Ehrgeiz in sozialen Situationen

  • Moin,

    ich empfinde soziale Situationen immer als sehr anstrengend. Ich muss spontan adäquat reagieren, muss oft die Dinge, die mein Gegenüber sagt, "übersetzen" in das, was gemeint ist, muss analysieren, in welcher Gefühlslage sich mein Gegenüber befindet und mein Verhalten danach ausrichten. Gut, ich muss das eigentlich nicht, aber wenn ich es nicht tue, wird die Situation schnell unangenehm für mich. Wenn ich einfach ich selbst bin, entsteht innerhalb kürzester Zeit eine unangenehme, gar peinliche Situation.
    Deshalb habe ich schon früh eine Art "Ehrgeiz" entwickelt, soziale Situationen gut zu meistern. Das hat dazu geführt, dass ich mich in viele soziale Situationen stürzte, um zu üben. Leider habe ich viel zu spät gemerkt, dass das mein Selbstbewusstsein herabsetzt, weil ich für sehr lange Zeit einfach nicht besser wurde. Ich machte also eine schlechte Erfahrung nach der anderen. Das macht unsicher und führt zu weiteren schlechten Erfahrungen. Inzwischen bremse ich mich manchmal in meinem Ehrgeiz, damit ich mir Situationen nicht antue, in denen ich eh nicht bestehe. Wenn ich trotzdem in einer Situation lande, die zu viele Unwägbarkeiten enthält, bleibe ich still, so gut es geht und gebe nur die nötigsten Antworten.
    Ich weiß gar nicht genau, wie ich wirklich bin. Einen Teil meines Selbst gebe ich auch in die Figur, die ich spiele. Vielleicht ist ein eng umfasstes "Ich" auch eine Illusion. Wenn jemand sagen würde "Jetzt sei doch mal du selbst!" wüsste ich gar nicht, was ich tun sollte. Es ist eigentlich recht beliebig, wer ich bin.

    Ich suche in diesem Thread eigentlich gar keine Lösung, sondern Austausch über Erfahrungen. Kennt ihr Ähnliches wie ich? Seid ihr auch ehrgeizig, "besser" in sozialen Situationen zu werden? Oder ist euch das völlig schnurz? Ich komme in meinen Gedanken immer wieder auf dieses Thema zurück. Da hängt auch noch so vieles mit dran, das ich erstmal nicht weiter ausführen will.

  • Ein schönes Thema.

    • Vorauseilendes Erwartungsmanagement
    • Präzise Situationsanalysen
    • Dauerachtsamkeit im Hinblick auf die Bedürfnisse anderer
    • Schauspielern, schauspielern, schauspielern

    Das kann viele Jahre lang gutgehen. Von Ehrgeiz würde ich bei mir nicht sprechen, sondern eher von einer gewissen Orientierungslosigkeit, was denn nun richtig bzw. falsch ist. Zur Erklärung, was ich mit "richtig" und "falsch" meine:

    Richtig = gesellschaftlich akzeptiert (z. B. Familie gründen, gern mit Menschen plaudern, Karriere machen wollen)
    Falsch = gesellschaftlich verpönt (z. B. Kindern aus dem Weg gehen, lieber allein bleiben, nichts besitzen wollen)

    Ich finde es nach wie vor schwierig, mit den Reaktionen von Menschen auf meine autistischen Verhaltensweisen umzugehen. Das sind wahrscheinlich die schlechten Erfahrungen, die du in deinem Beitrag erwähnst. Es gelingt mir aber - dank eines ziemlich genialen Therapeuten - mich Schritt für Schritt weniger abhängig von genormten Gruppenmeinungen zu machen und mir so mehr Raum zu erarbeiten.

  • Ein schönes Thema.

    stimme zu.

    Bin bei solchen Themen mittlerweile sehr verwirrt. Durch viel Schauspiel, was irgendwann auch besser klappte, und übernommene Erwartungen weiß ich gar nicht mehr so richtig, wo ich eigentlich hinwill (RW). Wer bin ich, was sind meine Ziele, meine Werte? Bin auch gerade dabei, mir jetzt mal meinen eigenen Weg zu erarbeiten.

    Seid ihr auch ehrgeizig, "besser" in sozialen Situationen zu werden? Oder ist euch das völlig schnurz?

