(Wie) geht ihr auf Menschen zu, die ihr auf dem Spektrum vermutet?

  • Hallo,
    schon seit meinem ersten Eigenverdacht suche ich nach einer Lösung für folgendes Problem (von dem ich hoffe, dass es in diesem Forum richtig aufgehoben ist - ansonsten bitte verschieben):

    Ich arbeite in einem nerdaffinen Umfeld, in dem der Anteil autistischer Menschen (insbesondere AS) sicher deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt. Es gibt mehrere Kollegen, bei denen ich mich über eine Diagnose nicht wundern würde.
    Allerdings würde ich das aus zwei Gründen niemals direkt ansprechen: Erstens kann ich mir das Diagnostizieren anderer nicht anmaßen, und zweitens bin ich selbst nicht geoutet.

    Das finde ich schade, denn es könnte ja sein, dass die Personen sich dessen selbst bewusst sind und man Erfahrungen und Tipps austauschen könnte.
    Natürlich wäre eine Freundschaft ein möglicher erster Schritt um das nötige Vertrauen zu schaffen. Aber bei manchen der Personen würde mir ein Austausch über gemeinsam wahrgenommene Herausforderungen ausreichen, während die sonstige Beziehung auf einer kollegialen Ebene bleiben könnte.

    Kennt hier jemand diese Situation? Und wenn ja: habt ihr Strategien, wie man sich unauffällig an das Thema herantasten (RW) kann? Natürlich ohne zuviel von sich preiszugeben, falls der Verdacht falsch ist oder die Person selbst nichts davon weiß.
    Die Schwierigkeit besteht wohl darin, dass eine Seite zuerst ein Risiko eingehen muss. Ich wüsste ehrlichgesagt auch nicht, wie ich diese Situation als Angesprochener lösen würde.

  • Ja, zumindestens eine berufliche Situation kommt mir da in den Sinn.
    Heute würde ich in einem direkten Gespräch gelegentlich mal beschreiben, dass ich dieses oder jenes als belastend oder angenehm empfinde. Je nach Reaktion des Gegenübers, lässt es Rückschlüsse zu, ob Du da auf Verständniss oder Unverständniss triffst.
    Ich schreibe "Heute", da mir erst vor einiger Zeit aufgefallen ist, was gut oder schlecht für mich ist.

  • Wenn ich AS vermute sage ich das auch. Hatte ich erst einmal, bei einem Kollegen von der Zeitarbeit. War für mich, trotz fehlender Diagnose bei ihm ziemlich eindeutig.
    Hat mir dann erzählt, dass er das schon öfter gehört hätte. Angenehmer Kollege.

  • Das finde ich schade, denn es könnte ja sein, dass die Personen sich dessen selbst bewusst sind und man Erfahrungen und Tipps austauschen könnte.

    Und wenn ja: habt ihr Strategien, wie man sich unauffällig an das Thema herantasten (RW) kann? Natürlich ohne zuviel von sich preiszugeben, falls der Verdacht falsch ist oder die Person selbst nichts davon weiß.

    Mein Eindruck: Der sauberste Weg wäre sich selbst zu outen. Nur wer seine Verletzlichkeit zeigt, dem wird man glauben, dass er keine Gefahr ist.

    Eine Alternative wäre, sich nicht über die Diagnose zu unterhalten, sondern über die damit möglicherweise verbundenen Probleme, wie Lärmempfindlichkeit, Gesichter nicht lesen können, etc. Wenn Du und Dein Gegenüber beide sagen AS zu haben, muss nicht zwangläufig eine Gemeinsamkeit entstehen, weil AS seht verschieden ausgeprägt sein kann. Wenn ihr aber z.B. feststellt oder beobachtet, dass ihr beide lärmempfindlich seid, dann kann man sich darüber austauschen und Strategien besprechen.

  • Wenn ich eine Person im Spektrum vermute (was sehr selten vorkommt), dann denke ich mir lediglich meinen Teil. Sie direkt darauf anzusprechen fände ich sehr distanzlos.

    Als Diagnostiker wäre ich ohnehin nicht geeignet. Ich würde wahrscheinlich (ohne es zu wissen) viele falsch-negative Diagnosen vergeben.

