Fragen zu Stimming

  • Habe kürzlich ein Video gesehen, in dem jemand viele Aussagen über Stimming gemacht hat, von denen ich jedoch teils nicht weiß, ob sie Allgemeingültigkeit haben oder nur von dieser Person so gesehen werden. In Anlehnung an diese Fragen, erweitert durch weiterführende Fragen und Gedanken, die mir dazu kamen, möchte ich folgende Fragen mal allgemein in den Raum werfen:

    1. Inwiefern oder unter welchen Voraussetzungen - falls überhaupt - lassen sich die folgenden "unschönen" Verhaltensweisen bei wiederholtem Auftreten als Stimming kategoriesieren: Nägel kauen, Nase bohren / popeln, sich kratzen (z. B. sich im Ohr kratzen, Hautschuppen vom Kopf kratzen (was eventuell auch auf die Dauer zu leichten, oberflächlichen Verletzungen führen kann), Raben/Schorf wegkratzen, sich an verschiedenen Körperstellen kratzen, ohne sich dabei zu verletzen), harte rohe Nudeln zerkauen, etc. (Wobei ich dazu erwähnen muss, dass manche dieser Verhaltensweisen wenn dann vermutlich wohl kein ausschließliches Stimming sind sondern auch durch eine erhöhte Sensibilität ausgelöst, dass Leute also z. B. schneller Juckreiz empfinden bei z. B. trockener Haut, den sie nicht ignorieren können, oder dass sie das Gefühl von Popeln in der Nase stört, so dass sie sie dort weghaben wollen, etc.)

    2. Gibt es wirklich überhaupt einen wesentlichen Unterschied zwischen den motorisch unruhigen Verhaltensweisen von ADHSlern (z. B. mit Sachen rumspielen, Sachen kaputtmachen, zappeln, Stifte und Radiergummis zerkauen, den Körper auf verschiedene Art unruhig bewegen, mit dem Stuhl kippeln, etc.) und dem Stimming von Autisten? Ist es nicht beides einfach nur Stimming? Treten bestimmte Arten von Stimming nur bei der einen und bestimmte nur bei der anderen Gruppe auf? Wenn ja, warum? Ist es überhaupt irgendwo festgelegt, welche Art von Stimming jemand zeigen muss, damit man es als Autismussymptom werten kann? Und wenn ja, ist das nicht auch nur basierend auf alten Klischeevorstellungen und überholten Diagnoseschemata?

    3. Was ist der Unterschied zwischen dem Stimming, das von NTs betrieben wird, dem das von Menschen mit psychischen Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen oder Süchten betrieben wird und dem, das von Autisten, ADHSlern oder eventuell HSPlern betrieben wird?

    I could work hard to be normal, but I prefer to hold myself a higher standard. Ego lex sum.

  • Ich habe dazu folgendes gefunden (über die englische Wikipediaseite):

    Stimming is almost always a symptom of autism, but it is also regarded as part of some non-autistic individuals' behavioral patterns.[9] The biggest difference between autistic and non-autistic stimming is the type of stim and the quantity of stimming.[9]

    (Quelle: http://autism.about.com/od/autismterms/f/stimming.htm)

    Schreiber ist Nicht-Autist. Und oft mit dem Tablet im Forum, darum oft so grässliche Rechtschreibung.

  • zu 1.
    ich würde sagen, dass Stimming einen bestimmten Zweck verfolgt, nämlich auf irgend eine Weise für Entspannung zu sorgen. Wenn es das tut ist es doch fast egal, was es ist, oder?
    Ich kratze mir bei Stress die Oberarme/Beine auf und würde das schon als Stimming werten, weil mir generell stärkere Reize helfen zu entspannen und genau das dabei passiert. Ich kratze da nicht, weil es juckt, sondern einfach "nur so".

