Sind 40% der Autismus-Diagnosen falsch?

  • In einem anderen Thread wurde dieser Satz der Neurologin und Psychiaterin Hannelore Ehrenreich aus einem Artikel auf der Website der Max-Planck-Gesellschaft zitiert:

    Uns von auswärtigen Stellen zugewiesene ASS Patienten sind in 40 Prozent der Fälle fehldiagnostiziert

    Im weiteren Verlauf des Threads wird diskutiert, dass diese Aussage und die ursprüngliche Zusammenfassung im Titel "40% der Autismus-Diagnosen sind falsch" möglicherweise irreführend sind. Ich habe daher den Titel dieses Threads geändert in "Sind 40% der Autismus-Diagnosen falsch?" (Tuvok)

    Mich wundert diese Aussage, da nicht klar ist, was der Vergleichsmaßstab ist. Es gibt viele verschiedene Diagnosestellen, die allesamt "gleichwertige" und manchmal "konkurrierende" (soll heißen: denen anderer Stellen widersprechende) Diagnosen vergeben.
    Ohne das Erklären einer bestimmten Diagnosestelle zur "Superinstanz", die immer richtig liegt und an der man die Diagnosen anderer Stellen "messen" kann, ergibt die Aussage von Frau Ehrenreich meines Erachtens keinen Sinn. :?

    Oder ist der Gedanke einfach "Wir erachten die von uns gestellten Diagnosen für 100%ig korrekt und messen alle 'Fremddiagnosen' daran"?
    Dann sind die 40% aber ziemlich nichtssagend, die Zahl könnte genauso gut ein Indiz sein, dass die Göttinger Diagnostiker irgendetwas falsch machen. :roll:

    "He that can take rest is greater than he that can take cities." ~ Benjamin Franklin

    Ich hab mehr Spielwiesenbeiträge als du!

    2 Mal editiert, zuletzt von Tuvok (14. November 2020 um 10:42)

  • Zudem ist Göttingen meines Wissens nach als besonders streng bekannt. Wenn dort 40% der externen Probanden die Diagnose nicht bekommen, ist das dann noch nicht unbedingt eine Fehldiagnose. BAP, Broader Autism Phenotype, passt da vermutlich oft viel besser.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Zudem ist Göttingen meines Wissens nach als besonders streng bekannt.

    Würde ich nicht sagen. Vielleicht als besonders realistisch?
    BAP rechtfertigt halt oft keine Autismus-Diagnose. Dort wird es noch als wirkliche Störung angesehen.

  • Ich suche ja auch aktuell extrem, da ich die Diagnose eigentlich innerhalb von 12 Tagen erhalten müsste.
    In dem Autismus Flyer der KBO Klinken steht sogar dass nur 15% der Anfragenden die Diagnose erhalten, bei vielen gibt es zwar autistische Merkmale aber nicht ausreichend um eine Diagnose zu stellen.

    Ist zwar nicht vergleichbar, da es ja nur um Verdacht geht, aber vielleicht dennoch interessant.

  • Vielleicht geht es auch nur um das interne Gerangel, wer denn nun Papst ist - und das macht man am einfachsten, indem man allen anderen Fehler vorwirft. Nichts anderes heißt die Aussage ja: "wir merken dauernd, wie blöd (ersatzweise: schlampig) die anderen sind".

    Ich glaube nicht fehlzugehen mit der Annahme, dass Frau Ehrenreich nicht zum engeren Freundeskreis der Herren Vogeley und Tebartz gehört - um es mal ganz vorsichtig zu formulieren.

  • Ich glaube nicht fehlzugehen mit der Annahme, dass Frau Ehrenreich nicht zum engeren Freundeskreis der Herren Vogeley und Tebartz gehört - um es mal ganz vorsichtig zu formulieren.

    Es geht hierbei auch in den seltensten Fällen um Diagnosen aus Köln. So viel kann ich sagen :)

  • BAP ist aber eben nicht gleichbedeutend mit Fehldiagnose. Zumal, wenn anderswo die Diagnose gestellt wurde. Da in Göttingen nach genetischen Ursachen gesucht wird, verwundert nicht, wenn sie sich auf die sehr eindeutigen Fälle konzentrieren.

