ASS + PS - Warum wird es kategorisch ausgeschlossen?

  • Warum wird bei der psychiatrischen Diagnostik jede Form einer Persönlichkeitsstörung als Komorbidität zum Autismus kategorisch ausgeschlossen? Ich bin der Meinung, dass ein spät- bzw. nichtdiagnostizierter Autist durch sehr ungünstige Lebensumstände bzw. traumatische Ereignisse eine Persönlichkeitsstörung (egal, welche Art) entwickeln kann. AD(H)S, Zwangs-, Angst- und affektive Störungen werden ja schließlich auch als mögliche Komorbidität zum Autismus angegeben. Warum werden dann Persönlichkeitsstörungen ausgeschlossen?

  • Die Autobiographie der Autistin Janina Bürger "Eine Welt zwischen Autismus und Borderline" ist ein gutes Beispiel dafür, dass Autisten auch eine PS entwickeln können.

  • Ich glaube, es wird gar nicht ausgeschlossen. Ich habe hier im Forum schon von Doppeldiagnosen gelesen (erinnere mich an Autismus und schizoide PS).
    Was aber bei der Diagnostik abgeprüft wird, ist, ob und welche Diagnose die Symptome am besten erklärt, und in manchen Fällen verzichtet man dann darauf, die andere Diagnose auch noch zu vergeben, obwohl sie vielleicht auch einigermaßen passen würde.
    Ich nehme an, dass zwei Diagnosen nur gestellt werden, wenn sie beide relevante und unterschiedliche Auswirkungen haben.
    Kann aber auch sein, dass das die Ärzte einfach unterschiedlich machen....

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Warum werden dann Persönlichkeitsstörungen ausgeschlossen?

    Warum soll sich das ausschliessen? :roll: Das würde ja im Umkehrschluss heißen, dass AS vor PS "schützen" würde :roll: .

    ~Die Liebe allein versteht das Geheimnis, andere zu beschenken und dabei selbst reich zu werden.~

  • Ich verstehe das eher so, dass die vielleicht denken, dass man mit Autismus ja schon gestört genug ist... so gemeint, dass bei Autismus diverse Symptome aus PS vielleicht schon inklusive sind? (Also etwa so, als wenn sich jmd das Bein gebrochen hat, dann wird der Bruch diagnostiziert, nicht die blauen Flecken/Prellungen die auch vorhanden sein mögen.) Hmm aber nur Vermutung, ich weiß es auch nicht.

  • Ich verstehe das eher so, dass die vielleicht denken, dass man mit Autismus ja schon gestört genug ist... so gemeint, dass bei Autismus diverse Symptome aus PS vielleicht schon inklusive sind? (Also etwa so, als wenn sich jmd das Bein gebrochen hat, dann wird der Bruch diagnostiziert, nicht die blauen Flecken/Prellungen die auch vorhanden sein mögen.) Hmm aber nur Vermutung, ich weiß es auch nicht.


    Oh okay so habe ich das noch nicht betrachtet. :roll:

    Welche PS wäre denn dann sozusagen "im Autismus enthalten"? Schizoide PS? Narzisstische PS? :roll:

    ~Die Liebe allein versteht das Geheimnis, andere zu beschenken und dabei selbst reich zu werden.~

  • Um Autismus "nachzubauen" bräuchte man im Grunde eine Kombination aus verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, bei denen dann aber jeweils in der Regel nicht alle Symptome zutreffen, gewürzt mit ein paar nur bei Autismus oder in anderen Nicht-PS vorkommenden Eigenschaften. Wie genau das Rezept für den jeweiligen aussieht, hängt allerdings von der jeweiligen Ausprägung / dem in Erscheinung Treten des Autismus ab.

    Beispiel: Für die Soßenbasis nehme man 500 ml Zwanghafte Persönlichkeitsstörung mit einem ordentlichen Schuss Sozialphobie. Dann füge man 200 Gramm Schizoide Persönlichkeitsstörung und eine kleine Zwangsstörung hinzu, etc.

    Natürlich kann man so nicht wirklich Autismus nachbauen sondern nur etwas, was so aussieht wie Autismus. Das ist so wie wenn man dem Wellensittich eine kleine Mähnenperrücke um den Kopf macht, weil er die Rolle von einem Löwen spielen soll. Sprich: Ähnliches Aussehen, andere Ursache.

