Identität, bzw. wer bin ich und was macht mich aus.

  • Ich könnte jetzt auch über Zweifel an der Diagnose schreiben, was in meiner Meinung nach aber stark vereinfacht ist. Der Mensch ist, zumindest in meiner Wahrnehmung, ein sehr komplexes Wesen. Bei mir ist es so, dass ich voller Widersprüche bin. Vor allem in essentiellen Fragen, welche als Persönlichkeit vom Aussen wahrgenommen werden. Ich benenne es als ein "sowohl als auch". Es geht mir dabei explizit nicht um die sexuelle Ausrichtung, da dieses in meiner Wahrnehmung nichts mit dem Konstrukt Persönlichkeit zu tun hat. Es geht mir vielmehr darum, dass ich so ziemlich alles in Zweifel ziehe, da es ja auch ganz anders sein könnte. Vor allem im inneren Erleben bin ich voller Selbstzweifel und Widersprüche. Es ist, als habe ich mich nie zu Ende gedacht und finde immer Widersprüche in mir, die ich nicht auflösen kann. Es gibt immer einen Haken (RW). Das Einzige, was ich als mich wahrnehme, ist Trauer. Das kann ich als meins wahrnehmen. Zugleich ist mir bewußt, dass ich mehr bin, aber nur in der Trauer finde ich bei mir keine Widersprüche. Zugleich mache ich alles dafür, um diese für mich nicht so schöne Emotion, nicht zu empfinden. Das führt sicherlich auch zu einer Entfremdung von mir selbst. Mich selbst zu negieren, oder in Frage zu stellen, hat wahrscheinlich dazu geführt, das ich nicht dieses starke Selbstbild von mir habe was letztlich die Identität ausmacht. Andererseits sind Überzeugungen und Dogmen, in meinen Augen etwas für Kleingeister (RW) und nicht sonderlich kluge Menschen, obwohl ich nach Aussen doch sehr dogmatisch wirke. Ich bin der Meinung, dass zur Identitätsbildung auch das Aussen, bzw. andere Menschen gehören. Die habe ich vor langer Zeit ausgeschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Jetzt bin ich auf der Suche nach einer Möglichkeit, diese Tür wieder zu öffnen, und zwar so, dass ich dabei nicht beliebig bin und jeden Idioten rein lasse. Obwohl ich im inneren Erleben sehr differenziert bin, bin ich binär, soll heißen, dass ich nur "entweder oder" kann. Wie bekomme ich es hin, eine Mitte zu finden?

  • (Ich habe hier noch nicht so viel geschrieben und versuche einfach mal, mich verständlich auszudrücken und dir dabei nicht zu nahe zu treten. Und hoffentlich möglichst viel richtig zu verstehen von dem, was du geschrieben hast.)

    Bei vielen Sätzen habe ich gedacht "das geht mir auch so". Aber lass mich mal auf ein paar Details eingehen, um zu sehen, ob wir überhaupt vom selben sprechen.

    Vorneweg: Ich hatte noch nie ein stabiles Gefühl von Identität. Und ich hatte schon immer das Gefühl, dass von jeder Aussage das Gegenteil genauso wahr ist, wenn es denn gut genug begründet wird. Ich habe schon zu Schulzeiten mit dem Problem gekämpft, dass ich bei meiner Leidenschaft "Filme Anschauen" nie die simple Frage beantworten konnte "Hat dir der Film gefallen?" (auch nicht "Ist der Film gut?" oÄ). Meine Antworten gehen immer in die Richtung "das kommt darauf an".

    Das Einzige, was ich als mich wahrnehme, ist Trauer. Das kann ich als meins wahrnehmen.

    Ich nehme Trauer auch sehr stark wahr. Und auch als sehr authentisch = Ich-synchron. Und das schon seit Jahrzehnten. Ich meine aber, dass (jedenfalls bei mir) diesem ausgeprägten Gefühl von Trauer auch meine (diagnostizierte) Depression zugrunde liegt. Nichtsdestotrotz ist die Trauer in realen Lebensereignissen begründet - vielleicht ist Trauer daher eines meiner vorherrschenden Gefühle. Ich kann aber nicht sagen, dass ich NUR Trauer als ICH/MICH wahrnehme. Die Trauer ist aber besonders klar und deutlich.

