Gewichtung der Einzelindizien bei der Diagnostik

  • Habe mit der Suchfunktion nichts finden können, wenn es aber schon mal Thema war, bin ich für einen Link dankbar!

    Mich interessiert, ob es eine generelle Leitlinie gibt, wie der Diagnostikverlauf sein muss bzw. wie die einzelnen Bestandteile gewichtet werden.
    - Dienen AQ-Test u.ä. nur dem Screening oder fließen die Ergebnisse auch ins Endergebnis ein?
    - Ist der ADOS-Test entscheidend?
    - Wie sieht es aus, wenn ADOS-Test und die (Fremd-)Anamnese sich widersprechen?
    - Wie sollten Vorkenntnisse zu Autismus und ggf. Therapien berücksichtigt werden? (Ich gehe hier von Erwachsenen aus, die nicht mehr ganz so jung sind.)
    - Spielt Hochbegabung eine Rolle bei der Bewertung des gezeigten Kommunikationsverhaltens?

    Wer weiß da was oder hat sogar Quellen dazu?

    Außerdem: Gibt's einen Unterschied zwischen "XY konnte ausgeschlossen werden" und "Verdacht auf XY konnte nicht bestätigt werden"?

    Persönlicher Bezug:

    Spoiler anzeigen

    Ich habe inzwischen meine schriftliche Diagnose erhalten und mit meiner Therapeutin (Psychiaterin) durchgesprochen. Insgesamt hatte ich nicht den Eindruck, dass man bei der Autismus-Ambulanz (bzw. der psychiatrischen Klinik, zu der sie gehört - es gibt da Vorerfahrungen) wirklich den Menschen weiterhelfen will, sondern nur äußerst lieblos und pro forma ein Programm abspult. Wenn ich Alternativen gesehen hätte, wäre ich auch zu einer anderen Diagnostikstelle gegangen. Jetzt frage ich mich, ob ein zweiter Anlauf überhaupt sinnvoll ist.
    Beim ADOS habe ich den Cut-Off nicht erreicht, aber auch extrem etwas vorgespielt. (Meine Therapeutin meinte dazu, dass ich den Cut-Off früher wohl erreicht hätte. Sie kennt mich inzwischen seit 14 Jahren und während mein Verhalten am Anfang noch "Autismus!" schrie (RW), bin ich heute in den Gesprächen mit ihr eigentlich unauffällig. Bei der Begutachtung zur Erwerbsminderungsrente - ging dort in erster Linie um Depression - vor zwei Monaten meinte der Psychiater zu mir, dass ich den Autismusverdacht abklären lassen sollte. Bei diesem Gespräch war ich aber auch extrem angespannt, total übermüdet und schlicht nicht in der Lage zu maskieren.)
    Fremdanamnese zur Kindheit gab es bei mir keine, da ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie habe. Meine eigene Einschätzung spielte keine große Rolle, bestimmte Dinge wurden nicht mal abgefragt (Spezialinteressen). Es gab einen extremen Zeitdruck und der Arzt verbiss sich an ein-zwei Stellen in ein Thema, was er trotzdem in der Anamnese falsch darstellte, und was keine Hauptrolle spielte.

    Moderatorenbeiträge sind an der grünen und fetten Schrift erkennbar! Alles andere stellt meine persönliche Meinung als Forennutzerin dar.

  • Es gibt in Deutschland keine bestimmte Leitlinie für die Erwachsenendiagnostik. Jeder Diagnostiker/ jede Ambulanz baut die Diagnostik anders auf. Der AQ wird meistens als Screening benutzt, aber auch nicht immer. Der ADOS ist Gold-Standard in der Kinder- (und Jugend-)Diagnostik und wird teilweise auch in der Erwachsenendiagnostik eingesetzt. Dazu kommen dann teilweise noch andere Interviews oder Fragebögen zum Einsatz.

    Dienen AQ-Test u.ä. nur dem Screening oder fließen die Ergebnisse auch ins Endergebnis ein?

    Ein höher AQ stützt die Diagnose. Ein hoher AQ allein führt jedoch genauso wenig zu einer Diagnose, wie ein niedriger AQ kein kategorisches Ausschlusskriterium ist.

    Ist der ADOS-Test entscheidend?