    Ja, ich bin da auch ehrgeizig. Auch, weil es mir natürlich hilft. Im Arbeitsleben komme ich ohne diese Kompetenzen nicht klar, ich würde ohne diese Kompetenzen auch anderswo nicht eingestellt werden. Muss also ein Stück weit. Fühlt sich auch gut an, wenn man so eine Situation dann auch mal relativ reibungslos überstanden hat und es ein gutes Gespräch/Situation war. Wieder ein Stückchen geschafft. Und mir gehts danach nicht mehr so dreckig wie früher, wo ich erstens total erledigt war und zweitens wusste, dass es wegen meiner kaum vorhandenen Sozialkompetenz gescheitert ist.
    Unendlich will ich mich dem aber nicht mehr aussetzen, also wirklich nur noch gezielt zu bestimmten Terminen und den Rest meiden. Ich merke inzwischen, wie sehr ich dann aufgesetzt reagiere und rede, es ist unheimlich anstrengend, das bin einfach nicht ich.

    Ich finde es nach wie vor schwierig, mit den Reaktionen von Menschen auf meine autistischen Verhaltensweisen umzugehen. Das sind wahrscheinlich die schlechten Erfahrungen, die du in deinem Beitrag erwähnst.

    Da würde mich interessieren... Wie bekommst du das mit?? Also dann, wenn das nicht direkt vom Gegenüber angesprochen wird. Oder meinst du genau das?

    "The universe is under no obligation to make sense to you" :prof: Neil DeGrasse Tyson

  • Da würde mich interessieren... Wie bekommst du das mit?? Also dann, wenn das nicht direkt vom Gegenüber angesprochen wird. Oder meinst du genau das?

    Es wird direkt angesprochen. Hier geht es häufig um die Andersartigkeit im Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen, das Essverhalten, bestimmte berufliche Entscheidungen, Familienplanung und ähnliche Dinge.

    Einerseits ist es ja ein Kompliment, wenn andere Menschen sich die Mühe machen, ein großes Gratis-Angebot an ausgefeilten Lebensratschlägen bereitzustellen. Andererseits erhöht es beim Empfänger nur den Anpassungsdruck, der m. E. zu nichts Gutem führt.

    Jetzt könntest du sagen, dass wir ja dem Druck nicht nachgeben müssen. Das ist auch richtig. Hier kommt aber die oben beschriebene Orientierungslosigkeit im Bezug auf soziale Normen ins Spiel. Wie viel Anpassung ist möglich, bevor eine gesundheitliche Bedrohung entsteht?

  • Mein Ehrgeiz beschränkt sich darauf, die Menschen besser zu verstehen und die psychologische Analyse ihres Verhaltens zu perfektionieren. Aber ich tue das ausschließlich um MEINE Interessen besser verfolgen zu können (vor allem um Schaden von mir abzuwenden, aber auch um meine Anliegen besser durchbringen zu können) und nicht für andere, was wohl den großen Unterschied ausmacht. Ich lasse mich nicht von den Vorstellungen anderer lenken. Ich weiß, wer ich bin und was ich will, und das ist die Grundlage meines Handelns.

    Deswegen kann ich bei sowas

    Richtig = gesellschaftlich akzeptiert (z. B. Familie gründen, gern mit Menschen plaudern, Karriere machen wollen)
    Falsch = gesellschaftlich verpönt (z. B. Kindern aus dem Weg gehen, lieber allein bleiben, nichts besitzen wollen)

    auch nur mit dem Kopf schütteln.
    Was für DICH richtig und falsch ist, bestimmst du selbst Krischi, nicht irgendeine Gesellschaft!

  • Was für DICH richtig und falsch ist, bestimmst du selbst Krischi, nicht irgendeine Gesellschaft!

    Absolut! Diese gedankliche Unabhängigkeit müssen sich nur manche von uns erst erarbeiten. Das kann - je nach Alter und Härtegrad der Vorschäden - ein wenig dauern.

  • Ich hab so eine Art innere Stimme, die mich quasi lobt wenn ich "gelächelt habe, nicht nur über mich geredet habe, den Kollegen gegrüßt, meine wahre Meinung nicht gesagt habe" etc.
    Ich suche noch nach dem Ausschalter, um diese Stimme abzustellen. Denn durch meines eigenes Belohnungssystem kann ich diese automatischen Verhaltensweisen nicht abstellen, was meiner psychischen Gesundheit massiv schadet (wer bin ich? Wie bin ich?)

    Ich arbeite gerade das Buch "Jenseits der Masken" durch. Das hilft mir insofern zu erkennen, was meine wahren Wünsche sind und was ich denke, was meine Wünsche sind, welche aber von Eltern, Gesellschaft etc kommen.

