Sind 40% der Autismus-Diagnosen falsch?

  • Soll heißen:

    "Das passiert sogar den Aller-, Allerbesten, die trotz Intelligenz, Charme und Weltgewandtheit auch mal "auf dem Schlauch" stehen können."

    Sagt mein Sohn immer mit ironischem Augenzwinkern....

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • auf mein Outing ihr gegenüber dazu meint, dass man mir "das aber gar nicht anmerken würde" und dann sagt sie noch dazu, dass man es anderen Elternteilen, die sich ihr gegenüber als autistisch zu erkennen gegeben hätten, deutlicher anmerken würde. - Da bin ich dann etwas verdutzt,

    Lass' dich von solchen Aussagen nicht verunsichern. Ich hatte ähnliche Erfahrungen gemacht. Als ich noch auf der Warteliste der Uniklinik Köln war, hatte ich ein Vorgespräch für eine ambulante Psychotherapie gehabt. Als ich der Therapeutin von meinem Eigenverdacht bezüglich AS erzählte, reagierte sie ziemlich verdutzt. Ich hatte den Eindruck, dass sie meinen Verdacht ziemlich abwegig fand. Eine Therapie hatte ich dann bei ihr nicht gemacht. Ich kam mir irgendwie wie ein Simulant vor, als hätte ich mich in etwas reingesteigert. Das war kein schönes Gefühl.

  • Glaubst du denn, dass es keine typische Asperger-Gruppe gibt?

    Nicht so richtig.
    Soviel ich weiß, hat Asperger gerade mal vier Jungen beschrieben. Damit hat er einen sehr kleinen Ausschnitt nur abgebildet. Kanner ebenso. Der Rest der Definition, was Autismus ist, hat sich in den Jahren danach entwickelt.
    Wenn man diese vier Jungs als Asperger-Gruppe festlegt, dann wird es einige mit heutiger Asperger-Diagnose geben, die da dazugehören, aber sehr viele auch nicht. Es wäre aber eine ziemlich zufällige Festlegung, weil sie auf so wenigen Kindern beruht.

    Würde ich von Kanner und Asperger ausgehen, wie sie bis zur ICD-10 ungefähr definiert waren, dann hätte ich Anteile von Asperger wie auch von Kanner.

    Ich vermute, es wird gar nicht so leicht sein, eine sinnvolle Unterteilung zu finden. Das geht meiner Meinung nach überhaupt erst, wenn man die genetischen Grundlagen genau kennt. Dann kann man diejenigen mit ähnlichen genetischen Grundlagen in die gleiche Gruppe einteilen. Und selbst dann wird es trotzdem noch Unterschiede geben, weil ich denke, dass auch die sonstigen Anlagen und die Erziehung und die Erfahrungen, die man macht, zum Erscheinungsbild beitragen. Ich bin mit dem Spektrumsgedanken derzeit zufrieden, solange es nichts besseres gibt.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Ich hatte den Eindruck, dass sie meinen Verdacht ziemlich abwegig fand.

    Das gimg mir so, als ich gegenüber der Psychotherapeutin in der Diagnosestelle meiner Tochter meinen Eigenverdacht ausgesprochen habe - da kam sofort "aber doch nicht so richtig mit rumflattern oder so". Sie war dann etwas betreten, als ich (unter Kopfnicken meiner Frau) meinte, dass gerade die Flatterei bei mir recht ausgeprägt sei. Ich bin halt relativ eloquent und selbstbewusst, Blickkontakt geht bzw. simuliere ich gut, deshalb wirke ich in solchen Situationen selbst auf Leute mit Erfahrung erst mal allenfalls ein wenig introvertiert. Dagegen haben in der Bahn Leute schon mal merkwürdig geschaut, als ich in Gedanken weit weg war und dabei die Flatterei unterdrückt habe - das sieht wohl schon etwas merkwürdig, um nicht zu sagen leicht irre aus.

  • Auf einer Seite von "autismus-kultur" wird explizit Bezug genommen auf die erwartete ICD-11 - Neuerung zum Thema tief greifende Entwicklungsstörungen.

