Sehr gut kommunizieren als Autist bzw. Autistin

  • Hallo ihr Lieben, mir geht mal wieder eine Frage im Kopf herum seit ich gestern bei meinem Neurologen war.
    Er sagt bei mir seien autistische Symptome mit adhs Symptomen überschneidend . Ich bin sehr unruhig , denke den ganzen Tag über irgendwas was nach , mache zig Sache gleichzeitig etc. .
    Soweit so gut, das habe ich auch verstanden.
    Er meinte ich hätte so eine Mischform aus ASS und ADHS.
    Was mich stutzig macht ist, dass Autismus immer mit erheblichen Kommunikationsproblemen daher kommen soll, so habe ich es gelernt.
    Ich denke von mir aber dass ich sehr gut mit Menschen sprechen kann auch mit Fremden ( wenn mir der Sinn danach steht). Zwar strengen mich längere Gespräche enorm an aber ich bewältige sie gut.
    Was meint ihr dazu?
    Wie geht es euch mit der Kommunikation mit Fremden?
    PS. Lange Gespräche am Telefon finde ich auch anstrengend.

  • Also hier bei uns scheint es noch schwierig zu sein um ASS und AD(H)S gleichzeitig diagnostiziert zu bekommen. In den Niederlanden zum Beispiel ist dies schon ziemlich üblich. Wir haben bei einem unser Sohn das gleiche Problem (Erfüllt ein Teil des ASS - IS, Theory of Mind, und Freundschaft) kann aber mit jedem Fremden ungehemmt quasseln (RW). Wenn man aber die Gespräche von ihm analysiert, sind sie doch eher einseitig. Wie ist das bei dir? Kannst du gut auf den anderen eingehen.

    Von daher klingt das von dir für mich nicht ganz unüblich.

    Ich habe ja nur den Status VA, daher weiss ich nicht, ob ich hier zähle. Bei mir ist es aber so, dass Einzelgespräche kein Problem darstellen. Je grösser die Gruppe, desto mehr ziehe ich mich aber zurück. Habe auch kein Problem um einen Vortrag vor einer Gruppe z(>100 Personen) u halten bzw. Schulungen zu geben bei denen auch Fragen an mich gestellt werden können.

  • Nun, es ist schon so dass ich Einzelgespräche unbedingt vorziehe und große Gruppen ein Problem darstellen sofern ich nicht die einzige Sprecherin bin. Vorträge halten kann ich.
    Im Einzelgespräch fällt mir schon auf dass es um Themen gehen muss die mich stark interessieren sonst beginne ich mich schnell zu langweilen und will es beenden.
    Wenn es ein interessantes Thema ist fällt mir die wechselseitige Kommunikation leicht.
    So wie du es bei deinem Sohn beschreibst ist es auch bei mir.
    Was bei mir evtl. untypisch für ADHS ist , dass ich pünktlich bin und bei anderen Wert darauf lege dass sie es auch sind. Ich verschiebe selten etwas und bin sehr zuverlässig.

  • Also ich bin auch total unruhig, denke immer nur nach und mache quasi ständig parallel super viele Dinge. Beispiel: ich nähe Hosen, während ich zwei angefange Strickprojekte nebenbei habe, lerne dazwischen immer mal Fremdsprachen und lese einen Roman. Gern alles an einem Abend...abwechselnd.

    Und ich habe nur eine ASS.

    Kommunikation fällt mir extrem leicht, sofern sie von mir begonnen wird und erwünscht ist :)

  • Genau so ist es bei mir auch, ich kann ohne Hemmungen wildfremden meine Thesen verkünden, aber bei einer Familenfeier verfalle ich in Tiefschlaf.
    Wenn mich ein Thema interessiert kann ich angeregt diskutieren, wenn nicht schalte ich ab.
    Auf Arbeit war mir auch der kurze Kontakt mit den Kunden an der Kasse lieber als eine halbstündige Pause mit schmatzenden Kollegen.
    Noch schlimmer ist natürlich so was wie Weihnachtsfeier...

  • Einen passenden Gesprächspartner suchen mit den passenden Themen , vorübergehend den Raum verlassen,irgendwas im Handy checken, sehr hilfreich ist einfach einschlafen oder wenns nicht anders geht einfach abhauen.
    Und danach in eine Kneipe, um mit einem Kater dem Sozialkater vorzubeugen.

