Umfrage "Anecken" (nur an diagnostizierte Autisten)

  • Aus meiner Erfahrung heraus ist das reichlich naiv. Kollegen, die einen so ausgrenzen, akzeptieren auch eine Diagnose nicht. Die machen sich eher lustig drüber oder richten das in anderer Form gegen einen.

    Es kann natürlich solche Leute mit schlechtem Charakter geben.
    Aber durch das Nennen der Diagnose kann man wahrscheinlich die gesamte Situation von Anfang an anders gestalten, sodass Ausgrenzung gar nicht erst beginnt. Sofern ansonsten die Leistung stimmt, dürfte es den Leuten dann schwer fallen, jemanden nur wegen oder trotz seiner Diagnose zu verurteilen.
    In vielen Teams spielt dann auch der Chef noch eine wichtige Rolle. Wenn man ihn auf seiner Seite hat - und das kann klappen, wenn er Verständnis entwickelt für die besonderen Eigenschaften bei Asperger - dann hat man auch einen besseren Stand bei den Kollegen. Zumindest dann, wenn er als Führungskraft etwas taugt.

    Wenn die Situation schon mies ist, hat man durch ein Outen nicht viel zu verlieren. Vor allem ist ein Outen unumgänglich, wenn man tatsächlich Rücksichtnahme und ggf. Sonderbehandlung braucht. So wie der Rollstuhlfahrer seine Rampe nötig hat, kann es auch bei Asperger sein, dass man irgendwelche besonderen Bedingungen braucht. Das ist dann wie ein behindertengerechter Arbeitsplatz, und wenn man sich dann schämt, seine Diagnose zu nennen, dann ist doch was falsch, finde ich. Es kann nicht sein, dass man sich für Asperger schämen muss und sich nicht traut, es zu erwähnen. Dagegen hilft nur ein ungezwungener Umgang, so als wäre es eine Selbstverständlichkeit.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Aber durch das Nennen der Diagnose kann man wahrscheinlich die gesamte Situation von Anfang an anders gestalten, sodass Ausgrenzung gar nicht erst beginnt. Sofern ansonsten die Leistung stimmt, dürfte es den Leuten dann schwer fallen, jemanden nur wegen oder trotz seiner Diagnose zu verurteilen.

    So habe ich früher auch gedacht. Dann wurde ich durch meine letzten Stellen eiens Besseren belehrt.

  • @Shenya @Aldana

    Ich sitze gerade in der Bahn und kann deshalb nicht gut ausführlich zitieren. Ich sehe es aber ähnlich wie Shenya. Ich habe früher auch immer gedacht, es müsse an charakterlichen Defiziten der Anderen liegen, bis ich dann irgendwann (reichlich spät) ahnte, dass es nicht sein kann, dass ich nur von fiesen, unfreundlichen Menschen umgeben bin, dass es also - zumindest teilweise - an mir liegen muss, dass ich sozial schwer zurechtkomme. Allerdings habe ich jahrzehntelang keine Ahnung gehabt, an was es liegen könnte, dachte nur immer: Du bist doch kein schlechter Mensch, wieso klappt das denn nicht?
    Mir ist völlig klar, dass man, wenn man sich anderen Menschen mit seinen Problemen anvertraut, nicht bei jedem "punkten" kann. Wenn man Pech hat, wird man gleich "aussortiert" und als rein defizitär und nicht leistungsfähig genug abgestempelt. Aber man verändert damit auf jeden Fall die Erwartungshaltung und reduziert die Gefahr anzuecken, weil das Gegenüber direkt eine Erklärung für das "merkwürdige" Verhalten hat.

  • wenn man sich dann schämt, seine Diagnose zu nennen, dann ist doch was falsch, finde ich. Es kann nicht sein, dass man sich für Asperger schämen muss und sich nicht traut, es zu erwähnen. Dagegen hilft nur ein ungezwungener Umgang, so als wäre es eine Selbstverständlichkeit.