    Unter "Kritik" heißt es da zum Beispiel:

    • Den Sinn der Unter-Unterpunkte (mit oder ohne Verlust vorher erworbener Fähigkeiten) kann ich persönlich nicht erkennen. Wissenschaftlich gesehen mag das noch mäßig interessant sein (aber oft nicht mehr gesichert feststellbar und die Kriterien dafür unterscheiden sich von Studie zu Studie), aber sehe die Notwendigkeit nicht, es hier aufzunehmen.
    • Leider implizieren die Unterpunkte eine Dualität: Entweder du bist intelligent oder nicht, entweder du verfügst über funktionale Sprache oder nicht. Grenzbereiche werden nicht gut erfasst.

    Ein ganz großer Wurf wird also wahrscheinlich - zumindest für Autisten - nicht zu erwarten sein. Oder wie Shenya schreibt:

    Ich bin mit dem Spektrumsgedanken derzeit zufrieden, solange es nichts besseres gibt.

    Jetzt könnte man unter dieser Grundvoraussetzung (Spektrum) wieder an die Debatte der angeblich 40 % fehlerhaft/falsch diagnostizierten ASS'ler gehen.


    Und dadurch soll man sich dann besser fühlen, oder?

    Nee, muss man nicht. Galt im übrigen für @Grübler_1988 , nicht für @Lefty.

    Macht ist das Spielzeug der Reichen, das sie mit niemandem teilen (Muriel Barbery, "Die Eleganz des Igels")

  • @Capricorn Ich weiß, dass ich nicht angesprochen war, ich hab nur aus Interesse gefragt. Verzeihung, falls es störend war.
    (Ich meinte mit der Frage, ob es die Intention ist, dass der so Angesprochene sich besser fühlt. Dass man nicht "muss", ist mir klar. Ich finde so eine Redewendung leicht gönnerhaft. Das meine ich allgemein, nicht auf dich @Capricorn persönlich bezogen.)

    2 Mal editiert, zuletzt von Lefty (13. November 2020 um 18:41)

  • Aber wer sagt das denn?

    Und man kann trotzdem auch mal "fünf gerade sein lassen", wenn ein Menschenkind die Diagnose dringend für weitere Hilfen benötigt.


    Ich dachte zwar, dass keiner mich mag, aber nie, dass ich ein Alien bin.

    Soweit funktionierte meine Logik auch. Ein Alien konnte ich nicht sein wenn es in näherer Umgebung keine gibt.
    Ich hatte auch nie den Gedanken "anders" zu sein. Alle anderen waren es. Wie bei dem uralten Witz mit dem Geisterfahrer.

    Leider wollen manchmal die therapeutisch Tätigen eine gesicherte Diagnose vorgelegt bekommen (schon erlebt)

    Und was ist daran "leider"? Es ist doch wichtig zu wissen was los ist. Entsprechend wird ja auch das Therapiekonzept aufgebaut...

    Hohe Zahlen bei der Editierungsanzeige zeigen nicht, dass ich permanent meine Meinung ändern würde. Ich habe nur Probleme Rechtschreib- und Grammatikfehler zu tolerieren und korrigiere diese daher, wenn ich sie sehe.
    Dennoch kann auch ich Tippfehler übersehen. In diesem Fall bitte ich um Nachsicht.

  • Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage:

    Mich wundert diese Aussage, da nicht klar ist, was der Vergleichsmaßstab ist. Es gibt viele verschiedene Diagnosestellen, die allesamt "gleichwertige" und manchmal "konkurrierende" (soll heißen: denen anderer Stellen widersprechende) Diagnosen vergeben.
    Ohne das Erklären einer bestimmten Diagnosestelle zur "Superinstanz", die immer richtig liegt und an der man die Diagnosen anderer Stellen "messen" kann, ergibt die Aussage von Frau Ehrenreich meines Erachtens keinen Sinn. :?
    Oder ist der Gedanke einfach "Wir erachten die von uns gestellten Diagnosen für 100%ig korrekt und messen alle 'Fremddiagnosen' daran"?
    Dann sind die 40% aber ziemlich nichtssagend, die Zahl könnte genauso gut ein Indiz sein, dass die Göttinger Diagnostiker irgendetwas falsch machen. :roll:

    Wir wissen inzwischen:
    Die Aussage bezieht sich wohl auf diesen Artikel

    Die Probanden dieser Studie waren nicht "von auswärtigen Stellen zugewiesen", sondern wurden zum Teil vermittelt duch andere Diagnosestellen, zum Teil haben sie sich auf öffentliche Anwerbung von Probanden freiwillig gemeldet, in jedem Fall haben sie aber freiwillig an der Studie teilgenommen.

