Neuro-atypisch als alternativ-Diagnose

  • Hallo,

    es gibt ja manche Diagnosen (Autismus, ADHS, usw.), die alle gemeinsam haben als nicht neurotypisch (neurotypisch Wikipedia = deren neurologische Entwicklung und Status mit dem übereinstimmen, was die meisten Menschen als normal ... betrachten) bezeichnet zu werden. So gibt es ja auch die Ansicht der "Neurodiversität" nur dass die diese Andersartigkeiten als normale menschliche Diversität beschreiben.

    Mein Gedanke ist aber, ob man Diagnosen die nicht neurotypisch sind, vielleicht unter einem Sammelbegriff (als Hauptdiagnose) wie beispielsweise neuro-atypisch zusammenfassen könnte.

    Auch, weil manche Betroffenen mehr wie nur eine nicht neurotypische Sache haben oder auch, weil die Ausprägungen und Symptome ja auch vielfältig sein können. Ob jemand neurotypisch oder neuro-atypisch ist, ließe sich diagnostisch vermutlich ziemlich eindeutig feststellen oder diagnostisch erkennen. Und was die neuro-atypische Person dann jeweils für Einschränkungen hat, könnte man dann separat feststellen.

    Dann wäre es auch weniger relevant, ob eine eventueller Autist wie stark/überhaupt soziale Defizite hat, oder wie sehr aufmerksamkeitsgestört man sein müsste, damit es für eine ADHS Diagnose reichen würde. Weil man dann grundlegend neuro-atypisch als Hauptdiagnose hat und die individuellen Einschränkungen einer Person zusätzlich aufgelistet werden. Ich denke, das würde dann auch eher einem Spektrum gerecht werden.

    Ich hatte den Gedanke auch deshalb, weil es mich persönlich sehr stört wenn Menschen über diverse Diagnosen (Autismus, ADHS, usw.) vorurteilende Vorstellungen im Kopf haben. Man wird dann auf diese Diagnosen reduziert, was man nicht können würde und wie man als Mensch wäre. Mit neuro-atypisch kann man das nicht mehr vorverurteilen, weil der Gegenüber dadurch nicht automatisch weiß, was für Einschränkungen man genau hat.

    Natürlich kann man sich selbst so bezeichnen und neuro-atypisch nennen anstatt Autist. Mir würde es aber auch um eine vereinfachte Diagnostik gehen. Ist vielleicht aber auch zu wenig durchdacht, dann nehmt es bitte nicht so ernst.

  • Wenn ich nicht weiß, welche Einschränkungen vorhanden sind, kann ich auch nicht helfend bzw. regulativ eingreifen. Ich denke da an meinen Sohn und seine Problematik in der Schule.

  • Ich hatte den Gedanke auch deshalb, weil es mich persönlich sehr stört wenn Menschen über diverse Diagnosen (Autismus, ADHS, usw.) vorurteilende Vorstellungen im Kopf haben. Man wird dann auf diese Diagnosen reduziert, was man nicht können würde und wie man als Mensch wäre. Mit neuro-atypisch kann man das nicht mehr vorverurteilen, weil der Gegenüber dadurch nicht automatisch weiß, was für Einschränkungen man genau hat.


    Die Idee ist gut und gefällt mir.

    Aus medizinischer Sicht ist neuro-atypisch kein Krankheits- bzw. Störungsbild und kann daher nicht diagnostiziert werden.
    Die Vorurteile uvm. werden bei neuro-atypisch leider nicht verschwinden, weil ein NT sich darunter dann gar nichts mehr vorstellen kann und kann zu Verunglimpfung führen. Sie werden eher mehr werden.

    Die vorurteilende Vorstellung kann so gesehen nur durch Aufklärung verschwinden. In Filmen, z.B. Six Senth, werden zu 98% nur die schwerstbetroffenen Dargestellt, also diejenigen, die ohne Hilfe alleine nicht leben können. Daher ist es kein Wunder, das Vorurteile entstehen.

    Die meisten Menschen wissen nicht, was du für Einschränkungen hast, auch wenn du ihnen miteilst, dass du ein Autiist bist. Man sieht dir die Einschränkungen ja nicht ohne weiteres an.

