Kostet es euch Überwindung, aus dem Haus zu gehen, z.B. zum Einkaufen?

  • Hallo,

    ich möchte das gern einmal von euch wissen, wie schwer es für euch ist (oder leicht), aus dem Haus zu gehen, wenn ihr einkaufen müsst(et), oder wenn ihr am Nachmittag einen Termin habt oder bei sonstigen Gelegenheiten, die euch einfallen.
    (Das Thema hatte ich schon mal, aber erfahrungsgemäß ist es oft nicht hilfreich, wenn man an einen alten Thread anschließt.)

    Wenn es euch in manchen Situationen leicht fällt, in anderen schwer: was ist der Unterschied?

    Wenn es euch oft schwer fällt, habt ihr Strategien, es einfacher zu machen?

    Mir fällt es z.B. nicht schwer, wenn ich früh morgens ins Büro fahren muss. Ich bin noch nicht ganz wach, muss mein Programm abspulen in einem vorgegebenen Zeitfenster und dann los. Ich weiß dann ja auch, dass es draußen noch sehr ruhig ist. Auch wenn ich sonntags zum Gottesdienst gehe, ist es kein Problem, weil ich am Wochenende immer meine Morgen-/Vormittag-Routine habe und bis zum Gottesdienst muss ich da manchmal etwas Gas geben, damit ich alles aus der Routine tun kann und trotzdem pünktlich beim Gottesdienst bin. Außerdem freue ich mich immer auf den Gottesdienst.

    Aber wenn ich im Home Office arbeite, ist es eine Qual, wenn ich dann am Nachmittag raus muss oder "sollte" (Situation für "sollte": Ich habe noch ein paar Lebensmittel, aber es fehlt doch etwas, was mir wichtig ist, da zu haben und/oder morgen müsste ich spätestens gehen, da habe ich aber einen Termin und es wäre besser, danach nicht noch einkaufen zu müssen). Ebenso wenn ich z.B. am Samstag einkaufen gehen will (Lebensmittel) - ich weiß dann, dass ich raus muss, und auch am Vormittag, weil es sonst nicht in meinen Tag passt, trotzdem quäle ich mich jedes Mal.

    Ich brauche, wenn ich nicht zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein muss, sehr lange, bis mich raus bekomme. Sobald ich draußen bin, ist alles okay. Ich bin dann draußen. Was soll sein? Ich verstehe nicht, warum es jedes Mal so ein Kampf ist. Hat jemand, der das vielleicht auch hat, eine Erklärung dafür?
    Ja, draußen ist es mir oft schnell zuviel, jetzt vor allem mit dem gleißenden Sonnenlicht und der Wärme. Dann Autos, Radfahrer, Fußgänger, mich visuell stressende Pflasterstein-Gehwege usw. Aber ich weiß ja, dass es aushaltbar ist. Warum also diese Sperre, rauszugehen?

    Bitte berichtet, wie es bei euch ist, ggf. unter Berücksichtigung der oben stehenden Fragen, oder einfach so, was euch in den Sinn kommt.

    Grüße, Lefty

    2 Mal editiert, zuletzt von Lefty (10. August 2022 um 15:30)

  • Ja!

    Wobei es auch Unterschiede gibt. Zu Terminen pünktlich zu sein, fällt mir sehr leicht. Einfach so, grundlos rauzugehen ist eine Qual. Mich aufzuraffen zum Einkaufen ist schwer, aber weniger schwer als grundloses rausgehen. Wäschewaschen, wofür ich in den Keller muß, ist ein guter Gradmesser wie meine aktuelle Rausgehfähigkeit ist.
    Wenn ich Draußen war, bin ich erschöpft.
    Eventuell spielt auch eine Rolle, dass ich mich zum Rausgehen umziehen muß, da ich zu Hause Gammelklamotten anhabe. Das erklärt aber nicht, dass Termine (einzuhalten) kein Problem ist.
    Vermutlich ist bei den Terminen der Perfektionismus so stark, dass der das Unwohlsein überstimmt wird.
    Interessant ist auch, das ich in der Fremde (*) viel leichter rausgehe.