  • Möglicherweise kann/muss man unterscheiden zwischen Handlungen bei Reizüberflutung (ich kratze oder zwicken mich zB wenn im Zug andere Fahrgäste zu laut werden, also bei Stress) und "normalem" anlasslosem Stimmung. ZB das Händeflattern, was ich zwar nur gelegentlich und erst seitdem mache, seit ich drüber gelesen habe, aber: es funktioniert: ich fühle mich besser.

  • Und ich dachte es wäre "geschummelt", wenn man sich Sachen angewöhnt oder wieder angewöhnt, weil man von ihnen gelesen oder gehört hat. Ich selbst drehe mich z. B. inzwischen ab und an im Kreis, weil ich das als Kind gerne gemacht habe. Allerdings auch da schon meist ganz gezielt zum Spaß und nicht unwillkürlich. Neulich ist es mir aber unwillkürlich passiert als Kompensation von Anspannung. Dennoch frage ich mich dabei, ob das nicht nur ein Versuch ist mich noch autistischer darzustelllen vor mir selbst, um letzte Zweifel auszuräumen...

    Allerdings hast du natürlich recht. Es war auch in dem Video davon die Rede, dass man "schlechte" Stimmings nicht einfach so wegmachen kann, sondern sie durch "bessere", also harmlosere, z. B. nicht selbstverletzende Stimmings ersetzen sollte, die einen ähnlichen Effekt haben wie der des Stimmings, das man ersetzt. Also z. B. ähnlich in der Sinneswahrnehmung oder ähnlich in dem, was man macht (z. B. was mit Beißen, falls das andere auch mit Beißen zu tun hat) oder mit welchem Körperteil man es macht oder was für ein Gefühl man erzeugt, etc. Von daher ist es schon gut, gezielt alte, gute Stimmings aus der Kindheit wiederzubeleben oder sich neue anzugewöhnen (z. B. mit Hilfe von Stimming-Spielsachen) um etwas anderes loszuwerden und/oder um sich besser zu fühlen. Das wäre wohl auch für die Unterstützung autistischer Kinder als Anregung bzw. pädagogische Vorgehensweise zu überlegen statt alleine über das Unterbrechen von Stimmings und Entspannungsübungen und Rausnehmen aus der Situation vorzugehen.

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  • Fingernagel in die Haut pieksen oder kratzen wenn es mir zu viel wird. Wenn ich zb mit etwas konfrontiert werde womit ich nicht klar komme. Ich spüre unter Stress nicht so viele Schmerzen, ich merke das es besser wird. Es ist aber immer unterschiedlich. Mal komme ich besser damit klar, manchmal aber gar nicht. Aber sonst wackel ich eben mal mit den Beinen oder schaukel mit den Beinen, oder klopfe mit den Händen auf die Oberschenkel etc oder ich wedele mit etwas etc also das mache ich dann alles auch manchmal unbewusst und merke es erst danach oder eben dabei und wolllte das nicht so bewusst zeigen (seit dem ich weiß das evtl zu Asperger gehört) oder eben zum Spaß mache ich es. Ich spiele auch viel mit was in den Händen wenn mir langweilig ist und ich muss immer was zu tun haben, also mir fällt es schwer mich wo hinzusetzen und 5 min zb nix zu machen. Ich bin glaub ich so halb ADHS halb Aspie :D

    Einmal editiert, zuletzt von Lemon83 (28. Januar 2016 um 21:25)

  • Allerdings hast du natürlich recht. Es war auch in dem Video davon die Rede, dass man "schlechte" Stimmings nicht einfach so wegmachen kann, sondern sie durch "bessere", also harmlosere, z. B. nicht selbstverletzende Stimmings ersetzen sollte, die einen ähnlichen Effekt haben wie der des Stimmings, das man ersetzt.

    Ich drehe seit mehr als 45 Jahren an meinen Haaren, mache Knoten rein, löse sie wieder u.s.w. und zwar exzessiv und sowohl in angespannten als auch entspannten Situationen. Ich liebe es, ich mache das unglaublich gern. Es ist einfach ein schönes Gefühl und beruhigt mich.
    Mal angenommen, das wäre schädlich oder selbstverletzend, ich könnte mir nicht mal ansatzweise vorstellen, das durch irgendwas anderes zu ersetzen mit dem gleichen Effekt. Wie sollte es funktionieren, ein so intensiv betriebenes und zufrieden stellendes Stimming bleiben zu lassen oder abzuändern, ohne dadurch den genau gegenteiligen Effekt hervorzurufen, nämlich puren Stress?