    Die Diagnosen bei der Studie wurden nach einem standardisierten Verfahren gestellt: zwei Diagnostiker mit zusammen mehr als 20-jähriger Erfahrung in der Autimusdiagnostik haben die Patienten unabhängig voneinander begutachtet. Bei der Diagnostik kamen u.a. ADOS Modul 4 und ein neu entwickeltes strukturiertes Interview namens PAUSS zum Einsatz. Die Göttinger Diagnose basiert auf einem Konsens beider Diagnostiker:

    The diagnosis was always based on the consensus of the two investigators.

    Den Satz verstehe ich jetzt allerdings nicht ganz. Heißt das jetzt, dass eine Positivdiagnose nur gestellt wurde, wenn sich beide Untersucher einig waren? Oder muss ich mir das wie bei einer Jury im amerikanischen Strafprozess vorstellen: die Untersucher wurden solange 'eingesperrt', bis sie sich entweder auf eine Positivdiagnose oder auf eine Negativdiagnose geeinigt hatten?

    Aber letztlich erklärt dieses Verfahren schon, warum es knapp 40% abweichende Diagnosen gab. Das Diagnoseverfahren war einfach ungewöhnlich aufwändig, und sie wollten wohl sicher gehen, nur zweifelsfreie Diagnosen zu berücksichtigen, weil es in der Studie eigentlich nicht um die Qualität der Diagnosen Dritter ging, sondern um die Evaluation des neuen Diagnostikinstrumentes PAUSS.

    Es wurden in Göttingen sowohl Diagnosen von niedergelassenen Ärzten als auch von Ambulanzen (in dem Fall, den ich kenne Freiburg) widerlegt, ebenso aber auch von allen möglichen Diagnosestellen welche bestätigt.

    Aber nur dann, wenn Göttingen unfehlbar ist - wer das für Hybris hält muss sagen: die Diagnosen wurden den Patienten abgesprochen, keineswegs widerlegt.

    Na dann, wenn du dich daran aufhängst: Sie wurden abgesprochen.

    Eigentlich wurden sie auch nicht abgesprochen, sondern lediglich nach dem aufwändigen Verfahren bei der Studie nicht bestätigt.

    Das ist insoweit ein Unterschied, weil der Proband bei einer solchen Studie gar nicht unbedingt erfährt, ob seine Diagnose bestätigt wurde oder nicht.

    Und für etwaige Hilfen, die er aufgrund der Vordiangnose erhält, ist die Diagnose bei der Studie nicht relevant.

    Selbst wenn ein Proband weiß, dass seine Diagnose in der Studie nicht bestätigt wurde, muss er das beispielsweise nicht dem Versorgungsamt melden, das ihm vielleicht aufgrund der Erstdiagnose eine Schwerbehinderung anerkannt hat. Und eine etwaige Therapie muss er wegen der Negativdiagnose in der Studie auch nicht abbrechen.

    Mit ihrem Team sucht sie deswegen nach neuen Methoden für eine schnelle und sichere Autismus-Diagnose.Ein möglicher Anhaltspunkt könnten hierbei Augenbewegungen sein. In einer Studie sollten Probanden ein fremdes Gesicht mustern. Währenddessen wurden die Augenbewegungen der Versuchsteilnehmer untersucht (Eye-Tracking-Verfahren). Dabei zeigte sich: Autisten tasten Gesichter in einer charakteristischen Art und Weise ab. Ihre Augenbewegungen unterschieden sich nicht nur signifikant zu Menschen ohne Autismus, sondern auch zu Probanden mit anderen psychischen Erkrankungen. „Dies könnte in Zukunft eine effektive Methode sein, um Autismus und ähnliche Krankheitsbilder zuverlässiger zu diagnostizieren“, sagt Hannelore Ehrenreich.

