Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) und Menschen mit Beeinträchtigungen

  • Ich würde halt sagen, dass ja jeder frei entscheiden kann, wo er wohnen will, und mit einem BGE kann man dann auch auf's Land ziehen. Dann würden doch automatisch die Mieten in S oder M sinken, wenn mehr Leute abwandern wegen den hohen Mieten. Oder?

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Ich würde halt sagen, dass ja jeder frei entscheiden kann, wo er wohnen will, und mit einem BGE kann man dann auch auf's Land ziehen. Dann würden doch automatisch die Mieten in S oder M sinken, wenn mehr Leute abwandern wegen den hohen Mieten. Oder?

    Das sage ich ja auch und bin aus diesem Grund für ein relativ niedriges BGE - aber wenn das BGE auch für die bisherige Grundsicherung so niedrig angesetzt wird, bedeutet das, dass alle Erwerbsunfähigen aufs Land abgedrängt werden. Da muss man also eine andere Regelung finden, denn damit würde dieser Gruppe das Grundrecht auf freie Wahl des Wohnorts dauerhaft entzogen - das kippt Karlsruhe sofort.

    Wieviele qm brauchst Du denn?

    Ich könnte mich allein wohl auf eben die 40qm reduzieren, notfalls wahrscheinlich sogar auf die 30qm, die ich als Doktorand hatte - orientiert man sich aber an der Rechtslage, die 45-50qm für einen alleinlebenden H4-Empfänger für angemessen hält, sind 40qm sogar noch knapp. Und schon da bist Du in S ganz schnell bei 600.- oder mehr incl. Nebenkosten, da bleibt von 800.- BGE nicht genug zum Leben.

  • Das sage ich ja auch und bin aus diesem Grund für ein relativ niedriges BGE - aber wenn das BGE auch für die bisherige Grundsicherung so niedrig angesetzt wird, bedeutet das, dass alle Erwerbsunfähigen aufs Land abgedrängt werden. Da muss man also eine andere Regelung finden, denn damit würde dieser Gruppe das Grundrecht auf freie Wahl des Wohnorts dauerhaft entzogen - das kippt Karlsruhe sofort.

    Ich kann mir vorstellen, dass mit einem BGE gerade viele gesunde, junge Menschen freiwillig aufs Land ziehen würden. Dort gibt es günstig richtig große Gebäude, und man könnte etwa ein Start up oder alternative Projekte des nachhaltigen Wohnens und Arbeitens ausprobieren, ohne den Druck, dass das ganze sich sofort "tragen" muss. Das könnte ein sehr positiver Effekt sein. Wenn hingegen Erwebsunfähige aufs Land gedrängt werden, wäre das fatal. Gerade Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen brauchen häufig die Infrastruktur einer Großstadt, zumal viele auch nicht Auto fahren können. Insofern wäre es wichtig, da gegenzusteuern, sonst könnte das in der Tat die Gesellschaft noch mehr polarisieren.

    Essen ist bei Dir also Luxus?

    Ich verstehe das so, dass es ein Luxusproblem sei, unbedingt in einer Stadt oder gar in einer Großstadt leben zu wollen. Das sehe ich persönlich überhaupt nicht so, und zwar gerade für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und/oder wenig ökonomischen und sozialen Ressourcen. Zudem ist es kein Luxusproblem, generell dort leben zu wollen, wo man sein soziales Netzwerk hat. Das gilt umgekehrt auch für einen Menschen, der nicht vom Land in die Stadt ziehen will, weil es dort Arbeit gibt. Auch da könnte ein BGE die Situation entzerren.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Zudem ist es kein Luxusproblem, generell dort leben zu wollen, wo man sein soziales Netzwerk hat.

    Das würde bedeuten, dass das BGE so hoch sein muss, dass sich jeder davon auch eine Wohnung in München oder in einem guten Viertel (gibt es die überhaupt noch?) in Berlin leisten kann.
    Dann bin ich sehr dafür. Wenn das BGE hoch genug ist, dann gehöre ich zu den ersten, die den Job hinschmeissen. Und dann verbringe ich meine Zeit nur noch mit den Dingen, die mir Spass machen. :thumbup:

  • Wenn das BGE hoch genug ist, dann gehöre ich zu den ersten, die den Job hinschmeissen. Und dann verbringe ich meine Zeit nur noch mit den Dingen, die mir Spass machen.

