriff beim Autismus verhindern will: Über-einen-Kamm-Scherung.
    Im Autismusspektrum gibt es ja mehrere Spektren, ein horizontales und ein vertikales. Jemand mag durch die Gesamtheit seiner Symptome zum Asperger-Autismus gehören und dadurch weiter links im milden Autismusspektrum platziert sein. Aber er selbst weist ein völlig individuelles Spektrum an Autismuscharakteristika auf, das jedes für sich alleine auf einem vertikalen Spektrum liegt, er mag zum Beispiel häufiger non-verbal sein als jemand der eigentlich weiter rechts im horizontalen Spektrum liegt. Diese spektrale Ausdifferenzierung muss in meinen Augen nichts mit einem Leidensdruck zu tun haben. Ich kann verstehen, dass es erst dann bei einem solchen ausdefiniert wird, aber die Abwesenheit von Leidensdruck steht nicht für ein Nicht-Spektrum, denke ich.
    Wenn Autismus als eine Varietät von Informationsverarbeitung steht und nicht für eine niedere, krankhafte Abart von "normaler" Informationsverarbeitung, dann ist ja völlig auszuschließen, dass sich das Spektrum nur auf Autisten beschränkt.
    Ein Aspekt der Informationsverarbeitung im Autismusspektrum ist das Auge fürs Detail und das "Un-Auge" fürs große Ganze. Bei "Menschen aus dem neurotypischen Spektrum" (nennen wir es politisch mal so ;)) ist eher vorherrschend, dass sie das Auge für das große Ganze haben, Details aber weniger verarbeiten. (Beides hat Vor- und Nachteile, daher gibt es kein Besser oder Schlechter.) Inwieweit sich beides die Waage gibt, ist ja perfekt auf einem Spektrum abzubilden. Die Mitte, also das perfekte Maß zwischen Auge fürs Detail und Auge fürs Ganze, ist dann auch der Bereich, wo sich nach links das neurotypische Spektrum (oder eher die neurotypische Hälfte des ganzen Spektrums) ergibt und rechts das autistische Spektrum. Leidensdruck würde ich nicht als Kriterium für die Einteilung und Artung des Spektrum nehmen. Es gibt ja auch genug Menschen, die selbst mit starken Autismuszeichen keinen Leidensdruck empfinden, weil sie als Variation menschlichen Seins sehen, nicht als Nicht-Normalsein. Ich kenne auch Menschen auf dem neurotypischen Spektrum, die ich ganz weit links ansiedeln würde, die ultra-sozial umgänglich sind und sowas von kein Auge fürs Detail haben, dass ich mich manchmal frage, wie diese Menschen überhaupt noch einzelne Dinge wahrnehmen können. Das kann auch negativ sein und selbst für die Betroffen von "starker Neurotypikalität" einen Leidensdruck darstellen. Aber weil so etwas noch nie ausformuliert wurde, wissen sie gar nicht, dass es überhaupt "ein Ding" ist, wegen zu starker Neurotypikalität zu leiden. (Wahrscheinlich passt dann auch neurotypisch gar nicht mehr für diesen Umstand.) Deswegen finde ich, wäre es gar nicht schlecht, auch jenseits des Autismus zu schauen, inwiefern sich da alles ausgestaltet.
    Also ich bin natürlich absoluter Laie und kenne mich wenig mit Neurologie, Psychologie, Psychiatrie und sonst was aus. Aber das wären meine Gedanken dazu. Ich habe aber immer Probleme, mich ordentlich auszuformulieren. Ich hoffe, dass das meiste irgendwie verständlich war.

  • Ich finde, man sollte die klassischen Kategorien frühkindlicher Neuropypismus, Asperger-Neurotypismus, hochfunktionaler Neurotypismus und atypischer Neurotypismus aufgeben und nur noch von neurotypischer Spektrumstörung sprechen. :irony: :fun:

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
    Morgen werde ich mich ändern, gestern wollte ich es heute schon. (Christine Busta)

  • Im Autismusspektrum gibt es ja mehrere Spektren, ein horizontales und ein vertikales. Jemand mag durch die Gesamtheit seiner Symptome zum Asperger-Autismus gehören und dadurch weiter links im milden Autismusspektrum platziert sein. Aber er selbst weist ein völlig individuelles Spektrum an Autismuscharakteristika auf, das jedes für sich alleine auf einem vertikalen Spektrum liegt, er mag zum Beispiel häufiger non-verbal sein als jemand der eigentlich weiter rechts im horizontalen Spektrum liegt.

    Was du mit horizontalem Spektrum und vertikalem Spektrum meinst weiß ich nicht. Muss ich ja auch nicht (es ist nicht so wichtig).
    Aber zu dem nonverbal sein: Jmd mit AS/HFA kann Situationen haben in denen er nicht sprechen kann (emotional-, stress- oder krankheitsbedingt). Jmd mit AS/HFA kann auch Mutismus bzw selektiven Mutismus haben (selektiver Mutismus = nur in bestimmten Situationen, zB Schule, spricht derjenige nicht); bloß ist das in meinem Verständnis ein anderes nonverbal-sein als bei niedrigfunktionalem frühkindlichen Autismus.

    Diese spektrale Ausdifferenzierung muss in meinen Augen nichts mit einem Leidensdruck zu tun haben.

    Sehe ich auch so. Es kommt ja nicht auf Leidensdruck an, sondern auf klinisch relevante Beeinträchtigungen. Und jmd kann klinisch relevante Beeinträchtigungen haben und dennoch dabei sich gut fühlen, glücklich sein. (Etwa wie bei geistiger Behinderung: ist wohl zweifellos eine klinisch relevante Beieinträchtigung, Menschen mit geistiger Behinderung können aber dennoch glücklich sein).

