Autismus - Behinderung oder Krankheit?

  • von maksa: "Es wird ja nicht eine unendlich ansteigende Zahl von ASS Diagnose geben, die hohe Zunahme die momentan zu beobachten ist, resultiert auch aus der Diagnose von älteren AS (z. B. über vierzig) über die bisher hinweg gesehen wurde und auch aus der Zunahme von Diagnosestellen, sowie einer breiteren Information zum Thema ASS in der Bevölkerung." ??????

    Nö.
    Die von mir zitierte Untersuchung in USA resultiert nicht aus der zunehmenden Zahl von Diagnosen bei Älteren, sondern aus systematischen Standard-Tests bei Schul-Anfängern, bei denen eben seit vielen Jahren der Anteil der "positiv diagnostizierten" Kinder auffällig steigt - bei gleichen Tests. Und eben, wenn sie weiter so steigt, sind 2050 die Hälfte der Kinder bei einheitlichen Schultests im Spektrum. Warum das so ist, wird noch spekuliert, manche sagen, es sei Evolution.
    Kein Hintergrund von aufgeweichten Kriterien.
    Und die steigende Zahl von Erwachsenen, die eine Diagnose erhalten, ist nur ein Anzeichen dafür, dass früher (oder immer noch) eben nicht solche standardisierten Tests bei Schülern stattfanden, man schlug nur einen Test vor, wenn jemand auffällig wurde.

    Ja, derzeit sagen die NTs noch, sie seien die Norm. Aber nur, weil sie die Mehrheit bilden. Noch. Nichts spricht wissenschaftlich gesehen dafür, dass ein NT-Gehirn mit seiner Verschaltung die Norm sein muss. Es ist nur eine Konvention. Ein Zahlenspiel von Mehrheit und Macht.

  • Warum das so ist, wird noch spekuliert, manche sagen, es sei Evolution

    Was völliger Quatsch ist - warum sollte ohne Selektionsdruck plötzlich Evolution in eine eigentlich für die Art nachteilige Richtung laufen, denn das wäre eine explosionsartige Vermehrung kommunikationsgestörter Individuen bei einer bisher in Herden lebenden Art, die zudem einen massiven Trend hin zu sehr viel größeren Herden erlebt. Evolutiv völlig absurd - außer vielleicht für Aspies, die sich partout als Krone der Schöpfung bzw. Evolution sehen wollen.

  • Ich persönlich finde, dass man sich weder für eine Krankheit noch für eine Störung noch für eine Behinderung schämen muss. Wer diese Begriffe als geeignet ansieht, andere herabzusetzen und zu beleidigen, hat aus meiner Sicht selbst eine Sinnesbeeinträchtigung.

    Das sehe ich auch so.
    Ich habe gelesen das bei Autisten das gehirn anders verknüpft sein soll, ich weiß nur nicht ob das bei allen Autisten so ist, ich vermute das es nicht wirklich viele Studien darüber gibt, aber hier kann man ja auch von Störung sprechen, weil ein Organ nicht so aufgebaut ist wie das des Durchschnitts, und deswegen anders funktioniert.
    Schämen muss man sich dafür gewiss nicht, man schadet niemandem damit und man kann auch nichts dafür das es so ist.
    Die Idee, das menschen, die das anders sehen aus Mangel an Verständnis auch eine art Beeinträchtigung haben finde ich spannend. Ich hatte schon öfter die Idee, wie viele Menschen es doch gibt, die wirklich auf Grund von mangelndem sozialen Geist, nicht in der Lage sind auf eine vernüftige Weise mit anderen umzugehen.
    Ich bin selbst nicht wirklich gut darin mich in die Lage von anderen hineinzuversetzen, wenn ich nicht die gleichen Erfahrungen machen konnte, aber es ist sehr selten, das ich kein Mitgefühl aufbringen kann. Sowas passiert mir dann eher bei Menschen die wissentlich sich in eine für sie schlechte Lage gebracht haben. Ich empfinde da zwar auch keine Schadenfreude aber ich kann sagen das es gerecht ist. Wer wissentlich anderen bewusst schadet, oder auch sich selbst, muss/sollte die Konsequezen auch spüren.
    Würde das ausbleiben (was durchaus vorkommt), ist es ein Ungleichgewicht.
    Da endet dann auch mein Mitgefühl oder Verständnis, also wenn jemand jammert und bettelt wegen seiner eigens verursachten Misere.
    Hier bei solchen Menschen, auch wie du sie beschrieben hast, die deutliche Defizite besitzen für ein soziales Miteinander, von denen gibt es wirklich viele finde ich, die müssten auch eine art Behinderung haben, eine soziale Behinderung.

    Go bad or go home!

  • Alle drei Begriffe sind unter Betroffenen umstritten, weil sie teilweise in abfälliger Form gebraucht werden.
    Im englischsparchigen Raum wird daher anstelle von "autism spectrum disorder" (Autismus Spektrum Störung) oft von "autism spectrum condition" gesprochen. Eine gute und gebräuchliche deutsche Übersetzung dafürf habe ich noch nicht gefunden.