    Mich selbst zu negieren, oder in Frage zu stellen, hat wahrscheinlich dazu geführt, das ich nicht dieses starke Selbstbild von mir habe was letztlich die Identität ausmacht.

    Ich habe ganz stark schon als Kind den Unterschied zwischen mir und anderen Kindern empfunden und mich als ANDERS wahrgenommen. Und dadurch habe ich mich stark hinterfragt. Vielleicht lag ich ja einfach mit allem falsch, was ich empfand, wenn es alle anderen ANDERS empfanden? Also ja, ich habe kein starkes Selbstbild entwickelt, weil ich mich immer sehr kritisch sah.

    Andererseits sind Überzeugungen und Dogmen, in meinen Augen etwas für Kleingeister (RW) und nicht sonderlich kluge Menschen, obwohl ich nach Aussen doch sehr dogmatisch wirke.

    Ich sehe es so, dass "Überzeugungen" eine gedankenmäßige Abkürzung sind, um ein Problem nicht jedesmal neu gedanklich untersuchen zu müssen. Und ganz häufig führt diese "Abkürzung" leider im konkreten Fall zu falschen Ergebnissen, weil man - analog zu Verurteilen - aus Bequemlichkeit von falschen Voraussetzungen ausgeht.

    Ob ich selbst nach außen dogmatisch wirke - hm. Wenn ich zu einem Denkergebnis komme, das ich für richtig halte, dann vertreten ich das auch, egal, was jemand anderer sagt. Das mag dogmatisch wirken, wenn Leute nicht gewohnt sind, dass jemand konsequent zu etwas steht. Dogmen im wörtlichen Sinne finde ich allerdings dumm und bequem - siehe Überzeugungen.

    Wie bekomme ich es hin, eine Mitte zu finden?

    (Ich hab es leider nicht geschafft, alles zu zitieren, was ich zitieren wollte.) Du schreibst ja selbst, dass die Identitätsbildung etwas mit dem Außen bzw. anderen Menschen zu tun hat. Das kann ich aus meiner Erfahrung zu 100% bestätigen. Leider hatte ich Eltern, die mich psychologisch gesehen nicht gespiegelt haben, und habe mich selbst von anderen Menschen/Einflüssen stark abgekapselt. Dadurch fehlt mir diese Spiegelung durch andere Menschen, deren Feedback, Input etc. komplett. (Das ist natürlich vereinfacht gesagt, natürlich gab es immer wieder mal Kontakte und auch Feedback, aber über die Lebenszeit gesehen viel zu wenig. Und gerade von den wichtigsten Bezugspersonen kam eben gar nichts, was ich zu einer sinnvollen Identitätsbildung hätte nützen können.

    Also: Ja, für die Identitätsbildung braucht es andere Menschen. Nein, das hat bei mir auch nicht geklappt, und deshalb habe ich dasselbe Problem wie du: keine Identität.

    Was habe ich statt einer Identität? Gefühle (die ich oft konfus, aber oft extrem stark wahrnehme), und Denkergebnisse (mit denen ich meine Entscheidungen treffe).

    Ich bin mir nicht sicher, was du mit "entweder/oder" meinst, das dich daran hindert, eine "Mitte" zu finden. Spontan sprechen mich diese Formulierungen an, ich bin aber nicht sicher, warum und was sie bedeuten.

    Ich habe früher sehr stark nach einer "alles oder nichts" Logik gedacht. Das hat sich aber mit der Zeit gebessert, sodass ich nicht mehr alles als Entscheidung buchstäblich zwischen Leben oder Tod wahrnehme. (Im Gegenteil, ich finde diese Haltung mittlerweile kindisch und unreif :))

    Bedeutet "Mitte" für dich Identität? In dem Sinn, dass man die von mir erwähnte Frage "Hat dir der Film gefallen?" einfach nach Bauchgefühl beantworten könnte, ohne ("entweder/oder") eine Analyse von Gutem/Schlechtem vornehmen muss, um Ende erst recht wieder nicht zu wissen, was einen eigentlich daran fasziniert hat?

    Mir ist auch nicht klar, warum du am Anfang Zweifel an deiner Diagnose ansprichst (ich kenne deine Vorgeschichte nicht oder was du hier im Forum vielleicht schon dazu gepostet hast). Ich möchte nur klarstellen, dass meine eigene AS-Diagnose, obwohl relativ neu, so ungefähr das einzige ist, was ich für mich als Identität empfinde. Soll heißen, ich selbst habe keine Zweifel daran.