    - Allein unter Menschen -

  • Wenn es selbstverletzend wäre, wäre es vermutlich mit Schmerzen verbunden und daher kein ganz so ungetrübt schönes Gefühl. Daher ist die Frage etwas sehr hypothetisch. Aber letztlich geht es beim möglichen Ersetzen von Stimmings darum zu analysieren, welche Bestandteile des Stimmings das eigentlich Entscheidene für einen sind, um die dann ersetzen zu können. Klingt vielleicht blöd aber, wenn bei deinem Stimming z. B. das wichtige ist, dass man etwas verbiegt, dann könnte man so ein biegsames Plastikstimmingringspielzeug nehmen. Wenn es aber mehr um das Knoten an sich und um das Gefühl weicher Haare zwischen den Fingern geht, dann könnte man es z. B. durch Wollfäden oder Kunsthaare, in die man Knoten macht, ersetzen. Und wenn es wichtig ist die Hände am Kopf zu haben, könnte man sie am Kopf vielleicht anders einsetzen, etc. Das sind jetzt nur Beispiele. Ich bin kein Experte was Stimmingersatz betrifft und übertrage daher nur das, was im Video erwähnt wurde. Wenn also z. B. jemand Druck am Kopf braucht könnte er, statt dagegen zu schlagen, so eine Art festes Band um den Kopf schlagen. Oder für Schmerzreize im Bereich der Hände/Arme kann man ein Gummiband schnappen lassen. Für manche Leute mag sowas funktionieren, für andere nicht. Kann man nur für sich selbst abschätzen oder ausprobieren. Ebenso kann man nur ausprobieren oder abschätzen, ob z. B. ein Geruchsreiz oder Geräusch durch etwas Ähnliches ersetzt werden kann und so weiter. Ich sage ja auch gar nicht, dass man per se Stimmings ersetzen muss. Nur bei welchen, die wirklich sehr fatale Auswirkungen haben und/oder bei denen es einem selbst sehr wichtig ist, sie loszuwerden, kann man überlegen, ob man sich vielleicht eine Alternative angewöhnen möchte. Man kann es aber natürlich auch lassen.

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  • Ich habe bis vor Kurzem noch nie von Stimming gehört und habe geglaubt, ich mach sowas nicht. Dann fiel mir ein, dass ich es oft kaum ertrage, wenn ich mich auf Videos sehe. Ständig hab ich die Hände an mir dran und streiche irgendwo drüber oder fasse mir in die Haare. Ausserdem ist meine Mimik oft wie die einer Stummfilmdarstellerin, völlig übertrieben, und ich zucke so komisch mit dem Kopf oder blinzle mit den Augen. Ich schien allerdings die einzige zu sein, die das wahrnahm, denn es hat noch nie irgendjemand was zu mir gesagt diesbezüglich. Seither beobachte ich mich mehr. Wenn ich allein bin und in meiner Lieblingsposition mit Laptoptisch auf dem Sofa liege, hab ich meine Hände fast ständig in meinen Haaren, greife rein und ziehe dran. Das tut total gut, ist aber alles unbewusst (gewesen). Im Moment bemerke ich, dass ich in den Schreibpausen meine rechte Hand in meine linke lege und mit dem linken Daumen meine rechte Handinnenseite reibe. Es ist so vertraut dass ich das wohl oft tue :nerved:

    Ich selber sehe solche Verhaltensweisen oder Auffälligkeiten bei anderen, immer, aber ich würde auch nie etwas sagen. Und wenn mich keiner drauf aufmerksam macht, wie soll ich es mitkriegen...

    Danke Euch allen für das Thema.