    Das ist ein interessanter Ansatz. Es würde mich schon interessieren, ob ich dieses autismustypische Muster bei den Augenbewegungen habe oder nicht.
    Aber ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass man damit eine gute Trennschärfe zwischen ASS und autistischen Zügen ohne Krankheitswert erzielen kann.
    Und ich würde es nicht als rgument akzeptieren, wenn mir meine Diagnose abgesprochen würde, nur weil ich zeitweise in die falsche Richtung geguckt habe.
    Mehr als ein Anhaltspunkt kann das eigentlich nicht sein oder werden. Die Diagnose muss sich auch weiterhin auf konkrete Beobachtungen bei der sozialen Kommunikation und Interaktion stützen.

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
    Morgen werde ich mich ändern, gestern wollte ich es heute schon. (Christine Busta)

  • "Das ist insoweit ein Unterschied, weil der Proband bei einer solchen Studie gar nicht unbedingt erfährt, ob seine Diagnose bestätigt wurde oder nicht"

    Bei dieser Studie hat man es erfahren auch wenn es nicht bestätigt wurde.
    Und ja beide Diagnostiker mussten der Diagnosestellung zustimmen.

  • Bei dieser Studie hat man es erfahren auch wenn es nicht bestätigt wurde.

    Also hast du genau an dieser Studie teilgenommen?

    Und ja beide Diagnostiker mussten der Diagnosestellung zustimmen.

    Ist mir jetzt wieder nicht klar, ob das nur für die Positivdiagnose gilt, also jeder ein Vetorecht gegen die Positivdiagnose des anderen hatte, oder ob sie sich irgendwie auf eine gemeinsame Positiv- oder eben Negativdiagnose einigen mussten.

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
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    Morgen werde ich mich ändern, gestern wollte ich es heute schon. (Christine Busta)

  • weil es in der Studie eigentlich nicht um die Qualität der Diagnosen Dritter ging, sondern um die Evaluation des neuen Diagnostikinstrumentes PAUSS.

    Dann ist es ja auch absolut sinnvoll - nur darf man gerade dann als seriöser Wissenschaftler nicht als Zwischenüberschrift in die Fachpublikation schreiben "High rate of ASD misdiagnoses in Germany", denn diese Wortwahl unterstellt genau die mangelhafte Qualität von Diagnosen Dritter. Nicht dass ich solche schäbigen Methoden aus der Wissenschaft nicht kennen würde - aber gerade deshalb finde ich sie völlig inakzeptabel.

    Eigentlich wurden sie auch nicht abgesprochen, sondern lediglich nach dem aufwändigen Verfahren bei der Studie nicht bestätigt.

    Auch da gilt: wegen der Zwischenüberschrift, die die Erst- zu Fehldiagnosen erklärt, wurden sie in der Außendarstellung sehr wohl abgesprochen. Klar hat das keine rechtliche Auswirkung für die Probanden, aber eine psychische schon - @Neoni schrieb es ja.

    Sich selbst zum Papst erhöhen, indem man Kollegen pauschal in der Sache unzutreffend niedermacht, und das aus einer Position in einer international renommierten Forschungsinstitution heraus - da weiß ich um die Wirkung in der Community, das wird sich zwischen den Fächern nicht sehr unterscheiden. Ganz üble Nummer mE, wirft auch fachlich kein gutes Licht auf die Beteiligten.

  • @alle
    D.h. ca 38% der 260 Probanden der MPI Göttingen Studie hatten laut deren Kriterien keine ASS.
    Das ist eine korrekte Aussage der Studie. (1)


    Daraus wiederum zu folgern, dass deshalb in Deutschland eine viertel Million AS/HFA fehldiagnostiziert seien finde ich gewagt, pauschal und übertrieben, denn die Probandengruppe entspricht bei weitem weniger als einem zweitausendstel aller ASS (ca. 635.000 AS/HFA) in Deutschland und ist nicht repräsentativ, um sagen zu können:
    ''40% der Autismus-Diagnosen sind falsch''. (2)

    Das ist keine korrekte Aussage über Fehldiagnosen, sondern schlicht eine pauschalisierende Fehlinformation.

    Mich erstaunte beim vollständigen Lesen der Beiträge, dass kaum jemand zu dem Stellung bezieht, was die Zahlen tatsächlich in ihrer Folge bedeuten würden, wenn sie denn zu verallgemeinern wären, wie hin und wieder angedeutet. Aussage (1) kann nicht pauschal verallgemeinert werden, wie in Aussage (2).

