Akzeptanz der Diagnose

  • Ich habe mich schon immer als nicht dazugehörig gefühlt, bzw. als fremd. Trotz dessen bin ich immer davon ausgegangen, normal zu sein.

    ich bin eigentlich immer mehr oder weniger ausgeprägt davon ausgegangen, nicht normal zu sein; im Zusammenhang damit fremd und nicht dazugehörig. und vor der Diagnostik empfand ich es schon als stimmig, dass Autismus-Spektrum – auch zu anderen – eine richtige Kategorie sein könnte; insofern ist meine Negativdiagnose auch nicht ganz leicht zu akzeptieren, zumal ja weitgehnd die Kriterien erfüllt sind und "Autistische Züge" vorhanden

    Einmal editiert, zuletzt von Pechblende (15. Oktober 2021 um 22:18)

  • Ich hatte vermutet, dass die Diagnose zutreffen könnte. Deshalb bin ich zur Diagnostik gegangen. Es war nicht ein "Wahrscheinlich nicht, aber lieber mal ausschließen", sondern ein "Entweder ASS, autistische Züge oder gar nichts (Klassifizierbares)".

    100 %ig sicher werde ich mir nie sein, aber mittlerweile sicher genug, um es als Alltagslebensrealität anzuerkennen. Für mich haben sich viele Puzzleteile zu einem kohärenten Ganzen zusamnengefügt. Das Zusamnenfügen begann jedoch nicht erst mit der Diagnose, sondern Stück für Stück während der ganzen Zeit dorthin. Zwischendurch habe ich das Bild auch mal wieder partiell zerpflückt.

    Ich fühle mich einen Schritt weiter angekommen bei mir, aber als Person als solche fühle ich mich nicht anders.

    Manche Aspekte in meinem Diagnosebrief beschrieben mich sehr defizitär, was ich anfangs befremdlich zu lesen empfand, da ich mich. Personen, die mich nah kennen, ordneten es als passend/zutreffend ein.

    Ich hielt mich immer für "unauffälliger" und kann noch heute nicht einschätzen. WIE "auffällig anders" ich tatsächlich bin/wirke oder auch nicht.

    Edit: Mir war lange Zeit nicht klar, wie viel und wie viel zu viel ich in meinem bisherigen Leben zu wörtlich nahm.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

    Einmal editiert, zuletzt von Kayt (15. Oktober 2021 um 21:59)

  • ich bin eigentlich immer mehr oder weniger ausgeprägt davon ausgegangen, nicht normal zu sein; im Zusammenhang damit fremd und nicht dazugehörig

    Habe es vielleicht vorhin doch nicht ganz treffend ausgedrückt. Also bei mir war es bisher so, dass ich sehr deutlich wahrgenommen habe, dass ich vieles nicht so gut machen und aushalten kann wie andere. Da man mir immer wieder gesagt hat, ich würde mich nur anstellen und müsse mir mehr Mühe geben, nicht so faul sein etc... habe ich selbst geglaubt, dass ich grundsätzlich so sei wie die anderen, mir aber anscheinend nicht genug Mühe gebe und daher nicht mithalten kann. Von Autismus wusste ich bis vor kurzem gar nichts, konnte das also nicht auf mich beziehen und hatte keine Erklärung, außer eben meinem anscheinend mangelnden Willen.

    Und ich habe ganz vergessen zu schreiben, was mir im Moment hilft. Da gibt es nämlich tatsächlich etwas. Und zwar der Austausch mit einem guten Freund und mit einem ex-Partner (und noch-Freund) die beide im Spektrum sind. In Kontakt mit ihnen erfahre ich viel über ihre Sichtweisen, Empfindungen, Erfahrungen und kann sie in Bezug zu meinen setzen. Auch sind ihre Einschätzungen meiner Person sehr wertvoll für mich. Nicht nur in Bezug auf AS, sondern auch generell. :) Aber gerade in Hinsicht auf die Diagnose finde ich deren Einschätzungen dazu hilfreich. Denn sie haben (vermutlich) im Gegensatz zu den Diagnostiker_innen auch eine Innensicht auf das Thema und können nochmal anders einschätzen, ob und wo sie bei mir Ähnlichkeiten sehen. Das gibt mir gerade etwas Sicherheit.