    (*)nicht zu Hause

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    -> Don't Panic <-

    Einmal editiert, zuletzt von Tenuki (10. August 2022 um 15:38)

  • Routinemäßige Besorgungen sind für mich kein nennenswertes Problem. Zumindest nicht wenn ich absehbar nicht mit Verkaufspersonal kommunizieren muss. (KassiererIn grüßen geht gerade noch, Bedientheken vermeide ich)

    Schwierig wird es, wenn Beratung erforderlich ist oder ich nicht weiß ob ich im besuchten Geschäft überhaupt bekomme was ich suche.

    Ein Problem habe ich auch wenn ich warten muss. An der Kasse Schlange stehen ist schon schlimm aber schlimmer wird es wenn die Wartesituation weniger übersichtlich ist (Wartebereich beim Arzt, Friseur usw.)

    Wenn es irgendwie geht besuche ich nur solche Orte mit vorheriger Terminvereinbarung, vorzugsweise solche die man online buchen kann. Das setzt mich dann auch gleichzeitig unter Druck hinzugehen, denn ich bin sehr pünktlich und zuverlässig.

    Als ich vor einiger Zeit die Notwendigkeit einsah nach vielen Jahren mal wieder einen Psychiater zu konsultieren, stand ich vor dem Problem dass mein Alter nicht mehr praktizierte. Ich war nicht traurig deswegen, weil ich nie zufrieden mit ihm war. Dennoch wäre ich wieder zu ihm gegangen weil ich ihn eben kannte und wusste "wie es bei ihm läuft" (RW).

    Es hat über ein halbes Jahr gedauert, bis ich einen Termin bei einem anderen vereinbart bekam. Das lag nicht nur an den Wartezeiten. Vor Ort fand ich 13 psychiatrische Praxen von denen nur zwei eine eigene Internetpräsenz besaßen und keine davon Online-Terminanfragen ermöglichte. Nach endlosen Zögern überwand ich mich schließlich bei Zweien anzurufen und wurde dort mehr oder weniger abgewimmelt, indem man mir unfreundlich Termine mit monatelanger Wartezeit anbot.

    Schließlich fand ich in der Nachbarstadt eine offenbar noch recht neue Praxis mit Online-Terminvereinbarung und habe dort demnächst meinen ersten Termin. Dort hinzugehen wird mir nur einen Bruchteil der Überwindung kosten wie Anrufe gleich welcher Art.

    Wenn ich eine Besorgung als "notwendig" oder gar "dringend" klassifiziert habe, besteht bei mir nicht mehr die Gefahr "nicht raus zu kommen". Ich vermeide gerne Stoßzeiten und "auf die letzte Minute" zu kommen und bin daher gewöhnlich bei allem eher früh dran.

    Die Erscheinung keinen Anfang zu finden aber keine Probleme mehr zu haben wenn ich erst einmal angefangen habe, erkenne ich bei mir bei bestimmten Tätigkeiten, die nicht zwangsweise außer Haus stattfinden müssen.

    Vor bestimmtem Papierkram oder Hausarbeiten habe ich eine unerklärliche Aversion, so dass ich sie so lange wie möglich vermeide, obwohl ich auf Verstandesebene weiß dass sie halb so schlimm sind. Im Job gibt es leider auch solche Dinge. Irgendwann und irgendwie bekomme ich getan was getan werden muss, aber bestimmte Dinge waren immer schwierig und werden es wohl auch bleiben.

  • @Tenuki Danke für deine Antwort.

    Zu Terminen pünktlich zu sein, fällt mir sehr leicht.

