Hallo,
ich bin selbst gesellschaftlich/politisch aktiv und möchte das ungern missen. Das hängt einerseits mit meinen Spezialinteressen zusammen und anderseits mag ich es auch gelegentlich unter Leute zu gehen und Bekanntschaften aufrecht zu halten. Außerhalb dieses Kreises pflege ich sonst auch keine Freundschaften. Daher brauche ich das.
Neben den üblichen regelmäßigen Treffen wie Stammtisch oder Vereinssitzung, auf die ich mich (meist) in der Vergangenheit gut einstellen konnte (Bekannte Orte, Lärmquellen wie Musik wird extra für mich leiser gestellt) gibt es dann noch das leidige Thema Veranstaltungen.
Gestern war wieder eine solche Veranstaltung. Die Veranstaltung (Vortrag mit anschließender Diskussionsrunde) wurde von unserem Verein organisiert. Die Gegebenheiten vor Ort kannte ich bislang noch nicht. Das Gebäude lag in der Nähe einer viel befahrenen Straße (war im Internet nicht so genau erkennbar), vor dem Gebäude waren allerdings fast nur Fußgänger unterwegs. Da es gestern heiß war, wurden alle Fenster groß aufgerissen. Die Tür zum Flur stand ebenfalls offen. Zu der Veranstaltung kamen zwischen 15-20 Leute, überwiegend Senioren. Im Saal war es daher relativ ruhig. Der Straßen-/Umgebungslärm war mir allerdings nach bereits 10-15 Minuten im Saal zu viel. Ich konnte dem Vortrag kaum noch ertragen. Der Verkehr triggerte mich zunehmend. Zu Beginn der Veranstaltung wurde extra darauf hingewiesen, dass man die Fenster auch teilweise schließen könnte, aber bei dem Versuch eines der vielen hinteren offenen Fenster auf Kippstellung zu bringen (für mich ein guter Kompromiss) kam es zu Tumult von 2-3 Personen im Publikum. Die Fenster wurden von Anderen wieder komplett geöffnet. Weiter nach vorne traute ich mich auch nicht. Das hätte meiner Meinung nach noch mehr für Unruhe gesorgt. Das mir der Lärm zu viel war (habe ich so gesagt) wurde nicht ernst genommen.
Die Vereinsvorsitzende, die von meinem Autismus weiß, saß ebenfalls ganz vorne. Die konnte ich auch nicht so einfach ansprechen. Es war mir unangenehm mitten in der Veranstaltung alle zu belästigen und so meine Bedürfnisse über Andere zu regeln. Wenn ich sie unbemerkt hätte ansprechen können wäre es etwas anderes gewesen. Bei ihr hätte man bestimmt weniger widersprochen, denn sie war quasi Schirmherrin/Aufseherin des Saals.
Aber da ich allerdings nichts machen konnte (bzw. Andere die gekippten Fenster wieder komplett öffneten), verließ ich nach einer Weile die Veranstaltung quasi mit einem Overload. Vielleicht war ich auch nur kurz vor dem Overload, keine Ahnung wo genau da die Grenze liegt. Im Treppenhaus konnte ich irgendwann noch den Rest der Diskussion halbwegs hören, ohne dass mich der Straßenlärm allzu sehr nervte. Ich habe es direkt an der offenen Tür irgendwann mit ANC-Kopfhörern probiert, war aber auch sehr anstrengend (Lärm wurde nur teilweise ausgeblendet, Fragen von Teilnehmern sehr schwer verständlich). Wenn ich zuvor nicht so getriggert gewesen wäre, dann wäre es vielleicht eher gegangen.
Bei dieser Veranstaltung habe ich also quasi noch eine Notlösung finden können. Aber wie ist das in Zukunft? Veranstaltungen generell fern zu bleiben ist derzeit keine Option für mich. Sofern wir nur unter uns wären (also nur Vereinsmitglieder) könnte man eher auf mich eingehen. Ich habe ohnehin vor mich innerhalb des Vereins zu outen., sobald mir die Diagnose schriftlich vorliegt. Denn auch dort waren dauerhaft aufgerissene Fenster im Sommer hin und wieder ein Problem.
Aber bei öffentlichen Veranstaltungen ist es um so schwieriger. ANC-Kopfhörer sind meiner Meinung nach hier auch nicht immer Teil der Lösung (kommt auf die Geräuschkulisse an). Leise Treppenhäuser oder Ausweichräume direkt nebenan sind leider nicht immer und überall vorhanden. Also immer wieder ansprechen? Wenn ja, wie? Oder fällt Euch eine andere Lösung ein. Wie soll man also damit umgehen?