  • @Salamandrina Danke für dein ausführlichen Post. Die Diagnose wollte ich nicht in den Fokus rücken (RW), da ich mich nicht nur über diese definieren möchte. Ich bin mehr, als nur Autist. Dieses entweder/oder, soll verdeutlichen, dass ich im Kontakt mit dem Aussen sehr indifferent bin, also nur Schwarz oder Weiß wahrnehme, was sicherlich auch daran liegt, dass ich so schlecht im interpretieren des Aussens bin, zumindest wenn ich dabei involviert bin. Es "freut" mich, dass ich durch deinen Post, für mich wahrnehme, dass nicht nur ich diese "Probleme" habe. Ich bin sozial sehr isoliert, da ich das aussen nicht kann und mich immer wieder in Frage stelle. Andererseits habe ich doch gewisse soziale Kompetenzen und auch das Bedürfnis nach sozialer Interaktion. War schon immer so. Ich möchte wahrgenommen werden und mich gleichzeitig verstecken. Am liebsten beobachte ich Menschen aus einer gewissen Distanz. Das mit deinem Elternhaus kann ich sehr gut nachvollziehen. Mir erging es, auf eine ähnliche Art und Weise so. Ich denke, dass die Depressionen, unter denen ich auch leide, aus der oben erwähnten Diskrepanz entstehen. Zumindest ihren Teil dazu beitragen (RW). Bin jetzt etwas unter Zeitdruck und werde von daher jetzt Schluss machen. Ich möchte mich aber gerne weiter austauschen mit Dir, sollte von deiner Seite ein Interesse bestehen.

  • Ich freue mich über deine Antwort.

    Ich bin mehr, als nur Autist.

    Ja, das ist mir auch wichtig. Ich nehme an, dass der große Raum, den die AS-Diagnose momentan für mich einnimmt, mit der Zeit weniger werden wird. Das wäre auch gut, weil ich gar nicht so glücklich damit bin und mich selbst auch ein wenig darauf fixiere. Also ich bin definitiv mehr als nur Autistin. Aber ich muss erst wiederfinden, was von mir eigentlich außerhalb dieser Diagnose existiert.

    Dieses entweder/oder, soll verdeutlichen, dass ich im Kontakt mit dem Aussen sehr indifferent bin, also nur Schwarz oder Weiß wahrnehme, was sicherlich auch daran liegt, dass ich so schlecht im interpretieren des Aussens bin, zumindest wenn ich dabei involviert bin.

    Ah, jetzt verstehe ich. Dein Post bringt mich gerade darauf, dass es mir genauso geht! Ich nehme auch tendenziell nur schwarz/weiß wahr. Deshalb sind Menschen für mich auch tendenziell Freund oder Feind, ohne dass ich Zwischentöne wahrnehmen kann. Obwohl ich kognitiv WEISS, dass es diese Zwischentöne gibt, vereinfacht mein Gehirn irgendwie automatisch in die eine oder die andere Richtung. Wow, ziemliche Erkenntnis bei mir gerade, Daran muss ich arbeiten :)

    Andererseits habe ich doch gewisse soziale Kompetenzen und auch das Bedürfnis nach sozialer Interaktion. War schon immer so. Ich möchte wahrgenommen werden und mich gleichzeitig verstecken. Am liebsten beobachte ich Menschen aus einer gewissen Distanz.

    Hier kann ich jeden Satz unterschreiben. Ja, ich habe das Bedürfnis nach sozialer Interaktion. Ja, ich möchte wahrgenommen werden - und ja, ich bin definitiv eine Beobachterin aus der Distanz. Als Kind hatte ich die Vorstellung, mich unsichtbar machen zu können. Später fand ich es toll, mich durch eine ganze Stadt zu bewegen, ohne eine einzige soziale Interaktion zu haben - eben quasi-unsichtbar. Aber heute leide ich darunter. Mir fehlt die soziale Übung, und ganz einfach auch der Kontakt. Wobei der Kontakt natürlich auch gelingen muss, was bei mir oft nicht der Fall ist.

    Ich finde es sehr interessant, was du schreibst. Gerne mehr, wenn du Zeit und Gelegenheit hast.