  • Prinzipiell denke ich, dass es sehr schwer ist zwischen den nach außen ähnlichen Verhaltensweisen zu unterscheiden. Ich vermute, dass eine ganz klare Abgrenzung kaum möglich ist, und dass es Schnittmengen oder fließende Übergänge zwischen den einzelnen Kategorien gibt. Auch könnte ich mir vorstellen, dass trotz des unterschiedlichen Gesamtbildes bei unterschiedlicher neurologischer Grundausstattung bzw. Diagnose (z.B. NT / AD(H)S / ASS / Tourette / Zwangsstörung) zumindest zum Teil die gleichen Neurotransmitter am ähnlich anmutenden Verhalten beteiligt sind (das ist aber eine reine Vermutung, ich kenne keine Fakten dazu und bin auch kein Neurowissenschaftler). Ich fasse mal vor allem für mich selbst zusammen, was bereits genannt wurde, da ich sonst den Überblick verliere:

    1. normales neurotypisches Verhalten aka "schlechte Angewohnheiten" wie Nägel kauen u.v.m.
    2. nervöses Verhalten von NTs unter Stress: schlechte Angewohnheiten verstärken sich oder werden schlechter kontrollierbar; Zappeligkeit kommt unter Umständen dazu (Wurde das überhaupt genannt? Ich würde es jedenfalls hinzufügen.)
    3. motorische Unruhe bei ADHS
    4. motorische Unruhe bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen oder Süchten
    5. normales Stimming von Autisten (anlasslos, man fühlt sich einfach besser)
    6. stressinduziertes Stimming von Autisten

    Fließende Übergänge gibt es mit ziemlicher Sicherheit zwischen Punkt 1 und 2 (normales und nervöses NT-Verhalten). Punkt 2 (NT unter Stress) wiederum könnte Schnittmengen oder fließende Übergänge zu fast allen anderen Punkten, außer vielleicht Punkt 5 (normales Stimming) haben. Da würde ich dann höchstens eine Schnittmenge mit Punkt 1 (normales NT-Verhalten) sehen. Auch könnte ich mir vorstellen, dass es eine gewisse Überschenidung zwischen Punkt 3 (motorische Unruhe bei ADHS) und Punkt 6 (stressinduziertem Stimming bei Autisten) gibt, da ich vermute, dass beides mit der Reizfilterschwäche zusammenhängt.

    Ich vermute, auch die Experten tun sich manchmal schwer, zwischen den einzelnen Ursachen zu differenzieren. Doch vielleicht täusche ich mich, und es gibt tatsächlich irgendwelche "knallharten" Unterscheidungsmerkmale (oder aber es ist im Gegenteil eigentlich alles "eine Soße", wer weiß?).

    Um es noch komplizierter zu machen, würde ich als weiteren Punkt hinzufügen:
    7. zwanghaftes Verhalten

    Im Rahmen meines Diagnoseverfahrens wurden Zwangsstörungen als Ursache für bestimmte Stereotypien auf jeden Fall "abgeklopft", das habe ich mitbekommen. Es schien mir aber auch nicht 100% eindeutig objektiv abgrenzbar zu sein. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es bei Zwängen wohl so, dass die Impulse zu den Zwangshandlungen als von außen kommend wahrgenommen werden, und die Ausführung ausschließlich dem Druckabbau dient: Man mindert dadurch also nur ein negatives Gefühl, bekommt aber kein positives Gefühl. Impulse für Stimmingverhalten dagegen werden als von der Person selbst kommend wahrgenommen, und die Handlungen erzeugen ein positives Gefühl. Das mit dem positiven Gefühl scheint mir aber in zwei Fällen nicht 100% gegeben zu sein:

    • Beim stressinduzierten Stimming: Man erzeugt halt einen Gegenreiz zu den störenden Reizen, das gibt in der Summe aber noch lange kein positives Gefühl. Oder (meine persönliche Erklärung) man versucht, seinen Körper wieder zu spüren, um die Grenze zwischen sich selbst und der Außenwelt wahrnehmen zu können, was (Vorsicht, Spekulation) vielleicht eine Voraussetzung dafür ist, die störenden Außenreize filtern zu können - auch das erzeugt bestenfalls ein weniger negatives Gefühl.
    • Wenn man sich für die Verhaltensweise schämt: Denn das gute Gefühl wird sofort wieder von der Scham vernichtet, z.B. wenn einem als Kind eingetrichtert wurde, dass das Verhalten falsch ist, oder weil man festgestellt hat, dass man blöd angeguckt oder sogar blöd angequatscht wird.