    Grundsätzlich: ja. So sollte es sein. In der praktischen Erfahrung mit meinen Chefs habe ich aber erlebt, dass es zumindest einen gab, wo ich in keinem Fall irgendeine Diagnose genannt hätte, im Gegenteil, wo ich als Personalvertreter offiziell die Kolleg*innen gewarnt habe, bei einer Krankmeldung auch nur die harmloseste Grippe anzugeben (was man ja auch nicht muss, was viele aber tun). Denn ganz schnell wurde an der Dauer der Krankheit herumgemäkelt, es wurde auch bei Leuten mit SBA die Durchführbarkeit der empfohlenen Hilfsmaßnahmen als undurchführbar hingestellt ("Das lässt sich im Alltag gar nicht umsetzen"). Das hätte dann für die Betroffenen zermürbende, auch beschämende Einsprüche zur Folge. Also: In der Praxis sieht es manchmal anders aus, da hat @Aldana sicher recht.

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

  • @Shenya

    Danke für die Ausführungen. Ich denke, wir liegen da mit unseren Ansichten gar nicht so weit auseinander.

    Bei Ärzten, klar. Denen kann man alles sagen. Sogar auf welchen Drogen man gerade ist.

    "Bei Gelegenheit" es Leuten zu sagen mit denen man privat zu tun hat ist auch eher der Ansatz, den ich wählen würde.

    Vielleicht hatte ich die Diskussion falsch verstanden. Ich dachte es ginge darum, sofort von Anfang an es zu sagen ("ich stell euch kurz vor: Shenya, das ist Max, Max, das ist Shenya" und Shenya sagt dann zu Max "ich bin Autist"). Das würde ich allein schon deswegen nicht machen weil da noch nicht klar ist, ob überhaupt eine Freundschaft entsteht bzw. es ein Wiedersehen gibt.

    Arbeit ist nochmal ein anderes Thema als Ärzte und Freizeit.

  • Hat sich eigentlich jemand von euch schon mal so (wortwörtlich) geoutet "Hallo, mein Name ist X und ich bin Autist/Autistin"? Mir käme das auf so eine direkte Art nie in den Sinn, denn dafür bin ich zu hochfunktional im sozial-kommunikativen Bereich.

  • Bei Ärzten mache ich das mittlerweile immer so. Wortwörtlich mit Variation
    Name X. Ich habe einen Termin/ keinen Termin und folgendes akute dringende Problem.. (Hallo vergesse ich gerne). (Umständliches Karte rausfischen parallel). Ich bin Asperger-Autistin.

    Arzt versucht dann meist irgendwie (dummen) Smalltalk über Autismus. Ich: Ich benötige direkte Sprache und es ist gut, wenn Sie mir alles ausführlich erklären. Ich interessiere mich für medizinische Themen.

    Ich darf oft mit auf die Monitore schauen und erhalte oft gute Erklärungen und meine kritischen Einstellungen und Bemerkungen (selten, aber, wenn notwendig) werden auch ertragen. Ich verhandle auch teilweise, was in den Befundberichten drin steht. Was zum Beispiel wichtig war, als ich umziehen wollte und das Jobcenter dies verweigert hat. Da meine Vermieterin und gleichzeitig Mitbewohnerin aber ein (leichter?) Messi war (ist, jetzt ohne mich) und ich Nachts von Flöhen zerstochen wurde. Der Arzt konnte die Bisse erst nicht zuordnen aber beim nächsten Termin konnte ich einen gefangenen Flo mitbringen und der Arzt ist jetzt positiv gebrieft, wenn es um Asperger-Autisten geht.
    Der Flo war übrigens ein sehr großes Exemplar, auch bekannt als Menschenflo laut meiner Google-Recherche. Aber das ist ein Fachgebiet für sich. Es gibt da viele Diskussionen und Arten..
    Bei mir waren die Bisse unterschiedlich in der Ausprägung und unterschiedlich zum Lehrbuchwissen des Arztes angeordnet.

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