    Ich finde, man sollte die klassischen Kategorien frühkindlicher Neuropypismus, Asperger-Neurotypismus, hochfunktionaler Neurotypismus und atypischer Neurotypismus aufgeben und nur noch von neurotypischer Spektrumstörung sprechen. :irony: :fun:

    :d
    Ich frage mich ob es demnächst dann auch eine Depression-Spektrum-Störung gibt oder eine Schizophrenie-Spektrum-Störung oder was auch immer... vielleicht gibts sogar irgendwann gar keine verschiedenen psychiatrischen Diagnosen mehr sondern nur noch eine Psychiatrie-Spektrum-Störung...
    und der Spektrumisierungswahn geht dann vielleicht auch irgendwann auf die körperlichen Erkrankungen über und wir haben dann eine Kopfschmerz-Spektrum-Störung, eine Fußlahm-Spektrum-Störung etcpp... *g*

  • Ein Aspekt der Informationsverarbeitung im Autismusspektrum ist das Auge fürs Detail und das "Un-Auge" fürs große Ganze. Bei "Menschen aus dem neurotypischen Spektrum" (nennen wir es politisch mal so ;)) ist eher vorherrschend, dass sie das Auge für das große Ganze haben, Details aber weniger verarbeiten. (Beides hat Vor- und Nachteile, daher gibt es kein Besser oder Schlechter.) Inwieweit sich beides die Waage gibt, ist ja perfekt auf einem Spektrum abzubilden.

    Es gibt inzwischen die Neurodiversitätsbewegung die sich nicht auf Autismus- oder NT-Spektrum beschränkt. Denn jedes Gehirn entwickelt sich individuell einzigartig. Also ist eigentlich jeder eine Minderheit. Diese Bewegung hätte meiner Meinung nach zuerst entstehen müssen, gleich nach dem 2. Weltkrieg, und alles folgende dann als Teil davon. Hätte man Hans Asperger nicht vergessen, wäre es vielleicht auch so gekommen. Nun müssen wir alles erstmal wieder 'vom Kopf auf die Füße stellen' (RW)

    Der Psychoanalytiker Bernd Nissen schrieb im Psychotherapeutenjournal 02/2015 einen langen Artikel über autistische und autistoide Dynamiken, die Psychotherapien in Sackgassen führen können und auch z.T. bei nichtautistischen Patienten vorkommen.

    Auch beim letzten Autismus-Tag in Berlin war von fließenden Übergängen die Rede, das habe ich so verstanden, dass es auch für den Übergang vom neurotypischen zum autistischen Spektrum gilt.

    Ich frage mich ob es demnächst dann auch eine Depression-Spektrum-Störung gibt oder eine Schizophrenie-Spektrum-Störung oder was auch immer... vielleicht gibts sogar irgendwann gar keine verschiedenen psychiatrischen Diagnosen mehr sondern nur noch eine Psychiatrie-Spektrum-Störung...

    Es soll im ICD-11 tatsächlich eine zusätzliche Differenzierung nach Schweregrad von Erkrankungen hinzukommen. D. h. ein Psychose-Risiko-Patient kann im Voraus schon die Diagnose "abgeschwächtes Psychosesyndrom" bekommen. Das kommt Deinen Zukunftsvisionen schon sehr nahe, finde ich. Vermutlich geht es aber wieder mal darum, durch viel mehr Diagnose-Möglichkeiten viel mehr Medikamente zu verkaufen.


    PS: auch im Psychotherapeutenjournal 03/2015 gibt es einen Artikel zum Thema Autismus.

    Einmal editiert, zuletzt von Bernd R (22. Februar 2016 um 03:42)

  • :d Ich frage mich ob es demnächst dann auch eine Depression-Spektrum-Störung gibt oder eine Schizophrenie-Spektrum-Störung oder was auch immer...

    Das hat man bereits vorgeschlagen: die unterschiedlichen Formen psychotischer Störungen, wo die Übergänge ja genauso fließend sind, zu einer Kategorie "Psychose-Spektrum-Störungen" zusammenzufassen.

    Ansonsten finde ich es wenig sinnvoll, Leute mit Begriffen wie "Autismus", "Asperger" o.ä. zu etikettieren, die im Alltag keine großen Probleme haben mit ihrem Naturell. So eine Diagnose macht nur dann Sinn, wenn jemand auch wirklich Probleme hat im Leben, die darauf zurückzuführen sind. Wenn also irgendeine therapeutische oder sonstige Intervention nötig ist, die dem Betroffenen helfen kann.

    "Ich würde nie einem Club beitreten, der bereit wäre, jemanden wie mich als Mitglied aufzunehmen" (Groucho Marx) “Sich zu akzeptieren als den, der man ist, ohne etwas anderes sein zu wollen - das ist Freiheit“ (Ramesh Balsekar)

    Einmal editiert, zuletzt von Bhai (22. Februar 2016 um 06:24)

  • ... vielleicht gibts sogar irgendwann gar keine verschiedenen psychiatrischen Diagnosen mehr sondern nur noch eine Psychiatrie-Spektrum-Störung...
    [...] irgendwann auf die körperlichen Erkrankungen über und wir haben dann eine Kopfschmerz-Spektrum-Störung, eine Fußlahm-Spektrum-Störung etcpp... *g*

    Kasper gefrühstückt oder was? :o ;)

    Einmal editiert, zuletzt von 3f3ublatt (22. Februar 2016 um 12:21)

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