Von anderen beobachtet werden

  • Mir ist beim Lesen eines Posts in einem anderen Thread aufgefallen, dass ich immer wieder lese wie sehr Autisten darunter leiden beobachtet zu werden oder das Gefühl zu haben beobachtet zu werden, vor allem wenn sie dabei eine bestimmte Tätigkeit ausführen (zB beim Einkaufen oder im Job).

    Bei mir ist das nämlich auch extrem stark ausgeprägt, es führt zu Angst, Stress, Unruhe, Überforderung, vor allem lenkt es extremst von der eigentlichen Tätigkeit ab sodass ein ganzer Haufen Konzentrationsvermögen verloren geht.

    Allerdings habe ich das bisher vor allem mit Sozialer Phobie in Verbindung gebracht sowie negativen Erlebnissen aus der Kindheit (Schulmobbing zB) und damit verbundenen Traumata. Ich weiß dass viele Autisten zusätzlich traumatisiert und/oder eine soziale Phobie haben, aber könnte es sein dass es besonders typisch für Autisten ist, dass sie sich extremst gestresst fühlen wenn sie sich in sozialen Situationen beobachtet fühlen? Würd mich jedenfalls sehr interessieren wie ihr das so einschätzt, danke schon mal :)

  • Achja, weil mir das grad spontan noch eingefallen ist als Beispiel: ich fühl mich zB sehr gestresst wenn ich beim Essen beobachtet werde. Essen in der Mensa während der Studienzeit war daher zB immer eine totale Überforderung.

  • Ich würde das auch eher mit Sozialer Phobie in Verbindung bringen, die mit Autismus ja auch zusammen auftreten kann.
    Zumindest fühle ich mich nicht überdurchschnittlich viel beobachtet bzw. es stört mich nur, wenn mich Typen sehr auffällig anstarren ... wäre ansonsten auch hinderlich, da ich unterrichte und dabei von bis zu 20 Personen beobachtet werde.

  • Ich hasse es, beobachtet zu werden, würde das aber trotzdem eher unter sozialphobischen Anteilen verbuchen, die ich nun mal auch in mir trage.

    "He that can take rest is greater than he that can take cities." ~ Benjamin Franklin

    Ich hab mehr Spielwiesenbeiträge als du!

  • Beim Einkaufen z. B. bin ich viel zu sehr mit dem Einkauf und dem Überleben im meist vollen Supermarkt, bei dem Werbung und Musik über die Lautsprecher trällert, die Leute im Weg rumstehen, die Kassen piepen, Angestellte Waren verräumen und man nicht ans Regal kann, beschäftigt, als dass ich mir darum Sorgen machten könnte, wer mich beobachtet.

    Auch auf der Straße ist es mir egal, ich kümmer mich da nicht wirklich viel um sowas. Im Job, gerade wenn man neu ist, steht man natürlich schon unter Beobachtung und es ist nicht verkehrt, da nicht negativ aufzufallen bzw. zumindest zu versuchen, es nicht zu tun.

    Die meisten Menschen hetzen ohnehin durch ihre Welt und haben gar nicht die Zeit, andere ausgiebiger zu beobachten. Und wenn doch, sollen sie halt.

  • Ich werde nicht gerne beobachtet aber wirklich unangenehm ist das nur wenn mich jemand auffällig lange oder intensiv anstarrt bzw. wirklich jeden meiner Handgriffe verfolgt. Wenn mir das unangenehm ist, gucke ich den Menschen einfach genau so aufmerksam an, dann ist er nämlich plötzlich selbst in der Rolle des beobachtet werdenden und guckt ganz schnell woanders hin.

  • Das Gefühl, dass mich jemand beobachtet, habe ich nur ganz selten mal. Aber wenn jemand darauf wartet, dass ich fertig werde (z.B. beim Essen oder beim Einkaufen, wenn jemand an das Regal möchte, aus dem ich mich gerade bediene) fühle ich mich schon gestresst. Insbesondere wenn jemand möchte, dass ich etwas tue und dann da steht und erwartungsvoll zuschauen möchte. Grausam!

