Diagnostik auch ohne Verwandschaftsbefragung möglich?

  • Leider sind sowohl beide Elternteile als auch Patentante und -onkel schon verstorben bzw. nicht mehr "verfügbar". Zum Rest der Verwandtschaft habe ich seit Jahren schon keinen Kontakt mehr und möchte ihn auch auf gar keinen Fall mehr (etwa für die Diagnostik) aufleben lassen. Zudem bin ich Einzelkind.
    Lediglich mein Ehemann kann über mich "Auskunft geben".

    Nun habe ich gehört, dass es daher wahrscheinlich nicht möglich sein könnte, eine ASS-Diagnose zu erstellen, sondern nur einen Verdacht zu diagnostizieren. Das wird mir aber nicht weiterhelfen hinsichtlich GdB?

    Wie ist es bei Euch?

    1. Ist das generelle Praxis oder
    2. gibt es hier im Forum bestätigte AS, die in einer ähnlichen Situation waren wie ich ich?
    3. Wenn ja, was habt Ihr gemacht? Fotos mitgebracht zur Diagnostik? Partner mit einbeziehen lassen? Oder...?

    Herzlichen Dank im voraus für Eure Antworten!

    Freundschaften? Ich bin abends nur noch kaputt von den sozialen Notwendigkeiten im Beruf. Da bleibt nix mehr.

  • Meine Eltern leben zwar noch, aber da ich inzwischen 500 km entfernt wohne wurde auf die Befragung der Eltern verzichtet weil die Grundschulzeugnisse aussagekräftig genug waren. Das war an der UK Köln.

    Der Partner kennt dich ja normalerweise nicht lange genug. Mein damaliger Partner wurde schon befragt für die Aussenperspektive, aber es geht ja um den Beginn in der Kindheit.

    Una est catena quae nos alligatos tenet, amor vitae

  • Ich hatte in Jena nachgefragt und bekomme nur einen Termin nachdem ich von meinen Eltern ausgefüllte Fragebögen eingereicht haben werde - also nie.

  • Also bei mir ist es so gewesen, dass meine leiblichen Eltern schon lange Tod gewesen sind, aber das Jugendamt einige medizinisch-soziale Einschätzungen zu ihnen in der Akte gehabt hat. Die sind mir mündlich zur Verfügung gestellt worden.

    Zu meinen Adoptiveltern hat bereits kein Kontakt mehr bestanden, was ich den jeweiligen Stellen mitgeteilt und auch mit Angabe der Hintergründe erklärt habe.

    Da meine Frau und ich zum Zeitpunkt der Diagnostik schon mehr als 13 Jahre zusammen gewesen sind, hat man Schilderungen meiner Frau akzeptiert. Auch kenne ich es von einem Freund, dass in seinem Fall die Alternative gewesen ist, dass enge Freunde (in diesem Fall ich) speziell auf dieses Verhältnis zugeschnittene Fragebögen haben ausfüllen können.

    Daher: Ein generelles Ausschlusskriterium ist das Fehlen der Elternschilderungen nicht.

  • Meine Eltern konnten nicht mehr befragt werden. Ich hatte aus der Kindheit Grundschulzeugnisse, Fotos, dann selbst Listen zusammen gestellt.
    Mein Freund hatte den Fragebogen ausgefüllt. Ich hatte sogar von einer Kollegin/einer Freundin den Fragebogen angepasst ausfüllen lassen.
    Sehr viele Unterlagen zusammengestellt. Auch Auszüge aus meinem Tagebuch.

    Mein Kind und Kollegin, Freunde waren bereit bei einem Termin Fragen zu beantworten. Das war dann nicht mehr nötig, da das Ergebnis eindeutig war.

    Als ich dann nach der Diagnose einer gewissen Anzahl an Menschen davon erzählte, war bis auf eine Person, keiner erstaunt.
    Das erstaunte mich.
    Ich dachte immer, ich wäre so gut im masking.... Tenor war: ich mochte/mag dich, aber du warst/bist schon sehr anders im Verhalten.

    Ich habe sogar jemanden angerufen, mit dem ich vor 14 Jahren zusammen gearbeitet hatte: ich mochte dich, so warst unglaublich fleißig und hast geholfen. Aber dein Verhalten war anders. Aber für mich war das ok.

  • Zitat von Shino Me

    Mein Freund hatte den Fragebogen ausgefüllt.

    Weißt du noch, welcher das war? Die meisten Elternfragebögen beziehen sich ja auf die frühe Kindheit. Wenn der Partner nicht gerade etwa 15-20 Jahre älter als man selbst ist und einen schon als Kleinkind kannte, ist ein solcher Bogen ja für den Partner nicht ausfüllbar.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Eines gute Quelle ist auch das eigene alte U-Heft, falls das noch vorhanden ist. Dort wird u.a. eingetragen wann man krabbelt, läuft, 2-3 Worte spricht etc. Bei waren aber auch noch ein paar medizinische Auffälligkeiten vermerkt, welche auf Autismus schließen ließen.