    Wie auch immer, ein interessantes Thema, das mich auch bisweilen beschäftigt. Mit dem Hautaufkratzen (oder bei mir vielmehr -pulen) habe ich es leider auch seit einer Weile. Ich vermute, weil ich mir einen anderen Stim aus Schamgründen ersatzlos abgewöhnen wollte. Das Pulen finde ich aber eigentlich schlimmer, wenn auch weniger schambehaftet, weil ich meinem Körper Schaden zufüge (wenn auch nur leichten). Interessant bis erschreckend fand ich, dass es das wohl auch als eigenes Krankheitsbild aus der Gruppe der Impulskontrollstörungen (F63, Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle) gibt (Skin Picking Disorder). Impulskontrollstörungen sollte man somit wahrscheinlich auch noch in die Liste aufnehmen:

    8. Verhalten durch Impulskontrollstörungen

    “The amount of energy needed to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.”
    ― Alberto Brandolini

    11 Mal editiert, zuletzt von Turtle (29. Januar 2016 um 10:43)

  • Nachtrag zum eh schon langen Beitrag (bitte um Entschuldigung):

    Ich habe dazu folgendes gefunden (über die englische Wikipediaseite):

    Was genau mit "the type of stim and the quantity of stimming" gemeint sein soll, habe ich zuerst nicht kapiert, auch nachdem ich mir die Quelle durchgelesen habe. Ich glaube, jetzt "ist der Groschen gefallen", als ich die Seite unter dem Gesichtspunkt gelesen habe, dass sehr auffällige autistische Kinder beschrieben werden. Darin finde ich mich zwar kaum wieder - weder in ständigem Stimming: "Unlike most people, though, individuals with autism may also self-stimulate constantly", noch im Mißachten gesellschaftlicher Konventionen bei der Art des Stims (zumindest die Konventionen, die mir bekannt sind, versuche ich einzuhalten): "While it's at least moderately acceptable to bite one's nails, for example, it's considered unacceptable to wander around flapping one's hands.". Doch wenn man die Interpretation von "Menge und Art" leicht abwandelt, hilft es vielleicht bei der Abgrenzung von autistischem Stimming zu NT-Marotten und ADHS-bedingter Reizsuche:

    • Im Vergleich zu NTs mehr Stimming beim Autisten -> man wirkt tendenziell wie ein hypernervöser NT (was in Kombination mit der Vermeidung von Blickkontakt zur falschen Schlussfolgerung führen kann, man würde lügen oder hätte etwas zu verbergen)
    • Im Gegensatz zu ADHSlern wird kein neuer Reiz gesucht, sondern möglichst immer der gleiche Reiz wiederholt. Hier scheint mir das neurotypische Verhalten zwischen dem autistischen und dem ADHS-Verhalten zu liegen, mit eher längerfristig angelegten Marotten (ich denke an Nägel kauen o.ä.), aber flexibler, nicht so starr wie das autistische.

    Ist jetzt eigentlich auch nix Neues, führt mir aber wieder vor Augen, wie bei der Kombination von ADHS und ASS das ADHS die typisch autistischen Symptome verschleiern und die Diagnose erschweren kann.