  • Ich mag gar nicht unter (Zeit-)Druck gesetzt oder "angedrängelt" werden und es gefiele mir auch nicht, wenn ich versuche etwas schwieriges, wofür ich viel Konzentration bräuchte zu lösen und sich währenddessen eine "Menschentraube" um mich herum versammeln würde. Aber so allgemein denke ich wenig darüber nach, wer mich wo wann wie lange ansieht, sofern ich dabei nicht verfolgt und angesprochen (das kann tatsächlich schon vor!) werde.

    Mich stört es nicht, vor anderen zu essen oder Vorträge zu halten und beim Einkaufen sehe ich zu, mich irgendwie um meinen Kram zu kümmern. Leute auf der Straße sind mir einigermaßen egal.

    Ich habe auch bisher nicht den Eindruck, dass das ein typisch "autistisches Thema" sei, sondern sehe es ebenso mehr im Bereich der sozialen Phobie angesiedelt.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • @Mon-Robbe
    Bei mir wurde zusätzlich zu AS eine Soziale Phobie diagnostiziert und die basiert auf genau den von Dir beschriebenen Dingen. Ich fühle mich beobachtet, sobald ich das Haus verlasse, habe immer das Gefühl, hinter jedem Fenster ist jemand, der mich beobachtet und bewertet (negativ natürlich), bei der Arbeit über die Schulter geschaut bekommen, war immer furchtbar, Einkäufe im Affentempo, bloß raus da. Angst, Anspannung, Stress, Atemprobleme, Konzentrationsprobleme. Deshalb gehe ich auch kaum mehr vor die Tür.

    Mit AS wurde das aber bei der Diagnostik symptomatisch nicht in Verbindung gebracht, nur insofern, dass eine Soziale Phobie eben eine häufige Komorbidität von Asperger ist.

    - Allein unter Menschen -

  • Ich werde auch nicht gerne beobachtet, aber geht das nicht jedem so

    Das glaube ich auch. Heute Mittag war ich in einem Café und habe plötzlich während meiner Zeitungslektüre gemerkt, dass eine Frau, ein gutes Stück entfernt, länger zu mir rüberschaut. Ich empand das als unangenehm, vor allem auch deshalb, weil ich mich sofort gefragt habe: Hab ich am Ende vor mich hin geredet? Mich sonst irgendwie auffällig verhalten? Aber gestresst oder panisch reagiere ich dann nicht.

    Nochmal: Solches Beobachtetwerden (wenn sich dahinter kein Flirtversuch verbirgt) gefällt wohl wirklich den allermeisten Menschen nicht.

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

  • Was ich hier an der einen oder anderen Stelle rauslese ist, dass die soziale Angst vor allem darauf beruht, dass man sich vielleicht komisch verhält / komisch wirkt und Angst hat dass das der Grund dafür ist, beobachtet zu werden, oder? Aber das ist doch wahrscheinlich eine Angst, die bei Autisten viel häufiger vorkommt als bei Neurotypischen, würde ich vermuten. Bei neurotypischen Menschen kommt es mir zB so vor, dass sie vielleicht als Kind negative soziale Erfahrungen gesammelt haben, einfach weil das als Kind viel häufiger vorkommen kann, dass man sich auffällig und normabweichend verhält, aber als Erwachsene von ihrem äußerem Verhalten her in der Regel relativ angepasst wirken und in dem Fall eine soziale Phobie (falls die aufgrund der Kindheitserfahrungen noch besteht) potentiell viel besser behandelbar wäre. Aber bei uns Autisten ist es ja i.d.R so (vermute ich zumindest), dass wir auch als Erwachsene immer Gefahr laufen, irgendwie auffällig und merkwürdig zu wirken, selbst oder vielleicht sogar gerade dann, wenn wir versuchen Masking zu betreiben (sei es willentlich oder nicht). In dem Fall kommt es mir viel viel schwieriger vor, diese sozialen Ängste zu überwinden, weil man nie weiß, ob die Blicke anderer Menschen (seien sie auch nur flüchtig und nicht penetrant) einfach aus Neugierde, Langeweile oder ähnlichem heraus entstehen, oder die Blicke ein Anzeichen dafür sind, dass man grad komisch aussieht bzw. sich komisch verhält (weil man zb unbewusst Stimming betreibt, was bei mir glaub ich sehr oft vorkommt). Und aus dieser Unsicherheit heraus, dass man nicht weiß was der Grund für die Blicke ist, wird man unweigerlich immer wieder an die negativen sozialen Erfahrungen aus der Schulzeit erinnert. Man ist immer wieder diesem emotionalen Stress ausgesetzt und erlebt immer wieder dieses Gefühl von Bedrohlichkeit.