    Dieses Thema von wegen Autismus +PS haben wir hier im Unterforum auch schon in einem anderen, von mir eröffneten Thread behandelt. Vielleicht wäre es sinnvoller da weiterzumachen, damit sich nicht so viel wiederholt.

    I could work hard to be normal, but I prefer to hold myself a higher standard. Ego lex sum.

  • Warum werden dann Persönlichkeitsstörungen ausgeschlossen?

    Weil solche Kombi-Diagnosen nun mal keinen Sinn machen.
    Psychiatrische Diagnosen sind Zustandsbeschreibungen die aufgrund von Beobachtungen und Interpretationen (und oft auch von blühender Fantasie) entstanden sind.
    Wenn die AS-Beschreibung schon alles abdeckt braucht man keine zusätzlichen Diagnosen mehr.Sonst könnte man ausnahmslos jedem ASler auch automatisch die anankastische,die schizoide und die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung mit auf den Diagnosezettel schreiben.Welchen Nutzen sollte das haben?

    Einmal editiert, zuletzt von kitescreech (28. Juli 2015 um 01:53)

  • Warum wird bei der psychiatrischen Diagnostik jede Form einer Persönlichkeitsstörung als Komorbidität zum Autismus kategorisch ausgeschlossen?


    Ich weiss nicht, ob das in der Praxis überall so ist. Man könnte sich aber fragen welchen Sinn Diagnosen haben? Die Psychiatrie beschreibt Persönlichkeiten und es gibt Kriterien. Wenn eine Person dann mehr als eine Diagnose, die eine Persönlichkeit beschreibt, gleichzeitig erfüllen soll oder kann, dann könnte man sich fragen, ob es nicht irgendwo komisch, fragwürdig wird oder ob eine der beiden (oder mehr) vorliegenden Diagnosen, die für eine Persönlichkeit stehen, nicht etwas dünn ist? Man könnte sich auch fragen wie ernst man solche Diagnosen dann überhaupt nehmen könnte, weil sie ja doch irgendwo nichts Ganzes wären und nur einen kleinen Teil einer Person beschreiben. Bei AS und ADHS war es imo auch nicht immer so, dass das gleichzeitige Vorhandensein von jedermann akzeptiert wurde. Und so heisst es im unten verlinkten Artikel dann auch "Bislang ungeklärt ist, ob es sich um eine „echte“ Komorbidität oder um einen spezifischen Phänotyp der ASS mit AD(H)S-Symptomen handelt.". Mir ist es letztendlich ziemlich egal, wenn Menschen mehrere Diagnosen haben. Das waren nur so meine Gedanken/Überlegungen auf die Schnelle dazu.

    Aus dem Artikel "Diagnostik und Differenzialdiagnose des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter" vom November 2013:

    Quelle: Ärzteblatt (Link zum Artikel siehe oben)

    In letters of gold on a snow white kite I will write "I love you"
    And send it soaring high above you for all to read

  • Weil solche Kombi-Diagnosen nun mal keinen Sinn machen. [ ... ]
    Wenn die AS-Beschreibung schon alles abdeckt braucht man keine zusätzlichen Diagnosen mehr. Sonst könnte man ausnahmslos jedem ASler auch automatisch die anankastische,die schizoide und die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung mit auf den Diagnosezettel schreiben. Welchen Nutzen sollte das haben?

    Weil jeder Mensch unterschiedliche Denkmuster hat.
    Heisst aber nicht, dass das bei Autisten immer gleich die Auspraegung einer PS hat.

    Nur weil fuer nen Laien die Autismus-Beschreibung in vielen Punkten mit anankastischen, schizoiden und weiteren PS potentielle Schnittmengen hat, ist deren Auspraegung nicht zwingend ausreichend fuer ne Diagnose.
    Wenn ich so allgemeine Formulierungen mit Laienwissen bewerte, kann ich auch jedem zweiten Informatik-Studenten eine Autismus-Diagnose unterjubeln.
    Allerdings kann man eben die Formulierungen schnell falsch zuordnen, wenn man keine Ahnung hat, und die mangels Vergleichswerten auf sich selbst bezieht (siehe die letztes Jahr auftretenden Wannabe-Autisten), deshalb machen das Fachleute, die das mit ihren (hoffentlich weiterfuehrenden) Erfahrungen abgleichen.

