Meine Welt ist aktuell eine einzige Problematik

  • Heyho an das Forum! :)

    Ich, Asperger-Autistin, 22 Jahre, habe seit geraumer Zeit eine Problematik, die ich mit Euch teilen möchte. :!: Ziel von meinem Beitrag ist es, mich einmal ausgesprochen zu haben, da ich nicht genau weiß, ob ich die Thematik mit dem Spezialinteresse, auch im Zusammenhang mit der Diagnose, in Zukunft erläutern sollte. Aktuell verfahre ich so, dass ich weder die Diagnose noch das Interesse erwähne, merke aber, dass es in meinen Kreisen Fragen aufwirft, da ich mich gelegentlich sehr abhebe und mein Wissensstand schon sehr speziell ist. :question: Was sind Eure Erfahrungen bezüglich dem "Outing", vor allem gegenüber Kollegen?

    Jetzt zum eigentlichen, sehr langwierigen Teil:

    Oft habe ich von dieser "eigenen Welt" gelesen oder gehört, die man Autisten oftmals zuordnet – ich musste feststellen, dass dies bei mir der Fall ist. Ein spezieller Fall, denn meine Welt besteht aus der Notfallmedizin, genauer gesagt, der präklinischen Notfallmedizin. Mein Spezialinteresse. Wir haben dieses übergeordnete Interesse der Notfallmedizin, darunter dann die untergeordneten Interessen, Kardiologie und Pharmakologie. Das übergeordnete Spezialinteresse besitze ich bereits seit der Kindheit, doch damals nicht in diesem derartigen Ausmaß. Es war damals lediglich ein reines Spezialinteresse, nicht eine Welt, in der ich nahezu den ganzen Tag bevorzugt lebte.

    Ich bin ehrenamtlich tätig, in einer der großen Hilfsorganisation, und merke, es ist ganz schön schwierig, zwei Welten zu fusionieren. Bereits nach dem Aufstehen schlage ich Fachbücher auf, höre Podcasts, studiere Beiträge auf Instagram oder versinke gänzlich in einer Dokumentation, um zu schauen, ob ich ein Krankheitsbild aufgrund der aufgezeigten Symptomatik erkennen kann, und kommuniziere einfach mit. Ich bin kaum ansprechbar, gehe teils mehreren der aufgezählten Tätigkeiten simultan nach, ohne besondere Schwierigkeiten. Fünfzehn Stunden am Tag sind da keine Seltenheit und wenn ich Glück habe, finde ich mich im Traum im RTW oder NEF wieder, in der Position des Notfallsanitäters. Ich träume detailliert von dem, was ich am Tag verinnerlichen kann – Schemata, Scores, Werte, Dosierungen, Wirkstoffe und Handelsnamen, Maßnahmen, Erkrankungsbilder... Am Morgen denke ich nach, rufe mir alles noch einmal ins Gedächtnis, nur um zu realisieren, dass ich mich völlig deplatziert fühle. Ich spreche dann kaum, sage nur "ich sollte nicht hier sein, ich sollte arbeiten" und überreize mich durch den Mangel an Beschäftigung bis zum Overload, Meltdown und Shutdown, nur, um meinen Kopf zu diesem Punkt zu bringen, wo ich mir keinerlei Gedanken mehr machen kann, da es zu anstrengend wird, dieses angestaute Wissen ständig zurückhalten zu müssen. Zeitweise habe ich ein erhöhtes Schlafbedürfnis, um die Unterforderung am Tag mit der Tatsache zu kompensieren, dass ich in meinen Träumen genau da bin, wo ich hingehöre und mich dies überaus deprimiert.

    Ja, die Depression ist mir ein Wort. Stetige Unterforderung löst eine solche aus, in meinem Fall, weshalb ich oftmals viel verlange. Ich muss beschäftigt sein. Bereits drei körperliche Zusammenbrüche hatte ich in diesem Jahr, zwei Mal war ich mit dem RTW in der Notaufnahme, da synkopiert, ein Mal entging ich dem und es erwischte mich ausgerechnet im Dienst. Ich konnte mich nicht mehr verständigen, eine Kommunikation war größtenteils nur nonverbal möglich, ich zitterte am ganzen Körper, obwohl es ca. 30°C im Schatten waren, zeigte eine Tachyarrythmie und meine Blutdruckwerte waren ebenfalls niedrig. Ich befand mich irgendwo zwischen ansprechbar und apathisch. Mittlerweile bin ich kurz davor, dem Leerlauf in meinem Leben mit einem Lehrgang zu entgehen. Für eine Woche zumindest. Meine erste Qualifikation. Als nächstes wäre der Rettungssanitäter angestrebt, dann der Notfallsanitäter. Meine Leidenschaft, die wortwörtlich Leiden schafft. Mein eigenes. Aber sie hat mir gezeigt, dass ich ein gewisses Maß an Beschäftigung brauche und vor allem, das der Bereich ist, der für mich bestimmt ist. Diese Leidenschaft weitergeben, das ist mein Ziel. Übergeordnet jedoch, möchte ich Menschen helfen, wo es oft um Sekunden geht.