    Das kann ich gut verstehen.

    Total hinschmeissen würde ich nicht, aber deutlich Stunden reduzieren, um wieder eine Lebensqualität zu haben und mehr Zeit für die Dinge, die mir gut tun.
    Es gibt ja auch einiges, was ich an meinem Job mag.

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    "Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt."

    (Johann Wolfgang von Goethe)

  • Total hinschmeissen würde ich nicht, aber deutlich Stunden reduzieren, um wieder eine Lebensqualität zu haben und mehr Zeit für die Dinge, die mir gut tun.
    Es gibt ja auch einiges, was ich an meinem Job mag.

    Und deswegen befürchten einige, dass dann kaum noch Jemand Lust hat zu arbeiten außer vielleicht nebenbei. Und dann bricht vieles zusammen, weil dann einfach viel Wissen verloren geht und auch nicht viel Übung entsteht bzw. nie Jemand da ist der auskunftsfähig ist, weil ja jede rnur 10 Stunden in der Woche arbeitet. Ich kenne jetzt schon einige Leute, die direkt reduzieren würden, wenn ihr Gehalt dann noch reichen würden und das sind jetzt keine niedrigen Jobs mit großer körperlicher Belastung oder so. Selbst ich arbeite in Teilzeit, wenn es geht und ich mag meinen Job sogar. Aber egal wie toll der Job ist Freizeit ist halt immer besser, zumindest ab einer bestimmten Stundenzahl

  • Ich kenne jetzt schon einige Leute, die direkt reduzieren würden, wenn ihr Gehalt dann noch reichen würden und das sind jetzt keine niedrigen Jobs

    Deshalb bräuchte es auch erst mal einen großen Versuch dazu - immerhin gibt es ja auch kluge Leute die sagen, dass auch bei den Höherqualifizierten die Produktivität nicht sinkt, wenn die Stundenzahl reduziert wird. Ich bin mir da nicht so sicher, ob unter dem Strich nicht genausoviel geleistet wird. Aber dafür ist natürlich auch wichtig, dass das BGE nicht zu hoch angesetzt wird - mE sollte es maximal in strukturschwachen Gegenden so gerade mal zum Überleben reichen. Das Kernproblem ist, dass man die Reaktion der Leute nicht wirklich vorhersagen kann, selbst Experimente wie das Verlosen des BGE o.ä. sind statistisch natürlich nicht brauchbar - es beteiligt sich ja nicht eine repräsentative Stichprobe an der Lotterie, sondern nur Leute, die der Idee etwas abgewinnen können.

    Ich bin insgesamt sehr skeptisch, ob ein BGE funktionieren würde, aber solange man das nicht ausschließen kann, sollte man unbedingt darüber nachdenken - wenn es doch funktioniert, könnte es womöglich Probleme lösen, die garnicht unmittelbar damit zusammenhängen, wie z.B. die Landflucht. Und nachdenken heißt für mich: erst mal sammeln, was dafür spricht, die Probleme der praktischen Umsetzung finden sich von alleine. Fange ich mit den Problemen an, wird sowieso nichts draus. Dann würden wir heute noch mit der Postkutsche reisen.

  • Aber dafür ist natürlich auch wichtig, dass das BGE nicht zu hoch angesetzt wird - mE sollte es maximal in strukturschwachen Gegenden so gerade mal zum Überleben reichen.

    Das ist aber genau nicht das, was die Verfechter des BGEs wollen!

  • Das ist aber genau nicht das, was die Verfechter des BGEs wollen!

    Zumindest viele davon. Es heißt ja aber noch nicht, dass die Idee als solche falsch wäre, bloß weil es Leute gibt, die sie übertreiben wollen.