    Mir auch. Ich bin fast immer pünktlich. Wenn ich mal etwas zu spät bin, dann deshalb, weil es Probleme mit dem ÖPNV gab. Ich war oft deutlich zu früh, in der Verhaltenstherapie habe ich gelernt, dass es okay ist, keinen allzu großen Zeitpuffer einzuplanen, sondern so, dass man etwas früher da ist, aber wenn mal etwas schief geht und man fünf oder zehn Minuten zu spät kommt, dann ist das halt mal so. Ich wäge das jetzt ab. Zur Therapie z.B. möchte ich nicht zu spät kommen, weil mir dann ja Zeit fehlt in der Therapiestunde. Also bin ich meistens 15 Minuten zu früh da und warte auf der Straße. Aber zum Psychiater, der mir mein Medikament verschreibt, da kann ich knapp planen, weil wenn ich da durch äußere Umstände ein paar Minuten zu spät kommen sollte, wäre es kein Problem, weil ich da eh immer trotz Termin recht lange warten muss. Oder wenn es um einen Fernzug geht, da gehe ich natürlich auf Nummer sicher.

    Wenn ich Draußen war, bin ich erschöpft.

    Das geht mir auch so. Wahrscheinlich ist das ein Grund für diesen Kampf vorher. Man weiß, dass man sich danach erstmal wieder erholen muss.

    Eventuell spielt auch eine Rolle, dass ich mich zum Rausgehen umziehen muß, da ich zu Hause Gammelklamotten anhabe.

    Ist bei mir auch so, und das gehört zu den Dingen, die stressig sind. Das Umziehen nutze ich für mich allerdings immer als "Startsymbol" - wenn ich anfange, mich umzuziehen für draußen, dann weiß ich, "es wird ernst".

    Das erklärt aber nicht, dass Termine (einzuhalten) kein Problem ist.

    Es ist wahrscheinlich der Druck von außen. Bei einem Termin hat man eine Verpflichtung einzuhalten. Das erzeugt genug Druck, dass man besser funktioniert.

  • Ein Problem habe ich auch wenn ich warten muss. An der Kasse Schlange stehen ist schon schlimm aber schlimmer wird es wenn die Wartesituation weniger übersichtlich ist (Wartebereich beim Arzt, Friseur usw.)

    Solche Wartesituationen finde ich auch sehr stressig. Letztens flüchtete ich aus einem Brillengeschäft. Ich war schon gestresst, weil ich so viele Modelle angeguckt und aufprobiert hatte, dann sprach ich eine Mitarbeiterin an mit einer Frage und sie sagte, jemand würde gleich zu mir kommen und zeigte irgendwo hin. Ich verstand es so, dass ein anderer Mitarbeiter wohl kommen sollte, wenn er mit irgendetwas fertig sei. Es kam aber niemand und die verschiedenen Mitarbeiter liefen im Geschäft rum, dazwischen andere Kunden, und ich wusste nicht, wie lange es dauern würde und wer überhaupt zu mir kommen würde und dann musste ich raus aus dem Geschäft, weil mich diese Situation so überfordert hat.

    Die Erscheinung keinen Anfang zu finden aber keine Probleme mehr zu haben wenn ich erst einmal angefangen habe, erkenne ich bei mir bei bestimmten Tätigkeiten, die nicht zwangsweise außer Haus stattfinden müssen.

    Das kenne ich auch sehr gut, z.B. bei Haushaltsarbeiten. Oder wenn ich meine Rückenübungen machen will. Den ganzen Tag denke ich, ich muss diese Übungen machen und wenn ich mich irgendwann zwinge anzufangen, mache ich sie einfach ohne Probleme und mache meist mehr als das Minimum, weil ich dann in der Tätigkeit "drin" bin. Hab es schon geschafft, fast eine Stunde lang Rückenübungen zu machen. Muss mich dann manchmal auch wieder zum Aufhören zwingen.

    Vor bestimmtem Papierkram oder Hausarbeiten habe ich eine unerklärliche Aversion, so dass ich sie so lange wie möglich vermeide, obwohl ich auf Verstandesebene weiß dass sie halb so schlimm sind.

    Das auch. Das Wissen, dass es "halb so schlimm" ist, hilft leider auch nur selten, die Tätigkeit dann einfach mal zu tun.

    Danke für deine Antwort.