  • Ich finde es spannend, dass scheinbar ihr, die bisher in diesem Thread etwas gepostet haben, euch dessen bewusst seit, welche Mechanismen ihr anwendet. Bei mir läuft es automatisch ab und das seit Jahrzehnten. Inzwischen, hat sich diesbezüglich, auch bei mir ein Bewusstsein entwickelt. Aber in dieser Deutlichkeit auch nur, weil ich inzwischen eine Diagnose habe. Vorher war es bei mir immer nur anstrengend und ich habe mich viel, wie @Aldana , mit der sozialen Interaktion bei den Menschen beschäftigt, in der Hoffnung, so ihr Geheimnis ergründen zu können, um mich nicht mehr als ausgegrenzt zu empfinden.

    PS: Ich bin ein kommunikativer Mensch, bis zu einem gewissen Grad.

  • Durch den für mich eigentlich absurden Job als Verkäufer/Kassierer habe ich mir, teils bewusst, soziale Kompetenzen antrainiert.
    Mit mehr oder weniger Erfolg.
    Ich verrate soviel : Die Kollegen waren das eigentliche Problem, nicht die Kunden.
    Ich habe immer versucht, ich selbst zu bleiben.
    Anders hätte ich nicht so lange durchgehalten.

  • @BackAutomatisch in der Situation, ja. Die Reflektion dazu und die Einsichten kommen erst nach den Situationen und werden dann genau analysiert :d
    Gibt aber auch Situationen, wo ich mir in dem Moment denke, ich muss mich jetzt so und so verhalten, so und so reden, diese oder jene Körperhaltung. Meistens dann, wenn es ein wichtiger Termin ist, den ich nicht versauen darf. Ist dann aber schwierig sich noch auf den Inhalt des Gesprächs zu konzentrieren.
    Richtig beobachten an mir kann ich das erst, seit ich den Verdacht habe. Davor waren mir die Hintergründe unklar und ich fand mich seltsam, weil das alle anderen aus dem Ärmel schütteln (RW) und sich scheinbar nichts dabei denken müssen.

    "The universe is under no obligation to make sense to you" :prof: Neil DeGrasse Tyson

  • Ich kann fast alles hier nur unterschreiben. Es ist so anstrengend. Aber gleichzeitig geht es nicht ohne, weil: sonst keine Einstellung / nicht arbeitsfähig, kaum zu alltäglicher Kommunikation fähig, und andere dann eben Reaktionen und Bemerkungen machen, die einen eben treffen und weit zurückwerfen können (bin schon auch dafür dass man einfach übermäßig selbstbewusst sein sollte und einem das egal sein soll, aber wir sind nun mal Menschen und keine Roboter und leben nun mal hier und nicht im Paradies).

  • Ich hab einen ordentliche fortschritt in sachen Sozialkompetenz gemacht, nachdem ich in der schule informatik hatte und die basics des programmierens kennengelernt habe. Habe dann mit pseudocode im if...then und while...do format standardsktipte für soziale situationen gebastelt. Durch diese gedankliche struktur fiel es mir deutlich einfacher, die Erfahrungen, die ich gemacht habe, einzuordnen.
    Außerdem habe ich zu der zeit meinen freund kennengelernt, mit dem ich viele soziale interaktionen nachbesprechen konnte und der, auch, wenn er selbst mich oft nicht ganz verstanden hat, vieles übersetzen konnte.

    Im laufe der jahre habe ich immer weitere unterschleifen hinzugefügt, sodass die häufigkeit, dass mich eine situation komplett aus dem konzept bringt (wenn ich keine referenz dazu habe) inzwischen gering ist.

    Zusätzlich habe ich eine (-mehrere) partitionen entwickelt,die als kontrollschleife von außen (soweit das möglich ist) beobachten, wie die interaktion läuft. Die sind weitgehend von dem teil entkoppelt, der das gespräch führt und können praktisch "reinrufen", wenn was doof läuft.
    Dadurch läuft diese analyse der situation, die sonst nur im nachhinein möglich ist, praktisch parallel ab.

    Das verbraucht leider ziemlich viel rechenleistung. Auf voller power kann ich das nur kurz laufen lassen. Dann ist es aber ziemlich mächtig.
    Eine rudimentärversion läuft praktisch immer mit.