  • Weißt du noch, welcher das war? Die meisten Elternfragebögen beziehen sich ja auf die frühe Kindheit. Wenn der Partner nicht gerade etwa 15-20 Jahre älter als man selbst ist und einen schon als Kleinkind kannte, ist ein solcher Bogen ja für den Partner nicht ausfüllbar.

    Das war im Prinzip der, den man selbst ausfüllt in einer angepassten Version.

    Meine Kollegin hatte den auf bitte von mir als Grundlage genommen, die Fragen im Kontext Arbeit zu beantworten. Da ihr das unangenehm war, ist ja schon sehr persönlich, hatte ich ihr zugesichert, die Antworten nicht zu lesen.

    Zusätzlich hatte ich noch Aussagen von Verwandten aus meiner Kindheit, die mir selbst nicht erinnerlich waren, sa ich da zu klein war. Tagebuch ab 11, was mir schwer fiel zu lesen, da mir noch mal gezeigt wurde, wie anders ich mich fühlte und wie wenig ich soziale Kontexte verstand und gekämpft habe, mich NT zu geben. Fotos aus dem Kindergarten.

  • @Shino Me Danke für die Info.

    Neben den ausführlichen Notizen zu meiner frühen Kindheit aus einem Gespräch mit meiner Tante hatte ich auch Grundschulzeignisse und Fotos (vor allem von Familisnfeiern, aber nicht nur) in meiner zweiten Diagnostik dabei. Ich wurde auch zu meinem Erinnerungen befragt.

    In der ersten Diagnostik wurden meine Grundschulzeugnisse gelesen (in denen ausschließlich in der 4. Klasse zwei Sätze zum Sozialverhalten stehen). Ich selbst wurde nicht zu meiner Kindheit befragt.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Oh wow! Schon so viele Antworten! Vielen lieben Dank! :)

    Ich werde mal nachschauen, ob ich noch alte Tagebücher habe, das kann ich dann einscannen. Fotos aus der Kinderzeit hab ich schon auf dem Tablet.
    Den zitierten Diskussionsthread werde ich mir auch noch ansehen.

    U- Hefte gab es in den 60er/70er Jahren noch nicht, daher fällt das für mich flach.(RW)
    Die Grundschulzeugnisse sind diesbezüglich auch nicht ergiebig (RW).
    Leider auch die Möglichkeit, auf Freunde zurückzugreifen, ich habe aktuell keine und die alten Verbindungen existieren nicht mehr. Dito der eine Kollege, den ich hätte dazu vorstellen können, der kannte mich 13 Jahre. Er ist leider schon verstorben.

    Nix destotrotz, Eure Beiträge haben mir schon sehr geholfen, weil sie mich zum weiteren Nachdenken bzgl. Alternativen anregen.
    Seid also herzlichst bedankt! Und auch jede*r, der noch weitere Ideen hat!

    Freundschaften? Ich bin abends nur noch kaputt von den sozialen Notwendigkeiten im Beruf. Da bleibt nix mehr.

  • @Shino Me Danke für die Info.

    Neben den ausführlichen Notizen zu meiner frühen Kindheit aus einem Gespräch mit meiner Tante hatte ich auch Grundschulzeignisse und Fotos (vor allem von Familisnfeiern, aber nicht nur) in meiner zweiten Diagnostik dabei. Ich wurde auch zu meinem Erinnerungen befragt.

    In der ersten Diagnostik wurden meine Grundschulzeugnisse gelesen (in denen ausschließlich in der 4. Klasse zwei Sätze zum Sozialverhalten stehen). Ich selbst wurde nicht zu meiner Kindheit befragt.

    mir wurden viele Fragen gestellt. Ich möchte die hier nicht näher angeben, da ich glaube, das es für die Diagnose wichtig war, dass ich nicht vorbereitet war.
    Hatte bei der Befragung mehrere Aha Erlebnisse. Es gab Punkte, die ich für nicht autistisch hielt und dann bei der Befragung erst gemerkt habe, dass sie stimmig für das Bild eines Asperger sind. Das wurde mir erst durch die genaue Befragung klar. Ich habe nach dem Termin noch sehr viel darüber nachdenken müssen. Habe mir meine alten Aufzeichnungen genommen und nochmal aus einem anderen Blickwinkel durchgesehen.

  • @Shino Me Ja, ich halte die Fragen auch für sehr wichtig. Umso verwunderter war, dass diese in der ersten Diagnostik (in der es hieß, an mir sei gar nichts Autistisches) gar keine Rolle spielten (RW), obwohl der Diagnostiker mind. zweimal sehr eindringlich betonte, dass es ja auf Symptome in der frühen Kindheit ankäme bzw. Symptome bis dahin zurückgeführt werden müssten (was mir ja klar war). Nur folgten auf die Hinweise keine Fragen.