  • Nämlich was bedeutet es eine "Autismus Spektrum Störung" zu haben und was hat das mit "mir" zu tun? Wissen wir die eine Diagnose bekommen haben was die Diagnose überhaupt bedeutet?

    Ich hatte meinem ersten Therapeuten gesagt, dass er mir nicht erklären braucht, was AS ist, weil ich dachte, ich hätte genug darüber gelesen. Habe aber später gemerkt, dass das doch nicht stimmte. In der zweiten Therapie hat es mir geholfen, wenn die Therapeutin mir etwas über AS erzählt hat und dabei die Verbindung zu mir hergestellt hat, wie sich das in meinem Leben konkret auswirkt.

    Dann wäre man (= ich) endgültig defekt.

    Defekt und trotzdem in Ordnung.
    Wenn man die Schwächen besser versteht (wie sie zustande kommen), kann das ja auch helfen. Vielleicht schafft man es sogar, die Stärken/was man geleistet hat, noch mehr zu würdigen.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Ich glaube ein Aspekt meines Widerstandes ist, dass durch die Diagnose mein Selbstbild noch mehr an Substanz verliert. Ich war mein Leben lang davon überzeugt, "normal" zu sein. Probleme im sozialen habe ich damit erklärt, dass man ja nicht mit jedem kann (RW). Die Einsamkeit und das Allein sein habe ich mir mit meinem Bestreben nach Autonomie erklärt. Gefühlt habe ich mir Die Welt passend gemacht, und nicht mich der Welt angepasst. Natürlich habe ich mich bestimmten Situationen oder auch Bedingungen angepasst (z.B. Arbeitswelt). Meist war diese Anpassungsleistung nicht von dauerhaften Erfolg gekrönt (RW). Quintessenz ist für mich, dass mein Leben doch hauptsächlich eine Lüge ist, die scheinbar daraus besteht, dass ich so tu, als würde ich dazugehören und in Wirklichkeit, allenfalls ein rudimentäres Verständnis für Die Welt und auch von mir habe. Ist es euch auch so ergangen? Und wie habt ihr es hinbekommen, die Diagnose zu akzeptieren?

    Ja, im Großen und Ganzen hatte ich diese Gefühle auch. Die Diagnose zu hören bzw sie dann schwarz auf weiß zu sehen, das ging noch, aber was mir dann erstmal richtig zugesetzt hat war das Schreiben vom Versorgungsamt für den GdB und die Einstufung vom Arbeitsamt als Erwerbsunfähig; also dieses Wissen "Die Gesellschaft sieht mich als Behinderten". Das schlug dann heftig ein. Man hat mich halt mein ganzes Leben lang in dem Glauben gelassen, ich sei normal. Unterbewusst ahnte ich schon dass das nicht stimmt, aber ich bekam auch keine Hilfe und musste mich halt durchschlagen, da kann man sich auch nicht aufhalten mit Überlegungen, wie unfähig man ist, sondern muss sich einbilden dass man natürlich alles schaffen kann.
    Im Grunde sehe ich das heute so, dass mein eigentliches Schicksal eine Diagnose im Kindesalter vorgesehen hatte (haben mir Ärzte auch gesagt), aber durch eine Verkettung einiger unglücklicher Zufälle kam es nicht so, und so lief mein Leben eben so ab wie es es dann letzendlich tat, bis es die Diagnose wieder korrigierte. Dieser Schlenker des Schicksals hat mein Wesen aber geprägt, denn ich habe ein anderes Selbstverständnis und ganz anderes Selbstbewusstsein, als Menschen, die bereits im Kindesalter diagnostiziert wurden.