    Und wenn man mal ein paar PS zum Vergleich hat, dann ist das nicht bei allen Autisten so stark ausgepraegt.
    Dann kann man Autisten mit und ohne PS unterscheiden.


    Man liest sich ... Sascha

  • Ich denke,ein wichtiger Punkt ist, dass viele PSen bei Kindern gar nicht diagnostiziert werden dürfen, Autismus dagegen ohne Symptomatik in der Kindheit nicht diagnostiziert werden kann (Ausnahme atypischer Autismus?). Das schließt aber m.E. nicht aus, dass jemand aufgrund der Symptomatik in der Kindheit HFA diagnostiziert bekommt und dann - aufgrund zusätzlicher Symptome - im Erwachsenenalter eine PS dazu.

    Andersrum können auch "Zeugen" für die Symptome in der Kindheit nachträglich auftauchen (z.B. aus der Schülerakte).

  • Was ich auch interessant finde, ist die Frage, ob es den atypischen Autismus auch ohne Intelligenzminderung gibt. Irgendwie wird er nur in Zusammenhang mit einer Intelligenzminderung angegeben.

  • Was ich auch interessant finde, ist die Frage, ob es den atypischen Autismus auch ohne Intelligenzminderung gibt. Irgendwie wird er nur in Zusammenhang mit einer Intelligenzminderung angegeben.


    Soweit ich da informiert bin, dh nach meinem (Laien) Kenntnisstand, ist der "Atypische Autismus" genau genommen ursprünglich auf den frühkindlichen Autismus bezogen, also ein frühkindlicher Autismus der sich erst nach dem dritten Lebensjahr manifestiert, oder ein frühkindlicher Autismus bei dem ein Symptom fehlt (bzw genauer: das sind/waren so wie ich es verstanden habe oft Fälle, da ist die geistige Behinderung derart ausgeprägt, dass es keine Schlüsse darüber zulässt ob ein bestimmtes Symptom nun vorliegt oder nicht, da es aufgrund der schweren geistigen Behinderung eben gar nicht untersucht werden kann, andere autistische Symptome aber vorliegen).

    Heute wird die Diagnose wohl auch teilweise für Leute mit hochfunktionalem Autismus verwendet (im Sinne eines frühkindlichen, aber hochfunktionalen Autismus, oder für irgendwelche diverse andere Grenzfälle).
    Es kommt aber auch zunehmend vor, dass die Diagnose Atypischer Autismus an Leute mit einem Asperger-Syndrom vergeben wird, wo etwas atypisch ist, zB ein Symptom fehlt.


    Bei allem solltest du vielleicht noch wissen (falls du dies nicht eh schon tust), dass es nicht "den" Autismus gibt, und nicht "das" Asperger-Syndrom, das sind eigentlich jeweils Zusammenfassungen verschiedener Störungsbilder, sie teilen Symptome, aber allerhöchstwahrscheinlich nicht immer diesselben Ursachen (über welche sie auch nichts wissen...).
    bei Interesse, da wurde das mal besprochen: Vergleichbarkeit AS

    Einmal editiert, zuletzt von Neoni (28. Juli 2015 um 22:33)

  • Aus dem Artikel "Diagnostik und Differenzialdiagnose des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter" vom November 2013:

    Danke für den Hinweis. :) Und wieder wird die Dyspraxie nicht als Komorbidität erwähnt, obwohl sie sehr häufig vorkommt und eine eigene zusätzliche Problematik darstellt, die meist total unterschätzt wird.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Was ich auch interessant finde, ist die Frage, ob es den atypischen Autismus auch ohne Intelligenzminderung gibt. Irgendwie wird er nur in Zusammenhang mit einer Intelligenzminderung angegeben.