    In der Autismustherapie ist es mir in etwa so erklärt worden:
    Körperliche Behinderungen sind sichtbar und eine geistige Behinderung bemerkt man i.d.R. auch bzw. ist auch mehr oder weniger sichtbar. Autismus wiederum ist nicht sichtbar, die seltenen speziellen Fälle aussen vorgelassen und das macht es schwer.

    Ich kommuniziere offen, dass ich ein Autist bin. In Vorstellungsgesprächen ist es mit das erste was ich sage. Daraufhin wird nachgefragt, worauf man achten müsse.

    Es gibt wenige Menschen, die es über mögliche Defizite definieren oder davon überzeugt sind, dass der Autist sich gefälligst anzupassen hat, um den Erwartungen gerecht zu werden.

    Die meisten Menschen wissen erst mal nichts oder nur wenig damit anzufangen, weil sie aus den Medien nur die seltenen Spezialfälle kennen und erholen sich dann vom "Schock", bevor sie Fragen stellen.
    So mein Eindruck, der stimmen oder auch total falsch sein kann.

  • Mein Gedanke ist aber, ob man Diagnosen die nicht neurotypisch sind, vielleicht unter einem Sammelbegriff (als Hauptdiagnose) wie beispielsweise neuro-atypisch zusammenfassen könnte.

    Mir würde es weder gefallen noch weiterhelfen. Ich habe schon ADHS-Personen kennengelernt und empfinde sie wesentlich anders als mich. Und wenn ein "H" dabei ist, sind sie für mich extrem anstrengend.

    Da ich für ADS keine positive Diagnose erhielt, für Autismus aber schon, scheint es ja auch signifikante Unterschiede zu geben.

    Autisten haben laut den Diagnosekriterien spezifische Probleme und wenn die einige nicht haben, ist es nicht die richtige Diagnose, aber diejenigen, auf die die Diagnose passt, sollten schon die passende Hilfe erhalten können.

    Das ist doch bei jeder anderen Diagnose auch so! Oder macht es keinen Unterschied, ob ich eine chronische Blinddarmentzündung habe oder ein Problem mit meinem rechtne Eierstock, was beides zu rechtsseiten Schmerzen führen kann?

    Ich glaube, dass dieses Idee, Autismus in ein Sammelbecken zu werden, darauf beruht, dass der Begriff so ausgeweitet wird, sodass er nur noch zu einer Besonderheit des Charakters wird, wobei vergessen wird, dass es eine Behinderung ist.

  • Da ich für ADS keine positive Diagnose erhielt, für Autismus aber schon, scheint es ja auch signifikante Unterschiede zu geben.

    Die gibt es. Bei ADHS sind die möglichen Schwierigkeiten im sozialen Miteinander z.B. unaufmerksam in Gesprächen, öfters dazwischen reden, leicht ablenkbar usw.

    chronische Blinddarmentzündung

    Das wird kein Arzt zu lassen, weil eine chronische Lebensgefahr bestehen würde, die bei einem Durchbruch sehr sehr akut wird.

  • Die gibt es. Bei ADHS sind die möglichen Schwierigkeiten im sozialen Miteinander z.B. unaufmerksam in Gesprächen, öfters dazwischen reden, leicht ablenkbar usw

    Die gibt es auch bei Menschen im Spektrum, wenn auch nicht in dem Maße wie bei ADS.

  • Wenn ich nicht weiß, welche Einschränkungen vorhanden sind,

    Deshalb auch, "die individuellen Einschränkungen einer Person zusätzlich aufgelistet werden"

    Ich habe schon ADHS-Personen kennengelernt und empfinde sie wesentlich anders als mich.

    Daran würde sich auch nichts ändern.

    Aus medizinischer Sicht ist neuro-atypisch kein Krankheits- bzw. Störungsbild und kann daher nicht diagnostiziert werden.

    Dass es gegenwärtig nicht diagnostizierbar ist weiß ich, was nicht heißt dass es nicht änderbar wäre.

    Ich bin auch darauf gekommen, weil Autismus im ICD 11 (soweit ich das richtig weiß) zu den neurologischen Erkrankungen (Neurodevelopmental disorders/neurologische Entwicklungsstörung) zugeordnet werden soll. Und nicht mehr, so wie jetzt, zu den seelischen Störungen. Unter Anderem ADHS und Lernstörungen werden dort auch unter Neurodevelopmental disorders stehen. Ich würde daher eine neurologische Störung synonym durchaus auch als neuro-atypisch bezeichnen.

