Asperger Schwerbehinderung?

  • Oh, jetzt werden mir auch noch Vorurteile vorgeworfen. Nur weil man sich nicht die Mühe macht, den ganzen Thread zu lesen.


    Dass bei so einem Thema Kontroversen entstehen können, sollte vorher klar sein. Da gibts so einen Spruch mit "Wie man in den Wald rein ruft, so schallt es zurück" (RW) und wenn man einen Thread mit kontroversem Thema aufmacht, sollte man dann auch mit "Gegenwind" (RW) klarkommen. Und nicht wenn eine "unbequeme" (RW) Antwort kommt wieder auf persönlicher Ebene darauf reagieren.

  • @Geisterfahrerin Die 50 stehen für einen Grad der Behinderung von 50. Die Grade reichen in Zehnerschritten von 0 - 100. Gedanklich kann man sich die Grade aber auch als Prozentangaben vorstellen, sozusagen als: Wie viel Prozent eines maximalen Behinderungsgrads erreichen die Einschränkungen, die ich persönlich durch meine Behinderungen habe.

    Genau so hätte ich auch geschrieben. Sorry @Geisterfahrerin ich war seit meinem letzten Beitrag nicht im Forum und bin erst jetzt wieder da, konnte darum nicht früher antworten.

  • Wenn man der Definition der WHO folgt, besteht für mich kein Zweifel daran, dass Autismus und speziell auch Asperger eine Behinderung ist:

    Die einzelnen Definitionen für das Wort Behinderung sind im internationalen Rahmen sehr verschieden. So kann die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation) WHO nur versuchen eine grobe Definition vorzunehmen.
    Die WHO geht bei Behinderung immer von 3 Begriffen aus:

    1. impairment (Schädigung)
      = Mängel oder Abnormitäten der anatomischen, psychischen oder physiologischen Funktionen und Strukturen des Körpers
    2. disability (Beeinträchtigung)
      = Funktionsbeeinträchtigung oder -mängel aufgrund von Schädigungen, die typische Alltagssituationen behindern oder unmöglich machen
    3. handicap (Behinderung)
      = Nachteile für eine Person aus einer Schädigung oder Beeinträchtigung


    Es treffen - würde ich sagen - sogar alle drei Begriffe zu. Man sollte einfach mal aufhören den Begriff "Behinderung" ständig zu emotionalisieren, sondern einfach als einen Term zu benutzen.

  • Für mich hat @Geisterfahrerin eine ganz normale Frage zum Thema gemacht. Sie hat dabei niemanden persönlich angegriffen, und sie hat in keiner Weise aggressiv geschrieben. Trotzdem ist sie hart angegangen worden, und darüber ist die eigentliche Themafrage verschwunden.

    Das finde ich schade. Denn irgendwie ist doch jetzt die Gelegenheit verpasst, sich auszutausen über die Frage, woher die behindernden Einschränkungen, die zu einem GdB oder eben einem SBA führen, beim einzelnen kommen. Ist es der Autismus für sich genommen, der zum SBA führt? Sind es Komorbiditäten wie Depression, ADHS, Angststörungen? Oder sind es Folgeerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen zum Beispiel?

    Und klar, man darf auch fragen, wie eingeschränkt, behindert, krank all diejenigen sind, bei denen die Diagnose nicht zu einem SBA führt und die auch keinen offiziell festgestellten GdB haben. Vielleicht hätte man dann eine Antwort erhalten, die man in gegenseitigem Respekt zur Kenntnis nimmt, über die man sogar reden kann. Kommt man hingegen gleich mit der Vermutung, dass dann ja an der Diagnose doch nicht so alles stimmen kann, dann hat man durch die im Grunde ja emotionale Reaktion einen Austausch verhindert.

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

  • und erschwert mir mein Leben ungemein, weil ich sehr gut planen muss, nichts spontan machen kann, oder nur sehr selten, und im Prinzip Entscheiden muss: Leben ODER Arbeiten, denn beides schaffe ich nicht.

    DAS ist eine Behinderung und gerade das hatte ich auch, ein Leben lang. Es gibt zwar auch andere psychische Behinderungen die ein normales erfülltes Leben erschweren können (und nicht nur AS) aber lebenslang nicht mithalten zu können innerhalb der gegebenen (für Neurotypische gefassten) Strukturen (nämlich nicht sowohl leben wie auch arbeiten zu können) ist eine massive, chronische Belastung und spricht für eine Behinderung. Nicht dass man arbeitsscheu oder ungesellig wäre aber man schafft nur eines davon, was langfristig nicht funktioniert obwohl es die einzige Lösung ist (entweder Leben ohne Arbeit oder Arbeit ohne Leben). Wobei das Wort "Leben" Freunde, Familie, Kinder usw. bedeutet, nämlich alles was das Leben lebenswert macht.