  • Ich würde sie nicht darauf ansprechen. Eher auf ihr Verhalten, wenn es unangemessen ist. Ein Arbeitskollege neigt sehr stark dazu, viel zu private Inhalte mit seinen Kollegen zu teilen. Aber selbst den habe ich mich bisher nicht getraut darauf hinzuweisen, weil ich ihm nicht "vor den Kopf stoßen" will.

  • @Morrow das wird mir auch oft gesagt; aber ist das zwangsläufig autistisch?

    Nein, das allein muss definitiv nicht autistisch sein, da muss es schon noch andere Anzeichen geben.
    Aber gerade weil man sich auch nie sicher sein kann (es sei denn, man arbeitet als Diagnostiker:in), würde ich den Verdacht eh nie ansprechen.

  • Die Frage ist m. E. immer: Worum geht es? Geht es darum, dass man beobachtet, dass der andere Schwierigkeiten im (beruflichen) Alltag hat, die durch eine Diagnose evtl. zumindest verständlich und durch eine entsprechende Therapie erleichtert würden? Oder geht es um das "Connecten" miteinander? Sprich: Geht es um den anderen oder um einen selbst – oder beides? Ich finde, darüber müsste man sich erst mal im Klaren sein. Wenn man das für sich geklärt hat:

    Mein Eindruck: Der sauberste Weg wäre sich selbst zu outen. Nur wer seine Verletzlichkeit zeigt, dem wird man glauben, dass er keine Gefahr ist.

    Eine Alternative wäre, sich nicht über die Diagnose zu unterhalten, sondern über die damit möglicherweise verbundenen Probleme, wie Lärmempfindlichkeit, Gesichter nicht lesen können, etc. Wenn Du und Dein Gegenüber beide sagen AS zu haben, muss nicht zwangläufig eine Gemeinsamkeit entstehen, weil AS seht verschieden ausgeprägt sein kann. Wenn ihr aber z.B. feststellt oder beobachtet, dass ihr beide lärmempfindlich seid, dann kann man sich darüber austauschen und Strategien besprechen.

    Dem möchte ich mich anschließen. Ich vermute das bspw. bei meinem Chef. Ich habe mit ihm über meine Diagnose gesprochen und er war nicht besonders überrascht, weil für ihn offenbar all die Dinge, die ich so in unseren persönlichen Gesprächen erwähnt bzw. die er auch von außen wahrgenommen hatte (sensorische Probleme, Schwierigkeiten mit Smalltalk, Fixierung auf bestimmte Themen etc.), dann plötzlich "Sinn ergeben" haben. Da er vieles davon selbst sehr gut nachvollziehen kann, weiß ich, dass ich eben keine Angst haben muss, ihm zu sagen, dass mir etwas unangenehm ist, dass mich bestimmte Dinge stressen usw., und dass er das einbeziehen wird, wenn es etwa um die Frage geht, wie es mit mir auf der Karriereleiter weitergeht. Dass ich seine Rückendeckung habe und er mich unterstützen wird, hat er mir so zugesichert (und auch in den vergangenen Jahren immer wieder unter Beweis gestellt). Ich weiß nicht, ob er sich nach meinem Outing die Frage gestellt hat, was das für ihn bedeuten könnte, und auch nicht, ob er nicht sogar schon eine Diagnose oder zumindest eine Vermutung hat, aber letztlich ist das für mich auch nicht besonders wichtig. Viel zentraler erscheint mir da die Frage, welche Strategien es gibt, mit diesen Hürden im beruflichen Alltag umzugehen, da er ganz offensichtlich oft vor ähnlichen Hürden stand bzw. steht und trotzdem sehr erfolgreich seinen Weg gegangen ist bzw. geht, wovon ich entsprechend nur profitieren kann.

