erfolgreich studieren mit Autismus

  • Guten Morgen,

    da ich den Gedanken in Erwägung ziehe noch einmal ein Studium zu versuchen möchte ich gerne Tipps und Ideen sammeln, die mir dabei helfen können.

    Was ich mir bisher überlegt habe:
    - Fernstudium, wenn möglich statt Präsenzstudium
    - Studienassistenz (habe bereits für den Alltag Assistenz bewilligt bekommen, die das auch mit übernehmen könnte ggf. mit zusätzlichen Stunden)
    - Nachteilsausgleiche bei Prüfungen
    -- ein eigener Prüfungsraum oder zumindest mit weniger als 15 Personen
    -- ausreichend große Schrift (min Arial 11, besser größer)
    -- nur eine Aufgabe pro Arbeitsblatt und Bilder separat getrennt davon
    -- Arbeitsanweisungen schriftlich auch in mündlichen Prüfungen, wenn möglich (habe zum Autismus auch Hörprobleme)
    -- Gehörschutz tragen dürfen
    -- keine Bewertung von Mimik, Tonfall, Körpersprache
    -- recht auf ggf. Begleitung durch Assistenz in mündlichen Prüfungen
    -- zusätzliche Zeit (schreiben fällt mir motorisch schwer)
    - Nachteilsausgleiche beim Studienalltag
    -- wenn möglich möchte ich zu akustischen Informationen eine Begleitschrift haben
    -- bei der Kommunikation mit Kommilitonen und Dozenten brauche ich Unterstützung
    -- keine Anwesenheitspflicht
    -- ggf. Alternativen zu Gruppenarbeiten
    -- länger Zeit bei Hausarbeiten

    Was fällt euch noch ein? Wie kann man mit Praktika innerhalb eines Studium fertig werden und welche Hilfen gibt es da? Was war ausschlaggebend für euch um das Studium zu schaffen?

    Einmal editiert, zuletzt von MangoMambo (23. November 2020 um 09:12)

  • Die Auflistung ist ja schon sehr gut durchdacht.

    Evtl. die Möglichkeit der Verlängerung Studuimsdauer dazunehmen?

    ________________________________________________________________

    "Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt."

    (Johann Wolfgang von Goethe)

  • Hallo MangoMambo,

    cool, dass du nochmal ein Studium versuchen willst. Mir hätten folgende Dinge im Studium weitergeholfen und ich halte sie auch für umsetzbar in einem Präsenzstudium:

    - Keine Präsenzpflicht in Vorlesungen und das Skript gestellt bekommen. Keine Präsenzpflicht in Übungen, falls du die Aufgaben eh vorher abgeben musst.
    - Keine mündlichen Prüfungen. Ich fand es sehr schwierig, zu verstehen, was die Person von mir möchte.
    - Klares, schriftliches Kommunizieren von Zulassungsbedingungen und Fristen. Die Vortragenden geben sich zwar meist Mühe, das allen zu vermitteln, aber ich fand die vielen unterschiedlichen Bedingungen oft verwirrend. Das könnte aber vielleicht auch eine Studienassistenz machen?
    - Hilfe bei Studienorganisation, welche Fächer man wählen kann, wann man sich anmelden muss usw. Klare Ansprechperson beim Prüfungsamt oder eine Person, die dich bei der Planung und bei Fristen berät.
    - Eventuell eine vorgezogene Anmeldung zu Übungen und Seminaren, sodass du dich nicht genau zu einer bestimmten Uhrzeit anmelden musst und zudem dein Semester verlässlicher planen kannst, weil du genau in die Kurse reinkommst, die du dir ausgesucht hast.
    - Keine Gruppenarbeiten

    Folgende Dinge haben mir persönlich geholfen, sind aber schwer von offizieller Seite umzusetzen:
    - Vernetzen mit anderen Personen, sodass man auch mal Lösungen abschreiben kann.
    - Für Gruppenarbeiten direkt Leute ansprechen, die fachlich gut sind und die man mag.
    - Ein gut geplanter Stundenplan mit wenigen Veranstaltungen pro Tag und keiner langen Pause in der Uni.
    - Eine Gruppe, mit der man regelmäßig in die Mensa geht. (Hilft für den Tagesablauf, und man bekommt was zu essen.)
    - Auch in Einzelarbeiten klare Kommunikation und Zielvereinbarungen von den Dozierenden einfordern.

    Rückblickend hätte ich weniger Veranstaltungen pro Semester belegen sollen, das wäre auf längere Sicht nachhaltiger und entspannter gewesen.

  • Was möchtest Du denn studieren, wenn ich fragen darf?