    Der ADOS hat sich als ziemlich zuverlässig im Aufzeigen autistischer Besonderheiten herausgestellt. Insbesondere gut kompensierende Erwachsene landen hier teilweise unter dem Cut Off - aber nicht immer. Es kommt sicherlich auch drauf an, ob jemand knapp unter dem Cut Off ist oder völlig unauffällig. Wie viele Punkte hast du denn erzielt?


    Wie sieht es aus, wenn ADOS-Test und die (Fremd-)Anamnese sich widersprechen?

    Kannst du das genauer ausführen?


    Wie sollten Vorkenntnisse zu Autismus und ggf. Therapien berücksichtigt werden?

    Ich denke, dass die meisten Personen, die sich zu einer Autismusdiagnostik im Erwachsenenalter begeben ein gewisses Vorwissen haben, insbesondere dann, wenn sie selbst den Verdacht haben. Bei Therapien hängt es wohl davon ab, um was für Therapien es sich konkret handelt.

    Spielt Hochbegabung eine Rolle bei der Bewertung des gezeigten Kommunikationsverhaltens?

    Je intelligenter eine Person ist, desto mehr kognitive Kompensationskapazität steht ihr theoretisch zur Verfügung. Außerdem sollte es jemandem der sehr intelligent ist leichter fallen bestimmte Dinge, die nicht-autistische Menschen intuitiv erwerben, auf kognitive Weise zu erlernen.

    ***

    Was genau meinst du denn mit "extrem vorgespielt" und vor allem warum? Ich denke, dass es sehr schwierig ist, die entscheidenden Aspekte vorzuspielen, bzw. wenn man perfekt einen "Neurotypischen" spielt, kann ich mir nicht vorstellen, dass das versehentlich nebenbei passiert. Darauf müsste man sich meiner Meinung nach schon komplett konzentrieren, z. B. in jedem Moment des Gesprächs ganz genau auf unauffälligen Blickkontakt achten. Aber das ist nur mein Empfinden dazu und keinesfalls etwas, das nicht auch anders sein könnte.

    Kennt deine Psychiaterin den ADOS selbst und ist mit dessen Durchführung vertraut? Und was bedeutet es, dass du nun nahezu unauffällig bist? Autismus ist ja etwas, das nicht weg geht. Wenn etwas am Anfang nach Autismus schreit und sich dann über die Jahre aber in eine unauffällige Richtung entwickelt, dann klingt es erstmal weniger nach Autismus für mich. Ich möchte damit aber keine Aussage über dich persönlich treffen, weil ich das gar nicht kann.

    Wenn du und deine Psychiaterin gute Gründe habt, die Diagnostik als mangelhaft zu betrachten, dann steht dir natürlich eine zweite Meinung zu. Extremer Zeitdruck klingt auf jeden Fall schlecht. Ein zweiter ADOS wäre meiner Ansicht nach jedoch nicht sinnvoll. Dieser "lebt" von den unvorbereiteten Überraschungselementen, der spontanen Reaktion. Mir wurde teilweise erst Tage später klar, wie "weird" ich mich in einigen Situationen verhalten hatte.

    Was konntest du denn über deine Kindheit berichten?

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

    Einmal editiert, zuletzt von Kayt (15. Juli 2021 um 15:07)

  • - Dienen AQ-Test u.ä. nur dem Screening oder fließen die Ergebnisse auch ins Endergebnis ein?
    - Ist der ADOS-Test entscheidend?
    - Wie sieht es aus, wenn ADOS-Test und die (Fremd-)Anamnese sich widersprechen?
    - Wie sollten Vorkenntnisse zu Autismus und ggf. Therapien berücksichtigt werden? (Ich gehe hier von Erwachsenen aus, die nicht mehr ganz so jung sind.)
    - Spielt Hochbegabung eine Rolle bei der Bewertung des gezeigten Kommunikationsverhaltens?

    Wie Kayt erläutert hat, läuft die Diagnostik überall unterschiedlich ab. Ich gehe davon aus, dass Personen, die nur sehr leicht betroffen sind, nicht bei jedem Diagnostiker eine positive Diagnose erhalten würden.
    Beim ADOS liege ich gnaz knapp unter dem Cut-Off. Für (sehr intelligente) Erwachsene ist er nicht sehr ausschlaggebend.
    Vorkenntnisse hat man normalerweise als Erwachsener ja, die wurden - soweit ich mich erinnere - nicht mitberücksichtig.
    Dazu muss sich halt der Diagnostiker mit HB auskennen. Ansonsten kann es wahrscheinlich sowohl zu falsch negativen als auch falsch positiven Diagnosen kommen. Mein Diagnostiker hat berücksichtigt, dass ich sehr intelligent und sehr gebildet bin.