    Ich bin übrigens der Fall einer Asperger-Autistin, die es bevorzugt, unter Menschen zu sein. Ich helfe gerne, höre gerne zu und bin gerne für andere da, auch wenn ich oft eine detailliertere Beschreibung brauche, um Gefühlslagen und eine Problematik passend einschätzen zu können, eine körperliche Symptomatik dagegen ist für mich leichter zu lesen. Für Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz, Blutdruck usw. gibt es Werte – welchen Wert hat dann ein Gefühl, wenn ich es nicht einordnen kann?

    Unter Kollegen, wenn ich denn mal einen Dienst habe, halte ich mich meist zurück, will nicht wieder in die Rolle des Besserwissers fallen – komme ich jedoch durch eine zufällig erwähnte medizinische Thematik zum Sprechen, hört es nicht mehr auf. Man sagte mir, wenn ich mich in diesem Interessenbereich befinde, würde man merken, dass ich eine gewisse Leidenschaft besitze, die nicht jeder aufweist, und die mich gänzlich einnimmt. Sonst bin ich nicht so die aktive Sprecherin und warte praktisch nur auf die passende Gelegenheit, zu der dann alles, wirklich alles, aus mir herausbricht.

    Die Asperger-Thematik sprach ich bislang nur sehr oberflächlich an, obwohl sie vieles erklärt. Stimming, relativ schnell am Punkt eines Overload sein, ein überdurchschnittliches Wissen, viel Beschäftigung brauchen. So sieht das für mich aus, doch dadurch, dass meine Welt und die Welt, die ich im Dienst betrete, aktuell noch ein wenig abgegrenzt sind, fällt es mir schwierig, mein Wissen aufzurufen. Mit der Praxis verhält es sich da deutlich schlimmer. Ich beobachte, möchte gerne korrigieren, doch das sollte ich nicht, denn meine Kollegen wissen schon, was sie machen. Ich bin ja nur das Anhängsel, das sich den ganzen Tag mit Notfallmedizin beschäftigt und in einer Welt lebt, zu der andere keinen Zutritt haben. "Welten fusionieren" sagte ich. Wenn ich im Rettungsdienst arbeiten möchte, muss das irgendwie funktionieren. Ich muss mein Potenzial zeigen können, das Wissen, das im Ernstfall dazu bestimmt ist, Leben zu retten. Will ich ein wandelndes Buch der Wirkstoffe, Handelsnamen und Dosierungen sein? Will ich Werte, Algorithmen und Schemata immer auf Abruf haben? Wenn es das ist, was ich brauche, um zu funktionieren, dann ist mir das recht. Asperger-Autismus im Rettungsdienst... Wir werden sehen, was daraus wird... ;)

  • Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, wieso du nicht bereits in der Notfallmedizin arbeitest? Bist du arbeitsunfähig? Weil, dass man "durchdreht", wenn man seinen Interessen nicht aktiv nachgehen kann, ist mMn völlig logisch.
    Ich habe mein von Kindheit an bestehendes Interesse zum Beruf gemacht und gehe in diesem auf. Hier halte ich mit meinem Wissen auch nicht zurück. Das kommt bei Kunden i. d. R. gut an, gerade denen, die vorrangig zur Beratung kommen, bei Kollegen ist das unterschiedlich, einige schätzen es sehr, andere weniger (eben die typischen Leistungsneider). Da ich erst dieses Jahr die offizielle Diagnose bekommen habe, hab ich das bisher auf Arbeit nicht weiter thematisiert. Ein befreundete Kollegin weiß es, ansonsten hatte ich immer nur meine Reizsensivität/-filterschwäche angeführt, wenns darum ging einen reizärmeren Arbeitsplatz zu bekommen oder den Kollegen eine plausible Erklärung für bestimmtes Verhalten zu geben.