  • Identitätsbildung findet nur in dir selber statt.
    In der Wechselwirkung zwischen Innen und Außen bist du in jeder Konfiguration etwas anderes. Jeder Mensch wird dich ein bisschen anders wahrnehmen, und umgekehrt. In der Wechselwirkung zwischen Innen und Außen findet also keine Identitätsbildung, sondern ein Beziehungbildung statt. Diese kommt durch die Eigenheiten (Identitäten) der verschiedenen Personen. Dieses Bild ist auch flüssig, und ändert sich mit der Zeit. Manche Beziehungen erlauben aber nur wenig Fluidität. Wenn diese Beziehungen dich dabei hindern deine Identität zu festigen, sondern sie unterminieren, dann ist es oft einfacher diese Beziehungen zu beenden, oder zumindest eine lange Weile zu pausieren, als unter solchem Druck darunter zu arbeiten. Denn nur zu leicht nimmt man das Beziehungsbild mit seinem Umfeld(ern) und münzt das auf sein Selbstbild.

    Wenn du nur Trauer als dich selbst wahrnimmst, ist das auch ok. Allerdings nicht die Fülle der Möglichkeiten, und auch nicht die Erfüllteste, und langfristig nicht erstrebenswert. Ich sprech da aus Erfahrung, weil ich auch lange Zeit von Trauer und Wut geplagt war.

    Ich schlage vor du versuchst Techniken, die dich in deine eigene Mitte bringen. Nicht jede ist für jedeN geeignet. Möglich wären zb die Klassiker wie Mediation, Yoga (oder einfach Atemtechnik), aber auch eher weniger bekanntes wie Obertongesang, oder Gesang allgemein, für manche vlt auch bestimmte körperbetonte Hobbies, bei denen man sich wohl fühlt. Tanzen fällt mir da als bsp ein, gibt aber sicher viele Möglichkeiten.
    Vlt lernst du auch Erfolge von dir Wahrzunehmen, und dir selber dafür zu danken. Und auch anderen zu danken, die dir erlauben dich selbst zu erleben. Das müssen nichtmal Menschen sein. Ein tolles Naturerlebnis oder ähnliches. Lerne deinen Fokus gezielter zu platzieren und Gefühle zuzulassen, die dir Freude bereiten.

    Um erfolgreich sozial zu agieren, gehört Respekt vor dir selber, deinen Gefühlen, Akzeptanz, Selbstliebe. So erwirbst du dir ein Vertrauen dir selber gegenüber, dass niemand dich innerlich verletzen kann, außer dir selber. Und du kannst dann mutig und selbstvertrauend neue Beziehungen bilden mit neuen Bildern.

    Viel Erfolg auf deinem Weg!

  • @keineAhnung Zunächst einmal Danke. Was du bezüglich der Wechselwirkung schreibst, ist das, was für mich schwer einzuordnen ist. Wo bin ich noch ich, und wo ist es eine Anpassungsleistung, welche mit mir nur noch wenig zu tun hat. Ich habe den Verdacht, dass ich in diesem Bereich zu sehr reflektiere. Bezüglich dessen, was du über Meditation, bzw. deine Äusserung über Naturerlebnisse ist gut für mich nachvollziehbar. Ich bin mit mir, wenn ich z.B. am Meer stehe (allein). Das sind aber nur Momentaufnahmen (RW) und hält nicht an. Sobald ich wieder unter Menschen bin, setzt das hinterfragen bei mir ein, wer ich eigentlich bin. Das ist, auch wenn es nach meiner Formulierung so klingt, kein permanenter Prozess. Allein sein ist in Bezug auf meine Identität hilfreich, da ich dann nicht in die Falle tappe, vermeintliche Erwartungen zu erfüllen. Andererseits führt es dazu, dass ich meine eigene Blase entwickle und ein, mit dem Aussen nicht übereinstimmendes Selbstbild entwicklen könnte. Ist mir schon so passiert. Und dann dringt die Realität des Aussens in meine ein und ich habe einen Zusammenbruch. Es geht bei diesen Dingen auch um Begriffe, die jeder Mensch etwas variabel interpretiert, vor allem bei solchen wie Zwänge, Routinen, etc. Bei solchen Problemen spielt das Schwarz/Weiß-Denken wieder eine nicht unwesentliche Rolle.