    “The amount of energy needed to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.”
    ― Alberto Brandolini

    8 Mal editiert, zuletzt von Turtle (29. Januar 2016 um 12:10)

  • Ich muss zugeben, dass ich manche meiner "schlechten Angewohnheiten" bei den Diagnosegesprächen teils unerwähnt ließ, zum einen, weil es mir peinlich war und zum anderen, weil ich Angst hatte, dass es mir als Zwangsstörung ausgelegt wird. Auch wusste ich nicht, ob diese Dinge wirklich der Kategorie "Stimming" zuzuordnen sind und hatte auch Angst dass man bestimmtes davon als selbstverletzendes Verhalten und somit als ymptom für Emotional Instabile Persönlichkeitsstörung auslegen könnte, obwohl die andere, weit stärere Arten von selbstverletzendem Verhalten zeigen. Einmal wurde eine Sache, ide mir peinlich war und die ich an einer Stelle erwähnte, sogar mit im Diagnosebrief aufgeführt. Da habe ich dann gebeten das wieder rauszunehmen, weil ich meinte es wäre nicht so relevant und dass ich den Brief kaum jemandem zeigen könnte, wenn das da drin steht, weil es zu peinlich ist. Allerdings gibt es zumindest eine Sache, die ich problemlos erwähnen kann und daher auch jedesmal erwähne, weil es nichts Schlimmes ist und weil ich ja inzwischen weiß, dass man es als Stimming sehen kann (dieses Wörter in die Luft malen bzw. die Finger / Zehen / Hände bewegen) und das muss dann reichen, Ärzte müssen wohl auch nicht alles wissen. Und meine ADHS-mäßige motorische Unruhe kommt halt auch teils noch in anderer Form hinzu.

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  • naja ich ziehe mir zum Beispiel an den Haaren, bzw. drehe sie - das scheint ja doch eher typiosches NT-Stimming zu sein. Als Kind habe ich mir die Nagelhäutchen aufgekratzt und an Sockennähten rumgefummelt, und an den "Lücken" bei Buchseiten, die ja bindungsbedingt auf eine bestimmte Art und Weise liegen, wenn das Buch geöffnet ist.

    "Autistisches" Stimming zeige ich nur, wenn etwas wirklich sehr emotional aufwühlend ist, wobei ich auch vermute, dass ich mir das dadurch angewöhnt habe, dass ich recht früh (so im Alter von 11-12 Jahren) darüber gelesen habe. Mir scheint es auch so zu sein, dass das "autistische" Stimming eher große Körperbewegungen (Schaukeln, Drehen, mit Dingen im Gesichtsfeld rumbewegen) bzw. andere Reize sind, wohingegehn das "NT-Stimming" eher taktile Reize beinhaltet und bei ADHS eher einen inneren Bewegungsdrang/körperliche Unruhe befriedigt.

    Schreiber ist Nicht-Autist. Und oft mit dem Tablet im Forum, darum oft so grässliche Rechtschreibung.

  • Ich würde alternativ dazu die Theorie aufstellen, dass in Bezug auf Autismus die großen Körperbewegungen einfach öfter dokumentiert wurden, da sie den Leuten mehr auffielen. Daher fielen subtilere Stimmings öfter unter den Tisch (und wurden daher auch nicht als mögliche Symptome niedergeschrieben), da sie vom Beobachter unbemerkt blieben. Ins Besondere, wenn die Betroffenen selber sich deren auch nicht bewusst waren oder sie nicht artikulieren konnten oder mochten (z.B. aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen, Mutismus oder Peinlichkeit). Oder eventuell auch wenn sie sich schnell angewöhnten gleich stärkere, auffälliger Stimmings zu zeigen, weil dann schneller darauf reagiert und ihre Not gelindert wurde oder weil die Situation um sie rum tagtäglich so unerträglich ist, dass subtilere Stimmings als Kompensation nicht ausreichen (besonders, wenn es sich um Leute handelt, die besonders empfindlich sind und/oder kaum die Chance erhalten ihre Umwelt mitzugestalten oder zu wählen).