  • Amleichtesten fällt mir das Rausgehen, wenn ich dies früh morgens erledige. Je länger ich warte und prokrastiniere, um so schwerer fällt mir das. Insbesondere bei heißem Wetter versuche ich, meine Besorgungen bis 10 Uhr erledigt zu haben. Muß ich mit den Öffis fahren, mache ich dies am liebsten erst ab 10 Uhr, da diese dann leerer sind. Arzttermine etc. versuche ich nach Möglichkeit vormittags zu erledigen. Wenn ich einmal draußen war und nach Hause gegangen bin, fällt es mir schwer, eine weiteres Mal das Haus zu verlassen. Außerdem bin ich meisten sehr erschöpft. Daher bemühe ich mich, mehrere Aufgaben nacheinder zu erledigen bevor ich wieder nach hause gehe. Unabhängig davon fand ich es in der Corona-Zeit deutlich angenehmer einzukaufen oder mit den Öffis zu fahren.
    Bei Terminen bin ich pünklich, meisten erscheine ich sogar deutlich zu früh. Probleme habe ich, wenn mein Termin an einem Ort ist, an dem ich noch nicht war. Dies verursacht mir Streß bezüglich der Pünktlichkeit und des Auffinden des Ortes. Wenn die Möglichkeit besteht, gehe ich vorher die Stracke ab, um dieses einzuschätzen zu können.

    Diversity is a fact. Inclusion is an act.

  • Bei mir haben sich die Probleme verstärkt, seit ich allein lebe. Ich denke, es kann nicht angehen, dass man sein Leben lang solche Probleme hat!

    Das mit den Terminen scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Sind andere involviert, funktioniert man besser. Sollte man sich selbst nicht auch so wichtig nehmen, wie man andere nimmt, wenn man zu Terminen pünktlich erscheint? Das könnte ein Ansatzpunkt sein. Termine mit sich selbst vereinbaren und sich eintrichtern, dass es sehr wichtig ist, diese Termine mit sich selbst einzuhalten. Damit man Termine mit sich selbst hat, braucht es wiederum feste Planung und für manches am besten strikte Routinen. Neue Routinen zu etablieren, fällt mir schwer, vor allem bei Dingen wie Einkaufen, weil nicht jede Woche gleich ist. Ich will dieses Problem aber lösen. Es ist kein akzeptabler Zustand, wenn man jedes Mal so kämpfen muss, schon deshalb, weil das ja auch eine Menge Energie kostet.

  • @madrugada Arbeitest du? Wenn ja, fängst du dann erst später an zu arbeiten? Ich kann das mit dem morgens erledigen nicht, weil ich da arbeite. Am Samstag kann ich auch nicht gleich früh einkaufen gehen, weil ich da meine Routine habe. Ich bin schon mal gleich früh raus zum Spazieren, hab nicht mal mein Bett gemacht, weil ich wusste, ich darf mich mit nichts aufhalten, sonst gehe ich doch wieder nicht. Es war einerseits gut - während ich draußen war -, andererseits war der Tag dadurch so durcheinander. Ich war vom Spaziergang erschöpft wegen der Eindrücke, und als ich zu Hause war, fühlte sich alles falsch an. Wenn ich z.B. sagen würde, ich will regelmäßig am Samstag früh spazieren gehen, dann müsste ich meine Routine umschreiben. Ich habe Angst davor, so dumm sich das anhört. Sie gibt mir Halt. Es ist ein Teufelskreis. Will ich etwas ändern, muss ich das ganze Drumherum ändern. Will ich das Alte behalten, stecke ich darin fest und alles Abweichende, sogar Schönes, hat keine Chance.

  • Ich habe auch Schwierigkeiten damit. Ziemlich oft verbringe ich den ganzen Tag zu Hause, obwohl ich eigentlich gerne rausgegangen und etwas erledigt hätte oder vielleicht nur spazierengehen wollte.

    Ich schiebe es auf die exekutiven Funktionen (fühlt sich besser an als zu sagen, ich bin faul und träge), weil man ja, wenn man rausgehen will, vorher eine Reihe von Handlungen machen muss, z.B. sich anziehen, Haare und Gesicht in Ordnung bringen oder Zähne putzen oder so. Ich kriege dann oft nicht genug Energie zusammen, um zu sagen "los jetzt!". Ich sitze rum und denke, ich könnte... aber ich tue es nicht.
    Dazu kommt dann noch das gewisse Unbehagen, dass ja ein Risiko besteht, jemandem über den Weg zu laufen, und überhaupt weiß man ja nie, was passieren könnte. Zuhause passiert jedenfalls ziemlich sicher nix.