    Wir sprechen hier immerhin über eine viertel Million (!)* Menschen die fälschlicherweise die Diagnose AS/HFA erhalten hätten, wenn daraufhin Rückschlüsse auf ganz Deutschland, basierend auf einer einzigen Studie aus Göttingen, gezogen werden würden!
    Ich hoffe dessen sind sich alle bewusst, die die verallgemeinernde Aussage (2) benutzen!
    Denn dies suggeriert Aussage (2), auch fälschlicherweise im Thread-Titel, für die, die nicht genauer im Thread lesen und diese Information am Tisch zu Hause weiter erzählen oder hier zitieren 'als habe ich so gelesen'.

    Dass es eine gewisse Anzahl an 'falschen' AS/HFA Diagnosen in Deutschland geben mag bezweifle ich nicht, aber sicher nicht in dieser folgenschweren Formulierung und Interpretation (2).

    Des weiteren mag ich nochmals betonen, dass mich einfach nur die Folgen einer Auslegung/Interpretation/Misinterpretation der Göttinger Studie durch eine verallgemeinernde Aussage wie: ''40% der Autismus-Diagnosen sind falsch'' erschrecken und wie damit leichtfertig gespielt wird.

    Ich würde niemals auf die Idee kommen, durch eine solche pauschale Sicht, über eine viertel Million autistischer Menschen und deren Stimmigkeit ihrer Diagnose zu urteilen (auch wenn es 'nur' 25.000 wären ... ).
    Ich weiß, das macht hier natürlich keiner, aber die Formulierung (2) suggeriert dies sehr stark, zu stark, und deswegen finde ich diese Formulierung (2) eine grobe Fehlinformation und erachte sie sogar als gefährlicher Unsinn in ihren Auswirkungen.

    Nochmals betone ich: ich kritisiere leichtfertige pauschalisierende Aussagen (2) und nicht per se die Göttinger Studie, sondern eher was durch verallgemeinernde Aussagen versucht wird daraus zu machen.

    Ich bin mir bewusst, dass ich manche mit meiner Wortgenauigkeit in der Formulierung nerve (obwohl ich selbst manchmal genauer lesen sollte) und bitte um Verzeihung wenn dem so sei.

    Vielleicht konnte dieser Beitrag nochmals verdeutlichen, welche Sichtweise nicht außer Acht gelassen werden möge und auch die damit verbundenen Folgen in den erweiterten Zusammenhängen, die daraus entstehen können. Denn man könnte auch von Diskriminierung sprechen, wenn man auf Aussage (2) als Verallgemeinerung auf ganz Deutschland beharrt. Aber soweit mag ich nicht gehen, dies zu behaupten.

    Mein Beitrag bezieht sich auch nicht auf meine Diagnose oder eine Befürchtung, dass man sie mir absprechen könnte. Meine Diagnose wurde zum wiederholten Male nach genauer Prüfung in Folgegesprächen als gesichert bestätigt.

    So nun viel Spaß :) am vermutlich kritischen Zerreißen (RW) meines Beitrages, ... ja das befürchte ich fast jedes mal, wenn ich mir die Arbeit mache genau zu lesen, selbstständig zu denken und möglichst präzise zu schreiben ... :m(:

    * basierend auf: 'Auch in Deutschland rechnen Experten mit etwa 1,16% Menschen im Autismus-Spektrum, davon werden 2/3 dem sogenannten Asperger-Syndrom oder hochfunktionalen Autismus zugeordnet.' Georg Theunissen in Menschen im Autismus-Spektrum. S. 16, 2014.

    Ob die 1,16% alle bereits diagnostiziert sind, frage ich mich selbst gerade oder ob diese Zahl evtl. auch alle bisher Nicht-Diagnostizierten als Schätzung inkludiert ... Dies ändert aber nichts an meiner obigen Stellungnahme, da es mir nicht primär um die Zahlen geht, sondern um die
    Folgen leichtfertiger Aussagen.