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  • Stimming entspannt mich, sorgt dafür, dass ich mich wohlfühle und es hilft mir, Stress abzubauen und kann so einem Overload vorbeugen. Seit der Diagnose lasse ich Stimming wieder viel mehr zu und es tut mir echt gut. Früher beschränkte es sich immer auf halbwegs unauffällige Dinge, wie mit Schmuck rumspielen oder von innen auf den Lippen rumbeissen, aber jetzt gestehe ich mir auch auffälligeres Stimming wieder zu, wie z.B. mit einem Stimtoy zu spielen. Ich hab z.B. ein etwa 5 cm großes rundes Kissen, dass mit kleinen Polystyrolkügelchen gefüllt ist, mit dem ich gern rumspiele. Das ist besonders gut, wenn ich nervös bin und deswegen schwitzige Finger bekomme, denn das Kissen saugt den Schweiß auf. Aber noch viel besser gefällt mir das Klangherz, dass ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe. Es fühlt sich so schön glatt an, vibriert leicht und klingelt in zarten Tönen, die auf mich eine sehr beruhigende Wirkung haben. Ich könnte es stundenlang in den Händen halten, es hin und her drehen und dem leisen Klingeln lauschen. Zuhause lass ich jetzt auch wieder das Schaukeln (nicht vor und zurück, sondern von links nach rechts) zu und möchte das mittlerweile auch nicht mehr missen.

    Ich bin nur froh, dass ich als Stimming nicht was nutze, wobei ich mich selber verletze oder andere sich dann davor ekeln. Wenn ich mit dem Kissen oder mit dem Klangherz spiel, werde ich zwar manchmal komisch angesehen, aber das ist mir egal.

  • Ich würde alternativ dazu die Theorie aufstellen, dass in Bezug auf Autismus die großen Körperbewegungen einfach öfter dokumentiert wurden, da sie den Leuten mehr auffielen. Daher fielen subtilere Stimmings öfter unter den Tisch (und wurden daher auch nicht als mögliche Symptome niedergeschrieben), da sie vom Beobachter unbemerkt blieben.

    Wenn ich so meine Umgebung beobachte, dann scheint vor allem dieses "Haare drehen" und an Ringen, Ketten etc. rumspielen ziemlich normal zu sein. Sprich, selbst der Proto-NT tut das, sobald er etwas angespannt ist oder einfach Langeweile hat, in Gedanken vertieft ist etc.
    In sofern fiel es vermutlich tatsächlich nicht auf, weil es schlicht normal ist.
    "Trinkt mit dem Mund" oder "schließt zum schlafen die Augen" gilt ja auch nicht als Symptom ;)

    Der Unterschied zwischen "normalem" Stimming (worunter ich halt oben genanntes verstehe) und "autistischem" Stimming ist, wie oben schon genannt:
    a) die Häufigkeit (jeder hat so seine Macken, aber die Masse machts),
    b) die Form.

    Mit Form ist dann sowas wie schaukeln, Arme wedeln, Hände vorm Gesicht wedeln etc. gemeint, was vor allem unter frühkindlichen Autisten auffällig ist.
    Der Punkt b) tritt bei Aspies eher seltener auf. Unter anderem wohl auch, weil man besser kompensieren und zum "klassischen NT-konformen Stimming" greifen kann.
    Dafür ist dann Punkt a) bei Aspies auffällig.
    Ich kenne ein Aspie persönlich, der wackelt durchgehend mit den Füßen. Fällt aber erst auf, wenn man es weiß.

  • Ja und deshalb kann Punkt A bei der Diagnostik leicht unter den Tisch fallen. Der Diagnostiker sieht es nicht und wenn man es dann unerwähnt lässt, denkt er man würde gar kein Stimmung betreiben oder nicht auffällig häufig oder dass es trotzdem kein Autismussymptom sei. Ich habe auch noch nie bei einem Diagnosegespräch erwähnt, dass ich schon seit Kindheit gerne mit Stiften zwischen den Fingern spiele, sie also drehe ohne Daumenhilfe und möglichst ohne dass sie runterfallen. Aber Sachen, für die man kein Hilfsmittel braucht, mache ich zum Teil fast ständig. Aber ich würde mir sicher nicht mit der Hand vor dem Gesicht rumwedeln, das würde mich verrückt machen, weil es meine Blickfokussierung irritiert.

