Mich schlauchen so viele alltägliche Sachen

  • Hallo,

    mich schlauchen so viele alltägliche Sachen, die für andere Menschen meist normal und kein Problem sind:
    - Bahn- und Autofahrten
    - Ausflüge, Urlaub/woanders übernachten
    - Menschenmengen
    - Gruppensituationen
    - Treffen/Zusammensein mit anderen
    - generell Unterwegssein
    - Alkohol

    Kommen noch weitere Faktoren hinzu (z. B. Schlafmangel), sind die o. g. Sachen noch quälender.

    Die meisten Menschen scheinen das alles gut wegstecken zu können oder dadurch sogar gerade Energie zu bekommen. Warum ist das bei mir so anders und ich muss mich erst mal ganz lange von einem Treffen oder einer Bahnfahrt erholen?

    Gibt es dafür eine Ursache, wenn einen diese Sachen so stark schlauchen? Empfindlicher Gleichgewichtssinn? Hypersensibel bzgl. Sinnesreize?

    Kennt ihr das?

    Ich vermeide diese Dinge nicht, sondern habe manchmal Lust rauszugehen, wegzufahren, jemanden nach langer Zeit wiederzusehen etc. Aber nach kurzer Zeit bin ich total erschöpft/am Limit und will nur noch möglichst schnell allein sein oder nach Hause in meine ruhige, kühle, dunkle Wohnung.

    Einmal editiert, zuletzt von Elena (8. August 2022 um 00:23)

  • Ja, kenne ich (ADHS).
    Beim Rest der Familie (Mann und Kind mit ASS) ist es oft noch schwieriger.
    Und: es wird mit zunehmendem Alter schlimmer.

    Aus unserer Erfahrung ist es hilfreich, stressige Situationen genau zu analysieren.
    Welche Sinneseindrücke sind problematisch?
    Was kann ich tun, was mich entspannt?
    Vorhersehbarkeit soweit wie möglich herstellen, z.B. wer kommt? Was sind mögliche Themen? Wenn es mir zu viel wir, gehe ich auf Toilette oder nach Hause.

    Menschenmengen:
    In der Innenstadt nehme ich oft kleine Nebenstraßen und gehe direkt morgens zu Geschäftsöffnungszeit.

    Alkohol: trinken wir vielleicht 3 Mal im Jahr

    Größere Treffen, abhängig auch vom Bekanntheitsgrad der Teilnehmer:
    nur sehr begrenzte Zeit aushaltbar, wir gehen meist früh
    Ein Trick meiner Herkunftsfamilie: man geht gemeinsam in kleinen Interessensgrüppchen spazieren

    Urlaub: gefühlt nehmen wir den halben Hausstand mit. Dabei sind jedem andere Dinge wichtig.
    Wichtig auch, dass sich das Schlafzimmer komplett verdunkeln lässt.
    Schlafbrille und Ohropax sind immer mit dabei.

    Warum das so ist?
    Bei uns 3 ist es die andere Wahrnehmung, die aber auch noch bei jedem von uns anders ist.
    Mich stresst außerdem, bei Treffen den Fokus auf dem entsprechenden Gespräch zu halten und mein Gegenüber nicht mit meinen abschweifenden Gedanken zu irritieren.
    Die anderen beiden Familienmitglieder sind eher von der sozialen Interaktion als ganzes gestresst.

  • Bei Treffen mit anderen stört mich auch, die ganze Zeit aufmerksam sein zu müssen und nicht mal einfach längere Zeit in mich versinken und völlig abschalten zu können, ohne reden zu müssen.

    Am besten bräuchte ich nach 30-60 Min. mit anderen immer eine Pause, wo ich länger allein bin und alle Eindrücke verarbeiten kann. Und danach irgendwann noch mal treffen. Aber sowas ist ja kaum umsetzbar. Ich kann mich ja schlecht mit jemandem treffen und ihn dann eine Zeit lang wegschicken, um mich davon zu erholen.

    Wenn ich Leute sehe, die in Gruppen lange Zeit im Park etc. zusammensitzen, ist das für mich ein Graus. Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen, wie man Spaß daran haben kann, so lange mit anderen zusammen zu sein, ohne seine Ruhe zu haben, man muss ständig Kompromisse machen, obwohl man allein vielleicht etwas ganz anderes lieber machen würde als die Mehrheit der Gruppe.