    Anders sieht die Sache bspw. im Falle einer Bekannten von mir aus: Meine beste Freundin (sie arbeitet hauptsächlich mit autistischen Kindern) und ich vermuten da schon lange eine ASS, was an und für sich ja auch nicht der Rede wert wäre, wenn diese Bekannte nicht in so ziemlich allen Lebensbereichen massive Probleme hätte, die mit Sicherheit durch eine gezielte Therapie adressiert werden könnten. Das Outing meinerseits und das Reden über die persönlichen Struggles haben da nichts gebracht, weil sie sich nicht die Frage gestellt hat, ob das evtl. auch auf sie zutreffen könnte, sodass ich befürchte, dass hier schon der "Vorschlaghammer" herausgeholt werden müsste. Da sie sich aber, wie man in anderen Zusammenhängen festgestellt hat, mit Händen und Füßen gegen den Gedanken wehrt, eine Behinderung haben zu können (weil sie das als Defizit und Makel wahrnimmt), würde auch das vermutlich nur zu einer Trotzreaktion führen. Unser Verhältnis zu ihr ist nicht besonders eng, sodass wir letztlich zu dem Schluss gekommen sind, sie einfach machen zu lassen, bis evtl. irgendwann der große Knall kommt.

    TL;DR: Es will immer gut überlegt sein, worum es eigentlich gehen soll bzw. was man sich von einem solchen Gespräch erhofft. Davon ausgehend empfinde ich den oben zitierten Weg auch als den elegantesten und sinnvollsten.

    We are the wounds and the great cold death of the earth.

  • Danke für alle eure Antworten und entschuldigung, dass ich mich so spät wieder melde.

    Mein Eindruck: Der sauberste Weg wäre sich selbst zu outen. Nur wer seine Verletzlichkeit zeigt, dem wird man glauben, dass er keine Gefahr ist.


    Das klingt sehr nachvollziehbar. Das Thema Outen ist allerdings schwierig. Am liebsten würde ich die Diagnose offen mit mir herumtragen - genau wie die Leute, denen ich meine Selbsterkenntnis verdanke. Aber ich habe Angst vor der Wirkung bei den Kolleg*innen, die sich noch nie damit beschäftigt haben. Es könnte zu Vorurteilen und geringerem Respekt führen, oder auch (gut gemeinten) Verhaltensänderungen mir gegenüber ("Samthandschuhe" (rw)), die mir die Übungsmöglichkeiten für mein eigenes Sozialverhalten nehmen.

    Aber eventuell wäre ein Outen einzelnen Personen gegenüber ein guter Mittelweg. Wer selbst Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion hat, nimmt das sicher angemessener auf als jemand, der soetwas überhaupt nicht nachvollziehen kann. Man macht sich nur leider gleichzeitig auch sehr abhängig, wenn dann eine Person etwas weiß, das man vor anderen geheimhalten will. Wenn beide betroffen sind, ist die Situation wenigstens symmetrisch.

    Eine Alternative wäre, sich nicht über die Diagnose zu unterhalten, sondern über die damit möglicherweise verbundenen Probleme, wie Lärmempfindlichkeit, Gesichter nicht lesen können, etc. Wenn Du und Dein Gegenüber beide sagen AS zu haben, muss nicht zwangläufig eine Gemeinsamkeit entstehen, weil AS seht verschieden ausgeprägt sein kann. Wenn ihr aber z.B. feststellt oder beobachtet, dass ihr beide lärmempfindlich seid, dann kann man sich darüber austauschen und Strategien besprechen.


    In gewissem Rahmen tue ich das bereits. Wobei ich das bei den Wahrnehmungsthemen schwierig finde. Auf meine Schwierigkeit beim Trennen gleichzeitiger Geräusche weise ich z.B. bei Bedarf hin, aber dann höre ich auch von (ziemlich sicher) neurotypischen Menschen immer so etwas wie: "Ja, der Lärm nervt mich auch". Man hat halt leider keine Vergleichsmöglichkeit.

    Beim Sozialverhalten ist das schon wesentlich eindeutiger, aber da finde ich das Ansprechen schwieriger. Wenn das Ganze einen Namen hat, ist das sicher leichter (Um es überspitzt zu sagen: "Mir ist aufgefallen, dass du auch socially awkward bist - möchtest du mit mir darüber reden?" ist vielleicht weniger zielführend als "Ach, du auch? Was sind denn deine Coping-Strategien für Smalltalk / in Meetings usw.?" ;)).