    Je intelligenter eine Person ist, desto mehr kognitive Kompensationskapazität steht ihr theoretisch zur Verfügung. Außerdem sollte es jemandem der sehr intelligent ist leichter fallen bestimmte Dinge, die nicht-autistische Menschen intuitiv erwerben, auf kognitive Weise zu erlernen.

    Tendenziell ja, aber ich kenne mindestens einen sehr intelligeten Mann, bei dem der Asperger-Autismus augenscheinlich ist.

  • Das Anamnesegespräch ist der wichtigste Teil, weil dort dein ganzes Leben durchleuchtet wird. In Kombination mit den Tests und Screening- Verfahren ergibt es dann entweder eine Diagnose oder eben keine.

    Bei Erwachsenen wird / wurde das Adult Asperger Assessment angewendet.

  • Tendenziell ja, aber ich kenne mindestens einen sehr intelligeten Mann, bei dem der Asperger-Autismus augenscheinlich ist.

    Bei mir ist es genau umgekehrt: Durchschnittlich intelligent, aber ziemlich unauffällig. Deswegen meine Diagnose-Zweifel, die immer wieder mal aufgekommen sind. Aber nach Rücksprache der Spezialambulanz vor ca. einem Monat brauche ich anscheinend nicht zu zweifeln.

    Beim ADOS (im Rahmen einer Studie) hatte ich überall den Cut-Off erreicht oder war sogar teilweise leicht drüber. Im Alltag bin ich dennoch ziemlich unauffällig.

  • Ich kenne mindestens einen sehr intelligenten Mann, bei dem der Asperger-Autismus augenscheinlich ist.

    Ja, klar gibt es den und vermutlich noch andere.

    Aber die Bedingungen sind bei jeder/jedem etwas anders/speziell/individuell - deshalb ist das

    ....aber.....

    an & für sich nicht angebracht.

    Mein Sohn Nr. 1 hat den ADOS mit 20 Jahren absolviert und hat mir hinterher erklärt, er habe "total gelogen". Weshalb auch immer.
    Die Diagnostiker (es waren mehrere Ärzte und Psychologen beschäftigt) haben keine noch so typische Eigenart von Aspergerautisten anerkannt, weil in dieser ambulanten Diagnosestelle der ADOS über alles gesetzt wurde.

    Das ist - wie oben schon beschrieben -eher eine individuelle Sache. Jemand, der das Sagen hat, entscheidet, was gemacht wird, wer die Diagnose bekommt und wer nicht. Die Entscheidungskriterien sind für Außenstehende manchmal schwer bis gar nicht nachvollziehbar.

    Ich persönlich kann damit leben. Was ich aber gar nicht mag, ist eine Verschleierungs- oder Hinhaltetaktik, das heißt, wenn vordergründig andere Entscheidungsgründe genannt werden.
    Man kann mir offen mitteilen, dass mein "Fall" (beispielsweise) für das Uni-Institut uninteressant ist und ich deshalb die Diagnose nicht bekomme, weil ich sonst vielleicht "Ansprüche" an eben das Institut stellen würde.
    Oder dass dann vielleicht andere nicht den dringend notwendigen Test durchführen könnten. Weshalb auch immer. Aber einen völlig aus der Luft gegriffenen oder anderweitig bereits widerlegten Grund für die Negativ-Diagnose anzugeben, finde ich richtig schofelig.

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • Tendenziell ja, aber ich kenne mindestens einen sehr intelligeten Mann, bei dem der Asperger-Autismus augenscheinlich ist.

    Ich denke, dass es auf zwei Aspekte ankommt. Zum einen, wie viel Kompensation durch die Intelligenz überhaupt möglich ist, sagt noch nicht aus, wie viel auch tatsächlich kompensiert wird. Zum anderen wäre die Person möglicherweise noch viel auffälliger, wenn sie sehr viel weniger intelligent wäre, also auch grundsätzlich weniger Fähigkeit zur Kompensation hätte.

    Durchschnittlich intelligent, aber ziemlich unauffällig.