    Das meiste kann ich stückweise herunterfahren, wen die situation es zulässt. Problematisch ist, dass ab einem gewissen punkt auch die kontrolle, wann es zu viel ist und ich wieder hochfahren müsste abgestellt wird. Dann erkenne ich nichtmehr, wenn ich meinen gegenüber überfordere. Das feintuning da ist der punkt, den zu verbessern ich mich zur zeit sehr bemühe.

    Ich habe den verdacht, dass diese ganzen energiefressenden systeme in meinem kopf mit ein grund sind, warum ich so einen hohen schlafbedarf habe (>10h, sonst baue ich schlafdefizit auf und

  • Ich finde es spannend, dass scheinbar ihr, die bisher in diesem Thread etwas gepostet haben, euch dessen bewusst seit, welche Mechanismen ihr anwendet. Bei mir läuft es automatisch ab und das seit Jahrzehnten.

    Ich bin schon sehr lange sehr selbstreflektiert, wobei das natürlich nicht heißt, dass ich keine blinden Flecken hätte. Ich glaube, diese Selbstreflexion kommt daher, dass ich gemerkt habe, dass ich anecke und daraufhin versucht habe, den Ursprung meines Aneckens zu ergründen. Leider hatte ich trotz dieser Fähigkeit zur Selbstreflexion Jahrzehnte lang die falschen Annahmen, was andere Menschen betrifft und konnte sehr lange nicht erkennen, dass die scheinbaren Verbesserungen meines Verhaltens nur in meiner "Matrix" Sinn ergaben. Auf andere Menschen wirkte ich nach wie vor seltsam. Ich hatte sehr lange eine sehr naive Art des Umgangs mit Menschen: Ich wandte so Strategien an wie "dem Gegenüber immer zustimmen" oder "witzig sein" an. Ich wundere mich heutzutage, wie ich davon ausgehen konnte, dass das ausreichen würde, um mit Menschen klar zu kommen. Das ist total oberflächlich und unreif. Erst, seitdem ich von der Annahme ausgehe, autistisch zu sein (oder zumindest autistische Züge zu haben), wende ich viel bewusster feinere Analysen und Strategien in sozialen Situationen an. Vielleicht, weil ich erst jetzt davon ausgehe, das nötig zu haben. Ich habe gelesen, wie autistische Menschen bewusst mit sozialen Situationen umgehen und ahme das nun nach - und es scheint nun besser zu funktionieren. Davor habe ich in sozialen Situationen zwar auch bewusst und kognitiv gehandelt, war aber irgendwie zu überfordert, um "Finetuning" zu machen. Inzwischen ist es wie ein Spiel, das ich versuche, besser zu spielen. Keine Ahnung, warum ich jetzt erst angefangen habe, die Regeln zu lesen... :m(:

  • @Chamäleon Mich überfordert dieses Spiel. Ich habe seit 6 Wochen meine Diagnose und bin bis dahin, immer davon ausgegangen, NT zu sein, wenn auch etwas speziell. In Eins zu Eins-Situationen, bekomme ich es noch so leidlich hin. Bei mehr als 2 Personen klappt es schon nicht mehr. Ich habe mir schon mein ganzes Leben Gedanken darüber gemacht, wie der Mensch als soziales Wesen funktioniert. Darüber habe ich mir erhofft, die soziale Interaktion endlich zu schnallen (RW). Mit Autismus habe ich das nie in Verbindung gebracht. Das haben andere, wie die Psychologin meines Sohnes (AS) und mein damaliger Psychiater, welcher mir dann auch eine Überweisung, zwecks Differential-Diagnostik in die Hand gedrückt hat (RW). Ich habe mein Leben lang versucht mich anzupassen. Das ist mir immer wieder auf die Füsse gefallen (RW). Funktioniert hat es auch nicht. Um bewußt agieren zu können, muß man erst einmal das Bewusstsein haben, dass die Wahrnehmung bei einem selbst, anders ist, als bei den meisten Menschen. Im Nachhinein ergibt vieles Sinn und ist schlüssig. 56 Jahre meines Lebens war es aber immer eine Suche nach dem Fehler; ob bei einem selbst, oder den anderen. Und Huch, auf einmal heisst es für mich, es gibt keinen Fehler, finde dich damit ab. Total beschissen!!! Es gibt Menschen im Forum, die denken eine positive Diagnose wäre die Rettung o.ä. Für mich ist sie derzeit mein Verderben, denn ich habe 56 Jahre nach Lösungen, für ein Problem bei mir gesucht, für das es keine Lösung gibt. Soziale Interaktion wird auch weiter für mich Stress bedeuten, obwohl ich ein sehr kommunikativer Mensch bin. Eine Bekannte sagte mir neulich, etwas weniger Leistung in der Kopf-Maschine, wäre bei mir hilfreich, für meine derzeitige Situation. Ich möchte dazu gehören können.