    Ich habe keinen Übersetzungsvorschlag und brauche keinen, weil ich nicht vorhabe, Texte zu übersetzen, in denen die Formulierung autism spectrum condition vorkommt.

    In der obigen Situation hast Du eine Übersetzung gebraucht und die Formulierung 'noch nicht' verwendet, dies hat mich zu meinen Überlegungen angeregt. Vielleicht wäre es dann einfach auch sinnvoller von Dir gewesen die Formulierung 'noch nicht' und den Begriff Autism Spectrum Condition nicht zu verwenden, weil Dich eine Übersetzung, die von einer dieser Formulierung suggeriert wurde gar nicht interessiert.

    Wenn du das so verstanden hast, dass ich auf der Suche nach einer brauchbaren Übersetzung wäre, dann hätte ich es vielleicht wirklich besser weggelassen.

    Ich wollte eigentlich nur zum Ausdruck bringen, dass es im englischsprachigen Raum weit verbreitet ist, die Formulierung 'disorder' (=Störung) zu vermeiden und durch 'condition' zu ersetzen.
    Das trägt aber nicht wirklich zur Klärung bei, ob Autismus eine Krankheit, Störung, Behinderung oder noch etwas ganz anderes ist. Man versucht nur, durch die Formulierung zu vermeiden, die Betroffenen ständig damit zu konfrontieren, dass ihre autism spectrum condition auch alle Aspekte einer Störung und einer Behinderung erfüllt.

    Das im deutschsprachigen Raum hierzu keine Kultur vorhanden scheint, wie von Dir bemerkt, finde ich auch bemerkenswert, bzw. bedenklich.

    Eine gewisse Tendenz in diese Richtung gibt es auch im deutschsprachigen Raum. Einige Autoren lassen zum Beispiel das Wort 'Störung' einfach weg. Für mich klingt das aber sprachlich etwas holprig, wenn ich sage "Fritzchen hat Autismus Spektrum', und die Formulierung wird auch nicht so einheitlich und häufig bebraucht wie das englische 'autism spectrum condition'.

    Nun mich hat die Übersetzung Autismus-Spektrum-Phänotyp sehr gefreut, da ich dadurch vieles erkennen durfte und dazugelernt habe und er auch hin und wieder in Studien Verwendung findet, dort allerdings als Autismus Phänotyp, also so ganz abwegig ist mein Übersetzungsvorschlag nicht.

    Abwegig ist dein Vorschlag ganz und gar nicht. Er drückt auch in etwa das aus, was mit autism spectrum condition gemeint ist, und wäre als freie Übersetzung zumindest brauchbar. Aber gebräuchlich ist er nicht und wird sich wahrscheinlich auch als deutschsprachige Entsprechung für 'autism spectrum condition' nicht durchsetzen.

    Letztlich ist es "nur" eine angeborene andere Verschaltung von Nervenbahnen im Gehirn (ohne Umwege durchs Limbische System), somit eine "Normvariante".

    Es ist auch eine Normvariante, aber ganz bestimmt nicht "nur" eine Normvariante.
    Wenn ich sage, es wäre 'nur' eine Normvariante, dann blende ich die Tatsache aus, dass es für eine Diagnose zwingend erforderlich ist, dass diese Normvariante mit 'klinisch signifikanten Beeinträchtigungen (DSM 5)' verbunden sein muss.
    Und damit ist man letztlich doch wieder dort angelangt, wo eigentlich 'Störung' die treffendste Bezeichnung ist.

    Die Nervenbahnen zum limbischen System haben ja durchaus eine sinnvolle Funktion und sind mehr als nur Umwege.

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
    Morgen werde ich mich ändern, gestern wollte ich es heute schon. (Christine Busta)

  • m englischsparchigen Raum wird daher anstelle von "autism spectrum disorder" (Autismus Spektrum Störung) oft von "autism spectrum condition" gesprochen. Eine gute und gebräuchliche deutsche Übersetzung dafürf habe ich noch nicht gefunden.

    Englisch ist meine Muttersprache und ich habe gerade versucht zu verstehen was genau, aus philologischer Sicht "autism spectrum condition" bedeutet, unabhängig sozusagen vom Thema Autismus. Eine "condition" ist ein Zustand und kann sowohl gut oder schlecht sein ("It's in good/bad condition") aber man spricht auch von einer "condition" wenn man von einer Krankheit im allgemeinen Sinne, oder Zustand mit Krankheitswert, redet. Zum Beispiel: jemand mit Bronchitis hat ipso facto eine lung condition aber nicht umgekehrt. Eine lung condition ist etwas Generisches, weil man nicht weiß, wenn man weiß dass jemand eine lung condition hat, um welche Krankheit es sich handelt, es könnte Bronchitis, Krebs, eine Lungenentzündung, etwas Angeborenes usw sein. Eine autism spectrum condition in dem Sinne wäre ein Zustand mit Krankheitswert der innerhalb des autism spectrum (Autismusspektrum) fällt. Es wäre der generische Begriff für autistische Zustände, genauso wie eine lung condition der generische Begriff für diagnostisch relevante pneumologische Zustände ist. In dem Wort "autistisch" liegt schon der Begriff "diagnostisch relevant", in dem Wort "Lunge" aber nicht, weil niemand wird mit einer Lunge diagnostiziert, als pulmonem habens, sozusagen (weil pulmonem habere nicht pathologisch ist) mit Autismus schon.