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  • Mir scheint es auch so zu sein, dass das "autistische" Stimming eher große Körperbewegungen (Schaukeln, Drehen, mit Dingen im Gesichtsfeld rumbewegen) bzw. andere Reize sind, wohingegehn das "NT-Stimming" eher taktile Reize beinhaltet und bei ADHS eher einen inneren Bewegungsdrang/körperliche Unruhe befriedigt.

    Ich weiß nicht wirklich genau, warum NAs oder ADHSler stimming machen, aber ich habe auch die Vermutung, dass die Motivation dahinter und der Zweck möglicherweise ein bisschen anders sind als bei Autismus. Ich habe immer das Gefühl, dass Stimming bei Autismus auch ein Versuch ist, sich zu fokussieren, um die Gedanken und Eindrücke zu ordnen. Wenn man sich auf die Bewegung oder den Reiz konzentriert, dann strömen nicht so unkontrolliert andere Reize auf einen ein. So ein bisschen ähnlich wie wenn beim Yoga z.B. gesagt wird, man soll sich nur auf den Atem konzentrieren. Das finden andere Leute/NAs auch entspannend. Die Welt wird ein Stück einfacher.
    Aber ich bin nicht sicher, ob meine Vermutung richtig ist.

    Ich merke bei mir selber auch verschiedene Arten von stimming, wobei ich dann nicht sicher bin, ob wirklich beide Arten auch stimming sind.
    Bei der einen Art habe ich mehr Konzentration auf dem stimming und versuche, die Umwelt eher auszuschalten. Das sind Dinge, durch die man sich Wahrnehmungen verschafft, optische oder sensorische (Beispiel Schaukeln mit dem Körper, Licht und Schatten beobachten, Bewegungen verfolgen).
    Bei der anderen Art läuft das stimming nur nebenher, und meine Konzentration ist bei einer anderen Sache. Das zweite wäre z.B. wenn ich mit jemandem rede, und dabei mit irgendwas in meiner Hand rumspiele, oder wenn ich angestrengt über etwas nachdenke und dabei irgendeine stereotype Bewegung mache. Das zweite scheint mir zumindest nicht autismusspezifisch zu sein, das erste schon eher.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • sowas würde ich auch nie erwähnen weil man dann auch denkt, das sowas völlig normal ist und die Therapeuten sagen dann sicher auch, das es normal wäre. Ich sehe einige Menschen die mit was herum spielen. Mit den Armen wedeln, oder richtig derb vor und zurück schaukeln etc mache ich auch nicht. ich habe da auch ganz unauffällige Bewegungen, wie eben den Stift zwischen den Fingern wandern lassen, oder mit dem Stift in der Hand nervös wackeln, oder auf den Tisch schlagen mit dem Stift. Vorher drehte ich manchmal meinen Finger auf dem Tisch im Kreis wenn ich langweile hatte, was ich nun aber lasse, seit dem ich den Verdachte habe.

    Ich hab mich auch schon beobachtet das ich mich mit dem Oberkörper schnell vor und zurück bewege aber nur ganz leicht, also so als wenn man Musik hört und dazu mit dem Rhythmus mit geht :d Was ich aber auch manchmal nicht bemerke ist, das ich meine Hand manchmal zur Faust balle, vor allem wenn ich auf was konzentriert bin. Wer weiß wie lange ich das alles schon mache und nie merkte. Gerade das mit dem Finger im Kreis drehen, sieht eben sehr verdächtig aus. Aber mit dem Fuß wackeln tut jede, ich auch. Oder auf den Boden klopfen mit dem Fuß das ist auch schön irgendwie.

  • Shenya: Wenn Reizüberflutung der Auslöser ist (also in entsprechenden Momenten) würde das ja gerade auch zu ADHS passen... Die haben die Reizüberflutung ja praktisch "erfunden" bzw. hatten sie lange für sich gepachtet.

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