    Also ja, dass es einem erstmal so den Boden wegreißt, man gar nicht mehr weiß wer man ist, dass man geschockt ist, dass man depressiv reagiert, das kann ich voll verstehen.

    Aber eine "Lüge" war dein Leben nicht bisher, dein leben hat ja real stattgefunden und alle deine Empfindungen und Gedanken waren real und zu diesem Zeitpunkt (mit deinem damaligen Wissen) vollkommen angemessen.

  • @Back In meinem Fall habe ich die Diagnose erhalten, nachdem ich selbst nach etwa 25 Jahren immer knapp am Abgrund zusammengeklappt bin und die Augen einfach nicht mehr davor verschließen konnte, dass mein Selbstbild das war, was ich vor anderen versucht habe darzustellen, um nicht mehr wie in den 20 Jahren davor ausgelacht und gemieden und gemobbt zu werden, das, von dem ich heute weiß, dass man das Masking nennt, und das mich dermaßen viel Energie gekostet hat. Ich hatte mit ca. 15 in einem Ratgeber gelesen, dass man sich überlegen soll, wie man gerne sein möchte, und sich dann so verhalten soll, als ob man es schon wäre. Dann würde man automatisch irgendwann der Mensch sein, der man sein will. Für mich hieß das: "Andere haben keine Probleme mit anderen Menschen, finden Freunde etc. Ich verstehe nicht, was die anders machen als ich, aber sie machen es anscheinend richtig. Also muss man sein wie sie, um klarzukommen. Ich will also so sein wie die anderen. Also tue ich jetzt so, als wäre ich wie sie. Dann bin ich auch irgendwann wie sie. Und habe Freunde und mein Leben wird dann auch endlich normal werden und ich entspannt und läsdig und cool." Und nach außen hin hat das auch immer mehr so ausgesehen. Warum ich innendrin alles andere als entspannt und fröhlich und lässig war, sondern ständig am Limit mit meinen Kräften, verstand ich nicht. Aber die Angst, "aufzufliegen", wurde immer größer, weil ich einfach immer weniger Kraft dafür hatte.
    Für mich war die Diagnose, die mir all das erklären konnte, und die mir die entsetzliche Angst nahm, wieder so kämpfen zu müssen, um in mein "altes" Leben zurückkehren zu müssen (alter Beruf).
    Du hast offenbar das "Glück" (aus meiner Perspektive), dass du die Diagnose erhalten hast, ohne dauerhaft vollkommen überfordert gewesen zu sein. Offenbar passt dein Umfeld besser zu deinen Befürfnissen. Das ist toll, denn dann musst du vielleicht gar nichts oder nur wenig verändern, um auf Dauer gesund zu bleiben :)
    Ich denke, Autismus ist schon eine Störung, bei der das Ausmaß des persönlichen Leidens zwar einerseits stark von der Ausprägung bei der jeweiligen Person abhängt, aber auch andererseits wesentlich beeinflusst wird von den konkreten Lebensumständen.
    Mir hat immer das Bild von dem anderen Betriebssystem gut gefallen: Es gibt halt auch unter uns Menschen Apple und Microsoft (und noch ein par andere). Ein Rechner mit Apple ist nicht gestörter als einer mit Microsoft und umgekehrt. Man muss nur wissen, wie man mit ihm umgehen muss. Und nicht nur, dass wir mit "Usern" leben müssen, die keine Ahnung haben, wie wir funktionieren, nein, uns hat man auch nicht gesagt, dass wir ein anderes System haben und wie das funktioniert, sondern wir sollen nach dem Mehrheitssystem funktionieren.
    Die Diagnose kann also der Anfang sein, der uns auf uns selbst zurückwirft, so dass wir anfangen können herauszufinden, was wir brauchen und wie wir funktionieren.