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

    Einmal editiert, zuletzt von Unbewohnte Insel (22. November 2021 um 22:59)

  • Es gibt ja den Ausspruch "Ich bin nicht behindert, ich werde behindert" (den ich nicht ganz verstehe, denn wenn ich behindert werde bin ich ja faktisch behindert). Natürlich stimmt es, dass ein Rollstuhlfahrer in einer rollstuhlfahrenden Welt (nein, keine Weltkugel im Rolli :lol: ) keine rollstuhlbedingten Probleme hat. Ist aber nunmal nicht die Norm. Und Autisten haben eben oft Probleme in einer neurotypischen Welt, weil diese nicht ihrer Art entspricht. Wobei ich auch nicht glaube, dass eine einheitliche Meinung darüber existieren würde, wie Autisten ihre Welt wollen.

    Beim Begriff "behindert" muss ich immer mit den Zähnen knirschen... Ich sehe mich in der "ich werde behindert"-Kategorie: Meine Probleme in der sozialen Interaktion müssten sich nicht so gravierend auswirken, wie sie es tun. Theoretisch gäbe es da Möglichkeiten wie z. B. Email/Chat/Messenger statt Telefon. Die werden aber oft verweigert, obwohl die Personen oder Behörden absolut in der Lage sind, sie zu nutzen. (Beispiel: Konkrete Frage per Kontaktformular an den zuständigen Sachbearbeiter geschickt, nach zwei Wochen kommt als Antwort: Rufen Sie mich doch mal an.) Dafür müsste man nicht einmal spezielle Dinge einrichten, wie z.B. für Blinde, da auch nicht-Autisten diese Möglichkeiten bereits nutzen.

    Und klar, man darf auch fragen, wie eingeschränkt, behindert, krank all diejenigen sind, bei denen die Diagnose nicht zu einem SBA führt und die auch keinen offiziell festgestellten GdB haben.

    Den GdB gibt es ja nicht automatisch mit der Diagnose. Man muss sich drum bemühen - was manche nicht wollen.
    Dann ist noch die Frage, ob man tatsächlich die Einschränkungen anerkannt bekommt. Bei mir schwanken die Ärztemeinungen ja auch zwischen "stellt sich bloß an" und "totales Wrack". :nerved:

    Moderatorenbeiträge sind an der grünen und fetten Schrift erkennbar! Alles andere stellt meine persönliche Meinung als Forennutzerin dar.

  • Ich habe inzwischen verschiedene Therapeuten gehabt, aber alle sträuben sich, dass Wort Behinderung in den Mund zu nehmen, ganz zu schweigen von Schwerbehinderung. Gleich der erste Therapeut nach meiner Diagnose erklärte mir, er sehe Autismus nicht als ein Behinderung sondern als ein Anderssein, ein Andersdenken.


    Wie seht Ihr das? Seht Ihr Euch als Behinderte, als Schwerbehinderte, als Andersseiende oder gar als etwas Besonderes?

    Therapeuten müssen diese Perspektive haben. Nur wenn sie Ressourcen identifizieren können, können sie ressourcenorientiert arbeiten. Der Therapeut würde ja seine Daseinsberechtigung verlieren, wenn er sagen würde "oh, ohnehin alles mies, kann man nichts mehr ändern". Da müssen Perspektiven aufgezeigt werden, um mit der Seinsform klarzukommen.

    Vielleicht hast du auch das Glück (ernst gemeint) gute Mechanismen gefunden zu haben, dass du die Vorteile dieser besonderen Art zu sein nutzen kannst und wenig behindert wirst.

    Ich sträube mich dagegen, Behinderung emotional aufgebracht zu betrachten oder Euphemismen zu benutzen. Denn das bagatellisiert Behinderung. Wichtig ist für mich die Perspektive, dass nicht die Person durch ihre Art zu sein die Behinderung "verschuldet", sondern dass Behinderung auftritt, wenn die Gesellschaft nicht den Bedürfnissen des Individuums gerecht werden kann. Und mitunter hat das Individuum dann nicht ausreichend Ressourcen, das auszugleichen. Deshalb ist Behinderung ein gesellschaftliches Problem und keines des Individuums.

    Deshalb stehe ich dem GdB auch etwas zwiegespalten gegenüber. Ja, ab einem gewissen Grad bekommt man gewisse Unterstützung. Aber ob es mich tatsächlich enthindern wird, bezweifle ich doch stark. So weit ist die Gesellschaft noch nicht. Es ist ein bisschen wie greenwashing....