    Laut einer Tabelle von 2007 soll das häufig der Fall sein:


    Quelle: http://www.aerzteblatt.de/archiv/55038/D…ektrum-Stoerung

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  • Ich weiss nicht, ob das in der Praxis überall so ist. Man könnte sich aber fragen welchen Sinn Diagnosen haben? Die Psychiatrie beschreibt Persönlichkeiten und es gibt Kriterien. Wenn eine Person dann mehr als eine Diagnose, die eine Persönlichkeit beschreibt, gleichzeitig erfüllen soll oder kann, dann könnte man sich fragen, ob es nicht irgendwo komisch, fragwürdig wird oder ob eine der beiden (oder mehr) vorliegenden Diagnosen, die für eine Persönlichkeit stehen, nicht etwas dünn ist? Man könnte sich auch fragen wie ernst man solche Diagnosen dann überhaupt nehmen könnte, weil sie ja doch irgendwo nichts Ganzes wären und nur einen kleinen Teil einer Person beschreiben. Bei AS und ADHS war es imo auch nicht immer so, dass das gleichzeitige Vorhandensein von jedermann akzeptiert wurde. Und so heisst es im unten verlinkten Artikel dann auch "Bislang ungeklärt ist, ob es sich um eine „echte“ Komorbidität oder um einen spezifischen Phänotyp der ASS mit AD(H)S-Symptomen handelt.". Mir ist es letztendlich ziemlich egal, wenn Menschen mehrere Diagnosen haben. Das waren nur so meine Gedanken/Überlegungen auf die Schnelle dazu.

    Aus dem Artikel "Diagnostik und Differenzialdiagnose des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter" vom November 2013:

    Quelle: Ärzteblatt (Link zum Artikel siehe oben)


    Mir fällt hier aber auf, dass AD(H)S die einzige aufgeführte Störung, Krankheit etc. ist, welche bei den Differentialdiagnosen und auch bei den Komorbiditäten aufgeführt ist. Danach wäre es ja so zu verstehen, dass AD(H)S die einzige Störung ist, die mit Autismus einhergehen kann und alle anderen bei den Differentialdiagnosen aufgeführten Störungen definitiv nicht zusätzlich zum Autismus bestehen können, denn sonst würden ja auch mehr von denen auch bei den Komorbiditäten zu finden sein. Das würde ja dem Ergebnis hier widersprechen, dass auch eine Persönlichkeitsstörung zusätzlich zum Autismus bestehen kann, z.B. durch verschiedene Faktoren eine Borderline-Störung. Oder verstehe ich das eventuell falsch?

  • Mir fällt hier aber auf, dass AD(H)S die einzige aufgeführte Störung, Krankheit etc. ist, welche bei den Differentialdiagnosen und auch bei den Komorbiditäten aufgeführt ist. Danach wäre es ja so zu verstehen, dass AD(H)S die einzige Störung ist, die mit Autismus einhergehen kann und alle anderen bei den Differentialdiagnosen aufgeführten Störungen definitiv nicht zusätzlich zum Autismus bestehen können, denn sonst würden ja auch mehr von denen auch bei den Komorbiditäten zu finden sein. Das würde ja dem Ergebnis hier widersprechen, dass auch eine Persönlichkeitsstörung zusätzlich zum Autismus bestehen kann, z.B. durch verschiedene Faktoren eine Borderline-Störung. Oder verstehe ich das eventuell falsch?


    Ich würde die Tabelle nicht als einzig gültige "Gesamtliste aller erlaubten Möglichkeiten" betrachten. Ich würde es auch eher so verstehen, dass man bei der beschriebenen Symptomatik (-> AS-Verdacht) eben zunächst auch an andere Störungsbilder denkt und schaut, ob das zutreffend sein könnte bzw. ob man das sicher ausschliessen kann. Gerade weil es in dem Artikel um Erwachsene geht, könnte es wichtig sein, dass das (scheinbar autistische) Verhalten eines Patienten keine andere Ursache hat. Was die aufgeführte Tabelle aber vielleicht zum Ausdruck bringen könnte ist, dass Persönlichkeitsstörungen als Komorbidität keine grosse Relevanz haben, denn sonst wären Diagnosen aus dieser Ecke aufgeführt worden.

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  • Ich denke auch, dass es so gemeint ist. AS + PS kann in Einzelfällen vorkommen, kommt aber nicht gehäuft vor, deshalb keine typische Komorbidität.

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