    Aber gerade weil man sich auch nie sicher sein kann (es sei denn, man arbeitet als Diagnostiker:in), würde ich den Verdacht eh nie ansprechen.


    So sehe ich das auch. Und das, obwohl ich mir sehr wünschte, mich hätte schon vor langer Zeit jemand darauf angesprochen. Wer sich noch nie mit dem Thema befasst hat, kann so etwas evtl. in den falschen Hals bekommen (rw) - insbesondere, wenn der Verdacht falsch ist.

    Die Frage ist m. E. immer: Worum geht es? Geht es darum, dass man beobachtet, dass der andere Schwierigkeiten im (beruflichen) Alltag hat, die durch eine Diagnose evtl. zumindest verständlich und durch eine entsprechende Therapie erleichtert würden? Oder geht es um das "Connecten" miteinander? Sprich: Geht es um den anderen oder um einen selbst – oder beides? Ich finde, darüber müsste man sich erst mal im Klaren sein.


    Wichtige Frage. In meinem Fall gibt es verschiedene Beweggründe. Bei manchen beobachte ich Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation und in der sozialen Interaktion und würde sie gerne, falls sie noch nie selbst darauf gekommen sind, auf das Thema aufmerksam machen (also das, was mir selbst sehr geholfen hätte).

    Bei denen in meinem direkteren Umfeld könnte ich mir auch vorstellen, dass man gemeinsam eine bessere Möglichkeit hat, Veränderungen anzuregen - z.B. indem man Strukturen und Abläufe überdenkt und gemeinsam Verbesserungsvorschläge erarbeitet. Aber natürlich wäre mir auch allein der Austausch schon viel wert - es würde sicher gut tun, bei gewissen Themen auf genuines Verständnis zu stoßen (im Gegensatz zu "das kennt doch jeder").

    Anders sieht die Sache bspw. im Falle einer Bekannten von mir aus: Meine beste Freundin (sie arbeitet hauptsächlich mit autistischen Kindern) und ich vermuten da schon lange eine ASS, was an und für sich ja auch nicht der Rede wert wäre, wenn diese Bekannte nicht in so ziemlich allen Lebensbereichen massive Probleme hätte, die mit Sicherheit durch eine gezielte Therapie adressiert werden könnten. Das Outing meinerseits und das Reden über die persönlichen Struggles haben da nichts gebracht, weil sie sich nicht die Frage gestellt hat, ob das evtl. auch auf sie zutreffen könnte, sodass ich befürchte, dass hier schon der "Vorschlaghammer" herausgeholt werden müsste. Da sie sich aber, wie man in anderen Zusammenhängen festgestellt hat, mit Händen und Füßen gegen den Gedanken wehrt, eine Behinderung haben zu können (weil sie das als Defizit und Makel wahrnimmt), würde auch das vermutlich nur zu einer Trotzreaktion führen. Unser Verhältnis zu ihr ist nicht besonders eng, sodass wir letztlich zu dem Schluss gekommen sind, sie einfach machen zu lassen, bis evtl. irgendwann der große Knall kommt.


    Das klingt sehr schade. Es hängt wohl sehr vom Bewusstsein für die eigenen Probleme ab: Bei mir war der Auslöser für die Diagnostik ein Wunsch, meine Probleme endlich in den Griff zu bekommen. Der Probleme war ich mir also vorher bewusst - mit oder ohne Autismus. Daher hat die Diagnose als Erklärung eine massive psychische Entlastung gebracht* und erlaubt mir jetzt, mir die richtige Hilfe zu suchen. Wenn man natürlich die Existenz von Problemen leugnet, ist eine Diagnose vielleicht eher belastend - allerdings klingt das für mich nicht nach dem primären Problem.

    *Edit: größtenteils. Ich möchte hier die schwierigeren Phasen nicht beschönigen ("Das wird nie von selbst weggehen" und "Wie könnte mein Leben heute aussehen, wenn mir das jemand vor 10,20 oder 30 Jahren gesagt hätte?")