  • Mir hat immer das Bild von dem anderen Betriebssystem gut gefallen: Es gibt halt auch unter uns Menschen Apple und Microsoft (und noch ein par andere). Ein Rechner mit Apple ist nicht gestörter als einer mit Microsoft und umgekehrt. Man muss nur wissen, wie man mit ihm umgehen muss. Und nicht nur, dass wir mit "Usern" leben müssen, die keine Ahnung haben, wie wir funktionieren, nein, uns hat man auch nicht gesagt, dass wir ein anderes System haben und wie das funktioniert, sondern wir sollen nach dem Mehrheitssystem funktionieren.

    Das hängt glaube ich maßgeblich von der Kindheit ab.
    Ich bin schon ziemlich aus dem Rahmen gefallen, aber ich hatte nie das Gefühl dass ich "falsch" bin. Und sofern meine Lebensumstände das zuließen (man muss ja Geld ranschaffen für Miete & Co) habe ich halt mein Ding gemacht bzw es versucht, dann habe ich halt mein Leben in der Wohnung verbracht und 16 Stunden am Tag gelesen... das war eben mein Ding und wenn da Leute das mal komisch fanden dann habe ich gesagt "Ich bin halt so, ich war schon immer so, mir ist das halt einfach extrem wichtig" und ich habe versucht das gegenüber meinen Mitmenschen durchzusetzen auch gegen Widerstände (Partnern zum Beispiel).

  • Du hast offenbar das "Glück" (aus meiner Perspektive), dass du die Diagnose erhalten hast, ohne dauerhaft vollkommen überfordert gewesen zu sein. Offenbar passt dein Umfeld besser zu deinen Befürfnissen. Das ist toll, denn dann musst du vielleicht gar nichts oder nur wenig verändern, um auf Dauer gesund zu bleiben

    Lies einfach die Themen von mir und @Watzlawick, welches mein alter Nick ist. Dort steht ausführlich von meinem "glücklichen Leben".

  • @Back Es tut mir ehrlich leid, dass ich dir kein für dich passendes Angebot machen konnte, um dich evtl. mit deiner Diagnose zu versöhnen. Aber nein: Ich werde jetzt nicht hergehen und deine Lebensgeschichte recherchieren. Es war einfach einer von vielen denkbaren Ansätzen, und es war als freundliches Angebot gedacht. Ich empfinde deine Reaktion als pampig und unangemessen: Du kannst m. E. nicht erwarten, dass jeder deine Biographie im Kopf hat. Schieb es ggf. auf meine begrenzte ToM, wenn ich aus dem, was du hier über deine Probleme mit der Akzeptanz der Diagnose schreibst und dein ins Wanken gebrachtes Selbstbild, schließe, dass du psychisch vor Beginn der Diagnostik nicht völlig "am A..." warst. "Besser" bedeutet auch nicht "gut", und "vielleicht gar nichts oder nur wenig" bedeutet eben nicht "sicher nichts".
    Ich wünsche dir trotzdem alles Gute für deinen Weg :)

  • @Neoni Da hast du auf jeden Fall recht! Das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Und ich glaube (allerdings aus meinen Erfahrungen heraus), dass es vielleicht das Wertvollste ist, was man in der Kindheit mit auf den Weg bekommen kann (egal ob Autist oder nicht): Nicht falsch zu sein.

  • @Grubber Ich erwarte nicht das du meine Biographie kennst. Du stellst aber Hypothesen bezüglich meines Lebens auf, ohne mich auch nur im Ansatz zu kennen. Bei einem Einwand meinerseits reagierst du, in meinen Augen, sehr befremdlich. Hättest du ein wirkliches Interesse, wäre deine Reaktion sicher anders ausgefallen. Das ist natürlich nur meine subjektive Meinung.