    Einmal editiert, zuletzt von maksa (13. November 2020 um 21:57)

  • Die Diagnosen bei der Studie wurden nach einem standardisierten Verfahren gestellt: zwei Diagnostiker mit zusammen mehr als 20-jähriger Erfahrung in der Autimusdiagnostik haben die Patienten unabhängig voneinander begutachtet. Bei der Diagnostik kamen u.a. ADOS Modul 4 und ein neu entwickeltes strukturiertes Interview namens PAUSS zum Einsatz. Die Göttinger Diagnose basiert auf einem Konsens beider Diagnostiker:

    Haben die wirklich "zusammen mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Autismusdiagnostik", steht das so in dem Paper? Ich meine mich zu erinnern dass da von psychiatrischer Erfahrung die Rede war.

    Mich hat übrigens nur einer untersucht, und zwar Dr. Begemann. Ein ADOS gemischt mit IQ-Test Aufgaben, es wurde abgebrochen. Blut abgenommen wurde trotzdem. Dann hieß es, kein Autismus.
    Vielleicht tauche ich nicht in der Studie auf. Aber wozu dann die Blutentnahme?
    Es ist die Frage ob ich ein Einzelfall bin, der einen chaotischen Tag erwischte (es war ja auch nicht in Göttingen selber), oder ob das eher der Normalfall war.


    Das ist ein interessanter Ansatz. Es würde mich schon interessieren, ob ich dieses autismustypische Muster bei den Augenbewegungen habe oder nicht.

    Aber gehen die das, logisch betrachtet, nicht von der falschen Richtung an, also gewissermaßen von "hinten"? Also sie bestimmen erst den Test (beispielsweise diesen PAUSS) und sagen dann: wer den nicht erfüllt ist kein Autist. Also anstatt die Autisten als gegeben anzusehen und den Test nach ihnen zu entwickeln, nehmen sie den Test als gegeben an und die Autisten haben sich danach zu richten. Versteht man irgendwie was ich meine?

  • Aber gehen die das, logisch betrachtet, nicht von der falschen Richtung an, also gewissermaßen von "hinten"? Also sie bestimmen erst den Test (beispielsweise diesen PAUSS) und sagen dann: wer den nicht erfüllt ist kein Autist. Also anstatt die Autisten als gegeben anzusehen und den Test nach ihnen zu entwickeln, nehmen sie den Test als gegeben an und die Autisten haben sich danach zu richten.

    Sehe ich auch so.

    @Neoni
    https://bmcpsychiatry.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12888-015-0494-x
    'A psychologist (AK) and a psychiatrist (MB) with together more than 20 years of clinical experience, both with special training in diagnostics of ASD and relevant differential diagnoses, examined essentially all patients.'

    Die Autoren der Studie, u.a. Begemann und Ehrenreich, versteigen sich leider auch im Artikel selber dazu, sich zur überlegenen Kontrollinstanz zu erklären

    Die Probanden mit ASS-Diagnose von anderen Stellen, aber von ihnen nicht bestätigter ASS-Diagnose, dann einfach zur Kontrollgruppe ohne ASS zu erklären, ist ein meines Erachtens absolut unterirdisches Studiendesign und unterstreicht, wie sehr sie von der Unfehlbarkeit ihres diagnostischen Urteils, im Kontrast zum Urteilsvermögen der anderen, überzeugt waren.

    Sehe ich auch so.

    Einmal editiert, zuletzt von maksa (13. November 2020 um 22:21)

  • Mich hat übrigens nur einer untersucht, und zwar Dr. Begemann. Ein ADOS gemischt mit IQ-Test Aufgaben, es wurde abgebrochen. Blut abgenommen wurde trotzdem. Dann hieß es, kein Autismus.
    Vielleicht tauche ich nicht in der Studie auf. Aber wozu dann die Blutentnahme?

    Bei mir wurde die Blutentnahme auch ganz am Anfang, also an Tag 1, gemacht. Es wurde ja auch gleich gefragt ob das überhaupt ok ist. Wenn nein wäre die ganze Sache an dieser Stelle schon beendet gewesen.
    Da das bei Dir abgebrochen wurde, vermute ich mal, dass Dein Blut verworfen wurde.

