Falls irgendwer hier mich noch von meinem Vorstellungspost von letztem Jahr kennt: ich studiere jetzt Informatik, nicht Lehramt.
Eins meiner Probleme ist, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, was ich "mal machen will".
Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt mein Abitur schaffe, oder dass ich überhaupt jemals 19 Jahre alt sein werde.
Und jetzt bin ich 19 und ich lebe noch und ich will auch noch leben, und ich hab nen Freund mit dem ich in drei Wochen zusammenziehen werde, und irgendwann in ca. 7 Jahren ist er mit seinem geplanten Bildungsweg fertig und verdient Geld und ich weiß nicht, was ich will.
Ich hatte dieses Semester mit kaum Lernen 1,7 in zwei meiner Fächer, ohne Lernen 3,7 in Analysis und mit zwei Wochen nichts-anderes-tun-als-Lernen bin ich in der Algebra-Prüfung durchgefallen.
Im Moment lerne ich auf die Nachprüfung am Samstag.
Falls ihr schon mal z.B. eine 4x4-Matrix in Zeilenstufenform gebracht habt, versteht ihr sicher, wie frustrierend es ist, wenn man dafür einfach mal 2 Tage braucht. Also vielleicht nicht aus eigener Erfahrung, aber ihr könnt euch sicher hineinversetzen.
Weil ich mich dauernd verrechne.
Mein Gehirn sieht "-2 mal -3" und ping-pongt dann 30 Sekunden lang zwischen "Die Antwort ist natürlich 6", "die Antwort ist -6" und "bist du eigentlich bescheuert? die Antwort ist 9!" hin und her.
Ich hatte 110% auf ne Hausarbeit, bei der man ein Java-Programm schreiben musste. Ich hab für meine ADHS-Diagnose damals einen IQ-Test gemacht und weiß, dass ich mich mehr als zwei Standardabweichungen über dem Mittelwert befinde. Ich konnte mit drei Jahren lesen.
Und ich kann -2 nicht mit -3 multiplizieren und beim Schach weiß ich nie, in welche Richtung meine Bauern schlagen (ich spiele fast jeden Tag eine Partie).
Mein Therapeut sagt, das ist, weil mein Selbstbewusstsein so gering ist, dass ich mich mit meiner eigenen intuitiven, meist richtigen Antwort nicht zufrieden gebe und stattdessen alles hinterfrage und bevor ich fertig bin mit hinterfragen schon das Hinterfragen hinterfrage, bis ich quasi zu viele Operationen gleichzeitig mit meinem Gehirn auszuführen versuche.
Ich bin so müde und frustriert.
Ich nehme brav meine Medikamente, trinke Kaffee bis mein Herz gefühlt explodiert und gehe fast jeden Tag spazieren.
Ich frage mich natürlich, ob ich überhaupt im Ansatz für das Studium geeignet bin.
Ein Teil von mir sagt ganz klar nein. Jemand, der sich nicht lange genug konzentrieren kann, um zu entscheiden, welches Vorzeichen vor eine simple Zahl gehör, wird niemals ein guter Informatiker sein. Ich kann nicht programmieren, ohne mit Bleistift und Papier mit-zu-skizzieren, weil ich mir sonst einfach nicht merken kann, an welchem Teil des Programms ich nochmal gerade arbeite und was nochmal im großen und ganzen das Problem mit dem Programm ist, das ich gerade suche oder repariere.
Ein anderer Teil von mir sagt ganz klar ja. Ich liebe Informatik. Wie cool ist es, hinter die Fassade von Software gucken zu dürfen. Wie cool sind Machine-Learning-Algorithmen und maschinelle Übersetzung von menschlicher Sprache. Wie faszinierend ist der Fakt, dass wir niemals jede einzelne mögliche Schachpartie in einen dicken fetten Brute-Force-Super-Schach-Algorithmus hineinfüttern werden, weil es mehr mögliche Schachpartien gibt als Atome im Universum, aber dass es trotzdem Lösungen gibt, eine für uns Menschen unbesiegbare Schachsoftware zu schreiben.
Was will ich nach dem Studium machen, was für einen Beruf will ich ausüben? Keine Ahnung, eigentlich wollte ich Konditor oder Schreiner werden, aber meine Familie hatte zu viel Angst um mich, wegen der großen Maschinen und meiner Tollpatschigkeit. Außerdem stinken rohe Eier bis zum Himmel.
Ähm, ja, falls hier Leute sind, die auch gerade studieren oder die Uni erfolgreich verlassen haben (ob das nun heißt "mit Abschluss" oder "weil ich mich erfolgreich zum Abbruch entschieden habe"), ich würde gerne von euch hören, und falls ihr Ratschläge habt, sind sie auch willkommen.