    Die Entscheidung ist leider noch nicht final gefallen. Ich werde mehrere Möglichkeiten ausprobieren und mich dann für eine entscheiden ist mein momentaner Stand.
    Es gibt einiges was mich interessiert. Beruflich sinnvoll wäre Mathematik oder Informatik. Informatik möchte ich allerdings nicht studieren. Interessieren würde mich Jura, oder auch Psychologie. Mit Recht hatte ich in meinem ersten Studium bereits etwas Kontakt und das hatte mir viel Spaß gemacht.
    Mathematik wollte ich als ich noch in der Schule war immer studieren und war total fasziniert davon, ich bin mir aber nicht sicher, ob das aktuell auch noch so ist.

    Ich mag meinen aktuellen Job und um da weiterzukommen, müsste das Studium im entferntesten mit Informatik zu tun haben, aber nur deshalb will ich nicht studieren.

    Sollte ich mir damit neue berufliche Perspektiven erschließen, dann möchte ich gerne einen Beruf haben, bei dem ich Menschen beraten kann. Rechtsberatung z. B. stelle ich mir sehr interessant vor.

    Ob ein erneutes Studium allerdings überhaupt realistisch ist, ganz unabhängig vom fachlichen, ist mein Überlegungspunkt in diesem Thread. Gesetzt das fachliche passt, welche Bedingungen muss ich mir schaffen um ein Studium erfolgreich abschließen zu können?

  • Von Deinen Wahlfächern dürfte Jura am schwierigsten umzusetzen sein, ganz einfach, weil sich da wahre Massen rumtreiben - das waren schon in den 80ern in Tübingen bis zu 600 Erstsemester. Entsprechend schwieriger wird es dann auch für die Lehrenden, auf sehr individuelle Bedürfnisse einzugehen. Andererseits gibt es da vermutlich zu allen Vorlesungen Skripten.
    Eine Frage ist bei allen Fächern, wieviel Bibliotheksarbeit erforderlich ist - das hängt davon ab, inwieweit wichtige Bücher ausgeliehen werden können oder nur in Präsenz zugänglich sind, das kann von Uni zu Uni unterschiedlich sein. Gerade bei den Juristen habe ich schon gehört, dass Bibliothek anstrengend ist - wieder v.a. deshalb, weil es so viele sind.

    Ein grundsätzlicher Tipp: im Zweifelsfall das kleinere Fach, und an einer Uni, wo dieser Fachbereich klein ist. Mir hat ungemein geholfen, dass ich ein "Orchideenfach" studiert habe, mit sehr geringen Studentenzahlen; bei Jura wäre ich ziemlich sicher untergegangen (allerdings ohne jede Hilfen - das gab es 1975 noch nicht, die Diagnose ja auch nicht).

    Den Tipp von @Mugwump mit der Mensarunde, womöglich mit festen Uhrzeiten für die Mittagspause, solltest Du so irgend möglich umsetzen. Ich hatte das durch meine Studentenverbindung und fand es sehr hilfreich.

  • @MangoMambo Es ging mir nicht um etwas Fachliches. Ich dachte, dass unterschiedliche Studiengänge sehr unterschiedlich aufgebaut und strukturiert sind und dann jeweils andere Dinge wichtig sein könnten.

    Mir war sehr wichtig genügend Rückzugsmöglichkeiten zwischen den Veranstaltungen zu haben. Ich habe mir schon im Vorfeld (vor jedem Semester) die Gegebenheiten vor Ort angesehen und in der näheren Umgebung nach solchen Möglichkeiten gesucht.
    In meinem ersten Studium war ich ganz isoliert, das hat es mir viel schwerer gemacht. Im zweiten Studium habe ich unter Aufbietung aller Kräfte sofort Anschluss an eine Studiengruppe gesucht und aktiv gehalten. Das war zwar anstrengend, hat aber ganz viele alltägliche Dinge im Studium erleichtert (wann, wo, wie, wer weiß...).
    Ohropax und Kopfhörer trage ich sowieso die meiste Zeit, war aber auch fürs Studium sehr wichtig.
    Vorlesungen habe ich nur besucht, wenn eine Anwesenheitsliste geführt wurde und sonst habe ich maximal zwei Veranstaltungen am Tag besucht (wenn es irgendwie möglich war).
    So ging es auch ohne offizielle Hilfen.

  • @HCS Mathematik oder zumindest den großen ersten Teil von Jura könnte ich an einer Fernuni studieren. Da habe ich die Hoffnung nicht ganz so viel Kontakt mit vielen Menschen auf einmal haben zu müssen. Und ich hätte den Rückzugsort Wohnung zumindest für den Großteil des Studiums. Zu Veranstaltungen, die trotzdem vor Ort sind, würde mich die Assistenz auch erstmal begleiten können. Wie das mit Bibliotheken ist, das ist eine gute Frage, da kenne ich mich mit Fernstudium nicht so aus. Vielleicht weiß das ja jemand?