    Daher klappt es besser, wenn ich Druck habe, z.B. wenn ich zur Arbeit muss. Das macht zwar keinen Spaß so wirklich, aber es läuft dann eine bestimmte Morgenroutine ab, und da ich weiß, dass ich muss, finde ich auch den Anfangspunkt.

    Ähnlich ist es bei anderen festen Terminen, da reicht der Druck zu wissen, dass ich da pünktlich hinkommen will. Ist auch der Grund weshalb ich mir solche Termine im Lauf meiner Woche organisiert habe, um bestimmte Dinge wie Haushalt und Bewegung zu schaffen.

    Im Urlaub habe ich gemerkt, dass es auch klappt, wenn ich eine Aktivität nicht am gleichen Tag mache, an dem sie mir einfällt, sondern ich sie mir für den nächsten Tag vornehme (und ggf. mir den Ablauf dafür vorher überlege). Im Urlaub hat man eben viel mehr Zeit und muss die Dinge nicht sofort erledigt haben. Ist auch vermutlich der Grund, warum ich immer nur ganz wenig schaffe.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Das Haus zu verlassen, ist für mich generell kein Problem, im Gegenteil, eigentlich muss ich mindestens einmal am Tag raus, sonst fühle ich mich unwohl. Einkaufen finde ich stressig, wenn ich Sachen in Drogeriemärkten zusammensuchen muss oder wenn ich aus ausnahmsweise mal in einem dieser riesigen Stadtrand-Supermärkte (Real, Kaufland) Einkäufe mache, weil ich bei dem übergroßen Angebot furchtbar lang brauche, bis ich finde, was ich suche. Das geht mir dann so auf die Nerven, dass ich oft nicht alles bekomme, was ich kaufen wollte. Lebensmittel kauf ich am liebsten auf dem Wochenmarkt.

    Pünktlich bin ich da, wo es nötig ist (Kino, Theater, Konzert). Allerdings komme ich auch da eher knapp, weil ich die Wartezeit in Vorräumen unangenehm finde. Bei sozialen Events (Familienfeiern u. Ä.) komme ich gern so, dass die anderen schon da sind, also nicht sehr pünktlich, weil ich auch da die Anfangszeit, bis das Fest richtig am Laufen ist, zäh finde.

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

    Einmal editiert, zuletzt von FrankMatz (10. August 2022 um 17:45)

  • Das ist eine gute Frage, die ich (wie die meisten Fragen) nur mit jein beantworten kann. Für mich kommt es auch hier wieder auf mehrere Faktoren an, die die Antwort als Summe beeinflussen. Es kommt bei mir darauf an, wohin es geht, mit wem ich gehe, ob es geplant ist, wann ich dahingehe, und was mich dabei erwartet. Wenn es dabei um ungeliebte Dinge wie einkaufen, (die meisten) Veranstaltungen, in die Stadt gehen, oder Aktivitäten mit ungeliebten Leuten geht, ist es ziemlich schwierig und ich fühle mich dabei merklich unwohl. Ich versuche solche Situationen immer so kurz und selten zu halten, weil sie mich stark auslaugen und es mir sehr wichtig ist, meine Energie so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Das ist immer leichter gesagt als getan, egal wie sehr ich mich anstrenge. Auch bei einigen Terminen (besonders wenn ich nicht zu Fuß dort hinkommen kann) spüre ich wie sich vieles in mir dagegen sträubt (RW) und ich am liebsten gar nicht erst hingehen will. Um damit besser umgehen zu können, baue ich da immer eine kleine Belohnung ein (RW), damit ich es für mich etwas positiver gestalten kann (z.B. ein kleines Eis für den Rückweg, eine angenehmere Route für den Rückweg, Zeit nur für mich zuhause, einige ungeliebtere Aufgaben im Haushalt auf den nächsten Tag verschieben, auf dem Hin- und/oder Rückweg Musik hören, ein geliebtes Buch mitnehmen für die Wartezeit und/oder Hin-/Rückfahrt im Zug, nachher etwas besonders geliebtes essen, nachher meine Lieblingsserien sehen, oder mit meinem Welpen spielen und kuscheln). Ich achte darauf dass meine Belohnungen für ungeliebte Aktivitäten/Treffen/Termine so günstig wie möglich oder gratis sind, damit ich mich von schlechten Angewohnheiten im Umgang mit Geld fernhalten kann. Sachen wie Frustkäufe sollen für mich komplett der Vergangenheit angehören.