  • Mir hat immer das Bild von dem anderen Betriebssystem gut gefallen: Es gibt halt auch unter uns Menschen Apple und Microsoft (und noch ein par andere). Ein Rechner mit Apple ist nicht gestörter als einer mit Microsoft und umgekehrt. Man muss nur wissen, wie man mit ihm umgehen muss. Und nicht nur, dass wir mit "Usern" leben müssen, die keine Ahnung haben, wie wir funktionieren, nein, uns hat man auch nicht gesagt, dass wir ein anderes System haben und wie das funktioniert, sondern wir sollen nach dem Mehrheitssystem funktionieren.

    mir gefällt dieses Bild nicht. denn so unterschiedlich Betriebssysteme im Inneren und im Detail sind worin auch immer – das werden IT-Fachmenschen hier erklären können – beim Betrieb eines PC o Mobilgerät zb sind sie in den allgemeinen gängigen Funktionen doch gleichermaßen leistungsfähig.
    mein "Betriebssystem" ist aber in der Funktion des sozialen Lebens keineswegs gleichermaßen leistungsfähig und tatsächlich irgendwie "gestört" und ich will mich nicht vergeblich weiter dran abarbeiten, es auf das Funktionsniveau normal zu bringen

  • wie andere hier im Forum damit umgegangen sind, denn ich stehe bezüglich dieser Problematik gerade wie der Ochse vorm Berg

    Verstehe, verstehe....trotzdem: Es gibt nur deinen Weg.

    Auf jeden Fall dauert die "Verarbeitung" eine Weile. Diese Weile ist unterschiedlich lang und die Zeit dabei unterschiedlich bitter, aber ich kenne bisher noch niemand, der nur Negatives aufgrund der Diagnose erlebt hat.


    Vielleicht entwickelt sich bei dir ja wirklich nach guten und gut gemeinten Vorschlägen und Erlebnisberichten ein eigenes, passendes Bild, wie es für dich weitergehen kann. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem Prozess!

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

    Einmal editiert, zuletzt von Capricorn (16. Oktober 2021 um 13:43)

  • Und ich glaube (allerdings aus meinen Erfahrungen heraus), dass es vielleicht das Wertvollste ist, was man in der Kindheit mit auf den Weg bekommen kann (egal ob Autist oder nicht): Nicht falsch zu sein.

    So ab etwa 10 Jahren habe ich mich dann schon stark "falsch" gefühlt, als ich begann, mich meiner selbst bewusst zu werden und mich mit anderen Kinder zu vergleichen begann. Das war schon sehr sehr schmerzhaft durch die frühe Teenagerzeit hindurch. Ich habe mir nichts sehnlicher gwünscht, als wie die anderen Kinder zu sein. Ich hab es dann so ab 14 jahren auch tatsächlich geschafft, beliebter zu werden und mein Selbstbewusstsein damit zu steigern, aber es war ein enormer Kraftakt und es geschah auch nur, weil ich es so unbedingt wollte.
    Was ich also meinte, muss ich dann präzisieren: dass man sich in der frühen Kindheit nicht "falsch" fühlt.

    Schieb es ggf. auf meine begrenzte ToM, wenn ich aus dem, was du hier über deine Probleme mit der Akzeptanz der Diagnose schreibst und dein ins Wanken gebrachtes Selbstbild, schließe, dass du psychisch vor Beginn der Diagnostik nicht völlig "am A..." warst. "Besser" bedeutet auch nicht "gut", und "vielleicht gar nichts oder nur wenig" bedeutet eben nicht "sicher nichts".