  • Solange Menschen nach Asylbewerberleistungsgesetz in Mitteleuropa, ohne zu arbeiten, besser leben als woanders mit viel Arbeit, wird der Druck auf den Wohnungsmarkt und die soziale Sicherung erhalten bleiben...

  • ... Und solange es Firmen gibt, welche Verluste sozialisieren und Gewinne am ausländischen Sitz - wenn überhaupt - versteuern - wird es an der Finanzierung scheitern - denn irgend jemand muss das Ganze ja schließlich bezahlen.

    Jedes isolierte Bewusstsein macht sich auf den Weg - wie die Kraft des Wassers V_V

  • Es heißt ja aber noch nicht, dass die Idee als solche falsch wäre, bloß weil es Leute gibt, die sie übertreiben wollen.

    Ich würde es gesellschaftlich schon für einen riesigen Gewinn halten, wenn es eine Sozialhilfe ohne Arbeitszwang und mit der Erlaubnis zu selbstbestimmter Bildung sowie Zuverdienstmöglichkeiten gäbe. Dafür würden die meisten auf keinen Fall ihre aktuelle Arbeit aufgeben. Aber wenn die "Gängelung", die Hartz IV bedeutet, wegfiele, wäre auch ein Großteil des Druckes weg, der unter anderem für neurodiverse Menschen besonders heftig ist.

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  • Und deswegen befürchten einige, dass dann kaum noch Jemand Lust hat zu arbeiten außer vielleicht nebenbei.

    Und woher willst Du wissen, ob das für mich oder andere zutrifft?
    Auf mich wirkt Deine Aussage anmaßend.

    Wenn ich von Stunden reduzieren spreche, dann möchte ich das meine, manchmal 60-h-Woche zur 35-40-h-Woche wird.
    Das ich Zeit finde, um mal ein Buch zu lesen oder etwas in meinem Garten zu werkeln... oder neue berufliche Projekte entwickeln kann.
    Denn so etwas schaffe ich nicht mehr, weil ich chronisch müde bin. x(
    So ist an eine Weiterentwicklung meinerseits nicht zu denken.
    Deswegen wäre das BGE für mich eine gewisse Sicherheit, denn ich will gar nicht "auf der faulen Haut liegen" (RW), sondern liebe meinen Beruf.

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    "Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt."

    (Johann Wolfgang von Goethe)

  • Essen ist bei Dir also Luxus?

    Ich verstehe nicht. Du schreibst, dass man sich "nur" noch 40m² leisten kann. Ich finde, das ist ein Luxusproblem, (ob man nun 40, 30 oder 50m² hat). Wo kommt auf einmal das Essen her? Allein die Speisekammer ist schon 40m²? Das IST Luxus! Oder soll ich die 40m² essen?
    Hätte ich aktuell nicht 2 Wohnungen wegen der Arbeit, würde ich mit weniger als 40m² auskommen. Und damit lassen sich bereits 2-Zimmer-Wohnungen realisieren.

    Und deswegen befürchten einige, dass dann kaum noch Jemand Lust hat zu arbeiten außer vielleicht nebenbei. Und dann bricht vieles zusammen, weil dann einfach viel Wissen verloren geht und auch nicht viel Übung entsteht

    Was dann zusammenbricht, war überflüssiger Kokolores.
    In vielen Jobs geht derzeit massiv Wissen verloren, weil man immer wieder neue "Fachkräfte" findet, die noch billiger sind und sich noch besser ausbeuten lassen. Wenn dieser Druck weg ist, bleiben die Leute womöglich länger in ihren Jobs.
    Ich würde sicherlich nach jetzigem Stand auch erst einmal nur die Stunden reduzieren. Weniger als 20h dürfte keinen Sinn ergeben für die Firmen. Aber damit kann man bereits 2 Leute auf einen Arbeitsplatz setzen. Viel wichtiger wäre mir die Aussicht, deutlich eher in Rente zu gehen - nämlich dann, wenn ich merke, dass ich kaum noch Geld für irgendwelchen Luxus ausgebe. Das geht schon langsam los, dass ich gar nicht mehr so viel Geld ausgebe für das neueste, angesagteste Dingsbums, was Jeder unbedingt haben muss.