  • Das wird kein Arzt zu lassen, weil eine chronische Lebensgefahr bestehen würde, die bei einem Durchbruch sehr sehr akut wird.

    Chronische Blinddamrentzündung kann man über Jahre haben. Das ist anders als die akute.
    Ich selbst überlege, ob ich eine haben könnte. Habe morgen einen Termin bei einem Arzt und werde das besprechen.

    Ich sehe auch noch das Problem von Selbsthilfegruppen. Ich finde es besser, wenn sie nur für Autismus sind.

  • Chronische Blinddamrentzündung kann man über Jahre haben.

    Dann hätte man ständig Magenschmerzen und Magenkrämpfe, die nicht zu ertragen sind. Ausserdem bricht der Blinddarm, wenn nichts dagegen unternommen wird.

  • Das wäre dann ja sowas wie neuro-queer.

    Dass man merkt, dass man irgendwie von der Norm abweicht, ist ja eher der Anlass als das Endergebnis eines Selbstfindungsprozesses. Wenn einem selbst Experten da am Ende keine genauere Diagnose geben würden, wäre das ja ganz schön bitter.

    Man kann ja außerdem von der Norm in ganz unterschiedlichen Richtungen abweichen. Zwei Neurodiverse können einander dann viel unähnlicher sein als ein Neurodiverser und ein Neurotypischer, wenn sie an entgegengesetzten Enden des Spektrums sind.

    Wenn man etwas eingehender erforscht und immer neue Untersuchungsmethoden entwickelt werden, kann man einander zunächst ähnlich erscheinende Phänomene mit der Zeit auch immer genauer voneinader abgrenzen. Deshalb denke ich, dass man in der Zukunft eher mehr als weniger verschiedene Formen von Autismus wird identifizieren können, die vielleicht ganz unterschiedliche Ursachen haben. Und dann muss man sowieso nochmal ganz neue Begriffe dafür finden.

  • Also für mich bietet der Begriff Neuro-Divers oder Neuro-Atypisch keinen Vorteil.

    Er ist völlig unpräzise, was ihn für die Verwendung im medizinischen Umfeld schon mal unbrauchbar macht.

    Im privaten Umfeld bietet er gegenüber neutralen Beschreibungen des Grundzustands gegenüber den schon existieren Ausdrücken Behinderung und chronische Krankheit auch keinen Mehrwert, da er keine zusätzliche Präzision für die Beschreibung des Ist-Zustands bietet.

    Vorurteile baut man nicht durch einen verwässernden Begriff ab, sondern durch Aufklärung. Klar finde ich es nicht toll, wenn man mir mit Vorurteilen begegnet. Aber dann ist es meine Aufgabe, das Gegenüber aufzuklären und zum Abbau der Vorurteile beizutragen. Bei Personen, die nicht bereit sind, sich auf diese Überprüfung der Vorurteile einzulassen, würde der Begriff Neuro-Divers auch nichts an deren Einstellung ändern.

    Und mit dem Begriff der Autismus-Spektrums-Störung hat man meines Erachtens einen sehr präzisen Oberbegriff gefunden, unter dem man dje verschiedenenen Ausprägungen von Autismus zusammenfassen kann. Zusätzlichs Präzision schafft man da nicht durch weitere Namen für jede mögliche Ausprägung innerhalb des Spektrums, sondern durch eine möglichst detaillierte inhaltliche Beschreibung der konkreten Ausprägungen.

  • Er ist völlig unpräzise,

    Ja das ist auch genau der Sinn dahinter. ;)

    Behördlich und medizinisch wird so oder so nur das berücksichtigt, was tatsächlich an Einschränkungen besteht. Kann schon sein, dass sich manche vielleicht mit dem Begriff Autist identifizieren, auch als eine Art Separierung/Sonderstellung von der breiten Norm. Ich würde genau das Gegenteil gut finden, wenn ich als einer von vielen neuro-atypischen gesehen/bezeichnet werde, und nicht als Seltenheit. Weil der Gesamtteil neuro-atyischer Menschen natürlich höher ist, wie der Gesamtteil an Autisten.