  • Der Mensch ist, zumindest in meiner Wahrnehmung, ein sehr komplexes Wesen. Bei mir ist es so, dass ich voller Widersprüche bin.
    Wie bekomme ich es hin, eine Mitte zu finden?


    Hallo,

    meine Ansicht ist, das liegt nicht an einem selbst bzw. an dir, denn jeder Mensch ist so ein komplexes und individuelles Wesen. Mein Eindruck ist, das die "Schubladen" (Redewendung) das Problem sind. Alles und jeder wird irgendwie kategorisiert, teilweise pathologisiert sobald es in keine "normale Schublade" reinpasst. Man bekommt nicht vermittelt, das man gut so ist, wie man ist sondern alle Teilnehmer einer Gesellschaft bekommen "Normen" vorgegeben, und wer nicht gut genug in diese Vorgaben reinpasst (so empfinde ich es) fühlt diese Widersprüche in sich. Man bekommt nicht vermittelt, das jeder Mensch wertvoll ist und individuelle Stärken hat, sondern jeder muss so sein wie gesellschaftlich erwartet und wer das nicht kann, oder macht, oder will, der gilt als krank, oder schwach, oder fehlerhaft, oder untauglich, etc.

    Ich habe den Eindruck, das du gerade mit deinen Zweifeln und deinem Hinterfragen schon auf (d)einem Weg bist, deine Identität zu finden. Zu zweifeln und zu merken, da stimmt was nicht oder hier "läuft" (Redewendung) was falsch, ist der erste Schritt für eine Veränderung. Das blöde daran ist (aus meiner Sicht) das alles zu finden und herauszufinden braucht seine Zeit. Und meistens sieht man seine Fortschritte erst hinterher. Bleib weiter motiviert dran.

    LG IceQueen.

  • Bezüglich dessen, was du über Meditation, bzw. deine Äusserung über Naturerlebnisse ist gut für mich nachvollziehbar. Ich bin mit mir, wenn ich z.B. am Meer stehe (allein). Das sind aber nur Momentaufnahmen (RW) und hält nicht an.

    Also hast du sehr wohl die Fähigkeit, auch alleine, anderes als Trauer zu empfinden? Rein aus dir raus.

  • Also hast du sehr wohl die Fähigkeit, auch alleine, anderes als Trauer zu empfinden? Rein aus dir raus.

    Dann bin ich im sein und nichts tangiert mich. Das funktioniert leider nur wenn ich für mich alleine bin. Sobald das Aussen zu nahe kommt bin ich wieder im Stress-level. Ich denke, diese Diskrepanz, zwischen Bedürfnis und der Unfähigkeit, dieses Bedürfnis auf eine für mich annehmbare Weise zu befriedigen, führt zu der Trauer, welche, da ich sie schon mein ganzes Leben lang verspüre, für mich essentiell ist.

    @IceQueen Danke für deinen Post. Das Problem mit den "Schubladen" trifft es ziemlich gut. Ich agiere oftmals auch so, da es für mich schwierig ist, Ergebnisoffen in Kontakt mit dem Aussen zu treten. Zwar hinterfrage ich diese "Schubladen", bin aber trotz allem nicht frei davon. Ich erfasse das Aussen kognitiv und intellektuell, was dazu führt, dass ich ganze viele Möglichkeiten im Kopf habe, welche aber oftmals nicht eintreten. Und dann bin ich doch wieder beim Autismus, welchem ich für mich, nicht so viel Aufmerksamkeit geben wollte, da ich mehr als autistisch bin. Wenn ich allein bin, bin ich es nicht, dafür aber auf Dauer depressiv. Ich glaube, der Weg da raus (RW) ist, dass ich mein Verständnis für das Aussen in irgendeiner Form schule.

  • Ich glaube, der Weg da raus (RW) ist, dass ich mein Verständnis für das Aussen in irgendeiner Form schule.


    Irgendwo habe ich mal gelesen, das man andere z.B. nur (oder erst dann) akzeptieren kann, wenn man sich auch selbst akzeptiert.

    LG IceQueen.

  • Irgendwo habe ich mal gelesen, das man andere z.B. nur (oder erst dann) akzeptieren kann, wenn man sich auch selbst akzeptiert.

    Etwa diese Erfahrung habe ich auch gemacht.