    Wenn es um angenehme Aktivitäten geht, kostet es mich fast keine Überwindung um hinzugehen. Die Tatsache, dass ich es gerne mache und/oder Leute sehe, die ich gerne habe, motiviert mich zum Hingehen. Auch der Gedanke an den Spaß ist motivierend und gestaltet das ganze noch positiver.

    Wenn es um etwas völlig neues geht, ist es mir sehr wichtig mir vorher Wissen anzueignen indem ich darüber lese, mir Videos darüber anschaue, oder jemanden der es kennt darüber zu fragen.

  • Überwindung würde ich es nicht unbedingt nennen, es ist eher ein Abwägen des passenden Zeitpunktes und der Örtlichkeiten.

    Beim Einkaufen wähle ich ohnehin immer dieselben Geschäfte aus, da ich da die genauen Gegebenheiten zu den Uhrzeiten kenne , sowie ich auch kalkulieren kann, wie viel Energie es mich kosten wird.
    Dort habe ich meine Einkaufsroutinen, die mir Sicherheit geben. Und natürlich sind die Ohrstöpsel mein stetiger Begleiter.

    Muss ich spezielle Besorgungen machen, sieht das schon wieder anders aus. Diese schiebe ich dann gerne vor mir her, damit ich mich bloß nicht dem Stress aussetzen muss.

    Warten ist für mich grundsätzlich auch ein Problem. Eher irre ich 15Min durch die Gegend auf der Suche nach der Lokalität mit der kürzesten Warteschlange, statt mich 10in irgendwo anzustellen.

    "Du willst doch nur nicht normal sein, damit du dich nicht anstrengen musst."

  • Ich gehe nicht gerne raus, man weiß nie was unterwegs passiert. Grundlos und ohne Plan oder Ziel raus gehen kann ich nicht. Für Termine, meinem wöchentlichen Einkauf und meinem wöchentlichen Bürotag habe ich Routinen. Das fällt mir recht leicht. Trotzdem ist es anstrengend und vor allem an den Bürotagen, an denen ich fast 11 Stunden unterwegs bin, geht es mir im Laufe des Tages oft schlecht. Daher kommt vielleicht auch die Abneigung, weil draußen sein oft Stress bedeutet und unwohlsein.

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    Glaub nicht alles, was du denkst.
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  • Hallo Lefty, ich habe mir die Frage auch schon sehr oft gestellt.

    Ich kann sagen, dass ich sehr gerne draußen bin. Ich bin super gerne im Wasser, ich schlendere gerne durch die Stadt, ich sitze gern mit Buch in Cafes und trinke Capuccino, ich gehe gern zur Eisdiele, ich gehe gern lange Strecken, ich sammle gerne wilde Früchte und Kräuter, mache gern Geocaching treffe gern draußen Leute, bin gerne auf Spielplätzen zum Schaukeln und bin gerne im Park. Es gibt zwar Stellen, die ich zu laut finde (primär wegen der Sirenen/Rettungswagen), aber da muss ich mich ja abgesehen vom Büro (liegt in der Nähe eines Krankenhauses) nicht aufhalten. In meiner direkten Umgebung ist es sehr ruhig und ich wohne nur wenige Meter von einem schönen Park entfernt. Zudem ist es in der Wohnung aktuell oft drinnen heißer als im Park. Ich finde es auch nicht anstrengend draußen zu sein. Schlicht: Ich liebe es!