    In der zweiten Diagnostik gab es u. a. eine Frage zum Sozialverhalten in der Kindheit im Sinne von: "Und deshalb dachten Sie, wenn X dann auch Y"? Aber der Zusammenhang in dem konkreten Beispiel wurde mir erst durch die Frage klar.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Ich wurde gebeten, ein Elternteil oder jemanden der mich sehr lange kennt mitzubringen. Ich hab meinen Ehemann mitgebracht, wir sind über 15 Jahre zusammen, und ich sollte bestimmte Fragen im Vorfeld klären (Sprachentwicklung, Sozialverhalten) und wurde viel befragt zu meiner Kindheit. Das hat wohl ausgereicht, der Diagnostiker war sich sehr schnell sicher. Meine Sprachentwicklung war eher früh und sehr unkonventionell, ich hatte Aufzeichnungen von meiner Mutter über Sätze die sie mitgeschrieben hat (wie ungewöhnlich das ist, ist ihr nie aufgefallen, mein großer Bruder ist auch Aspie und meine große Schwester sprachlich hochbegabt, es gab einfach keine Norm). Ich war auf einer Waldorfschule, deshalb gab es sehr detailllierte Zeugnisse meiner Lehrer, also keine Noten sondern seitenlange Aufsätze über meine Entwicklung, das war auch hilfreich. Ich hatte noch meinen klasenlehrer 1-.7. Klasse befragt, er berichtete mir dass ich die Pausen damit verbracht habe, Mitschüler mit Springseilen zu fesseln und sie zu jagen wenn sie sich gewehrt haben, auf die Frage des Diagnostikers, ob ich denke, dass die anderen Kinder das mochten, war ich erstmal sprachlos. Auf die Idee, darüber nachzudenken bin ich nie gekommen, aber im Nachhinein wurde mir klar dass die das wohl eher nicht mochten und deshalb weggelaufen sind. Mein gesicht sprach wohl Bände :d

    Also in meinem Fall war es ohne Eltern möglich, bei allen 3 Diagnosestellen (hatte bürokratische Gründe warum ich 3 mal diagnostiziert wurde). Ich finde, es muss da eine Lösung geben, oft gibt es private Videos oder, oder sehr langjährige Freunde. Und wenn nicht, kann man es trotzdem versuchen und dann nachher vielleicht feststellen, dass es kein eindeutiges Ergebnis gibt. Aber eine Diagnostik generell abzulehnen, weil man kein Elternteil anschleppen kann, finde ich etwas problematisch.

  • Ich habe meine Diagnose auch ohne Befragung der Eltern bekommen weil dies nicht mehr möglich ist.
    Voraussetzung dafür ist meiner Meinung nach ein sehr erfahrerner Diagnostiker.
    Oder jehmand mit Erfahrung, der Dich schon recht gut kennt.

    Aber diese Leute sind schwer zu finden.

    Jede Jeck is anders

  • Ob eine Diagnostik ohne Eltern geht, scheint vom Einzelfall abzuhängen. Insofern muss man das einfach mit der Diagnostikstelle klären.
    Vielleicht gibt es ja Videos oder Super8-Filme aus der Kindheit, die man heranziehen kann. Unter Umständen auch Fotos. Zeugnisse können auch helfen, wenn da welche bei waren mit Fließtext. Für die Diagnostik kommt es drauf an, dass irgendwie erkennbar wird, wie man damals mit anderen Menschen interagiert hat.

  • Sorry wenn ich hier so reinplatze mit meiner Frage, aber was gebau sollte man denn auf Fotos sehen können, woraus man eine Diagnostik ableiten kann?
    Videos...ja ok, je nachdem in welchem Kontext, aber Fotos?! :roll:

  • Bei mir wurde mein stark auffälliger Blick als kleines Kind im diagnostischen Bericht anhand der Kinderfotos erwähnt.

    Ich schreibe in der Regel vom mobilen Endgerät aus - merkwürdige Wortkonstrukte sind ggf. der Autokorrektur geschuldet

  • Gestik, Mimik und auch Position zu den anderen Personen.

    Also bei mir:
    Anachoreta sitzt alleine in der einen Ecke des Sandkastens und starrt fasziniert auf etwas, was nur Anachoreta spannend findet, während die anderen Kinder entweder zusammen spielen oder Aufmerksamkeit von den Eltern erheischen möchten.

  • @Lilja Ich hatte Fotos vom Baby- bis ins Grundschulalter aus verschiedenen Situationen und mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken mitgenommen. Bei vielen Babyfotos, auf den ich gehalten werde, empfinde ich mich selbst als abwesend/starrend um zum Teil versuche ich mich wohl aus dem Haltegriff zu "befreien". Auf Fotos, auf denen ich nicht spontan lache, sondern vermutlich dazu aufgefordert wurde, habe ich ein ziemlich gruselig-gestelltes Grinsen, das nur entfernt an ein solches erinnert. Auf einem Bild (wovon es eine ganze Bildreihe gibt) sieht es so aus als flattere ich mit den Händen. Ob es sicher so war, lässt sich nicht sagen, weil ich mich an den Moment nicht erinnere. Ich war da 2,5 Jahre alt. Es war wohl aber eine stressige Situation, weil meine Mama sich hochschwanger mit meinem Bruder von mir ins Krankenhaus verabschiedete. Bei Gruppenfotos stehe ich fast immer am äußeren Rand, mitunter noch auf Abstand. Ich nahm auch Fotos mit, von denen ich selbst glaubte, dass sie autismusuntypisch seien, weil ich ein möglichst breites Spektrum an Szenen anbieten wollte.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

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