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  • BAP ist aber eben nicht gleichbedeutend mit Fehldiagnose. Zumal, wenn anderswo die Diagnose gestellt wurde. Da in Göttingen nach genetischen Ursachen gesucht wird, verwundert nicht, wenn sie sich auf die sehr eindeutigen Fälle konzentrieren.

    Ich habe bisher ca. 10 mal die Diagnose Autismus bekommen, auch in Göttingen. Von Strenge habe ich da nichts bemerkt. Aber ich bin auch wohl ein klarer Fall, obwohl ich erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde und als Kind behandelt wurde auf Zwangsstörung, die vom Autismus herkam und sich chronifiziert hat.

  • BAP ist aber eben nicht gleichbedeutend mit Fehldiagnose. Zumal, wenn anderswo die Diagnose gestellt wurde.

    Eben. Der zitierte Satz ist zuallererst ein Ausweis erheblicher Arroganz gegenüber den Kollegen, denn er enthält ja eben die Anmaßung, die einzig relevante Stelle zu sein. Bei so jemandem wäre ich mißtrauisch, das riecht doch etwas nach fehlender Selbstkritik.

  • Auch für mich liest sich die Aussage gleichermaßen arrogant wie unkollegial. Fachliche Kritik kann man auch anders anbringen. Und als Proband sollte man sich klarmachen, dass Forschung zwar nicht subjektiv und beliebig, von politischen, institutionellen und persönlichen Kontexten aber auch nicht abgekoppelt ist.

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  • Taufkirchen: Autismus, klarer Fall, sehr sicher (Diagnostik, jahrelange regelmäßige ambulante psychiatrische Betreuung)
    Begemann (Göttingen): kein Autismus, keinerlei (!) autistische Merkmale
    Schilbach, MPI München (ehemals Köln): Autismus, klarer Fall, sehr sicher (monatelanger geschl. Psychiatrieaufenthalt wg Depression, ASS-Tagesklinik)
    Ich habe GdB 80 G,B, bin erwerbsunfähig, Pflegestufe 2 (soviel zu schwer/leicht beeinträchtigt).
    Mich haben damals Leute gefragt, ob ich Autistin wäre, bevor ich wusste, was Autismus ist. Zwar bin ich formal hochfunktional, aber so völlig unsichtbar kanns also auch nicht sein.
    Vielleicht erkennt er nur ganz typische Asperger-Autisten, aber keine "normalen" Autisten, keine Ahnung.

  • Wenn dort 40% der externen Probanden die Diagnose nicht bekommen, ist das dann noch nicht unbedingt eine Fehldiagnose. BAP, Broader Autism Phenotype, passt da vermutlich oft viel besser.

    Stimmt. Der Ausdruck "Fehldiagnose" (Substantiv) suggeriert nicht dass die Symptome zwar autismusbedingt sind aber nicht hätten ausreichen sollen (bei den anderen, "schwachen" Diagnosestellen) für eine Autismus Diagnose sondern suggeriert stattdessen dass sie für etwas psychiatrisch Diagnostizierbares ausreichen aber dass Letzteres nicht Autismus sei. Allerdings sagt "fehldiagnostiziert" (Adjektive) vielleicht nur dass es ein Fehler war diesen Patienten eine Diagnose zu geben. Patienten dieser Kategorie könnten entweder zur zweiten Gruppe (die mit der falschen Diagnose) oder zur ersten (die mit zu wenigen Einschränkungen) gehören, weil beide wären "fehldiagnostiziert" im Sinne der Anklage.

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

    2 Mal editiert, zuletzt von Unbewohnte Insel (12. November 2020 um 19:01)

  • Ich habe bisher ca. 10 mal die Diagnose Autismus bekommen, auch in Göttingen. Von Strenge habe ich da nichts bemerkt. Aber ich bin auch wohl ein klarer Fall, obwohl ich erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde und als Kind behandelt wurde auf Zwangsstörung, die vom Autismus herkam und sich chronifiziert hat.

    Warum hast du 10 Mal die Diagnosik gemacht?

    Ich wurde bei Dr Schilbach im MPI München Diagnostiziert.
    Bei mir war der Fall auch klar.

    Ich weiß von lesen hier im Forum das Diagnose Stellen keine Diagnosen verschenken.

    Habe die Diagnosik einmal gemacht .

    Mir wurde gesagt ich bekomme jetzt die Hilfe ,die ich immer schon gebraucht habe.