    2 Mal editiert, zuletzt von Mon-Robbe (8. Oktober 2021 um 17:26)

  • Hm, also ich würde eigentlich nicht sagen, dass ich an sich Angst habe, komisch zu wirken.
    Die Befürchtung ist eher, dass das Beobachten die Vorstufe von sozialer Interaktion ist, und davor hab ich Angst. Bzw. auch nicht direkt vor der Interaktion an sich, sondern vor der damit einhergehenden Überlastung.
    Also ja, hm, vielleicht ist es so dann indirekt doch wieder irgendwie Autismus-bedingt.

    "He that can take rest is greater than he that can take cities." ~ Benjamin Franklin

    Ich hab mehr Spielwiesenbeiträge als du!

  • Hm, also ich würde eigentlich nicht sagen, dass ich an sich Angst habe, komisch zu wirken.
    Die Befürchtung ist eher, dass das Beobachten die Vorstufe von sozialer Interaktion ist, und davor hab ich Angst. Bzw. auch nicht direkt vor der Interaktion an sich, sondern vor der damit einhergehenden Überlastung.
    Also ja, hm, vielleicht ist es so dann indirekt doch wieder irgendwie Autismus-bedingt.

    Ach spannend! Ja da ist glaub ich sehr viel dran. Schon merkwürdig dass einem manche Sachen auch nach langer Selbstreflektion erst so spät bewusst werden. Aber ich glaub bei mir ist es exakt ganz genauso. Gerade in Situationen wo man grad in seiner eigenen Gedankenwelt ist oder auf eine bestimmte Tätigkeit fokussiert ist, empfinde ich die "Gefahr" oder sagen wir die Möglichkeit, dass mich jemand anspricht und von mir kommunikatives Verhalten erwartet, als unglaublich stressig und überfordernd.

    ZB wenn ich irgendwo in einem Imbiss etwas esse und mich einfach auf die Speise und den Akt des Verzehrens konzentrieren möchte, im Idealfall mit einem wohligen Gefühl, von dem man sich ein wenig Regeneration erhofft, macht es mich so nervös wenn ich das Gefühl habe dass ich angesprochen werden könnte oder ähnliches.

    Ich glaube aber dass die andere Angst, nämlich negativ bewertet zu werden aufgrund von äußerem Verhalten, bei mir trotzdem eine große Rolle spielt, aber der von dir angesprochene Aspekt macht auch einen ganz großen Anteil aus der mir bisher überhaupt nicht in der Form bewusst war. Danke!