    Und ja. Ich betrachte mich als behindert. Tendenziell sogar schwerbehindert. Meine Folgeerkrankungen spielen da eine Rolle. Allerdings treten die natürlich primär auf, weil ich durch den Autismus so einiges an Problemen habe und das einfach kaum zum kompensieren ist. Da leidet dann mein gesamtes System.

    Ich schreibe in der Regel vom mobilen Endgerät aus - merkwürdige Wortkonstrukte sind ggf. der Autokorrektur geschuldet

  • DAS ist eine Behinderung und gerade das hatte ich auch, ein Leben lang. Es gibt zwar auch andere psychische Behinderungen die ein normales erfülltes Leben erschweren können (und nicht nur AS) aber lebenslang nicht mithalten zu können innerhalb der gegebenen (für Neurotypische gefassten) Strukturen (nämlich nicht sowohl leben wie auch arbeiten zu können) ist eine massive, chronische Belastung und spricht für eine Behinderung. Nicht dass man arbeitsscheu oder ungesellig wäre aber man schafft nur eines davon, was langfristig nicht funktioniert obwohl es die einzige Lösung ist (entweder Leben ohne Arbeit oder Arbeit ohne Leben). Wobei "Leben" bedeutet Freunde, Familie, Kinder usw.. nämlich alles was das Leben lebenswert macht.

    Genauso ist es bei mir auch.
    Ich habe auch einen Schwerbehindertenausweis, aber wegen Diabetes und Bluthochdruck.
    GdB 60. Vermutlich auch Begleiterkrankungen.
    Bei Diabetes ist es ähnlich wie mit ASS, man muss mit der Intelligenz ( und Insulin) ausgleichen, was bei anderen automatisch funktioniert. Erst bei deutlichen Beeinträchtigungen gibt es GdB 50. In einem entsprechendem Forum gibt es ähnliche Diskussionen wie hier.
    Nein alles zusammen ist eine Riesen Einschränkung, ich bin nicht " bedingt gesund",
    "nur anders verdrahtet", auch die "Super Kraft" ist flöten gegangen. (RW)

    Hier mal zum Vergleich.

  • Bei Diabetes ist es ähnlich wie mit ASS,

    Das kann ich mir vorstellen (RW).

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

  • Trotzdem sehe ich mich selbt nicht als behindert, sondern eben anders. Und mit diesem Andersein muss ich lernen umzugehen. Seit der Diagnose sage ich zu mir: es hilft dir nichts dich behindert oder gestört (Entwicklungstörung) zu sehen, damit kommst du nur noch tiefer in die Scheisse. Darum versuche ich, meine eigene Gebrauchsanleitung zu finden und mich so viel wie möglich meine Grenzen zu erkennen.

    Ich sehe mich auch nicht als behindert (Wunschdenken), habe trotzdessen, einen Grad der Behinderung beantragt und werde diesen wohl auch bekommen. Versuche seit 57 Jahren meine eigene Gebrauchsanweisung zu finden. Ich denke auch, das mein AD(H)S mich mehr behindert, als meine ASS. Seit meinem Zusammenbruch, im Juli diesen Jahres, wird mir mehr und mehr bewußt, wie sehr mich meine Selbstwahrnehmung in die Irre geführt hat. 20 Jahre lang habe ich mich mit Opiaten verleugnet. Im Anschluss daran, habe ich versucht, der jeweiligen Situation angepasste Rollen zu spielen und vermeintlich Erwartungen zu erfüllen. Mein Leben geregelt hat die letzten Jahre meine Ex-Frau. In meiner Selbstwahrnehmung war ich autonom. Meine Grenzen kenne ich nicht. Auch wenn ich meine Diagnosen scheiße finde, habe ich sie inzwischen akzeptiert, denn sie sind eine plausible Erklärung dafür, was in den letzten 57 Jahren bei mir suboptimal gelaufen ist und ich kann besser Gegensteuern. Es hilft mir auf jeden Fall bei der Suche nach der Gebrauchsanleitung.

  • Für mich hat @Geisterfahrerin eine ganz normale Frage zum Thema gemacht. Sie hat dabei niemanden persönlich angegriffen, und sie hat in keiner Weise aggressiv geschrieben. Trotzdem ist sie hart angegangen worden, und darüber ist die eigentliche Themafrage verschwunden.

    Das finde ich schade. Denn irgendwie ist doch jetzt die Gelegenheit verpasst, sich auszutausen über die Frage, woher die behindernden Einschränkungen, die zu einem GdB oder eben einem SBA führen, beim einzelnen kommen. Ist es der Autismus für sich genommen, der zum SBA führt? Sind es Komorbiditäten wie Depression, ADHS, Angststörungen? Oder sind es Folgeerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen zum Beispiel?