    In meinem ersten Studium hatte ich am Anfang super viel Anschluss und war dann damit komplett überfordert. Dann hatte ich etwas weniger Kontakte was leichter war aber man war auch mehr alleine. Das musste ich dann trotz Nachteilsausgleich abbrechen.

  • Jura könnte ich an einer Fernuni studieren.

    Dann sieht das natürlich anders aus. Bedenke aber, dass Du das anschließende Referendariat vermutlich weitgehend normal durchlaufen musst, und ohne das 2. Staatsexamen ist ein Jurastudium nicht viel wert. Es wäre also sinnvoll, sich auch gleich zu den Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs während des Referendariats schlau zu machen, bevor Du eine Entscheidung triffst.

  • Es wäre also sinnvoll, sich auch gleich zu den Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs während des Referendariats schlau zu machen

    Das versuche ich momentan, habe da aber noch nicht so wirklich Ansprechpartner gefunden, hast du Ideen, wo man die finden könnte?

  • @MangoMambo
    Da wäre meine erste Idee das Justizprüfungsamt Deines Bundeslandes; falls die selbst nichts sagen können (etwa weil sie nur für die eigentliche Prüfung zuständig sind) müssten sie aber wissen, wer zuständig ist.

  • @HCS Mathematik oder zumindest den großen ersten Teil von Jura könnte ich an einer Fernuni studieren. Da habe ich die Hoffnung nicht ganz so viel Kontakt mit vielen Menschen auf einmal haben zu müssen.

    Aber Jura ist halt inherent mit Menschen. Nicht nur das Amtsjahr, sondern auch das Problem, dass es halt um menschliche Gesetze (und nicht etwa Naturgesetze) geht. Und kaum hat man mal eins davon verstanden (und die laufende Rechtsprechung bestätigt das), grätscht der Gesetzgeber rein, und zieht Dir das Gesetz unterm Hintern weg (RW). Ich werd in diesem Leben kein Jurist mehr. Brokkoli hat mich gebrochen :).

  • Aber Jura ist halt inherent mit Menschen. Nicht nur das Amtsjahr, sondern auch das Problem, dass es halt um menschliche Gesetze (und nicht etwa Naturgesetze) geht. Und kaum hat man mal eins davon verstanden (und die laufende Rechtsprechung bestätigt das), grätscht der Gesetzgeber rein, und zieht Dir das Gesetz unterm Hintern weg (RW). Ich werd in diesem Leben kein Jurist mehr. Brokkoli hat mich gebrochen :).

    Naja. Das ginge schon grundsätzlich. Mein Studium bestand zu 80 % aus Jura und es hat auch geklappt mit dem Abschluss. Und ich bin nicht der einzige Aspi bei uns gewesen.

  • @MangoMambo Zu Mathe lass dir gesagt sein, dass der Stoff auf lange Sicht sauschwer ist und die Chancen, als Einzelkämpfer da durchzukommen, ziemlich gering sind. Man braucht eigentlich eine feste Lerngruppe. Wie gut man allerdings an einer Fernuni die passenden Leute dafür findet, weiß ich nicht. :/

    Außerdem wird der Stoff schnell sehr abstrakt (das ist vielleicht nicht unbedingt schlecht) und sehr "spezialisiert".
    Wenn du Mathematik in der Schule "faszinierend" fandest, dann wirst du die ersten Semester lieben, weil man da endlich die Sachen "richtig" macht, die in der Schule bestenfalls mal angedeutet wurden.
    Danach spezialisierst du dich allerdings sehr schnell immer weiter in eine Richtung (wenn du nicht gerade auf Lehramt studierst) und das, was du dann machst, hat mit der "allumfassenden" Mathematik, wie du sie aus der Schule kennst, dann rein gar nichts mehr zu tun. Du beschäftigst dich halt irgendwann z. B. nur noch mit partiellen Differentialgleichungen und nichts anderem. Wenn du deine Bachelorarbeit schreibst, und dir andere Studenten, die sich in andere Richtungen spezialisiert haben, von ihren Themen erzählen, wirst du bereits nicht mehr verstehen, wovon sie reden. (Zur besseren Illustration hier mal ein paar Listen von Themen für mathematische Abschlussarbeiten von verschiedenen Unis: Beispielliste 1, Beispielliste 2, Beispielliste 3.)
    Ob dieses Super-Spezialisierte was für dich ist oder nicht, müsstest du halt vorher gut einschätzen können. Wenn nicht, dann hast du nach 2-3 Semestern keinen Bock mehr. Und ohne "Bock" kriegst du das nicht zuende, dafür ist es einfach viel zu schwer.

