Berichte über Polizeigewalt gegen autistische Menschen

  • Ich bin eben über diesen Bericht hier gestolpert: https://www.spiegel.de/ausland/israel…dc-a782b44d011a - darin geht es um einen palästinensischen Autisten, der im Jahr 2020 von einem israelischen Polizisten erschossen wurde, nachdem er mehrere Aufforderungen zum Stehenbleiben missachtet haben soll. Möchte hier keine große Debatte um den Nahostkonflikt lostreten, sondern das nur als Anlass nehmen, um zu fragen, welche sonstigen Fälle euch bekannt sind, bei denen Polizei- oder sonstige Sicherheitskräfte Gewalt (insbesondere tödliche Gewalt) gegen autistische Menschen angewandt haben; häufig wird so etwas ausgelöst durch ungewöhnliches Verhalten der Opfer und möglicherweise lassen sich in Zukunft vergleichbare Fälle vermeiden, wenn entsprechende Aufklärung betrieben wird. Falls es bereits eine Zusammenstellung solcher Vorfälle im Netz gibt, habe ich sie auf die Schnelle nicht gefunden und bin natürlich für entsprechende Hinweise dankbar.

    Eine kurze Recherche ergibt folgende Vorfälle:
    - Eric Parsa, 16, getötet in Metairie, Luoisiana: https://abcnews.go.com/US/wireStory/s…kehold-75259124

    - Kobe Edgar Dimock-Heisler, 21, Afroamerikaner, getötet als er während eines depressiven Schubs selbstverletzendes Verhalten gezeigt hat: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/po…-die-Brust.html

    - Jeremy Mardis, 6, getötet als Beifahrer nach einer Verfolgungsjagd: https://www.welt.de/vermischtes/ar…erschossen.html

    - Ein 13-jähriger Autist aus Salt Lake City, Utah, schwer verletzt während einer Panikattacke: https://www.nzz.ch/panorama/poliz…ssen-ld.1575716

    - Ein 24-jähriger Autist aus Bristol, England, verletzt durch einen Taser/Elektroschocker: https://www.theguardian.com/uk-news/2018/j…e-with-stun-gun


    Mich würden insbesondere auch solche Vorfälle interessieren, in denen in Deutschland autistische Menschen durch Polizisten verletzt worden sind.


    Rainer

  • Also ich finde, dass man unterscheiden muss zwischen Situationen, in denen eine Person aufgrund des Autismus ein für Außenstehende ungewöhnliches Verhalten zeigt, das aber nicht aggressiv gegen andere Personen gerichtet ist und solchen Situationen, in denen eine autistische Person aggressiv gegen andere Personen ist.

    In der erstgenannten Variante kann ich mir nur schwer vorstellen, dass es da zu Gewalt durch die Polizei im Rahmen eines Einsatzes kommt und wenn doch ,dass Kenntnisse über Autismus etwas daran ändern würden. Wenn sowas passiert, dann eher aufgrund anderer Umstände, denn zumindest in Deutschland ist die Polizei ja stark auf Deeskalation ausgerichet.

    In der zweiten Variante ist meiner Ansicht nach zu beachten, dass hier im Vordergrund steht und auch stehen muss, die anderen Personen vor Schaden zu bewahren. Wenn jemand aggressiv gegen andere Personen ist, dann muss der Aggressor hinnehmen, dass seine Unversehrtheit zum Schutz der anderen Personen eingeschränkt wird. Auch, wenn natürlich auch in diesem Fall erstrebenswert ist, den Aggressor möglichst nicht zu verletzen.

    Meine Erfahrungen mit der Polizei sind übrigens äußert positiv, auch im Hinblick auf eine konkrete Überforderungssituation. Ich war damals in eine neue Stadt gezogen und wohnte da erst wenige Tage. Das war noch lange vor Smartphone-Zeiten und Fußgängernavis. Da in meinem Wohnviertel über zig Straßen die Wohnblöcke alle gleich aussahen, hatte ich nachts auf dem Heimweg plötzlich gar keine Orientierung mehr.

    Ich habe dann eine sehr freundliche Polizeistreife angehalten und nach dem Weg gefragt. Die Polizisten haben gemerkt, dass ich total überfordert war und haben mich freundlicherweise nach Hause gefahren. Sie haben es liebevoll Bürgernähe genannt :) .

    Was ich damit sagen will: Ich glaube nicht, dass autismusspezifische Aufklärung der Polizei nötig ist, da ich mir nicht vorstellen kann, was das konkret verändern sollte.

  • Also ich finde, dass man unterscheiden muss zwischen Situationen, in denen eine Person aufgrund des Autismus ein für Außenstehende ungewöhnliches Verhalten zeigt, das aber nicht aggressiv gegen andere Personen gerichtet ist und solchen Situationen, in denen eine autistische Person aggressiv gegen andere Personen ist.