  • Was mich stutzig macht ist, dass Autismus immer mit erheblichen Kommunikationsproblemen daher kommen soll

    Das gilt aber so nur für den nonverbalen Teil. Verbal kann man als Autist durchaus unauffällig sein, und den nonverbalen Teil muss man dann halt per Analyse, die nebenher läuft, möglichst gut hinkriegen - deshalb sind Gespräche insbesondere in Gruppen so anstrengend, weil man sich auch auf den nonverbalen Bereich konzentrieren muss. Normalerweise habe ich kein Problem mit Kommunikation, aber z.B. wenn ein Gespräch unerwartet persönlich (nicht inhaltlich) kontrovers wird, also ein wesentlicher Teil plötzlich im Nonverbalen abläuft, dann gerate ich schnell "ins Schleudern".

  • Habt ihr was was euch hilft wenn die innere Unruhe anfängt zu nerven?

    Ich lege mich aufs Bett und je nach Bedarf noch die Decke über den Kopf. Ist die Familie in der Nähe dann kommen noch Ohrstöpsel rein. Dann die Gedanken zu einem angenehmen Thema wandern lassen.

    Bei meiner Frau funktioniert das gar nicht, die macht in so einer Situation dann ein Spiel (vom Type Candy Crush) auf dem Tablet, örtlich im Haus auch weiter weg vom Rest der Familie.


    Das gilt aber so nur für den nonverbalen Teil. Verbal kann man als Autist durchaus unauffällig sein, und den nonverbalen Teil muss man dann halt per Analyse, die nebenher läuft, möglichst gut hinkriegen - deshalb sind Gespräche insbesondere in Gruppen so anstrengend, weil man......

    Finde ich ganz toll beschrieben!

    Einmal editiert, zuletzt von jaw (5. Februar 2021 um 14:35)

  • Das gilt aber so nur für den nonverbalen Teil. Verbal kann man als Autist durchaus unauffällig sein

    Genau so ist es bei mir auch. Ich habe in meinem letzten Job sogar Seminare gehalten, da hat keiner irgendwas gemerkt. Es war allerdings im Nachhinein auf Dauer zu anstrengend für mich. Die Kommunikationsprobleme im nonverbalen Bereich sind bei mir jedoch enorm. Andauernd gibt es Mißverständnisse und ich muß auch häufig erklären oder nachfragen wie etwas gemeint ist. Am schlimmsten ist es, wenn erwartet wird, daß ich unausgesprochene Dinge verstehe oder mein Gesprächspartner meint ständig irgendwelche Sachen in von mir gesagte Dinge zu interpretieren. Wenn ausgesprochene Worte nur sinngemäß oder im übertragenen Sinn gemeint werden komme ich schnell an meine Grenzen. Weniger Probleme habe ich mit Sprichwörtern oder Ironie. Da ist die Übertreibung oft so groß, daß ich verstehe was gemeint sein könnte.

  • Ich erlebe es oft so das ich in der WfbM für meine kommunikativen Fähigkeiten gelobt werde, aber ich merke dort auch das die Leute da sehr viel Geduld mitbringen und willig sind einen zu verstehen, und daher auch einen erklären lassen ohne davon genervt zu sein wie ausschweifend man auch immer reden mag.
    In anderen Stellen also nicht in der WfbM sieht das in meinem Fall ganz anders aus. Man lässt mich nicht ausreden, man versteht nicht warum ich frage weil ich akkustisch was nicht verstanden habe oder sonst was.

    Go bad or go home!

  • Was die verbale Kommunikation betrifft, bin ich eher im "mittleren" Bereich. Ich bin nicht wortkarg, aber auch keine "Quasselstrippe". Smalltalk kann ich relativ gut, er strengt mich aber oft an. Von meinem sozialen Umfeld werde ich in der Regel ruhig und zurückhaltend wahrgenommen.

    Die nonverbale Kommunikation ist bei mir ziemlich eingeschränkt. Gestik verwende ich kaum. Wenn ich sie mal (bewusst) anwende, dann ist es meistens die "Zeige-Geste" oder die Stop-Geste". Die Mimik ist bei mir auch eher reduziert, aber deutlich mehr vorhanden als die Gestik. Lächeln ist die Mimik, die ich am Deutlichsten zeigen kann.

  • Danke für die vielen hilfreichen Antworten, in vielem erkenne ich mich auch wieder und einiges fällt mir erst jetzt auch bei mir auf.
    Dass ich eine eingeschränkte Mimik habe sagte mir mein Therapeut schonmal als ich mal wieder Zweifel an meiner Diagnose hatte.
    :) .

  • Wir haben bei einem unser Sohn das gleiche Problem (Erfüllt ein Teil des ASS - IS, Theory of Mind, und Freundschaft) kann aber mit jedem Fremden ungehemmt quasseln (RW). Wenn man aber die Gespräche von ihm analysiert, sind sie doch eher einseitig.