    Und klar, man darf auch fragen, wie eingeschränkt, behindert, krank all diejenigen sind, bei denen die Diagnose nicht zu einem SBA führt und die auch keinen offiziell festgestellten GdB haben. Vielleicht hätte man dann eine Antwort erhalten, die man in gegenseitigem Respekt zur Kenntnis nimmt, über die man sogar reden kann. Kommt man hingegen gleich mit der Vermutung, dass dann ja an der Diagnose doch nicht so alles stimmen kann, dann hat man durch die im Grunde ja emotionale Reaktion einen Austausch verhindert.

    Vielen Dank, Frank Matz, genau das wollte ich mit meiner Frage erreichen.

    Therapeuten müssen diese Perspektive haben. Nur wenn sie Ressourcen identifizieren können, können sie ressourcenorientiert arbeiten. Der Therapeut würde ja seine Daseinsberechtigung verlieren, wenn er sagen würde "oh, ohnehin alles mies, kann man nichts mehr ändern". Da müssen Perspektiven aufgezeigt werden, um mit der Seinsform klarzukommen.

    Ein interessanter Denkanstoß, Mandelkern. Und je mehr ich darüber nachdenke, muß ich dir zustimmen.

    Ich sehe mich auch nicht als behindert (Wunschdenken), habe trotzdessen, einen Grad der Behinderung beantragt und werde diesen wohl auch bekommen. Versuche seit 57 Jahren meine eigene Gebrauchsanweisung zu finden. Ich denke auch, das mein AD(H)S mich mehr behindert, als meine ASS. Seit meinem Zusammenbruch, im Juli diesen Jahres, wird mir mehr und mehr bewußt, wie sehr mich meine Selbstwahrnehmung in die Irre geführt hat. 20 Jahre lang habe ich mich mit Opiaten verleugnet. Im Anschluss daran, habe ich versucht, der jeweiligen Situation angepasste Rollen zu spielen und vermeintlich Erwartungen zu erfüllen. Mein Leben geregelt hat die letzten Jahre meine Ex-Frau. In meiner Selbstwahrnehmung war ich autonom. Meine Grenzen kenne ich nicht. Auch wenn ich meine Diagnosen scheiße finde, habe ich sie inzwischen akzeptiert, denn sie sind eine plausible Erklärung dafür, was in den letzten 57 Jahren bei mir suboptimal gelaufen ist und ich kann besser Gegensteuern. Es hilft mir auf jeden Fall bei der Suche nach der Gebrauchsanleitung.

    Deine Geschichte kommt mir teilweise bekannt vor. Bei mir war der Zusammenbruch schon vor vier Jahren und ich habe inzwischen dank Therapie viel gelernt. Meine Gebrauchsanleitung ist noch lange nicht vollständig und ich überschreite noch immer ab und zu meine Grenzen, aber es wird deutlich besser. Das wünsche ich dir auch.

  • Wichtig ist für mich die Perspektive, dass nicht die Person durch ihre Art zu sein die Behinderung "verschuldet", sondern dass Behinderung auftritt, wenn die Gesellschaft nicht den Bedürfnissen des Individuums gerecht werden kann. Und mitunter hat das Individuum dann nicht ausreichend Ressourcen, das auszugleichen. Deshalb ist Behinderung ein gesellschaftliches Problem und keines des Individuums.

    Es ist ein wechselseitiges Problem, beide Seiten sind beteiligt. Von Schuld würde ich da aber gar nicht reden.
    Behinderung ist (existiert) einfach. Ist nicht böse, nicht minderwertig, sondern einfach eine Tatsache.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • @Geisterfahrerin stört es dich dann genau so auch körperliche "Andersartigkeiten" diese als Behinderung zu benennen? Unterscheidest du da zwischen sichtbaren und nicht sichtbaren Andersartigkeiten? Was wäre zum Beispiel etwas, (Erkrankung, Einschränkung, etc.) wo es für dich vom Gefühl oder vom Eindruck weniger ein Problem wäre, das als Behinderung zu benennen?

  • Meine Probleme in der sozialen Interaktion müssten sich nicht so gravierend auswirken, wie sie es tun. Theoretisch gäbe es da Möglichkeiten wie z. B. Email/Chat/Messenger statt Telefon. Die werden aber oft verweigert, obwohl die Personen oder Behörden absolut in der Lage sind, sie zu nutzen.