    In der erstgenannten Variante kann ich mir nur schwer vorstellen, dass es da zu Gewalt durch die Polizei im Rahmen eines Einsatzes kommt und wenn doch ,dass Kenntnisse über Autismus etwas daran ändern würden. Wenn sowas passiert, dann eher aufgrund anderer Umstände, denn zumindest in Deutschland ist die Polizei ja stark auf Deeskalation ausgerichet.

    Es gab in den letzten Jahren mehrere Fälle wo psychisch Kranke von der deutschen Polizei erschossen wurden und aus den Aufnahmen oder der Rekonstruktion des Ablaufs ergab, dass die Polizisten falsch handelten. Meist haben die den Sicherheitsabstand erst selbst verringert und sich damit selber in die Schusslage gebracht. Z.B. einer, der in nen Brunnen gegangen war und sich da mit nem Messer selbst verletzte, wurde erschossen, weil ein Polizist zu ihm in den Brunnen stieg. Als der Kranke sich auf den Eindringling zubewegte könnte der nicht zurückweichen da der Brunnenrand hinter ihm war und der Kranke wurde erschossen. Von der Einsatztaktik her hat der Polizist falsch gemacht was nur ging...

  • @Waspie: Ich erkenne da aber ehrlich gesagt nicht, wie die Polizei da hätte anders vorgehen sollen. Wenn sich jemand selbst verletzt und die Polizei hinzugerufen wird, dann muss sie sich ja leider in die Nähe des Betroffenen begeben.

    Wenn dann der Betroffene auf die Polizei zugeht und dabei eine Waffe trägt, dann muss der Eigenschutz der Polizei Vorrang haben.

    Tragisch ist jeder Todesfall, sowohl für die Betroffenen und deren Angehörige als auch die Polizei, aber meiner Ansicht kann man leider nicht immer verhindern, dass sowas passiert.

  • Ich glaub nicht dass man einen fuchtelnden Arm zuverlässig mit einem Schuss trifft...

    Aber es sollte doch möglich sein, dem Angreifer das Messer aus der Hand zu schlagen, Soldaten lernen sowas doch auch.

  • Ich glaub nicht dass man einen fuchtelnden Arm zuverlässig mit einem Schuss trifft...

    Von einem Polizist aus wenigen Metern Entfernung sollte das doch wohl verlangt werden können. Die haben doch hoffentlich regelmäßig Schießübungen. Von mir aus auch die Schulter - Hauptsache eine Stelle, wo keine lebenswichtigen Organe sind.
    Aber ich kann auch verstehen, wenn gestresste Polizisten nach der X. 12-Stunden-Schicht so fertig sind, dass sie in Panik geraten.

    _,.-o~^°´`°^~o-.,_Ich ess Blumen...,.-o~^°´`°^~o-.,_

  • Und was ist mit einem Taser? Damit könnten Polizisten jemanden auf Distanz ausschalten ohne ihn umzubringen .

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    Glaub nicht alles, was du denkst.
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  • Von einem Polizist aus wenigen Metern Entfernung sollte das doch wohl verlangt werden können. Die haben doch hoffentlich regelmäßig Schießübungen. Von mir aus auch die Schulter - Hauptsache eine Stelle, wo keine lebenswichtigen Organe sind.
    Aber ich kann auch verstehen, wenn gestresste Polizisten nach der X. 12-Stunden-Schicht so fertig sind, dass sie in Panik geraten.

    Dann ruckt der "Täter" genau im falschen Moment zur Seite und der Polizist trifft statt der Schulter doch die Brust. Also da muss wohl schon eine Lösung ohne Schusswaffe her.

  • Die Frage von @kim finde ich nicht uninteressant.
    Das wäre vielleicht wirklich eine Lösung für dieses Problem. Welche Wirkung hat so ein Ding auf den Verdächtigen und dürfen deutsche Polizisten eigentlich einen Taser mit sich führen und ihn einsetzen, weiß das jemand?

    Jedes isolierte Bewusstsein macht sich auf den Weg - wie die Kraft des Wassers V_V

  • Die Person soll ja einen Elektroschock bekommen, was passiert, wenn die Person dabei im Wasser steht? Gefährlich ist doch eher der Sturz, der dadurch herbeigeführt wird.

    Taser werden teilweise schon eingesetzt von der deutschen Polizei. Meistens bauen sie auf die deeskalierende Wirkung, weil Leute sich lieber ergeben als sich tasern zu lassen. Aber ungefährlich ist das auch nicht immer, es gibt auch Tote durch Tasereinsätze. Auch hier sind es oft psychisch Kranke oder Auffällige.