  • @Aldana Es sind aktuell die Umstände. Angeblich unter drei Stunden arbeitsfähig, kann aber im Dienst 8+ Stunden ableisten ohne Schwierigkeiten, lediglich die Schwierigkeit, immer ausnahmslos etwas tun zu müssen, da ich schnell unterfordert bin und bestimmte Reize brauche. Aufgezwungene Gutachten waren es, gegen die ich jetzt vorgehen muss, da man mir eine Zeit lang Dinge einredete und mich so krank sprach, obwohl ich zu jeder Zeit arbeitsfähig war. Es war eine verzwickte Situation, aus der ich nicht so leicht heraus fand. Und durch diese Gutachten und die Tatsache, dass ich eine Lücke im Lebenslauf habe, zwei abgebrochene Ausbildungen in Bereichen, die nie relevant für mich waren, muss ich wohl um einen Bildungsgutschein kämpfen, um mir den Rettungssanitäter finanzieren zu lassen. Ich bin überaus leistungsfähig, wenn es um mein Spezialinteresse geht und der erste Gedanke führt demnach auch in die Richtung, dieses Interesse zum Beruf machen zu müssen. Ich beschäftige mich so gut wie den ganzen Tag mit der Notfallmedizin, also macht das dann auch kaum einen Unterschied, bis auf den, mich in der Arbeit verwirklichen zu können. Lieber mit Leidenschaft dabei als nicht ganz bei der Sache.

  • @Surprised Ganz einfach, emotionaler Missbrauch und falsche Kontakte, die ihre eigennützigen Pläne als gemeinnützig hinstellen, einen dazu bringen, mitzuarbeiten, einem Chancen aufzeigen, die vielversprechend scheinen, und zu alledem muss man sich natürlich das passende Gutachten erstellen lassen, damit man in keine Maßnahme muss, sondern dort mitarbeiten kann. Ich habe mich gänzlich den idiotischen Vorstellungen einer Person hingegeben, die im Endeffekt nun weiter andere Menschen unter der Deckung eines Vereins ausnutzt und mir auch das Ehrenamt, welches mir überaus gut tut, ausreden wollte. Bis dato habe ich nicht gewusst, dass diese Dinge, wie sie vorgefallen sind, so passieren können und man Menschen derart ausnutzen kann. Ich war damals von zu Hause ausgezogen und dementsprechend unbeholfen, da ich nicht unbedingt gute von schlechten Absichten unterscheiden konnte und kann.

  • und zu alledem muss man sich natürlich das passende Gutachten erstellen lassen, damit man in keine Maßnahme muss

    Hm. Klingt sehr fragwürdig, zumindest vor dem Hintergrund, dass du schreibst, dass vieles gar nicht zutraf. Ich frage mich, ob mir nicht spätestens da aufgegangen wäre (RW), dass das nichts Gutes ist. Also wenn man etwas bzw. sich anders darstellen soll, als man tatsächlich selber ist. Also wenn man lügen soll bzw. lügt. Das klingt so als seist du ziemlich naiv gewesen. Wie ging es dir damit, etwas anders darzustellen, als es der Wahrheit entsprach? (Brauchst du nicht zu beantworten, hat ja eigentlich nichts mit dem Thema zu tun. Ich kann mir nur so schlecht vorstellen, wie man als Autist so manipuliert werden kann, dass man so manipulativ wird, dass falsche Gutachten erstellt werden. Also ich will das jetzt nicht werten, nur ich glaube ich könnte mich nicht ganz anders "fit" darstellen, als ich tatsächlich bin. Und würde es auch nicht. Dafür sind meine moralischen Vorstellungen zu rigide.)

    Surprised by the joy of life.

    4 Mal editiert, zuletzt von Surprised (12. August 2022 um 21:11)

  • @Surprised Ja, ich war in der Tat naiv. Viele Menschen haben nicht verstanden, wieso ich all das überhaupt nicht durchblickt habe. Von außen war es offensichtlich. Ist man aber erstmal unter der Kontrolle dieser bestimmten Person gewesen, wird gedroht, gelogen, erpresst. Ich hatte Angst, meine Bleibe zu verlieren und deshalb getan, was man mir sagte. Es war der Vermieter. Allzu viel will ich hier nicht sagen. Man weiß ja nie, wer mitliest. Mir ging es damals sehr schlecht und jetzt frage ich mich selbst, warum ich überhaupt so naiv war. Wahrscheinlich aus der Situation heraus. Man hat nichts, einer streckt die Hand aus, man nimmt und macht alles, um das irgendwie behalten zu können. Ich spielte das Spiel mit, da ich nicht ohne Bleibe sein wollte und verdrehte damit die Wahrheit in meinem Kopf durch etwas, was man mir vorgab. Durch einen Krankenhausaufenthalt wurde mir erst klar, was da eigentlich passiert war. Man sagte mir, ich solle schnellstmöglich ausziehen. So kam es dann auch. Dieses Gefühl des Krankseins hatte ich nur unter dieser Person, danach nicht mehr. Die Problematik mit meiner Naivität gab es schon früher. Mittlerweile hat es sich ein wenig gebessert und ich scheue mich nicht mehr davor, abzublocken.

    Einmal editiert, zuletzt von esketamin (12. August 2022 um 21:41)

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!