    Das sehe ich wie du. Allerdings sehe ich in diesen Fällen uns (also Autisten oder Personen, die damit zu tun haben) in der Pflicht darauf aufmerksam zu machen, um EINE Behinderung aus dem Weg zu räumen. Denn ich gehe mal stark davon aus, dass es nicht böse gemeint ist sondern schlicht Unwissen und auch ein Stück weit Bequemlichkeit, für die meisten Menschen ist so ein Telefonat wesentlich angenehmer und einfacher. Und so wie ich in Anspruch nehme, dass meine Form bitte berücksichtigt wird, so möchten diese Menschen auch lieber bei ihrer Form bleiben, absolut legitim. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass Termine die man eben online machen kann womöglich öfter ohne Absage nicht wahrgenommen werden und das deshalb beispielsweise nicht alle Arztpraxen anbieten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man freundlich ist und erklärt warum man lieber schreibt, dem meistens entsprochen wird.
    Diese Kommunikation, was wir eigentlich brauchen um evtl ein wenig Energie für uns behalten zu können, findet aber sehr wenig statt. Bzw steckt in Deutschland in den Kinderschuhen, andere Länder sind da durch eine gute Selbstvertretung weiter. Mit Sicherheit sind Behörden in anderen Ländern auch, sagen wir, weniger in ihren Routinen eingefahren als die deutschen Behörden :sarcasm: Aber grade dafür könnte man ja auch als Autist ein besonderes Verständnis haben. Könnte, nicht muss.

    Nichtsdestotrotz ist es meine Besonderheit, die hier ein Umdenken bei anderen Menschen erfordert, und ich finde es legitim, das anzustoßen, aber nicht legitim, sauer zu sein, weil sie es nicht von sich aus tun.

  • @Geisterfahrerin stört es dich dann genau so auch körperliche "Andersartigkeiten" diese als Behinderung zu benennen? Unterscheidest du da zwischen sichtbaren und nicht sichtbaren Andersartigkeiten? Was wäre zum Beispiel etwas, (Erkrankung, Einschränkung, etc.) wo es für dich vom Gefühl oder vom Eindruck weniger ein Problem wäre, das als Behinderung zu benennen?

    Gute Frage, im Niederländischen heisst das Wort Behinderung handicap oder beperking, letzteres wäre übersetzt etwa Beschränkung. Das trifft es eher, aber auch nicht so ganz. Eine Erkrankung finde ich ist Autismus nicht, denn eine Erkrankung könnte man genesen, aber Autismus hat man sein Leben lang.
    Ich fühle mich eingeschränkt durch meinen Autismus, aber nicht behindert. Ich kann ja alles tun und lassen was ich will, mit manchmal negativen Konsequenzen, aber immerhin.
    Körperlich behindert würde ich mich erst fühlen, wenn ich durch eine körperlich Einschränkung etwas nicht mehr tun kann, auch nicht wenn ich dabei über meine Grenzen gehen würde, z.B. wenn ich blind wäre in eine Bibliothek gehen und mir ein Buch aus suchen und das dann lesen, oder den Marathon laufen ohne Beine.
    Wie schon gesagt, Deutsch ist nicht meine Muttersprache und vielleicht interpretiere ich in das Wort behindert etwas dass viele Deutsche gar nicht so sehen. Mich hat aber vor allem das Wort Schwerbehindertenausweis irritiert.

  • Eine Erkrankung finde ich ist Autismus nicht, denn eine Erkrankung könnte man genesen, aber Autismus hat man sein Leben lang.

    Zwar würde ich als Autismus auch nicht als Erkrankung betrachten, sondern (in Übereinstimmung mit dem DSM-5, der ICD-11 und allen neueren Forschungserkenntnissen) als neuronal Entwicklungsstörung, aber deinem Punkt kann ich dennoch nicht folgen. Es gibt doch viele Erkrankungen - ob angeboren oder erworben - für die es keine Heilung gibt. Viele können symptomatisch behandelt werden, andere nicht mal das. Es gibt auch eine Reihe an genetischen Krankheiten, die tödlich verlaufen.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • @Kayt
    Ich sehe Erkrankung als ein Vorstadium von Krankheit, ein Stadium in dem (vielleicht) noch Genesung möglich ist.
    Eine unheilbare Erkrankung gibt es meinem Gefühl nach nicht, wohl ein unheilbare Krankheit.
    Als Krankheit würde ich Autismus, obwohl unheilbar, aber auch nicht bezeichnen.

  • @Geisterfahrerin Dann ist das womöglich wieder eine sprachliche Barriere, denn im Deutschen gibt es da keinen Bedeutungsunterschied, d.h. erkrankt sein, bedeutet die Krankheit bekommen zu haben.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

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