    _,.-o~^°´`°^~o-.,_Ich ess Blumen...,.-o~^°´`°^~o-.,_

  • Ich verstehe nicht. Du schreibst, dass man sich "nur" noch 40m² leisten kann. Ich finde, das ist ein Luxusproblem, (ob man nun 40, 30 oder 50m² hat). Wo kommt auf einmal das Essen her?

    *klärt mal @Garfield auf:
    Gemeint ist, dass man sich dann zwar die 40 Quadratmeter Wohnung gerade noch so "leisten" im Sinne von bezahlen kann, danach ist aber das Geld bereits alle.
    Also nichts mehr für Essen übrig. Totale Ebbe nach der Miete.

  • So absurde Gedanken sind mir fremd, also dass Jemand sein komplettes Einkommen für die Miete ausgeben würde.
    Dann kann man sich die 40m² also gar nicht leisten. Schreibt das doch gleich.
    Mehr als 50% des Einkommens sollte man nicht für die Miete einplanen, eher 30-40%.

    _,.-o~^°´`°^~o-.,_Ich ess Blumen...,.-o~^°´`°^~o-.,_

  • Solange Menschen nach Asylbewerberleistungsgesetz in Mitteleuropa, ohne zu arbeiten, besser leben als woanders mit viel Arbeit, wird der Druck auf den Wohnungsmarkt und die soziale Sicherung erhalten bleiben...

    wieviele der Menschen im Asylverfahren leben denn in Wohnungen, die auf dem Wohnungsmarkt verfügbar sind ?
    welcher Druck auf welche Marktteilnehmer auf welchem Wohnungsmarkt ist gemeint ? hier in M gibt es einen erheblichen Druck auf die diejenigen, die als potentielle Mieter auf dem Wohnungsmarkt suchen, weil recht viel hochqualifizierte und hochbezahlte Arbeit zu verrichten ist und die Masse an entsprechenden Gutverdienern halt jeden Mietpreis zahlen kann und zahlt. das hat mit Asylbewerbern nichts zu tun, die leben in Unterkünften, die nicht auf dem Wohnungsmarkt sind

    Einmal editiert, zuletzt von Pechblende (23. Dezember 2020 um 07:04)

  • So absurde Gedanken sind mir fremd, also dass Jemand sein komplettes Einkommen für die Miete ausgeben würde.

    Mir nicht. Meine Ex-Nachbarin kricht 800€ Rente und 600€ kostet ihre Bude. Wenn die nicht den 450€ Job hätte, hätte sie ein Problem.

    Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit. Erasmus von Rotterdam (1465/1469 - 1536)

  • Mir nicht. Meine Ex-Nachbarin kricht 800€ Rente und 600€ kostet ihre Bude. Wenn die nicht den 450€ Job hätte, hätte sie ein Problem.

    Dann gibt sie aber nicht ihr komplettes einkommen für die wohnung aus, ihr Einkommen ist ja nicht nur die rente, sondern auch der 450 Euro Job. Dann gibt sie zwar immer noch viel Geld für ihre Wohnung aus, aber das sind weniger als 50% also weit weniger als komplett, auch wenn die Faustregel gilt, das man nicht mehr als 30% ausgeben sollte.

  • Mir nicht. Meine Ex-Nachbarin kricht 800€ Rente und 600€ kostet ihre Bude. Wenn die nicht den 450€ Job hätte, hätte sie ein Problem.

    Deswegen weiß ich jetzt schon, dass ich mein Rentnerdasein definitiv nicht in München fristen werde. Wenn ich wegen des Jobs nicht mehr an die teure Stadt gebunden bin, dann haue ich da auch sofort wieder ab.
    450€-Jobs dürften aktuell kaum vorhanden sein und wenn sie irgendwann körperlich nicht mehr dazu in der Lage ist, dann hat sie wirklich ein Problem (zu lösen).

    _,.-o~^°´`°^~o-.,_Ich ess Blumen...,.-o~^°´`°^~o-.,_

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