    Wobei das "ziemlich unauffällig" hier ja deine Selbsteinschätzung ist und sich wohl nicht eins-zu-eins mit der Einschätzung deiner Diagnostiker deckt.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Wobei das "ziemlich unauffällig" hier ja deine Selbsteinschätzung ist und sich wohl nicht eins-zu-eins mit der Einschätzung deiner Diagnostiker deckt.

    Das "ziemlich unauffällig" kommt auch von Privatpersonen, die mich kennen (Freunde, Arbeitskollegen). Allerdings gab es nach meinem Outing von der ein oder anderen Person auch schon mal die Rückmeldung, dass sie es sich "schon irgendwie gedacht hatten". Dass die Fremdeinschätzung so unterschiedlich sein kann, ist mir irgendwie ein Rätsel.

  • Dass die Fremdeinschätzung so unterschiedlich sein kann, ist mir irgendwie ein Rätsel.

    Mir ist es eher Indiz, denn Rätsel ;)

    Vor etwa zwei Jahren erhielt ich auf einer Geburtstagsfeier (ungefragt) Tipps zur Verbesserung meiner sozialen Interaktion von einer Person, deren Sozialkompetenz ich als unterdurchschnittlich klassifizieren würde. Das hat mir zu denken gegeben. Auch das einer meiner besten engsten Freunde (Psychologe) mich als "auffällig anders" beschreibt, verwunderte mich. Ich hielt mich für einigermaßen unauffällig.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • @Kayt
    Verrückte Situation damals:
    Bevor ich meine Diagnose bekam, hatte ein Freund von mir pro Diagnose gewettet, ich dagegen (da ich Zweifel hatte). Ich hatte die Wette verloren und musste ihm daraufhin an einem x-beliebigen Tag einen Cocktail-Abend spendieren.

  • Der ADOS hat sich als ziemlich zuverlässig im Aufzeigen autistischer Besonderheiten herausgestellt. Insbesondere gut kompensierende Erwachsene landen hier teilweise unter dem Cut Off - aber nicht immer. Es kommt sicherlich auch drauf an, ob jemand knapp unter dem Cut Off ist oder völlig unauffällig. Wie viele Punkte hast du denn erzielt?

    Soweit ich es rekonstruieren konnte, wurde der ADOS bei mir nicht mal richtig durchgeführt. Ich werde da auf jeden Fall die ganze Testaufzeichnung zu anfordern.

    Mein generelles Problem ist: Ich beschäftige mich mit Autismus, Maskierungsstrategien und Kommunikation seit 15 Jahren. (Man könnte es als Spezialinteresse betrachten.)
    - Seit ich weiß, dass ich (normalerweise) keinen richtigen Augenkontakt halte, achte ich sehr drauf, dass ich den Leuten schön auf die Nasenwurzel schaue oder gerade so an ihnen vorbei, wenn sie weiter weg sind. Teilweise mache ich mich vor Gesprächen als Vorbereitung bewusst aggressiv, weil das "Ansehen" bzw. Anstarren dann besser klappt.
    - Ich übe Mimik vor dem Spiegel, damit ich sie einsetzen kann und tue das auch bewusst. Spontane Mimik ist bei mir eher selten und auch nicht immer angemessen.
    - Ich versuche drauf zu achten, dass Gespräche nicht einseitig sind und ich an das von anderen Gesagte anknüpfe und an den richtigen Stellen nicke usw.
    (Nur ein paar Beispiele. Ich habe mir da kognitiv mehr angeeignet als viele andere Menschen, nur kann ich es eben nicht immer einsetzen. Auch die Gesprächstherapie geht in diese Richtung.)
    Ich habe mich während des ADOS nicht intuitiv verhalten. Das hätte wesentlich anders ausgesehen. Da ich extrem schlechte Erfahrungen mit "natürlicher" Verhaltensweisen und Ärzten im Jahr zuvor gemacht hatte, wollte ich das Ergebnis nicht durch angebliche "nicht-Compliance" gefährden. Das hatte ich nämlich in der Vergangenheit regelmäßig.

    Habe mehrfach IQ und andere Begabungtests gemacht, ich weiß nicht bei allen das Ergebnis, aber ich liege wohl bei mindestens 139. Tester waren oft sehr erstaunt über die Werte.