    Einmal editiert, zuletzt von nt^Hd (8. Mai 2021 um 16:48)

  • Das klingt sehr schade. Es hängt wohl sehr vom Bewusstsein für die eigenen Probleme ab: Bei mir war der Auslöser für die Diagnostik ein Wunsch, meine Probleme endlich in den Griff zu bekommen. Der Probleme war ich mir also vorher bewusst - mit oder ohne Autismus. Daher hat die Diagnose als Erklärung eine massive psychische Entlastung gebracht* und erlaubt mir jetzt, mir die richtige Hilfe zu suchen. Wenn man natürlich die Existenz von Problemen leugnet, ist eine Diagnose vielleicht eher belastend - allerdings klingt das für mich nicht nach dem primären Problem.

    *Edit: größtenteils. Ich möchte hier die schwierigeren Phasen nicht beschönigen ("Das wird nie von selbst weggehen" und "Wie könnte mein Leben heute aussehen, wenn mir das jemand vor 10,20 oder 30 Jahren gesagt hätte?")

    Ja, für mich war es auch eine unglaubliche Entlastung, weil ich mir nicht mehr die Frage nach dem "Warum, wieso, weshalb" stellen musste, und ich glaube, dass ihr das auch helfen würde, ihr Leben besser in den Griff zu bekommen. In ihrem (durchaus sehr komplexen) Fall ist es leider so, dass sie zwar sieht, dass sie Probleme und Schwierigkeiten hat, diese aber (inzwischen) vorzugsweise mit externen Faktoren begründet, sprich: Die anderen sind "schuld", ganz egal, worum es geht (ich finde den Begriff der "Schuld" immer wenig hilfreich und zielführend, aber sie denkt leider in diesen Kategorien). Und wenn ihr jemand die vorsichtige Frage stellt, ob sie sich bspw. unbewusst im Ton vergriffen und Menschen damit verschreckt oder gegen sich aufgebracht haben könnte, wird der- oder diejenige zur persona non grata erklärt, die ihr etwas Böses will. Da stehen viele Verletzungen im Hintergrund, allerdings kanalisiert sie diese Wut mittlerweile konsequent nach außen und wehrt jeden Gedanken ab, dass es "an ihr liegen könnte", was den Umgang damit sehr schwierig macht. Ich denke, da bleibt nur die Hoffnung, dass sie irgendwann selbst auf die Idee kommt, das mal überprüfen zu lassen; ich befürchte nur, dass das nicht ohne weitere Verletzungen oder gar den großen Super-GAU ablaufen wird. Das möchte man den Betroffenen ja gerne ersparen, aber manchmal muss man die Leute wohl einfach "laufen" lassen.

    We are the wounds and the great cold death of the earth.

  • Ich würde nur dann jemanden darauf ansprechen, wenn ich diesen Menschen gut kenne und glaube einschätzen zu können, wie er/sie reagiert.
    Da geht es um ein Thema, dass zuerst einmal etwas sehr Persönliches ist und das kann ganz schnell als Grenzüberschreitung verstanden werden.
    Mir würde es jedenfalls so damit gehen. Von einem Menschen darauf angesprochen zu werden, dem ich nicht in irgendeiner Form nahestehe würde ich fast als Angriff wahrnehmen, auch wenn es gut gemeint ist.


    Natürlich wäre eine Freundschaft ein möglicher erster Schritt um das nötige Vertrauen zu schaffen. Aber bei manchen der Personen würde mir ein Austausch über gemeinsam wahrgenommene Herausforderungen ausreichen, während die sonstige Beziehung auf einer kollegialen Ebene bleiben könnte.

    Eine Freundschaft ist natürlich eine gute Grundlage, aber auch auf kolligialer Ebene gibt es eine Form, die irgendwie dazwischen liegt. Eine Form, die sich im Arbeitsleben ihren Platz hat und nur da.
    Das kann funktionieren, aber wie du schon geschrieben hast, eine Seite muss den Anfang machen, das Risiko eingehen. Doch das gilt ja eigentlich für fast Alles im Leben.

    Vor allem dann, wenn der Betreffende selbst die Situation nicht als belastend empfindet.

    Eher auf ihr Verhalten, wenn es unangemessen ist.