    Ich habe ja nur den Status VA, daher weiss ich nicht, ob ich hier zähle. Bei mir ist es aber so, dass Einzelgespräche kein Problem darstellen. Je grösser die Gruppe, desto mehr ziehe ich mich aber zurück. Habe auch kein Problem um einen Vortrag vor einer Gruppe z(>100 Personen) u halten bzw. Schulungen zu geben bei denen auch Fragen an mich gestellt werden können.

    Das klingt gruselligerweise so, als hätte ich das geschrieben. In einem 1:1 habe ich große Gesprächsanteile und spätestens ab 4 Leuten werd eich ziemlich still. Während ich in 1 zu 1 Gesprächen gar nicht mehr aufhören kann zu reden bzw. es mir schwer fällt zuzuhören weiß ich bei Gruppen gar nicht mehr was ich sagen soll und rede wnen meist nur sehr kurz, weil mir gefühlt nichts mehr einfällt.

    Vorträge machen mich zwar nervös, aber ich rede dann ja nicht mit den Leuten, sondern halte einen Monolog bzw. bei Fragen rede ich ja quasi nur mit einer Person.

  • Das klingt gruselligerweise so, als hätte ich das geschrieben. In einem 1:1 habe ich große Gesprächsanteile und spätestens ab 4 Leuten werd eich ziemlich still. Während ich in 1 zu 1 Gesprächen gar nicht mehr aufhören kann zu reden bzw. es mir schwer fällt zuzuhören weiß ich bei Gruppen gar nicht mehr was ich sagen soll und rede wnen meist nur sehr kurz, weil mir gefühlt nichts mehr einfällt.
    Vorträge machen mich zwar nervös, aber ich rede dann ja nicht mit den Leuten, sondern halte einen Monolog bzw. bei Fragen rede ich ja quasi nur mit einer Person.

    Ich kann das auch genau so unterschreiben!
    Eine Ausnahme sind die Daily Standups bei uns in der Firma. Ist ja dann auch in einer Gruppe, aber jede Person bekommt ein Zeitfenster zum Reden wo die anderen nur zuhören. Da rede ich dann sehr viel, so dass es schon zuviel wird und habe Schwierigkeiten, meinen Monolog zu beenden. Das ist mir heute noch, nach so vielen Jahren wo ich das auf der Arbeit täglich mache, sehr unangenehm.

  • Habt ihr was was euch hilft wenn die innere Unruhe anfängt zu nerven?

    Hyperaktivität ist keine innere Unruhe, sondern motorische Unruhe. Hyperaktivität ist bei mir ein 2000 PS Schiffsmotor + Duracell Longlife Akku, falls der Schiffsmotor mal im "Wartungsmodus" ist.

    Ich bin ein Asperger Autist und habe ADHS.

    Von morgens kurz nach dem aufstehen bis Abends zum schlafen gehen inkl. nächtlichem erwachen zur selben Uhrzeit. Stillsitzen steht im Duden und ist ohne Medikamente nicht lange möglich. 5km Joggen + 3 km spazieren = Top Fit, als hätte ich überhaupt nichts gemacht. Jeden Tag Joggen ist nicht drin, das machen die Knie nicht mit und ein Fahrrad habe ich keins.

    Gleiches gilt für Aufmerksamkeit und Konzentration. Ohne Medikamente sind Flüchtigkeitsfehler ein dauerhafter Begleiter und die Konzentration ist nicht lange aufrecht zu erhalten, selbst bei meinem SI nicht. Das ich meinem SI nicht nachgehen kann ist der blanke Horror und hat was von mittelalterlicher Folter.

    Das hat der Aufmerksamkeits- und Konzentrationstest deutlich hervorgebracht.

    Der Zustand ohne Medikamente ist für mich nicht lange zu ertragen, mitlerweile unerträglich und in keinster Weise akzeptabel.
    Das reicht nicht mal für eine dreistündige Zugfahrt.

    Die Problematik im zwischenmenschlichen Bereich haben bei ASS und ADHS unterschiedliche Ursachen.

    Bei ASS durch Beinträchtigung der Theory of Mind, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen zu können (RW), fehlende oder nicht vorhandene nonverbale Kommunikation, so wie die direkten unverblümten Aussagen.

    Bei ADHS sind die Ursachen, häufiges dazwischen reden, die motorische Unruhe, die alle beteiligten verrückt macht, aufspringen und bewegen in ungünstigen Momenten, häufige Unpünktlichkeit, Unaufmerksamkeit etc.

    ASS = Schwierigkeiten hauptsächlich Kommunikation
    ADHS = Schwierigkeiten hauptsächlich durch Verhaltensweisen

    Innere Unruhe kannst du gut durch Achtsamkeit und Meditation in den Griff bekommen.

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