    Der Gedankengang wirkt logisch, aber in der Praxis ist es oft anders. Also es ist nicht so, dass man schließen kann "Person X ist froh über die Diagnose, also ging es ihm undiagnostiziert sehr schlecht -vs- Person X reagiert depressiv auf die Diagnose, also ging es ihm undiagnostiziert ganz gut".
    Bevor ich eine Autismus-Diagnose bekam, da hatte ich mich auch fast 10 Jahre lang schon mit allerletzter Kraft durchgeschlagen, sämtliche Überlebenstricks ausgereizt und zweimal die Diagnose schwere Depression bekommen. Ich habe also sehr gelitten, undiagnostiziert zu sein - trotzdem habe ich depressiv auf die Diagnose reagiert und nicht etwa froh und erleichtert. Ich denke das ist deswegen, weil wenn eine Depression vorhanden ist, und man bekommt innerhalb dieser, die Autismus-Diagnose, dann durchbricht die Autismus-Diagnose nicht die bereits vorhandene Depression.

  • Ich habe neulich an einem Interview hier teilgenommen für eine Bachelorarbeit, über die Exklusionserfahrungen undiagnostizierter autistischer Kinder im Regelkindergarten,
    das war wirklich sehr interessant, wenn auch eben teilweise heftig.

    Davon unabhängig wegen Depression usw, ich habe gelesen dass diese Depression oder eine negative Reaktion auf die Diagnose auch öfter später kommt, nach einer ersten positiven Reaktion auf die Diagnose.
    Wenn man dann erkennt dass man zwar eine Erklärung hat usw. aber wenig ändern kann, dass fast alles so bleiben wird (außer das worauf man eben Einfluss etc nehmen kann, ich hoffe man versteht was ich meine).

    Ich bin vielleicht auch kein "Standardfall" eben weil ich ja die Diagnose nicht normal verarbeiten etc kann/konnte sondern dafür kritisiert/angegriffen etc wurde.
    Aber ich habe davor auch schon länger schwere Depression bzw rezidivierende depressive Episoden ggw. schwere Phase gehabt und wurde deshalb berentet, bevor
    ich dann die Diagnose erhielt.
    Vier Tage nach dem ich die Diagnose wusste, war dann der Gerichtstermin bei dem ich sie offenlegte.

    2 Mal editiert, zuletzt von Backnetmaster (16. Oktober 2021 um 14:44)

  • @Neoni Danke für deine weiteren Erläuterungen. Und auch für die Darstellung, wie die Diagnose auf dich gewirkt hat. Irgendwie fühle ich mich etwas missverstanden in meinem offensichtlich überaus ungeschickten Versuch, eine (meine) Sichtweise und meine Gedanken zu der Situation beizusteuern. Mir ist durchaus bewusst, dass das insgesamt ein überaus komplexes Geschehen ist, was nicht auf zwei Möglichkeiten reduziert werden kann. Meine Absicht war, ein wenig Mut zu machen, indem ich versucht habe zu sagen, dass man ein Selbstbild haben kann, das zu einem bestimmten Zeitpunkt, auch für eine sehr lange Zeitspanne, funktional ist. Und dass dann eine Diagnose, die abweichende Erklärungen für das eigene So-Sein impliziert, das Selbst-Verständnis und das daraus abgeleitete Selbst-Bild dann verständlicherweise stark ins Wanken bringen kann. Dass man eine Depression haben kann, aus welchen vielfältigen und vielleicht nicht einmal bekannten Gründen auch immer, und dann alles noch einmal zusätzlich verkompliziert wird, ist (mir schon) klar ( gewesen).
    Wie gesagt, ich kenne und kannte den detaillierten Hintergrund von @Back nicht, und wollte eigentlich so gar nichts Böses, sondern Mut machen. Ich erkenne hiermit vollumfänglich an, dass das "voll in die Hose" gegangen ist :oops:

    @Pechblende Du hast fraglos recht, dass der Vergleich "hinkt". Insbesondere in Bezug auf den von dir genannten Aspekt.

