Hallo,
Wie ihr teilweise vielleicht schon gelesen habt (Mein Sohn, meine Mutter und…ich? - Vorstellungen und Verabschiedungen - aspies.de Selbsthilfeforum), habe ich durch die Diagnostik-„Reise“ mit meinem Sohn entdeckt, dass ich vermutlich selbst Autistin bin. Ganz sicher habe ich autistische Züge, ob ich bei einer Diagnose dann überm Cut-Off landen würde, da bin ich mir nicht so sicher, da ich sozial sehr gut kompensieren kann und das mein Leben lang geübt habe. Ich bin also nicht 100%ig überzeugt davon. Immer wieder überfallen (RW) mich Zweifel, da ich doch dafür vielleicht einfach noch „zu gut funktioniere“ (obwohl ich das vermutlich nur tue, weil ich nicht mehr arbeite ).
Aber auf der anderen Seite würde Autismus ALLE Ungereimtheiten, Probleme, Eigenheiten und Fragen in meinem Leben erklären. Restlos ALLE. Und es passt einfach. Insbesondere bei dem Buch „Schattenspringer“ ist es mir eiskalt den Rücken runter gelaufen (RW), weil ich dachte:“die beschreibt ja MICH!“. DAs war so mein persönlicher AHA-Moment.
Was mich eigentlich bewegt ist Folgendes: ich habe mich mein Leben lang von den anderen Menschen „abgetrennt“ gefühlt, wie durch eine unsichtbare Wand getrennt. Während alle Spaß haben auf einer Fete, will ich nur nach Hause, während alle über Person X lästern, frage ich mich was das soll und wie unfair und unsozial das ist, während alle ihre „Grüppchen“ haben und beieinander stehen und sich amüsieren, sitze ich alleine irgendwo und lese, weil ich mit den Gesprächsinhalten nichts anfangen kann und ich die „ungeschriebenen“ Gesetze und Regeln nicht begreife…Während alle dies und jenes superspannend finden, finde ich das nur gähnend langweilig. Während ich total begeistert und fast schon besessen von einem Thema bin, können andere meinen Eifer überhaupt nicht nachvollziehen und sind genervt, weil ich so viel darüber spreche. Ich wurde in meiner Kindheit und Jugend gemobbt, ich war als junge Erwachsene unter Männern beliebt (weil ich ziemlich attraktiv war und dazu auch geistreich und schlau ;o)), mit Frauen konnte ich oft aber nicht. Ich hatte mein Leben lang immer nur 1-2 sehr GUTE Freundinnen, die waren mir dann aber auch immens wichtig. Leider habe ich oft auch da wieder Dinge falsch gemacht, wie mich zu selten gemeldet oder Dinge vergessen oder was auch immer. Wenn mir jemand eine Banane anbot, diese mir schälte und sie mir reichte, konnte ich riechen, dass die Banane zuvor neben einer Paprika gelegen hatte und konnte sie nicht essen (Ich hasse Paprika). Wenn meine Mutter laut auflachte, fing ich an zu heulen und hielt mir die Ohren zu, weil mich das Geräusch so erschreckte (und auch die starke Emotion, die ich nicht einordnen konnte). So könnte ich ewig weiter beschreiben...
Fakt ist, dass ich mich einsam fühle (trotz Ehemann und 3 Kindern, die ich alle 4 über alles liebe), gleichzeitig aber mit denn allermeisten anderen Menschen nur herzlich wenig anfangen kann und bin am liebsten allein. Auch meine Familie wird mir schnell viel zu viel . Ich habe das sehr starke Gefühl, dass ich NCHT NEUROTYPISCH bin. Ich fühle mich autistisch, bzw. beschreibt Autismus, das wie ich mich fühle noch am ehesten/besten.
Hier im Forum habe ich aber das unterschwellige Gefühl (obwohl bislang alle nett zu mir waren ), dass man unter Autisten auch nur WIRKLICH als zugehörig akzeptiert wird, wenn man eine offizielle Diagnose hat, was mich irgendwie traurig macht. Schon wieder gehöre ich nicht dazu, obwohl ich es ziemlich sicher tue. Dieses Mal fehlt mir das "offizielle Label".