    Laut meinen Eltern war ich im Sozialverhalten schon immer auffällig, die Idee mit dem Asperger-Syndrom stammte ursprünglich auch von meiner Mutter. Dass ich "unnormal" sei und in die Psychiatrie gehörte, war jahrelang Thema. Im Gespräch konnte ich das aber nicht rüberbringen. Der Arzt machte zum einen Druck wegen der Zeit, zum anderen stürzte er sich auf alles, was gegen Autismus sprechen könnte. In der Anamnese steht z.B. nur, dass ich im Kindergartenalter mit einem Mädchen aus dem Haus gegenüber gespielt habe. Dass ich ansonsten nicht mit anderen Kindern gespielt habe und später eine extreme Einzelgängerin war, steht nicht drin.
    Ich hatte natürlich die Extrembeispiele von Autisten im Kopf, die man so kennt. Dem entspreche ich nicht, und ich wollte die Sachen auch nicht dramatisieren, das wäre mir wie lügen vorgekommen. Andererseits war/bin ich auch nicht NT-typisch. Meine Eltern hätten es sicher dramatischer dargestellt als ich. (Mein Vater hat sich bis zu meinem Auszug aufgeregt, dass ich keine Freunde hätte und mir doch gefälligst welche zulegen solle. - Als ob man sich die im Laden kaufen könnte. :nerved: )

    Der Arzt war auch extrem angepisst, dass ich mich überhaupt mit Autismus vorher beschäftigt hatte und z.B. die Diagnosekriterien gelesen hatte. Sinngemäß sagte er, dass Autismus eine große Tragödie sei, und es Patienten nicht zustehe da Vermutungen anzustellen.
    Ich habe nach dem letzten Gespräch mal recherchiert: Er ist noch relativ jung, hat zwar zwei Sachen veröffentlicht, aber die haben mit Autismus nichts zu tun. Er macht die Diagnosen auch erst seit kurzer Zeit und alleine. Auch was er sonst so über Persönlichkeitsstörungen und Therapie gesagt und geschrieben hat, zeugte nicht gerade von viel Ahnung vom Thema, aber sehr viel Meinung von sich selbst. (Meine Therapeutin - wie gesagt, selbst Psychiaterin - hat sich über mehrere Stellen im Bericht ziemlich aufgeregt...) Empathie Null, er eröffnete das erste Gespräch im Prinzip mit dem Vorwurf, warum ich eine Mode-Diagnose haben will. Seine Meinung hatte er auch schon direkt zu Beginn gebildet und mir - mehrfach - mitgeteilt. Konnte oder wollte sie aber auf Nachfrage nicht begründen.

    (Die Autismus-Ambulanz war hier im Forum und auch auf der Liste mit Diagnosestellen mehrfach Thema und die Berichte ähneln meinem sehr. Obwohl die Ärzte da alle paar Jahre wechseln.)

    Ich sehe bei mir halt nicht nur die schon seit der Kindheit bestehenden Probleme mit Kommunikation und Interaktion. Ich war auch in der Sprechweise auffällig. ("zerstreuter Professor", laut einem meiner Geschwister). Im ADOS fiel das ebenfalls auf.) Und ich hab Probleme mit der Motorik. Und Probleme mich in andere Hineinzuversetzen. Und noch ein paar Sachen, die man bei Autisten häufig findet. Bin auchmal von einem Kollegen mit Asperger-Diagnose gefragt worden, ob ich im Spektrum bin. Es kann ja wirklich sein, dass das alles andere Gründe hat und zufällig nur zusammen auftritt. Aber sagen, dass ich mir das einbilde, hilft mir halt nicht weiter. (Auf Teufel komm raus (RW) die Diagnostikstellen abklappern ebenfalls nicht, dass ist mir klar. Es wäre halt für die Zukunft einfacher eine Diagnose zu haben, die alle oder möglichst viele Probleme abdeckt, als einen Flickenteppich von leichten Persönlichkeitsstörungen mit massiver Depression und diversen Ängsten. Aber wenn Autismus halt nicht ist, muss ich eben mit den Diagnosen arbeiten, die gestellt wurden.)

    Moderatorenbeiträge sind an der grünen und fetten Schrift erkennbar! Alles andere stellt meine persönliche Meinung als Forennutzerin dar.

  • Die wichtigste Frage, die sich mir aufdrängt, ist, ob du überhaupt meinst, dich in einer Diagnostik authentisch verhalten zu können, denn das ist die Bedingung eine korrekte Diagnose gestellt zu bekommen.