    Spoiler anzeigen

    Und doch erlebe ich auch Situationen, wo ich mich überhaupt nicht behindert fühle: Es gibt z.B. einzelne Menschen, die mit meinen Einschränkungen geschickt umgehen können, und es gibt Orte mit Randbedingungen, die gut zu meinen Bedürfnissen passen. Wenn ich als sehr kleines Kind, ähnlich wie @Neoni das, wenn ich es richtig verstanden habe, erlebt hat, Eltern gehabt hätte, die geschickter in der Wahrnehmung meiner Bedürfnisse und einfühlsamer im Umgang mit mir gewesen wären, wäre ich wohl nicht in die Welt gestartet mit dem Gefühl, so, wie ich bin, nicht in Ordnung und nicht liebenswert zu sein, und der tief empfundenen Not, mein So-Sein irgendwie am besten inexistent zu machen, oder, da das ja nicht ging, es vor allen zu verleugnen und es selbst zutiefst abzulehnen. Das Bild mit den Betriebssystemen gefällt mir insofern, als dass es mich tröstet, dass es auch für mich einzelne Menschen und Momente gibt, in denen ich einfach okay bin, ohne überhaupt nachdenken zu müssen.

    @Back

    Hättest du ein wirkliches Interesse, wäre deine Reaktion sicher anders ausgefallen.

    Ich bin gerade etwas überrascht. Ich weiß nicht recht, was du mit "wirklichem" Interesse meinst. Tatsache ist: Mein persönliches Interesse an dir als Person ist begrenzt: Ich kenne dich nicht weiter, und ich habe auch nicht die Absicht, dich persönlich näher kennen zu lernen als alle anderen in diesem Forum. Ich nehme dich wahr als eine Person, die ein Problem hat und um Rückmeldungen dazu gebeten hat. Ich nehme einen gewissen Anteil daran, dass du so sehr mit der Diagnose haderst, und da ich grundsätzlich recht menschenfreundlich eingestellt bin, schaue ich, ob ich vielleicht etwas anbieten kann, was dir möglicherweise weiterhelfen könnte. Dabei bin ich mir vollkommen bewusst, dass das vielleicht nicht so ist, und dass etwas anderes dir hilft. Mir ist das ganz gleich. Ich habe keinen Gewinn davon, ob es dir hilft oder nicht, und ich habe auch keinen Gewinn davon, wessen Worte und Gedanken dir irgendwie nützlich sind. Es spielt für mich einfach gar keine Rolle. Ich sammele Regenwürmer und Schnecken von der Straße, einfach, damit sie vielleicht wenigstens nicht in den nächsten paar Minuten plattgetreten werden, und fertig. Ich habe kein besonderes Interesse an dem Tier, das ich von der Straße nehme. Ich denke, das ist einfach Freundlichkeit. Aus genau der gleichen Freundlichkeit heraus, und ohne ein besonderes Interesse, wollte ich auch zu dir freundlich sein. Offenbar ist es mir nicht gelungen. Das tut mir aufrichtig leid. Aus meiner Sicht verhältst du dich wie eine Schnecke, die mich rügt, dass sie gerade wenden und auf die entgegengesetzte Seite kriechen wollte, und dass ich, wenn ich wirkliches Interesse an ihr hätte, ihre Sprache gelernt und sie vorher gefragt hätte, ob sie vielleicht in Wirklichkeit in die andere Richtung wollte als die, in die sie gerade kroch.
    Ich denke, es ist besser, wenn ich mich nicht mehr zu deinen Themen einbringe. Es scheint, als wären da Erwartungen / Implikationen oder wie auch immer man das nennen mag, die ich weder erraten kann noch erfüllen kann und will :|

  • @Grubber Danke für dein Anliegen, mir Mut zuzusprechen. Das ist nicht meine Intention, wie schon im Eingangspost beschrieben. Meine Erwartungen an dich, sind allenfalls, dass du, bevor du irgendwelche Bewertungen, bezüglich meiner Person, dich vorher zumindest, rudimentär informierst. Mein Post diesbezüglich war als Hilfe gedacht, mit der du deine These in Bezug auf meine Person verifizieren kannst.