Dabei kann ich nichts dafür, dass vor 40 Jahren autistische Mädchen einfach noch überhaupt nicht erkannt wurden und meine Mutter einfach ziemlich nachlässig war (die redet mit 3 nicht? Egal wird sie schon noch!). Wäre das der Fall gewesen, hätte man damals auf dem Schirm gehabt, dass es auch autistische Mädchen gibt und wäre das Asperger-Syndrom als solches schon populär und bekannt genug gewesen (das war da glaube ich noch nicht mal offiziell im ICD), so wäre ich wohl sehr früh diagnostiziert worden, denn wenn ich das mit dem heutigen Wissen betrachte, erfülle ich alle Kriterien. Ich brauche FÜR MICH eigentlich keine Diagnose. Mir reicht es, das zu vermuten, denn ich für mich bin mir da relativ sicher.
Aber ich habe das Gefühl ich brauche sie für meine Außenwelt. Sowohl um endlich irgendwo „offiziell“ dazu zu gehören und mich zurecht unter Autist*innen heimisch zu fühlen (was ich tue), als auch um meinen Freunden, meiner Familie gegenüber offen darüber sprechen zu können und auch aufhören zu können zu masken und zu lügen ("ich hab Migräne und kann leider nicht zur Geburtstagsfeier kommen würde dann abgelöst durch:"mir ist das einfach zu viel, die ganzen fremden Menschen, die Lautstärke, dann muss ich auch noch Smalltalk halten und das kann ich einfach nicht. Ich fühle mich fehl am Platz bei sowas. Mir macht das Angst und es stresst mich!"). Bislang weiß nur ein SEHR kleiner Kreis davon, dass ich bei mir Autismus vermute. Von einer Person wurde das direkt erstmal abgelehnt („es reicht doch, dass du hochsensibel bist! Das erklärt doch auch das meiste“), erst als ich ein wenig erzählt habe, wie ich als Kind und Jugendliche war, wie es IN mir aussieht, wenn ich mit jemandem spreche und sozial interagiere, wurde sie sehr still und meinte, dass es vielleicht doch passen könnte. Sie ist selbst hochsensibel und sehr intelligent, aber na ja, manche Dinge, die ich gemacht habe oder wie ich etwas wahrnehme, das kann sie dann doch überhaupt nicht nachvollziehen .
Die andere Person ist Schulbegleiterin für ein autistisches Kind und negierte das auch erst einmal komplett (da sie ein frühkindlich autistisches, nonverbales Kind betreut, der zudem eine Intelligenzminderung hat). Als ich dann ein wenig erzählte und erklärte, wurde sie auch offener. Ich habe aber eigentlich garkeine Lust, jetzt bei jedem, der mir wichtig ist, Aufklärung zu betreiben. Ich möchte auf der einen Seite mit mir wichtigen Menschen TEILEN, was ich für mich weltbewegendes „entdeckt“ habe, da das auch mein neues Spezialinteresse ist, auf der anderen Seite wünsche ich mir aber, dass das nicht angezweifelt sondern einfach angenommen und akzeptiert wird, dass ich „angenommen“ werde so wie ich bin. Es kennt mich doch niemand besser als ich? Und wer sagt schon freiwillig: Ich bin Autistin! Wenn dies nicht begründet ist? Immerhin weckt das bei vielen Menschen nicht nur positive Assoziationen...
Ich will mich nicht mehr verstecken und ständig vorgeben anders zu sein als ich es bin. Ich bin ausgelaugt, müde und erschöpft. Das frisst mich immer mehr auf. Soziale Interaktion wird für mich immer anstrengender. Ich habe dafür immer weniger Energie.
Vielleicht spreche ich hiermit insbesondere, die nicht diagnostizierten, weiblichen VAs hier an. Vielleicht erkennt oder versteht das aber auch der ein oder andere diagnostizierte Mensch hier...
Kennt ihr solche Gedankengänge und Gefühle auch? Wenn ihr euch für eine Diagnose entschieden habt, WARUM? Wenn ja, wie habt ihr das in Angriff genommen? Ich tue mir mit telefonieren total schwer und finde die Diagnostik für meinen Sohn grade schon so anstrengend und extrem nervenaufreibend. Vor jedem Termin bin ich wochenlang aufgeregt und gehe alles immer und immer wieder in Selbstgesprächen oder mit Schriftlichen Listen durch, kurz vor dem Tag selbst, habe ich Angst, dass ich zu spät komme, krank werde, Stau ist, oder was auch immer. Ich wüsste garnicht, wie ich das für MICH auf die Reihe kreigen sollte und ich versuche eben grade Nutzen und Aufwand gegeneinander abzuwägen und das fällt mir schwer.