    Anstarren ist übrigens auch eine Auffälligkeit im Bereich des Blickkontaktes.

    So etwas wie Mimik vor dem Spiegel üben (habe ich auch schon getan), würde ich zum Beispiel in der Diagnostik erwähnen.


    Der Arzt war auch extrem angepisst, dass ich mich überhaupt mit Autismus vorher beschäftigt hatte und z.B. die Diagnosekriterien gelesen hatte. Sinngemäß sagte er, dass Autismus eine große Tragödie sei, und es Patienten nicht zustehe da Vermutungen anzustellen.

    Das klingt auf jeden Fall nicht nach einem unvoreingenommenen Diagnostiker. Hast du eigentlich deine Hochbegabung thematisiert?

    Gibt es irgendjemanden aus deiner Familie, der etwas zu deiner Kindheit sagen könnte, zum Beispiel auch per Telefon? Es müssen ja nicht die Eltern sein.

    Wenn du bereits seit 14 Jahren bei der gleichen Psychiaterin in Therapie bist, und diese meint, dass du keine Persönlichkeitsstörung hast, finde ich ihre Meinung deutlich gewichtiger als die aus einer kurzen Diagnostik. Wie lange hat denn die Diagnostik überhaupt gedauert?

    Edit: Dass es Aufzeichnungen des ADOS gibt, klingt gut. Aber weiß denn deine Psychiaterin, wie der ADOS durchgeführt und ausgewertet wird? Wenn du wissen willst, ob dieser korrekt durchgeführt wurde, musst du ja wissen, worauf es dabei ankommt.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Mich interessiert, ob es eine generelle Leitlinie gibt, wie der Diagnostikverlauf sein muss bzw. wie die einzelnen Bestandteile gewichtet werden.

    Leitlinien gibt es schon. Die werden allerdings zurzeit überarbeitet. Ein "Muss" gibt es aber nicht.

    Ich bin von einem der Vorsitzenden der Gruppe, die die Leitlinien verfasst hat, diagnostiziert worden. Der ADOS ist bei mir nicht zur Anwendung gekommen. Für Erwachsene wird er in den Leitlinien auch nicht empfohlen.

    Fremdanamnesen werden zwar empfohlen, konnten bei mir aber umständehalber auch nicht durchgeführt werden. Bei mir haben die Eigenanamnese zu meiner frühen Kindheit und meine Grundschulzeugnisse ausgereicht, um laut der diagnostizierenden Ambulanz zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen.

    In wie weit ein Konsenz zur Anwendung von AQ und anderen Screening Verfahren besteht, ist in den Leitlinien auch erläutert.

  • Das klingt auf jeden Fall nicht nach einem unvoreingenommenen Diagnostiker.

    Ich glaube, dass es mittlerweile viele Diagnostiker gibt, die es zur Genüge kennen, dass Leute zu ihnen kommen, die ganz genau zu wissen glauben, welche Diagnose gefälligst zu vergeben ist (damit meine ich ausdrücklich nicht @Schwarze Katze!).
    Und die dann entsprechend reagieren, wenn der Diagnostiker zu einem anderen Ergebnis kommt.

  • Die wichtigste Frage, die sich mir aufdrängt, ist, ob du überhaupt meinst, dich in einer Diagnostik authentisch verhalten zu können, denn das ist die Bedingung eine korrekte Diagnose gestellt zu bekommen.

    Schwierig zu sagen. Mich hat die Einschätzung meiner Therapeutin ziemlich verunsichert. Ich wusste zwar, dass ich Selbstzensur betreibe und schauspiele, aber das sich da die Fremdwahrnehmung so krass geändert hat, erschreckt mich. Und für den ADOS bin ich ja jetzt eh "verbrannt".

    Anstarren ist übrigens auch eine Auffälligkeit im Bereich des Blickkontaktes.

    Ich weiß. :d Hat sich allerdings selbst bei Psychiatern noch nicht überall rumgesprochen. 2009 erlebte ich folgende Situation:
    *Katze starrt Ärztin extrem sauer an.*
    Ärztin *guckt weg*: "Sie können mir in die Augen schauen, also sind sie keine Autistin."

    Das klingt auf jeden Fall nicht nach einem unvoreingenommenen Diagnostiker. Hast du eigentlich deine Hochbegabung thematisiert?

    Ich habe eine Klasse übersprungen und einer der Fragebögen ergab eine Einschätzung von IQ über 130. Wie intensiv ich mich aber mit der Anpassung beschäftigt habe, war jedoch kein Thema.