    Ich versuche auch, mir anstrengende Sachen so angenehm wie möglich zu machen, was Zeiten, Wege, Sitzplatz etc. betrifft. In Zügen z. B. einen Platz ganz hinten/an der Seite am Fenster für mich allein zu haben, aber oft ist das leider nicht möglich.

    (Grelles) Licht und Wärme stressen mich auch sehr schnell extrem.

    Ich denke oft, ich hätte irgendeine Krankheit, eine körperliche Fehlfunktion oder einen Mangel, der diesen Stress auslöst, konnte bisher aber nichts finden und wüsste auch nicht, was ich untersuchen lassen könnte.

    Einmal editiert, zuletzt von Elena (8. August 2022 um 08:25)

  • Das Problem mit Licht und Wärme haben meine Familienmitglieder auch.
    Bei ihnen gehört das zur autistische Wahrnehmung.
    Ähnlich wie bei Geräuschen kann man da nur symptomatisch was machen, um den Stress zu reduzieren.

    Bei größeren Runden schalte ich zwischen durch minutenlang ab. Oder schaue kurz aufs Handy o.ä.
    Bei Familie und bester Freundin funktioniert das auch, weil wir das alle Mal mehr, Mal weniger machen.

    Beim Zug-Problem hilft eigentlich nur, eigene Hilfsmittel mit zu bringen.
    Wie sieht es z.B. mit großen Kapuzen aus als Sichtschutz?
    Gibt es mittlerweile auch als Nackenhörnchen.
    Lieblingsmusik oder Hörbuch auf die Ohren und sich dann weg träumen.
    Dafür muss es dann "nur noch" ein Fensterplatz sein.

    Seit mein Kind klein ist, haben wir eigentlich keine Treffen mehr, die über 6, max. 8 Personen hinaus gehen, weil er das nicht kompensieren kann.
    Ist jetzt für meine Überlastung auch nicht das schlechteste.
    Wobei, wenn man Mal genauer beobachtet, wie Kommunikation in größeren Runden funktioniert, sind es eigentlich immer eher kleine Untergrüppchen, die sich immer wieder neu zusammensetzen.
    Ich hänge mich dann auch gerne an einen Lieblingsmenschen und wechsele weniger.

  • Ich denke oft, ich hätte irgendeine Krankheit, eine körperliche Fehlfunktion oder einen Mangel, der diesen Stress auslöst, konnte bisher aber nichts finden und wüsste auch nicht, was ich untersuchen lassen könnte.

    Hallo,
    in deinem Profil kann ich deinen Status nicht erkennen. Mir geht es auch so, wie du hier in dem ersten Post schreibst. Ich bin Autist und sehr reizempfindlich und investiere außerdem viel Energie darin mich anzupassen.
    Ich versuche noch herauszufinden, was mir gut tut und was zu viel ist. Oft erkenne ich erst im Nachhinein, dass mir alles zu viel war und ich brauche dann lange um mich wieder zu erholen.

    Hast du das Thema Autismus für dich denn abgeklärt? Das könnte doch die Erklärung sein..?

    Wie sieht es bei dir mit dem Thema „Burnout“ aus? Ich hatte vor ein paar Jahren eins (Psycho- / Biosoziales Überlastungssyndrom mit chronischer Erschöpfung) und gerate grad erneut hinein. Das könnte bei mir zumindest auch ein Grund sein. Es ist als sei mein „Akku“ kaputt.

  • Ich kenne das nur zu gut, Elena und wünschte dass es anders wäre. Dadurch bin ich ziemlich allein und auch sehr einsam.
    Auch frage ich mich einfach, was mit mir nicht stimmt!?
    Ich weiß es natürlich, aber dennoch ist es dann präsent und ich bin einfach nur total genervt davon, dass ich da anders funktioniere.
    Auch durch Hilfsmitteln ist es für mich nicht veränderbar, nur etwas leichter zu meistern.
    Ich fühle mich einfach verflucht damit..

  • Hallo!
    Ich kenne dieses „geschlaucht sein“ sehr gut. Mich strengt besonders alles Soziale sehr an. Nach längerer Zeit unter zb wie gestern Familie, brauche ich lange Zeit zur Erholung.