    Ich bin auch froh dass es diesen Überbegriff im ICD 11 gibt, das ist schon Mal ein Schritt in diese Richtung. :)

  • Soweit es mich angeht, identifiziere ich mich im Alltag nur damit, dass ich ich bin. Ich stelle mich nicht vor als "Hi, ich bin Anakin_1 und bin autistisch.", sondern als "Hi, ich bin Anakin_1".

    Wenn es dann von Bedeutung ist, dass jemand über meinen Gesundheitszustand und meine damit verbundenen Einschränkungen informiert ist, teile ich dies der jeweiligen Person mit. Dabei würde mir aber der Begriff "Neuro-Divers" bzw. "Neuro-Atypisch" nichts nutzen, weshalb ich - nicht als Angriff gemeint - immer noch nicht den Sinn hinter einem verwässernden Begriff sehe.

  • Im privaten Umfeld bietet er gegenüber neutralen Beschreibungen des Grundzustands gegenüber den schon existieren Ausdrücken Behinderung und chronische Krankheit auch keinen Mehrwert, da er keine zusätzliche Präzision für die Beschreibung des Ist-Zustands bietet.

    Vorurteile baut man nicht durch einen verwässernden Begriff ab, sondern durch Aufklärung.

    So sehe ich das auch. Und für die Aufklärung bringt er auch nichts. Er verharmlost, verwässert und führt allenfalls dazu, dass man nicht mehr ernst genommen wird.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • immer noch nicht den Sinn hinter einem verwässernden Begriff sehe.

    Und für die Aufklärung bringt er auch nichts. Er verharmlost,

    Kommt auch darauf an, was man selbst damit bezwecken möchte. Für Aufklärung über Autismus taugt das natürlich nichts. Und wenn verallgemeinern eben gewünscht oder beabsichtigt ist, erfüllt neuro-atypisch genau das gewünschte. Weshalb ich es nicht so sehe dass es am Begriff selbst liegt, sondern an den persönlichen Bedürfnissen und Ansprüchen an eine benutzte Bezeichnung die bei jedem verschieden sind.

  • Es wird wohl wie immer schon an der Definition scheitern. Wenn neuro-atypisch für mehr als nur Autismus und ADHS stehen soll, dann solltest Du definieren, was noch alles dazu gehören soll. Da gerätst Du in ein Problem, welches Du wohl so schnell nicht lösen kannst.

    Praktisch gesehen könntest Du aber auch einfach sagen, dass Du psychisch krank ist. Dann liegt es im Ungefähren, welche Diagnose Du genau hast, aber die Leute wissen Bescheid, dass Du nicht vollständig belastbar ist.

  • Kommt auch darauf an, was man selbst damit bezwecken möchte. Für Aufklärung über Autismus taugt das natürlich nichts. Und wenn verallgemeinern eben gewünscht oder beabsichtigt ist, erfüllt neuro-atypisch genau das gewünschte. Weshalb ich es nicht so sehe dass es am Begriff selbst liegt, sondern an den persönlichen Bedürfnissen und Ansprüchen an eine benutzte Bezeichnung die bei jedem verschieden sind.

    Ja, wenn du es so siehst. Ich möchte halt nicht verallgemeinern und sehe für mich auch keinen Sinn darin, zu einer größeren schwammigen Gruppe zu gehören, der sich dann auch wieder Verdachtsfälle zuordnen. Ich kenne viele, die sich als sehr anders wahrnehmen und sich nicht als NT beezeichnen würden, die ich aber viel eher als NT ansehe.

    Praktisch gesehen könntest Du aber auch einfach sagen, dass Du psychisch krank ist. Dann liegt es im Ungefähren, welche Diagnose Du genau hast, aber die Leute wissen Bescheid, dass Du nicht vollständig belastbar ist.

    Autismus ist keine psychische Erkrankung.

  • Autismus ist keine psychische Erkrankung.

    Es geht ja darum, nicht Autismus zu nennen. Da wäre psychische Erkrankung u.U. der gewünschte Sammelbegriff. Je nachdem, um was es ihm denn eigentlich geht.

    Natürlich ginge auch geistige oder seelische Behinderung oder Entwicklungsstörung oder ähnliches. Das verrät aber vielleicht schon zuviel. Wenn es möglichst ungenau bleiben soll, würde ich wohl psychisch krank nehmen.

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