    Dem kann ich nur zustimmen.

  • Ich würde nur dann jemanden darauf ansprechen, wenn ich diesen Menschen gut kenne und glaube einschätzen zu können, wie er/sie reagiert.
    Da geht es um ein Thema, dass zuerst einmal etwas sehr Persönliches ist und das kann ganz schnell als Grenzüberschreitung verstanden werden.
    Mir würde es jedenfalls so damit gehen. Von einem Menschen darauf angesprochen zu werden, dem ich nicht in irgendeiner Form nahestehe würde ich fast als Angriff wahrnehmen, auch wenn es gut gemeint ist.

    Das sehe ich auch so, und ich möchte ergänzen, dass es mich vor allem sehr beschämt hätte, wenn mich jemand weniger Vertrautes wie zB eine Arbeitskollegin entsprechend angesprochen hätte: Ich habe mein Leben lang alle Anstrengungen unternommen, so wenig wie möglich aufzufallen und mich "normal" zu verhalten. Es hätte mir vor meinem Burnout wohl den ohnehin wackeligen Boden unter den Füßen weggerissen.
    Ich wäre sehr froh gewesen, wenn ich früher diagnostiziert worden wäre, aber ich hätte mir gewünscht, dass meine Psychotherapeutin diejenige gewesen wäre, die mir das sagt. Leider hatte sie damals von Autismus überhaupt keine Ahnung. Ich hatte sie etwa 10 Jahre vor meinem Eigenverdacht erstmals aufgesucht und befand mich damals gerade in einer Phase, wo ich mich beruflich noch mal komplett neu orientiert habe. Leider in eine absolut ungünstige Richtung :m(: Das hätte vermieden werden können bzw. günstiger ausgerichtet werden können mit einer zutreffenden Diagnose :cry:

  • Das klingt sehr nachvollziehbar. Das Thema Outen ist allerdings schwierig. Am liebsten würde ich die Diagnose offen mit mir herumtragen - genau wie die Leute, denen ich meine Selbsterkenntnis verdanke. Aber ich habe Angst vor der Wirkung bei den Kolleg*innen, die sich noch nie damit beschäftigt haben. Es könnte zu Vorurteilen und geringerem Respekt führen, oder auch (gut gemeinten) Verhaltensänderungen mir gegenüber ("Samthandschuhe" (rw)), die mir die Übungsmöglichkeiten für mein eigenes Sozialverhalten nehmen.

    Ich habe mich sehr schnell nach der Diagnose auf der Arbeit geoutet und es hat praktisch niemanden ernsthaft interessiert. Das ist eigentlich das beste, was passieren kann, finde ich. Ich habe mich geoutet, weil ich mich im Team eigentlich wohl fühle und vor der Diagnose auf die auf Autismus zurückzuführenden Probleme von Kollegen angesprochen worden bin. Allerdings hat das nur eine Kollegin vage bei mir vermutet, dass ich im Spektrum sein könnte.
    Allerdings habe ich auch nicht um Verhaltensänderungen der anderen gebeten, sondern um Offenheit, wenn ich Bedürfnisse äußere oder Verhaltensweisen zeige, die die anderen irritieren.

    Ohne dass die Person mir gegebenüber Probleme äußern würde, die ich von mir kenne und auf Autismus bei mir zurück führe, würde ich niemandem ungefragt sagen, dass ich ihn im Spektrum sehe.

    Ich schreibe in der Regel vom mobilen Endgerät aus - merkwürdige Wortkonstrukte sind ggf. der Autokorrektur geschuldet

  • Ich würde das "Label" Autismus nicht verwenden. Wenn ich mit Leuten gut ins Gespräch kommen, kann das viel später eine Überraschung sein, dass sie auf dem Spektrum sind, oder, auch eine Variante, Familienangehörige und deswegen kommunikationsgeübt.

    Das Label dient meinetwegen der Abgrenzug zu neurotypischem Verhalten, aber im Austausch in kleinen Gruppen wie zB Teams auf der Arbeit, ust das viel zu holzschnittartig. Denn auch "die Autisten" können untereinander Antipoden sein. Dyspraxie ja/nein, Hyperlexie ja/nein, usw. alles möglich.