    Wenn du bereits seit 14 Jahren bei der gleichen Psychiaterin in Therapie bist, und diese meint, dass du keine Persönlichkeitsstörung hast, finde ich ihre Meinung deutlich gewichtiger als die aus einer kurzen Diagnostik. Wie lange hat denn die Diagnostik überhaupt gedauert?

    Als sie den Satz mit der kombinierten Persönlichkeitsstörung las, musste sie lachen. 8-) Die Diagnose der Autismusambulanz beruht auch im Wesentlichen auf den Fragebögen zur Selbsteinschätzung. Aus einem Kreuzchen bei "Haben Sie manchmal störende Gedanken, die sie nicht loslassen?" wurde eine leicht zwangsgestörte Persönlichkeit.
    Ich hatte mich vorher schon mal mit den Differentialdiagnosen auseinandergesetzt und das auch in der Therapie besprochen: Die passen einfach überhaupt nicht, teilweise treffen auf mich auch die Ausschlusskriterien zu. (Depression bei schizoider PS)
    Die Diagnostik umfasste zwei Gespräche von je einer knappen Stunde mit dem Arzt und den ADOS-Test. Wobei der zweite Termin das Eltern- bzw. Muttergespräch hätte sein sollen, es gab recht viele Fragen zur Schwangerschaft. Fragebögen bekam ich am Ende des ersten Gesprächs in die Hand gedrückt und sollte die irgendwo auf dem Flur ausfüllen.

    Gibt es irgendjemanden aus deiner Familie, der etwas zu deiner Kindheit sagen könnte, zum Beispiel auch per Telefon? Es müssen ja nicht die Eltern sein.

    Ich habe noch zwei Geschwister (8 und 8,5 Jahre älter). Die hätte ich noch eher kontaktieren können als meine Eltern. Das war aber gar kein Thema. Es hieß am Ende des ersten Gesprächs, dass ich zwei Fragebögen von den Eltern ausfüllen lassen muss und die sich zu einem Telefonat beim zweiten Termin bereithalten sollen. Ich wies drauf hin, dass das nicht möglich sei. Ich solle mich halt bemühen. Und dann wurde ich rausgeschmissen. Alternativen zu den Eltern wurden keine genannt und weil "Eltern" in den Fragebögen steht, bin ich auch gar nicht auf die Idee gekommen meine Geschwister zu fragen. :m(:


    Edit: Dass es Aufzeichnungen des ADOS gibt, klingt gut. Aber weiß denn deine Psychiaterin, wie der ADOS durchgeführt und ausgewertet wird? Wenn du wissen willst, ob dieser korrekt durchgeführt wurde, musst du ja wissen, worauf es dabei ankommt.

    Es gibt ja eine Aufstellung, welche Verhaltensweisen man gezeigt hat, aus der dann die Punkte berechnet werden. Zumindest hat die Psychologin sich sehr viele Notizen gemacht. Die müsste ich bekommen, wenn ich die gesamte Krankenakte anfordere. (Denke ich mir zumindest.)

    Die Sache mit dem Puzzle finde ich z.B. merkwürdig.

    Spoiler anzeigen

    Nachdem, was ich weiß, müsste das letzte Teil im persönlichen Bereich des Untersuchers liegen. Lag's aber nicht. Die Teile lagen alle bei mir auf dem Tisch, die Psychologin saß 1,5-2 Meter davon entfernt.

    @Input Zeugnisse geben bei mir wenig her, die sind im Wesentlichen nur Noten und keine Kommentare. Und zur Note in Sozialverhalten/Betragen meinte tatsächlich mal der Klassenlehrer zu mir, dass er mir eine schlechtere Note hatte geben wollen, aber von den Fachlehrern überstimmt worden sei. Ich wurde in meiner Kindheit mehrfach gezwungen zu Therapien zu gehen, aber da gibt's auch keine Aufzeichnungen mehr zu. Ich war auffällig, es gab Probleme. Ich kann's nur nicht beweisen.- Und danke für die Links! Werde ich mir angucken.

    @zaph Ich gehe davon aus, dass der Arzt mich für so jemanden gehalten hat. Das Missverständnis hätte man ausräumen können, wenn er gewollt hätte. (Zwischen meiner Selbstdiagnose und dem Gespräch mit ihm lagen rund 15 Jahre, in denen es mit meinem Leben ziemlich den Bach runterging. (RW) Unter anderen Umständen hätte mir die Selbstdiagnose gereicht.)