    Ich unternehme auch gern etwas. Wenn es gut geplant ist und/ oder ein verständnisvoller Mensch mich begleitet, kann das durchaus schön sein! :)

    Ich lerne immer besser, auf mich aufzupassen und Grenzen zu setzen. Früher hab ich so viel ertragen/ ausgehalten/ Masking betrieben. Das tat mir nicht gut.
    Wenn ich mehr ich selbst bin, geht es mir besser. Das heißt nicht, dass es nicht anstrengend ist, ich zu sein.
    Manchmal bezeichne ich es als Zumutung, autistisch in dieser Welt leben zu müssen.
    Aber es gibt nun mal nur diese Welt und dieses Leben. Darum möchte ich es möglichst schön haben!

    Man sieht nur mit dem Herzen gut.
    Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
    (Antoine de Saint-Exupéry)

    "Was ist falsch an sonderbar?"

    "Das Ende der Störung ist derzeit nicht absehbar."

  • Am besten bräuchte ich nach 30-60 Min. mit anderen immer eine Pause, wo ich länger allein bin und alle Eindrücke verarbeiten kann. Und danach irgendwann noch mal treffen. Aber sowas ist ja kaum umsetzbar. Ich kann mich ja schlecht mit jemandem treffen und ihn dann eine Zeit lang wegschicken, um mich davon zu erholen.

    Trefforte wählen, wo eine andere Beschäftigung, die dich nicht stresst, im Vordergrund steht und man deshalb die soziale Interaktion für die Hauptbeschäftigung regelmäßig unterbrechen kann, ist da meine Lösung.

  • Dieses "geschlaucht sein" kenne ich auch von mir sehr gut. Ich versuche nach Möglichkeit immer einen Ort für mich zu finden, wo ich mal längere Zeit für mich
    alleine sein kann.

  • oh ja, ich kann dich nur zu gut verstehen[*].

    Viele Dinge deiner Liste vermeide ich gerade. Wenn ich sie nicht vermeide, habe ich nachher so Kopfschmerzen, dass ich mindestens den restlichen Tag außer Gefecht (RW) bin.
    Bei anderen Dingen versuche ich mir die Sache so angenehm wie möglich zu machen.

    Bahnfahren =>
    Vorzugweise ICE
    1. Klasse und einen schönen Sitzplatz aussuchen


    Menschenmassen =>
    auch mal ein Umweg gehen
    Randzeiten nutzen, wo weniger los ist


    Autofahren =>
    Elektroauto statt Benziner, primär wegen dem Wegfall des Schaltens
    weniger Stress wegen Tanken
    Straßen heraussuchen, die wenig Stress produzieren


    [*] Außer Thema Alkohol. Trinke ich praktisch nicht. Hier ist dann eher das Problem, das ich mich bei sozialen Ereignissen rechtfertigen muss, dass ich nicht trinke.

  • Ja, kommt sehr auf den Ort des Treffens an. Zuhause bei jemandem zu sein oder generell direkt neben jemandem zu sitzen, finde ich auf Dauer sehr anstrengend.

    Mir fällt da aber nur Schwimmbad oder Freizeitpark ein, was für mich angenehme Unterbrechungen bei der Interaktion macht.

    Am liebsten wäre mir halt nur 1 Std. im Café treffen. Dann ist für mich alles gesagt und ich will wieder allein sein. Aber das lohnt sich allein schon wegen längerer Anfahrtszeit bei vielen nicht.

    Eigentlich will ich, wenn ich ehrlich bin, nur meine 2 vertrauten Freunde treffen. Die kann ich auch länger treffen, weil die ähnlich wie ich ticken. Alle anderen Kontakte reichen mir nur online. Aber ich denke immer, das wäre nicht gesund, mich so zu isolieren, und quäle mich dann doch wieder zu längeren Treffen mit anderen Bekannten, wenn die mich fragen. Oft denke ich, dass ich das Treffen hinter mich bringen will, um es abhaken zu können und meine „Pflicht“ getan zu haben, sodass mich der andere hoffentlich erst mal wieder länger mit Treffens-Vorschlägen in Ruhe lässt…


    Übermorgen fahre ich wieder Bahn und überlege, ob ich mit Nahverkehr fahre oder doch ICE (ggf. 1. Klasse) buchen soll. Das wären aber nur 30 Min. Zeitersparnis mit ICE, aber vielleicht würde eine halbe Stunde weniger + weniger Überfüllung, bequemere Sitze doch schon viel bewirken..? Andererseits wäre es wiederum stressig, auf den speziellen ICE angewiesen zu sein und dann auch noch den richtigen Wagen und meinen Sitzplan finden zu müssen. Ich kann vorher schlecht abwägen, welche Option für mich mehr Stress bedeuten würde.