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    Einmal editiert, zuletzt von kim (19. Juni 2021 um 01:25)

  • Wasser ist ein sehr guter Stromleiter. Daher wäre ich mir nicht sicher, welche Auswirkungen das hat.
    Schon ohne Wasser sind manche Taser tödlich.

    _,.-o~^°´`°^~o-.,_Ich ess Blumen...,.-o~^°´`°^~o-.,_

  • Dazu habe ich einen Artikel im Tagesspiegel gefunden, in dem es heißt:

    "NICHT WIE BEIM FÖN

    Bei den SEK-Experten, die das Gerät in Berlin nur im Rahmen eines Pilotprojektes benutzen, hieß es: Ja, der Taser-Einsatz wäre trotz des Wassers möglich gewesen. Ein „Fön-im-Wasser-Effekt“, also ein tödlicher Stromschlag, sei hier nicht zu befürchten, da die Stromstärke zu gering sei. Diese dürfe nicht mit der – mit 50 000 Volt tatsächlich sehr hohen – Spannung verwechselt werden.

    Der Taser verschießt zwei winzige Pfeile, die durch sechs Meter lange Drähte mit der Waffe verbunden sind. Die 50 000 Volt fließen blitzschnell über einen Draht in den Körper und über den anderen wieder hinaus. Die Person ist dann kurz bewegungsunfähig. Dadurch, dass der Strom durch einen Draht hinein- und den anderen hinausfließt, sei auch die Erdung nicht gegeben wie beim Fön-Effekt in der Badewanne. Deshalb sei auch der Beamte, der den Taser betätigt, nicht in Gefahr, hieß es. Allerdings muss die gelähmte Person schnell aus dem Wasser gezogen werden – damit sie nicht ertrinkt."

    Also die Diskussion gab es bereits. Ich würde es besser finden, wenn Polizisten bei so einem Einsatz einen Taser benutzen würden, um die Gefahr zu verringern, die vermeintlich angreifende Person zu töten. Jemand der in so einer Situation getasert wurde, wird beim nächsten mal vielleicht leichter dazu zu bringen sein, sich zu ergeben. Viele psychisch Kranke haben in einer Krise Angst und handeln aus Angst, aber sind nicht zwangsläufig aggressiv. Da ist die Tötung natürlich das extremste Mittel und sollte vermieden werden.

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    Einmal editiert, zuletzt von kim (19. Juni 2021 um 14:56)

  • Eine kurze weitere Erklärung zur Funktionsweise des Tasers / eines Elektrozauns (gleiches Prinzip):

    Es wird von diesen Geräten ein Stromkreis durch den Körper des Opfers aufgebaut. Beim Elektrozaun vom Weidezaungerät über die Drähte des Zauns über den Körper in den Boden und dann zurück über den Erdungsstift ins Weidezaungerät. Beim Taser werden zwei isolierte Drähte mit blanken Metallspitzen verschossen, die die Haut des Opfers berühren sollten. Dann ist der Stromkreis vom Taser über einen Draht zum Opfer und über den anderen Draht zurück. Wenn da Wasser dazwischen ist, dann geht der Strom höchstens einen längeren Weg.

    Die eigentliche Wirkung hängt von Stromart (gleich/wechselstrom), Stromstärke und Spannung ab. Ein Fön hat eine relativ niedrige (aber trotzdem tödlich hohe) Spannung aber dafür eine sehr hohe Stromstärke. Hier wird man vom Strom getötet.

    Ein Taser hat eine etwa einhundert mal so hohe Spannung - aber eine viel schwächere Stromstärke. Das verursacht starke Schmerzen. Beim Weidezaun wird die Dauer auf einen kurzen Zeitraum begrenzt. Beim Taser ist die Dauer mit ca. 5 Sekunden sehr lange, so lange, dass das Opfer vor Schmerzen zusammen bricht. Die Schmerzen sind vergleichbar mit einer Folter, in den USA wird das in Gefängnissen deshalb auch als Disziplinarmaßnahme eingesetzt. Der Stromschlag ist für normale Menschen nicht tödlich - aber je nach Umstände kann man blöd stürzen, verkrampfen, nahe am Herz getroffen werden (→ tödliche Herzstörung), u.s.w. - also durchaus schwere gesundheitliche Schäden oder sogar den Tod verursachen.

    Welche Wirkung hat so ein Ding auf den Verdächtigen und dürfen deutsche Polizisten eigentlich einen Taser mit sich führen und ihn einsetzen, weiß das jemand?

    Nein, dürfen sie nicht. Aus genau den Gründen: Ein Taser scheint oft ein milderes Mittel zu sein, man muss beim Einsatz aber davon ausgehen, dass das Opfer aber sterben kann, er dürfte also nur eingesetzt werden, wenn der Tod des Opfers durch die abgewendete Gefahr gerechtfertigt wäre.

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