    Die Welt war für mich lange Schwarz/Weiß. Dramatisch ausgedrückt, waren die meisten Menschen nicht auf meiner Wellenlänge (RW), waren anders, komisch, ich konnte mich einfach nicht mit ihnen identifizieren. Dann blieben ein paar wenige Menschen, mit denen ich überwiegend gut klar gekommen bin. Auch sie hatten große Teile in ihrem Verhalten, mit dem ich mich nicht identifizieren konnte, aber zumindest konnte ich damit leben.

    Dann kam der Autismusverdacht, viele Erkenntnisse über mich, über andere, wie krass Unterschiedlich unsere Wahrnehmung eigentlich ist. Ich begann zu realisieren, dass ich doch in vielen Dingen sehr unflexibel bin, dass andere Ansichten als die meine, durchaus auch ihre Berechtigung haben können. Ja, dass mehrere Ansichten auf ihre Art richtig sein können. Das unterschiedliche Wertvorstellungen zu unterschiedlichen Einschätzungen führen können.

    Ich begann zunehmend Verhalten von anderen (insbesondere Menschen aus meinem engeren Umfeld) zu beobachten. Dabei stellte ich mehr und mehr fest, dass manche Verhaltensweisen in manchen Situationen vorteilhaft sind, in manchen anderen nicht. Genau wie manche Verhaltensweisen von mir in einigen Situationen gut funktionieren, mir in anderen aber unter Umständen das Leben unnötig schwer machen. Also begann ich, gezielt auch einmal andere Verhaltensweisen auszuprobieren, um manche Situationen vielleicht besser zu überstehen.

    Zu Anfang war es ein großes Chaos. Ich hatte das Gefühl teils von einem Extrem ins andere zu fallen. Doch mit der Zeit wurde es besser. Ich konnte die neuen Verhaltensweisen sinnvoller und differenziert einsetzen. Es gibt sicher noch viele Situationen, für die ich keine geeigneten Strategien habe. Aber die Anzahl dieser ist weniger geworden. Und dabei stellte ich fest: Wenn ich akzeptiere, dass ich manche Dinge noch nicht so gut kann, dann kann ich beginnen daran zu arbeiten. Dann kann ich auch bei anderen akzeptieren, dass sie ggf. mit ihren Verhaltensweisen genau so in manchen Situationen besser klar kommen und in anderen schlechter. Dann kann ich erkennen und wertschätzen, dass andere sich ebenfalls viele Gedanken machen und sehr überlegt handeln, auch wenn es auf mich von außen vielleicht erstmal unüberlegt und 'falsch' wirkt.

    Mit dem Anfangsverdacht, dass ein Verhalten möglicherweise doch einen Sinn erfüllen könnte, fällt es deutlich leichter einmal nach dem 'Warum' zu fragen, zu lernen und den eigenen Horizont zu erweitern. :)

  • Ich begann zunehmend Verhalten von anderen zu beobachten.

    Mache ich schon mein Leben lang. Erscheint mir aber nicht erstrebenswert, dieses sich darstellen und lügen, um einen Vorteil zu erreichen. Geht mir auch viel zu oft auf die Kosten anderer (RW).

  • Erscheint mir aber nicht erstrebenswert, dieses sich darstellen und lügen, um einen Vorteil zu erreichen.

    Wie kommst du denn auf darstellen und lügen? Was ich mir z.B. abgeschaut habe, ist wie ich deutlich Nein sagen kann, ohne dass danach eine Diskussion entsteht, bis ich doch nachgebe.

  • Seneca

    Danke dass Du das hier erstellt hast. Absolut starker Eingangstext!
    Ihr seid tolle Menschen.
    Es ist auch genau das, was mich auch bewegt. Und aus allen Antworten kam mir auch so viel bekannt vor.
    Nur hätte ich das alleine nie so ausdrücken können, es setzt sich aber wieder ein Stück mehr zusammen alles.
    Ich suche gerade auch diese Mitte.

    Aber ich sehe, andere haben da bereits Ideen und Umsetzungen. Das macht mir Mut.
    In meinem Umfeld kommen genau solche Gespräche nicht vor und ganz alleine damit fühlt man sich so verloren

  • Ich persönlich (Verdachtsautistin) weiß oft gar nicht, wer ich selber bin. Ich komme mir vor wie eine Hülle, ohne Inhalt. Ich dachte immer, ich wäre die einzige der es so geht. Es ist irgendwie entlastend, dass ich scheinbar nicht ganz alleine bin :D

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