  • Und Huch, auf einmal heisst es für mich, es gibt keinen Fehler, finde dich damit ab. Total beschissen!!! Es gibt Menschen im Forum, die denken eine positive Diagnose wäre die Rettung o.ä. Für mich ist sie derzeit mein Verderben, denn ich habe 56 Jahre nach Lösungen, für ein Problem bei mir gesucht, für das es keine Lösung gibt. Soziale Interaktion wird auch weiter für mich Stress bedeuten, obwohl ich ein sehr kommunikativer Mensch bin.

    Vielleicht ist das tatsächlich eine mögliche Lösung: Finde dich damit ab. Vielleicht kann man es etwas positiver formulieren: Akzeptiere, wer du bist. Ich habe mich mehr akzeptiert, seitdem ich nicht mehr davon ausgehe, soziale Situationen bestmöglich durchzuspielen. Ich weiß, ich mache Fehler und ich mache sie mir seltener selbst zum Vorwurf. Mein Mann hat mir in dieser Hinsicht sehr geholfen, er meinte in etwa: Versuche bei sozialen Kontakten nicht, eine makellose Figur abzugeben, sondern sei von Anfang an etwas "seltsam". Wenn man direkt als Nerd/Weirdo gilt, akzeptieren einen die Leute eher, als wenn man nach einer Weile seine Maskierung nicht mehr aufrecht erhalten kann. Weil die Leute einen direkt einordnen können. Wenn sie einen nicht einordnen können, werden sie misstrauisch.
    Mir fällt es noch etwas schwer, die "Maske" nicht aufzusetzen und mich direkt als den Weirdo zu geben, der ich bin. Aber ich arbeite dran. Und ich sehe das "Spiel" in sozialen Situationen nicht mehr so verbissen (also, Ehrgeiz hab ich ja nach wie vor, darum geht´s ja hier) und spiele, wenn ich dazu in der Lage bin, auch durchaus gerne die "Weirdo"-Karte aus.
    Das hört sich jetzt ein bisschen so an, als wenn ich voll über den Dingen stehe (RW), aber ich hadere natürlich oft genug noch mit mir selbst und versage auch oft genug in sozialen Situationen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es erst einmal frustrierend ist, dass man 56 Jahre nach Lösungen gesucht hat für ein Problem, für das es scheinbar keine Lösung gibt. Klar kannst du nicht auf einmal unautistisch sein. Die Lösung liegt eher im Umgang mit deinem Autismus. Also zum Beispiel: Wenn soziale Interaktion für dich Stress bedeutet, dann erlaube dir, soziale Kontakte zu begrenzen und dich evtl nur noch mit jemandem zu verabreden, wenn du dich an dem Tag, mit der Person damit wohlfühlst. Kommuniziere auf Kanälen, mit denen du dich wohlfühlst (z.B. dieses Forum oder per WhatsApp etc.). Kommuniziere über Dinge, mit denen du dich wohlfühlst. Versuche nicht, in allen Bereichen der Kommunikation eine super Leistung zu erzielen. Akzeptiere, dass es Bereiche gibt, die dir nicht so liegen - aber genauso gibt es Bereiche, die dir besser liegen.
    Noch eine Sache zu "eine positive Diagnose wäre die Rettung": Ich habe keine positive Diagnose, aber wenn ich in der Annahme handle, ich wäre autistisch, funktioniert mein Leben besser. Ich gehe dann z.B. davon aus, dass ich Probleme in der Kommunikation habe und "poltere" nicht mehr unbedarft in der Annahme, ich wäre zu normaler Kommunikation fähig, in Kommunikationssituationen hinein. Oder: Ich kann mehr Rücksicht auf mich nehmen, wenn ich darauf achte, dass ich mich nicht zu sehr überreize anstatt nach zu vielen ignorierten Überreizungen in einen Overload/Shutdown zu kommen.
    Vielleicht hilft eine Diagnose auch, sich selbst zu verzeihen, weil man ja nichts für seine Behinderung kann. Das kann ich zwar nicht nachvollziehen, wäre aber eine logische Schlussfolgerung.

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