    Das Do ist der Weg. :prof:

  • Oder ist der Gedanke einfach "Wir erachten die von uns gestellten Diagnosen für 100%ig korrekt und messen alle 'Fremddiagnosen' daran"?

    Das ist auch mein Verständnis. Wenn Frau Ehrenreich es auch so meint, dann mutet es schon etwas weltfremd an, die eigene Arbeit für unfehlbar zu halten.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Muss man den von @Abendstern zitierten Satz ("Uns von auswärtigen Stellen zugewiesene ASS Patienten sind in 40 Prozent der Fälle fehldiagnostiziert") nicht auch so verstehen:

    Göttingen bekommt von auswärtigen Diagnose-Stellen Menschen mit ASS-Diagnose zur Einholung einer zweiten Meinung zugewiesen. Denn "zuweisen" heißt, dass die Betroffenen ja nicht von selbst nach Göttingen spaziert sind, um eben mal nachzufragen: Ist meine Diagnose richtig?, sondern dass der Erstdiagnostiker sie dahin geschickt hat. Warum sollte er das tun, wenn er sich vollkommen sicher ist?

    Und wenn solche "zugewiesenen" Patienten dann vielleicht 2 pro Monat sind (denn dass ganz Deutschland seine ASS-Diagnosen in Göttingen überprüfen lässt, können wir wohl ausschließen), kommen wir auf 24 im Jahr. Davon vierzig Prozent: ca. 10 falsch Diagnostizierte jährlich, und dann eingerechnet, dass auch Göttingen nicht die Superinstanz ist, die alles nur hundertprozentig richtig macht, sich also auch mal irren kann - viel Lärm um nichts, dieser Lärm um Göttingen!

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

  • @FrankMatz Interessanter Punkt.
    Angenommen, es ist tatsächlich so zu verstehen, dann müsste man aber bedenken, dass die "zugewiesenen" Patienten allesamt keine "Standard-Durchschnittsfälle", sondern gerade die "schwierigen", unklaren Fälle wären.

    Diese Patienten wären dann aber natürlich keineswegs repräsentativ für alle (anderswo) diagnostizierten Autisten, und die Rate von 40% ließe sich entsprechend nicht auf die Gesamtmenge der (anderswo) Diagnostizierten verallgemeinern.

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    Ich hab mehr Spielwiesenbeiträge als du!

  • Und wenn solche "zugewiesenen" Patienten dann vielleicht 2 pro Monat sind (denn dass ganz Deutschland seine ASS-Diagnosen in Göttingen überprüfen lässt, können wir wohl ausschließen), kommen wir auf 24 im Jahr.

    Was ist das denn für eine Rechnung ohne jegliche Grundlage?

  • Zitat

    Muss man den von @Abendstern zitierten Satz ("Uns von auswärtigen Stellen zugewiesene ASS Patienten sind in 40 Prozent der Fälle fehldiagnostiziert") nicht auch so verstehen:

    Göttingen bekommt von auswärtigen Diagnose-Stellen Menschen mit ASS-Diagnose zur Einholung einer zweiten Meinung zugewiesen. Denn "zuweisen" heißt, dass die Betroffenen ja nicht von selbst nach Göttingen spaziert sind, um eben mal nachzufragen: Ist meine Diagnose richtig?, sondern dass der Erstdiagnostiker sie dahin geschickt hat. Warum sollte er das tun, wenn er sich vollkommen sicher ist?

    Und wenn solche "zugewiesenen" Patienten dann vielleicht 2 pro Monat sind (denn dass ganz Deutschland seine ASS-Diagnosen in Göttingen überprüfen lässt, können wir wohl ausschließen), kommen wir auf 24 im Jahr. Davon vierzig Prozent: ca. 10 falsch Diagnostizierte jährlich, und dann eingerechnet, dass auch Göttingen nicht die Superinstanz ist, die alles nur hundertprozentig richtig macht, sich also auch mal irren kann - viel Lärm um nichts, dieser Lärm um Göttingen!

    Also ich wurde nicht "zugewiesen" sondern bin freiwillig ohne ärztliches Anraten zu einer Studie gegangen. Daher dürften die meisten Fälle stammen.

    Ich halte "Uns von auswärtigen Stellen zugewiesene ASS Patienten" einfach für umständliches Psychiater-Deutsch.

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