    "He that can take rest is greater than he that can take cities." ~ Benjamin Franklin

    Ich hab mehr Spielwiesenbeiträge als du!

  • im Zweifelsfall das kleinere Fach, und an einer Uni, wo dieser Fachbereich klein ist

    Ich würde noch ergänzen: An einer kleinen Uni (wenn Präsenz), die möglichst in einer ruhigen Umgebung liegt, mit Ruckzugsräumen bestenfalls.

    Surprised by the joy of life.

  • Überlege gerade auch nochmal zu studieren. Aber bin auch noch unsicher... finanziell, als auch sozial, als auch fachlich, als auch von der Sinnhaftigkeit.
    Andererseits spüre ich einen Drang und eine starke intrinische Motivation in die Richtung.... .
    Möchte allerdings tatsächlich in den Bereich Informatik, wobei ich damit beruflich bisher nichts zu tun hatte...
    Strange world.

  • Ich würde noch ergänzen: An einer kleinen Uni (wenn Präsenz), die möglichst in einer ruhigen Umgebung liegt, mit Ruckzugsräumen bestenfalls.

    Dem kann ich mich insgesamt anschließen. Im Nachhinein würde ich mich auch für ein kleineres Fach und eine kleine Uni entscheiden. Habe leider ein "Massenfach" an einer "Massenuni" studiert, und das war wohl einer der größten Fehler, die ich bisher gemacht habe. Ich überlegte auch mehrfach, die Uni und eventuell auch das Fach zu wechseln (bzw. ein anderes Fach als Hauptfach zu nehmen), ließ mich aber von meinem Umfeld zu sehr verunsichern. Vor allem, da sowohl meine Eltern sehr skeptisch waren als auch ein Dozent, den ich um Rat fragte, und Mitstudenten, die ich darauf ansprach, mir davon abrieten. Ich hatte niemanden mit akademischem Studium in der Familie, und der Hinweis einer entfernten Bekannten, die mir im Vorfeld von einer großen Uni abriet, war mir nicht ausreichend in seiner Bedeutung bewusst. Umso mehr, da der Berufsberater mir zu dieser Uni geraten hatte (leider aus Gründen, die nicht wirklich zutreffend waren). Auch von Autismus wusste ich damals nichts, daher konnte ich die Situation und meine Bedürfnisse gleich in mehrerer Hinsicht nicht wirklich gut einschätzen.

    Als ich dann später einen Master im Ausland machte, in einer kleinen, überschaubaren Gruppe und in einer malerischen Unistadt, war das eine der besten Erfahrungen und Zeiten meines Lebens.

    Daneben halte ich für empfehlenswert, nach Deinem "Bauchgefühl" zu gehen, was die Studienentscheidung betrifft, sowie danach, was Dich ernsthaft interessiert. Persönlich sehe ich auch ein Fernstudium eher skeptisch. Ich fand den Austausch mit anderen im gleichen Fach sehr wichtig, sowohl mit Dozenten wie Mitstudenten. Da hätte mir in einem Fernstudium einiges gefehlt. Zudem habe ich Zweifel, ob ich dazu ausreichend strukturiert und diszipliniert gewesen wäre, aber ich weiß, dass manche Autisten da ganz anders "gestrickt" sind.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

    Einmal editiert, zuletzt von Leonora (27. November 2020 um 13:41)

  • Auch, wenn das Thema schon etwas älter ist: Ein Großteil der genannten Punkte bezieht sich auf schriftliche Klausurprüfungen. Eine Alternative könnte sein, sich für eine Studienform zu entscheiden, in der keine schriftlichen Klausurprüfungen abgelegt werden müssen. Vor allem bei Hochschulkonzepten, die auf ein berufsbegleitendes Studium abzielen, gibt es durchaus Varianten, die stattdessen vollständig auf Seminararbeiten und zugehörige Vorträge als Prüfungsleistungen setzen.

  • Eine Alternative könnte sein, sich für eine Studienform zu entscheiden, in der keine schriftlichen Klausurprüfungen abgelegt werden müssen.

    Oder auch der Horror schlecht hin, wenn man mit diesen "freien" Lehrkonzepten überfordert ist, weil man einen gut strukturierten, äußeren Rahmen braucht, den schriftliche Klausuren viel eher als Seminararbeiten bieten. Da sollte man sich vorher wirklich ganz genau im Klaren sein, welcher Typ man ist.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!