    Moderatorenbeiträge sind an der grünen und fetten Schrift erkennbar! Alles andere stellt meine persönliche Meinung als Forennutzerin dar.

    2 Mal editiert, zuletzt von Schwarze Katze (15. Juli 2021 um 18:05)

  • Ich glaube, dass es mittlerweile viele Diagnostiker gibt, die es zur Genüge kennen, dass Leute zu ihnen kommen, die ganz genau zu wissen glauben, welche Diagnose gefälligst zu vergeben ist (damit meine ich ausdrücklich nicht Schwarze Katze!).
    Und die dann entsprechend reagieren, wenn der Diagnostiker zu einem anderen Ergebnis kommt.

    Ich finde, dass das dennoch kein Grund ist, ein Gespräch auf eine solche Weise zu eröffnen. Natürlich ist es die Aufgabe eines Diagnostikers, sich im Laufe der Diagnostik ein Bild über den Klienten/Patienten zu machen, aber doch nicht am Beginn. Ein Klient/Patient hat jedes Recht, sich im Vorfeld über mögliche Diagnosen zu informieren, ohne Information wäre er in vielen Fällen ja gar nicht zu dem Verdacht gekommen. Ein Diagnostiker, der einen Klienten/Patienten negativ wertet, weil er es tut und das dann auch noch deutlich und unfreundlich zum Ausdruck bringt, sollte sich meines Erachtens fragen, ob er das a) das nötige Maß an Impulskontrolle aufbringt und b) eine Klienten/Patienten wirklich nur anhand objektivierbarer Kriterien diagnostiziert oder danach, ob er ihm sympathisch ist.

    Dass es auch Klienten/Patienten gibt, die unbelehrbar, fordernd und/oder narzisstisch sind, ist klar. Das sind jedoch auch leider überproportional viele Ärzte (im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung). Ein Psychiater, der sich gleich am Anfang darin "verbissen" hat, dass ein Klient/Patient sicherlich X hat oder sicherlich Y nicht hat, arbeitet nicht ergebnisoffen, sondern wurde Opfer seines eigenen Confirmation Bias. Wenn dann die Diagnostik in der Gestalt vorangetrieben wird, zwanghaft nur danach zu suchen, was dem Verdacht des Klienten/Patienten widerlegen könnte, statt offen zu versuchen alle Aspekte zusammenzusuchen, um diese dann zu beurteilen, wird einen ständigen Kampf gegen den Klienten/Patienten führen und dessen "Widerspenstigkeit" als Beleg seines Vorurteils heranziehen.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Ich habe noch zwei Geschwister (8 und 8,5 Jahre älter)

    Erstaunlich! Du bist offenbar tatsächlich eine Katze. :d

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
    Morgen werde ich mich ändern, gestern wollte ich es heute schon. (Christine Busta)

  • Erstaunlich! Du bist offenbar tatsächlich eine Katze.

    Oder sie wurden von unterschiedlichen Müttern ausgetragen.

    Geschwister die etwa 8 Jahre älter sind, sind auf jeden Fall in einem Alter, in dem sie sich bereits an Besonderheiten erinnern können und normalerweise auch nicht zu alt, als dass sie schon nichts mehr mitbekommen hätten, wegen Auszug o. ä.

    Ich würde die Geschwister kontaktieren und Notizen darüber anfertigen, woran sie sich erinnern können.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Ich glaube, dass es mittlerweile viele Diagnostiker gibt, die es zur Genüge kennen, dass Leute zu ihnen kommen, die ganz genau zu wissen glauben, welche Diagnose gefälligst zu vergeben ist....

    Ein Glaubender. Gut zu wissen!

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • Danke für eure Antworten! :)

    Ich weiß noch nicht, wie ich weiter vorgehe, aber glücklicherweiße ist das auch nicht mehr ganz so dringend. Hab diese Woche den positiven Bescheid auf meinen Erwerbsminderungsrentenantrag bekommen. Damit ist der Druck in Sachen Arbeitsplatz erst einmal weg.

    Moderatorenbeiträge sind an der grünen und fetten Schrift erkennbar! Alles andere stellt meine persönliche Meinung als Forennutzerin dar.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!