    Man müsste also meinen, sobald ich die Gelegenheit habe, ströme ich nach draußen.

    Mir geht es aber genauso wie dir, ich komme ewig nicht die die Gänge (die Formulierung hat meine Mutter immer in Bezug auf meinen Vater benutzt...). Erst mal liege ich, wenn man mich lässt, Stunden im Bett (wache sagen wir um 11 auf und liege bis 13 Uhr im Bett), und dann brauche ich, wenn man mich nicht raustreibt, noch mehrere Stunden, bis ich wirklich draußen bin. Dann wiederum bin ich oft sehr lange draußen.

    Bei mir ist es so, dass ich eine starke exekutive Dysfunktion habe. Ob das Teil von Autismus oder ADHS ist, kannst du dir aussuchen. Ein Teil der Exekutivfunktionen ist es, Handlungen zu beginnen und zu beenden. Beides scheint mich unendlich viel Energie zu kosten. Daher schreib ich teilweise lieber im Aspie-Forum als Mittagspause zu machen, weil ich dann ja vom Rechner weg müsste.
    Ständig habe ich Diskussionen mit meiner Mutter, weil sie meint, ich könne doch kurz vorbeikommen. Ich kann aber nicht kurz vorbeikommen, ich bleibe immer maximal lange, und zum Ausgleich brauche ich ewig, bis ich losgehe. Sagt meine Mutter wieder: "Aber doch nur kurz!". Sie versteht es nicht, weil ich ja nur 500 m entfernt wohne. Sie ist auch so klischeehaft ADHS-mäßig drauf, also immer auf dem Sprung, immer tausend Dinge gleichzeitig. Mein Vater ist auch nie in die Gänge gekommen. Wenn man ihn lässt, macht er sich erst gegen Abend Mittagessen, dann hat er aber bereits so viel Hunger, dass er extrem schlechte Laune hat.

    Bei den meisten Beiträgen hab ich das Gefühl, dass es sich um andere Probleme handelt (z.B. man mag Einkaufen nicht oder hat Angst vor Begegnungen) und nicht um dieses Problem. Das kann man glaub ich nur nachvollziehen, wenn man es kennt. Von außen betrachtet wirkt es ziemlich absurd.

    3 Mal editiert, zuletzt von seven_of_nine (11. August 2022 um 11:20)

  • Aber wenn ich im Home Office arbeite, ist es eine Qual, wenn ich dann am Nachmittag raus muss oder "sollte" (Situation für "sollte": Ich habe noch ein paar Lebensmittel, aber es fehlt doch etwas, was mir wichtig ist, da zu haben und/oder morgen müsste ich spätestens gehen, da habe ich aber einen Termin und es wäre besser, danach nicht noch einkaufen zu müssen)

    Kann ich so bestätigen. Deswegen bringt das Home Office auch keine krasse Zeitersparnis, obwohl ich mir den (relativ kurzen) Fahrtweg spare. Einfach auf dem Rückweg von der Arbeit einzukaufen klappt deutlich besser, weil da bin ich ja eh schon unterwegs. Und wenn ich einmal unterwegs bin, dann kann ich gefühlt auch 100 Läden aufsuchen.

  • Mir fällt es z.B. nicht schwer, wenn ich früh morgens ins Büro fahren muss.

    Das fällt mir auch schwer, aber primär, weil ich auch zwischen 9 und 10 schlecht aus dem Bett komme. Ansonsten kann ich's gar nicht sagen, es ist halt der Zwang/Druck, ich hab ja keine andere Wahl.

  • Ja, draußen ist es mir oft schnell zuviel, jetzt vor allem mit dem gleißenden Sonnenlicht und der Wärme. Dann Autos, Radfahrer, Fußgänger, mich visuell stressende Pflasterstein-Gehwege usw.

    Ich liebe das Sonnenlicht und die Wärme, zumindest unten im Park. Ich schließe die Augen und genieße. Hier in meinem Viertel find ich abgesehen von einigen großen Straßen nicht, dass es viel Verkehr gibt. Weniger wäre natürlich immer schöner. Mich stresst visuell nichts, zumindest wäre mir das nicht aufgefallen. Natürlich mag ich keine Werbeplakate.