  • @Grubber Ist off topic, aber ich denke tatsächlich oft, ob man so eine Schnecke oder anderes Kleinstgetier nicht vielleicht eher verwirrt oder behindert und ihm nicht hilft, wenn man es von seinem aktuellen Standort woanders hin bugsiert, weil man es retten will vor Fußsohlen oder Fahrradreifen.

  • ich bin eigentlich immer mehr oder weniger ausgeprägt davon ausgegangen, nicht normal zu sein; im Zusammenhang damit fremd und nicht dazugehörig.

    Ich auch, allerdings hielt ich lange für möglich, dass das zugleich auch ein "Privatmythos" wäre, ich eigentlich nur "zu verwöhnt und behütet" aufgewachsen und mich "anstellen" würde.

    Ich hatte vermutet, dass die Diagnose zutreffen könnte. Deshalb bin ich zur Diagnostik gegangen. Es war nicht ein "Wahrscheinlich nicht, aber lieber mal ausschließen", sondern ein "Entweder ASS, autistische Züge oder gar nichts (Klassifizierbares)".

    Das war auch mein Gedanke, obwohl ich gleichzeitig auch Zweifel hatte. Außerdem hatte ich Angst, bei der Diagnostik völlig falsch verstanden und dadurch noch verunsicherter zu werden. Neben meinem Eigenverdacht hatte meine Mutter übrigens auch den Verdacht, dass ich Autistin sein könnte. Schon in meiner Kindheit hatte eine Art "Vorgängerdiagnose" (MCD, "Minimal Cerebral Dysfunction") mal "im Raum gestanden", war aber nicht abgeklärt worden. Aber lange war das Thema total im Hintergrund, und ich glaubte von mir selbst, ich sei einfach "irgendwie komisch" bzw. hätte etwas, wofür es keinen Namen gäbe. "Behindert, ohne behindert zu sein" war eine Formulierung, die ich für mich selbst manchmal benutzte.

    Einmal, dass man das alte Selbstbild nicht mit der neuen Erkenntnis zusammenbringt. Im alten Selbstbild war man normal mit Schwierigkeiten, aber mit einem eigenen Charakter und Vorlieben, inkl. dass man geglaubt hat, eigene Entscheidungen zu treffen. Mit Diagnose ändert sich u.U. die Sichtweise, Unfähigkeiten werden absoluter und endgültiger. Vorlieben sind von der "Krankheit" geprägt, Entscheidungen haben sich vielleicht mehr aus den Umständen ergeben als dass man es wirklich so gewollt hätte,

    Das war für mich ebenfalls ein großes Thema und ist es noch immer. Die Diagnose erklärt nicht nur die Schwächen, sondern "pathologisiert" gewissermaßen auch die Stärken, Interessen und individuellen Eigenschaften. Und ja, auch die Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen oder auch nicht getroffen hatte, erschienen dadurch in einem "anderen Licht". Das ist gar nicht so einfach zu verarbeiten.

    Manche schaffen es ziemlich schnell, das alte Leben mit der neuen Erkenntnis in Einklang zu bringen, andere brauchen dafür Jahre.
    Vermutlich ist es einfacher, wenn man insgesamt mit sich selbst und dem Leben zufrieden ist, dann spielen all diese Dinge nicht so eine große Rolle. Aber das ist nicht immer so einfach.

    Ja, das macht sicher einen wesentlichen Unterschied. Wer im großen und ganzen doch mit seinem Weg zufrieden ist, hat eine ganz andere Ausgangsposition als jemand, bei dem es eben nicht so gut gelaufen bzw. der in mehreren Lebensbereichen deutlich unter seinen Möglichkeiten und Wünschen geblieben ist. In letzterem Fall braucht man, denke ich, viel mehr Energie, die Erkenntnis zu "verdauen" und neue Perspektiven für sich zu entwickeln.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

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