    Hohe Zahlen bei der Editierungsanzeige zeigen nicht, dass ich permanent meine Meinung ändern würde. Ich habe nur Probleme Rechtschreib- und Grammatikfehler zu tolerieren und korrigiere diese daher, wenn ich sie sehe.
    Dennoch kann auch ich Tippfehler übersehen. In diesem Fall bitte ich um Nachsicht.

  • 'A psychologist (AK) and a psychiatrist (MB) with together more than 20 years of clinical experience, both with special training in diagnostics of ASD and relevant differential diagnoses, examined essentially all patients.'

    Also psychiatrische Erfahrung (ohne nähere Bezeichnung), und "special training in diagnostics of ASD", das wird dann ein ADOS-Kurs gewesen sein. Auf ca 10 Jahre Erfahrung (pro Person) als Autismus-Diagnostiker würde ich da jetzt nicht schließen.
    Ist das eigentlich üblich, dass die Jahre Erfahrung der beteiligten Personen einfach zusammen gezählt werden?

  • Haben die wirklich "zusammen mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Autismusdiagnostik", steht das so in dem Paper?

    Offenbar habe ich das zu flüchtig gelesen. Da steht tatsächlich nur

    'A psychologist (AK) and a psychiatrist (MB) with together more than 20 years of clinical experience, both with special training in diagnostics of ASD and relevant differential diagnoses, examined essentially all patients.'

    also 20 Jahre klinische Erfahrung, aber nicht unbedingt im Bereich Autismus.

    Aber gehen die das, logisch betrachtet, nicht von der falschen Richtung an, also gewissermaßen von "hinten"? Also sie bestimmen erst den Test (beispielsweise diesen PAUSS) und sagen dann: wer den nicht erfüllt ist kein Autist. Also anstatt die Autisten als gegeben anzusehen und den Test nach ihnen zu entwickeln, nehmen sie den Test als gegeben an und die Autisten haben sich danach zu richten. Versteht man irgendwie was ich meine?

    Man versteht es. Und ich finde es auch etwas fragwürdig, wenn das bereits in die Diagnose mit einfließt. Das wäre sinnvoller gewesen, dieses PAUSS-Interview unabhängig von der Diagnostik zu machen und dann zu gucken, wie weit das übereinstimmt. Oder habe ich da den Text falsch verstanden?

    ich kritisiere leichtfertige pauschalisierende Aussagen (2) und nicht per se die Göttinger Studie, sondern eher was durch verallgemeinernde Aussagen versucht wird daraus zu machen.

    Mich erstaunte beim vollständigen Lesen der Beiträge, dass kaum jemand zu dem Stellung bezieht, was die Zahlen tatsächlich in ihrer Folge bedeuten würden, wenn sie denn zu verallgemeinern wären, wie hin und wieder angedeutet. Aussage (1) kann nicht pauschal verallgemeinert werden, wie in Aussage (2).

    nur darf man gerade dann als seriöser Wissenschaftler nicht als Zwischenüberschrift in die Fachpublikation schreiben "High rate of ASD misdiagnoses in Germany", denn diese Wortwahl unterstellt genau die mangelhafte Qualität von Diagnosen Dritter. Nicht dass ich solche schäbigen Methoden aus der Wissenschaft nicht kennen würde - aber gerade deshalb finde ich sie völlig inakzeptabel.

    Grundsätzlich stimme ich euch beiden zu, dass aus der Studie natürlich nicht gefolgert werden kann und darf, dass 40% der Autismusdiagnosen in Deutschland falsch sind
    Allerdings weiß ich nicht, woher die absoluten Zahlen kommen

    Daraus wiederum zu folgern, dass deshalb in Deutschland eine viertel Million AS/HFA fehldiagnostiziert seien finde ich gewagt, pauschal und übertrieben, denn die Probandengruppe entspricht bei weitem weniger als einem zweitausendstel aller ASS (ca. 635.000 AS/HFA) in Deutschland und ist nicht repräsentativ, um sagen zu können:
    ''40% der Autismus-Diagnosen sind falsch''.

    Woher weißt du, dass es ca. 635000 AS/HFA-Diagnosen in Deutschland gibt? Das erscheint mir doch sehr viel. Ich kann es nicht widerlegen, aber auch nicht verifizieren,

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
    Morgen werde ich mich ändern, gestern wollte ich es heute schon. (Christine Busta)

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