    Ich liebe auch den Weg (500 m) morgens zur U-Bahn. Eines der Highlights des Tages.

  • Hat jemand, der das vielleicht auch hat, eine Erklärung dafür?

    Ich fass mal alle zusammen, was ich so in den letzten Jahren in Erwägung gezogen habe:

    • Autistic inertia/Exekutive Dysfunktion: Man kann den aktuellen Zustand/die aktuelle Handlung nicht wechseln/beenden. Warum es aber beim raus gehen so stark ist, verstehe ich auch nicht ganz. Z.B. vom Lesen zum Blumen gießen wechseln ist einfacher. Oder vom Schwimmen zum spazieren gehen. Zudem ich, sobald ich draußen bin, jegliche Wechsel nicht als stressig empfinde, als wäre alles EIN Handlungsstrang. Ich kann problemlos ins Cafe gehen, dann in den Bioladen, dann in den Park usw. Gerade ziellos herumzulaufen scheint mein Gehirn eher zu entspannen (= wenig Exekutivfunktionen).
    • Man muss sich richtig anziehen und vorbereiten. Nicht, dass mir Mode oder sowas wichtig wäre.
      Aber man muss wieder Dinge abwägen, zieh ich das Teil noch einen Tag an oder nicht, brauch ich einen Regenschirm, brauch ich einen Pulli, was wenn ich den Pulli liegen lasse, soll ich den Pulli umbinden oder in den Rucksack tun, welchen Rucksack soll ich mitnehmen, ist der Rucksack ausgeräumt oder ist da noch Müll drin, brauch ich noch eine Leggings, falls es kälter wird, aber die Leggings und der Pulli wiegen ja auch was?, ist mein Handy überhaupt aufgeladen, ist mein MP3-Player (nutze kein Smartphone) aufgeladen, wo ist das Ding überhaupt wieder, brauch ich den überhaupt, sollte ich nicht lieber die Naturgeräusche genießen, sollte ich ein Buch mitnehmen, komme ich überhaupt zum Lesen?, brauche ich eine Maske, brauch ich nicht einen Beutel, falls ich noch einkaufe, muss ich überhaupt einkaufen, was fehlt überhaupt, warum hab ich keine Einkaufsliste geführt, warum ist der Kalender noch auf Juli, es ist doch schon August?, sollte ich meine Haare noch mal kämmen, muss ich was zum Trinken mitnehmen, oder kauf ich unterwegs was, aber das ist doch wieder Geldverschwendung, aber die Flasche wiegt doch wieder, und wo hat mein Freund den Deckel hingetan, ich könnte auch ohne Flasche aus dem Trinkbrunnen trinken, aber komme ich vorbei am Trinkbrunnen?
      Am schlimmsten, wenn es um Essensorganisation geht: Auswärts essen erscheint mir zu teuer, aber wenn ich selbst koche, dann stellen sich mir wieder tausend Fragen, also wenn ich jetzt dieses und jenes zubereite, dann muss ich wieder so eine lange Pause eintragen, weil das ja dauert, andererseits kann ich ja nicht einfach fertige Ravioli essen oder Nudeln mit Pesto (es sei denn, das ist selbstgemacht). Komme dann oft zu dem Schluss, dass es einfacher ist, erst mal nichts zu essen.
      Vor solchen Gedankenketten kapitulier ich meist einfach. Wird sowas durch Ritalin besser?
  • Das geht mir auch so. Wahrscheinlich ist das ein Grund für diesen Kampf vorher. Man weiß, dass man sich danach erstmal wieder erholen muss.

    Kann bei mir nicht der Grund sein, ich muss mich davon nicht erholen i.d.R.

    War übrigens auch immer sehr unpünktlich und hab deswegen immer Ärger bekommen. Und bin es tendenziell immer noch. Wir sind also da in vielen Punkten sehr unterschiedlich. Nur was die eine Sache mit dem Rausgehen betrifft nicht.

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