    Wenns zwischenmenschlich geht, ist doch gut, und das reicht mMn dann auch, ohne "Etikett".

    Ich hab zB meine Diagnose 7 Jahre nach Arbeitsaufnahme (meiner aktuellen Stelle) bekommen, und bin seither 14 Jahre dort un-geautet. Na und?

  • @shnoing Der von mir angesprochene Kollege war Arbeitstechnisch richtig schlecht (arbeite mit Menschen die eine Intelligenzminderung und andere Beeinträchtigungen haben).
    Sein größtes Problem in Bezug auf die Arbeit, war sein nicht so ausgeprägtes Bedürfnis nach Kommunikation. Ist in Hinblick auf die Klientel tendenziell suboptimal. Arbeit funktionierte
    gut, wenn man ihm halbstündlich sagte was zu tun sei. Nachdem ich ihn für mich im Spektrum verortet habe war mein Verhältnis zu ihm wesentlich entspannter.

  • Das sehe ich auch so, und ich möchte ergänzen, dass es mich vor allem sehr beschämt hätte, wenn mich jemand weniger Vertrautes wie zB eine Arbeitskollegin entsprechend angesprochen hätte: Ich habe mein Leben lang alle Anstrengungen unternommen, so wenig wie möglich aufzufallen und mich "normal" zu verhalten. Es hätte mir vor meinem Burnout wohl den ohnehin wackeligen Boden unter den Füßen weggerissen.

    Ohne dass die Person mir gegebenüber Probleme äußern würde, die ich von mir kenne und auf Autismus bei mir zurück führe, würde ich niemandem ungefragt sagen, dass ich ihn im Spektrum sehe.


    Die drei Aussagen finde ich einleuchtend. Ich will auf keinen Fall jemandem zu nahe treten.
    Daher bleibt die einzige wirkliche Entscheidung, wie offen ich mit meiner eigenen Diagnose umgehe - welche Schlüsse andere für sich ziehen, geht mich zunächst garnichts an.

    Ich habe mich sehr schnell nach der Diagnose auf der Arbeit geoutet und es hat praktisch niemanden ernsthaft interessiert. Das ist eigentlich das beste, was passieren kann, finde ich.


    Das klingt tatsächlich nach einem guten Ergebnis. Aufklärung, ohne dass man deswegen anders behandelt wird.

    Ich würde das "Label" Autismus nicht verwenden. Wenn ich mit Leuten gut ins Gespräch kommen, kann das viel später eine Überraschung sein, dass sie auf dem Spektrum sind, oder, auch eine Variante, Familienangehörige und deswegen kommunikationsgeübt.

    Das Label dient meinetwegen der Abgrenzug zu neurotypischem Verhalten, aber im Austausch in kleinen Gruppen wie zB Teams auf der Arbeit, ust das viel zu holzschnittartig. Denn auch "die Autisten" können untereinander Antipoden sein. Dyspraxie ja/nein, Hyperlexie ja/nein, usw. alles möglich.

    Wenns zwischenmenschlich geht, ist doch gut, und das reicht mMn dann auch, ohne "Etikett".

    Ich hab zB meine Diagnose 7 Jahre nach Arbeitsaufnahme (meiner aktuellen Stelle) bekommen, und bin seither 14 Jahre dort un-geautet. Na und?


    ...allerdings finde ich auch das nachvollziehbar. Warum kann es nicht einmal im Leben eine einfache Lösung geben? ;)

    Ich werde mich erstmal noch zurückhalten, bevor ich unwiderrufliche Schritte mache. Wahrscheinlich ist meine Diagnose noch zu frisch, um wirklich gut informierte Entscheidungen zu treffen. Ich sollte mich erstmal selbst kennenlernen und herausfinden, was mir wirklich weiterhelfen würde. Sollte ich mich für das Outen entscheiden, werde ich das erstmal bei Personen ausprobieren, die mir näher stehen (meine Familie weiss es, aber bisher niemand darüber hinaus).

    Vielen Dank euch allen für Eure Antworten! Sie haben mich von unüberlegtem Handeln abgebracht.

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