    Wenn ich frei habe, stellt sich immer die Frage: Zuhause bleiben oder wegfahren? An einem anderen Ort kann ich oft besser abschalten und Arbeitsstress vergessen. Dafür können Fahrten und Übernachtungen woanders aber sehr schlauchen.
    Aber wenn ich wegfahre, habe ich anderen wenigstens auch was zu erzählen. Mir fällt es immer schwer, irgendein Thema mit anderen Leuten zu finden, wenn nichts Besonderes passiert ist.


    Auch ein anstehender Termin stresst mich, wenn er vormittags liegt. Dann fühle ich mich vorher unter Druck, früh schlafen gehen zu müssen, und bin in meiner Zeitplanung nicht mehr frei.


    Bisher wurden mir nur Anteile von Autismus bei Therapeuten zugeschrieben. Innerhalb der Familie wurde mir (und einem Geschwisterteil) ansonsten mal Autismus unterstellt.

  • Eigentlich will ich, wenn ich ehrlich bin, nur meine 2 vertrauten Freunde treffen. Die kann ich auch länger treffen, weil die ähnlich wie ich ticken. Alle anderen Kontakte reichen mir nur online. Aber ich denke immer, das wäre nicht gesund, mich so zu isolieren, und quäle mich dann doch wieder zu längeren Treffen mit anderen Bekannten, wenn die mich fragen. Oft denke ich, dass ich das Treffen hinter mich bringen will, um es abhaken zu können und meine „Pflicht“ getan zu haben, sodass mich der andere hoffentlich erst mal wieder länger mit Treffens-Vorschlägen in Ruhe lässt…

    Bei mir macht es auch einen erheblichen Unterschied, wen ich treffe.
    Kannst du bei den anderen Kontakten nicht die Treffdauer verringern, damit es weniger stressig ist? Wissen die, wie sehr dich soziale Interaktion anstrengt? Sowas sollte man nämlich schon offen kommunizieren, um Mißverständnissen vorzubeugen. Wer wirklich Interesse am Kontakt mit dir hat, wird darauf auch Rücksicht nehmen und sich anpassen, so meine Erfahrung.

  • Das kommt mir großteils auch bekannt vor, außer Bahnfahrten/Reisen, das mach ich gern bzw. schlaucht mich nicht.

    Wobei es für mich absolut ok ist, "nur" 1-2 näheren Freunden zu treffen.

    Wenn ich/man sich jetzt doch mal gern noch mit anderen treffen will, hätte ich ehrlich gesagt kein Problem, vorher zu sagen: "Ich kann von dann bis dann (Uhrzeit)". Wie weit wäre denn die Anreise? Ich denke jetzt schon auch eher nicht, dass die meisten mehr als sagen wir mal 3-4 Std. IC fahren würden, um mich für 1 Stunde zu treffen. Ich wiederum würde das übrigens schon machen, es wäre sogar perfekt für mich, da ich eh gern Tages- und Wochenendausflüge mache, und dann in so einem Fall die andere Stadt/Gegend in Ruhe allein erkunden kann, während ich trotzdem für eine kurze Zeit einen Freund treffe, von dem ich sicher sein kann, dass er nicht plötzlich sagt "So, jetzt gehen wir noch da-und-dahin, treffen noch x und y, und später ist noch ne coole Party!"

    Sich irgendwie Inseln schaffen, wo man nicht interagieren muss, also z.B. Lesen, was mit dem Handy machen, zwischendurch Zeit auf dem Klo oder allein in einer ruhigen Gartenecke (je nach Ort halt was anderes) verbringen, hilft mir sehr. Ist natürlich nicht immer leicht umzusetzen.
    Und generell dass man sich nicht trifft und dann "nur" zusammen sitzt, sondern dass eine bestimmte Tätigkeit im Mittelpunkt steht. Beispiele: zusammen Rad fahren/Ausflug machen, Gesellschaftsspiel, schwimmen oder irgendwelche anderen Sportarten, Zoo, Museum, irgendeine Aufführung besuchen, einfach spazieren oder bummeln...

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