  • Bei mir ist das sehr situationsabhängig.
    Ich bin z.B. beim Autofahren jedes Mal wieder völlig überfordert in Situationen, wo mich andere im Auto beobachten (Ampel/Stau, wenn jemand direkt neben mir steht und mich anschaut/beobachtet).
    Bei mir ist es so, dass ich einerseits Angst vor (Be)Wertung durch Andere habe, aber auch mit der spontanen (non)verbalen Kontaktaufnahme (Winken, Nicken, Ansprechen). Ich trage immer Sonnenbrille beim Fahren und schaue in solchen Stau-/Ampel-Situationen stur geradeaus und reagiere NICHT. Bin ICH wirklich gemeint? Oder vielleicht doch die Person neben/hinter mir? Werde ich nur "verarscht" oder meint der Andere die Kontaktaufnahme ernst? Was wäre eine angemessene und adäquate Reaktion meinerseits? Ich habe keine Ahnung!

    "Das Problem zu erkennen ist wichtiger als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung." - Albert Einstein

  • Zumindest fühle ich mich nicht überdurchschnittlich viel beobachtet bzw. es stört mich nur, wenn mich Typen sehr auffällig anstarren

    Das ist bei mir auch so. Manchmal sehe ich das jemand auf der Straße mich anschaut weil mein Kleidungsstil halt etwas auffälliger ist. Ich wurde ja auch schon auf meinen Kojotenschwanz oder auf meine bunten Schuhe angesprochen, bisher aber nicht negativ. Manchmal geht mir das Geschaue auf die Nerven, es ist aber nicht so das ich mich ständig beobachtet fühle. Das passier eher nur dann wenn ich selbst glaube das ich etwas mache wo jemand etwas gegen haben könnte, also ich habe eher die Angst etwas zu machen was verboten ist oder was unter anderen Menschen negativ auffällt, dann habe ich auch das gefühl, jemand könnte schauen und dann was sagen, aber ich glaube die Angst ist unberechtigt.
    Ich würde hier auch eher von AS-typischer Angst sprechen weil man als ASler nicht so gut abschätzen kann was unter den Menschen als okay gilt und was nicht.
    Diese momente sind bei mir aber selten, ich habe das jetzt nicht ständig beim Einkaufen oder in der Stadt herumlaufen.

    Ich würde auch eher sagen das ständige Beobachtet-werden ist eher ein Zeichen für soziale Phobie, bei den schizoiden, schizophrenie nahen Erkrankungen taucht dieses Symptom immer auf und ist auch mit eines der Kernsymptomatiken.

    Go bad or go home!

  • Soweit ich weiß, mag die Mehrheit der Menschen nicht gern von Fremden beobachtet werden bei diversen Tätigkeiten.
    Die spannende Frage ist also, ob das bei Autisten stärker ausgeprägt ist oder nur eine Folge der oft vorhandenen sozialphobischen Tendenzen?

    _,.-o~^°´`°^~o-.,_Ich ess Blumen...,.-o~^°´`°^~o-.,_

  • Bei mir ist das nämlich auch extrem stark ausgeprägt, es führt zu Angst, Stress, Unruhe, Überforderung, vor allem lenkt es extremst von der eigentlichen Tätigkeit ab sodass ein ganzer Haufen Konzentrationsvermögen verloren geht.

    Kenne ich. :?

    Ich hasse es, beobachtet zu werden,

    Dito.

    Die Befürchtung ist eher, dass das Beobachten die Vorstufe von sozialer Interaktion ist, und davor hab ich Angst. Bzw. auch nicht direkt vor der Interaktion an sich, sondern vor der damit einhergehenden Überlastung.

    Der Satz könnte fast 1 zu 1 von mir kommen.

    Würd mich jedenfalls sehr interessieren wie ihr das so einschätzt, danke schon mal

    Naja, viele Autisten haben scheinbar einen gewissen Anteil an Sozialphobie(n). Daher ist es nicht so abwegig. Ich würde nun nicht sagen das es generell ist oder ähnliches, jedoch kommt es mir so vor (durch belesungen und co) das es so ist. Autisten sind nun mal nicht dafür bekannt Sozial unauffällig zu sein und wenn man sich dem bewusst ist und durch eine Phobie dies noch gekoppelt ist, kann es unschön werden.

    Grüße aus der Pegasus Galaxie. :)

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!