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

    4 Mal editiert, zuletzt von Unbewohnte Insel (2. November 2020 um 22:03)

  • Nö.
    Die von mir zitierte Untersuchung in USA resultiert nicht aus der zunehmenden Zahl von Diagnosen bei Älteren, sondern aus systematischen Standard-Tests bei Schul-Anfängern, bei denen eben seit vielen Jahren der Anteil der "positiv diagnostizierten" Kinder auffällig steigt - bei gleichen Tests. Und eben, wenn sie weiter so steigt, sind 2050 die Hälfte der Kinder bei einheitlichen Schultests im Spektrum. Warum das so ist, wird noch spekuliert, manche sagen, es sei Evolution.

    Du sagst, es wird spekuliert warum das so ist, und -manche- sagen, es sei Evolution.
    Ich denke dass es eher Sozialisation sein wird (Erwachsene behandeln Kinder anders, gehen anders mit ihnen um, das wirkt sich auch auf die Hirnreifeentwicklung aus).
    Und ich denke dass dann die Definition für Autismus im Sinne des DSM verändert werden, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gesellschaft ein Interesse daran hätte, für 50% der Kinder teure Sonderförderung, Therapien ect zu bezahlen bzw das wäre sicher nicht möglich (selbst wenn man es wollen würde).

  • Bis 2050 sollen schon 50 % der Schulkinder als "im Spektrum" diagnostiziert sein (US-Studie), die dann folgende Generation hat dann mehrheitlich die eine oder andere Form von Autismus, stellt also die Mehrheit, die Norm dar. Ab dann sind dann die NTs die Normvariante! Wird dann NT-Sein eine Krankheit/Störung/Behinderung genannt? (Oh, ich wünschte, ich wäre dabei, das wird spannend!)

    Die von mir zitierte Untersuchung in USA resultiert nicht aus der zunehmenden Zahl von Diagnosen bei Älteren, sondern aus systematischen Standard-Tests bei Schul-Anfängern, bei denen eben seit vielen Jahren der Anteil der "positiv diagnostizierten" Kinder auffällig steigt - bei gleichen Tests.

    Du hast keine Untersuchung aus den USA 'zitiert' sondern allenfalls ihren Inhalt mit eigenen Worten wiedergegeben.
    Ein Zitat wäre eine wörtliche Wiedergabe mit Quellenangabe. Es gibt hier sicherlich einige Mitleser, die das gerne im Originaltext nachrecherchieren würden.

    Und eine 'Studie' kann grundsätzlich immer nur das erfassen, was im Beobachtungszeitraum passiert ist und nicht, was in Zukunft passieren wird.
    Eine aus Daten der Vergangenheit abgeleitete Prognose ist immer nur spekulativ und hat etwas von Kaffeesatzleserei, auch wenn die zugrundeliegenden Daten noch so sorgfältig und nach wissenschaftlichen Kriterien erhoben sein sollten.

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
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  • Englisch ist meine Muttersprache und ich habe gerade versucht zu verstehen was genau, aus philologischer Sicht "autism spectrum condition" bedeutet, unabhängig sozusagen vom Thema Autismus. Eine "condition" ist ein Zustand und kann sowohl gut oder schlecht sein ("It's in good/bad condition") aber man spricht auch von einer "condition" wenn man von einer Krankheit im allgemeinen Sinne, oder Zustand mit Krankheitswert, redet.

    Interessant.

    leo.org liefert zum Beispiel auch:
    condition - state of health
    =Kondition, körperlich-seelische Verfassung

    Wobei das Wort condition aber letztlich doch offen lässt, ob es einen Krankheitswert hat oder nicht. Das steckt, wenn überaupt, eher im Wort autism.

    Also letztlich ist das für mich eine bewusst schwammig gehaltene Formulierung, um zu vermeiden, den Betroffenen damit zu konfrontieren, dass das was er hat eine Störung ist und einen Krankheitswert hat.

    Für mich persönlich brauche ich eine solche schonende Wortwahl nicht. Ich kann gut damit Leben, wenn das was ich habe als Störung oder Behinderung bezeichnet wird.

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  • Interessant.

    Danke :) . Ich brauche "good vibes".


    Wobei das Wort condition aber letztlich doch offen lässt, ob es einen Krankheitswert hat oder nicht. Das steckt, wenn überaupt, eher im Wort autism.

    Stimmt. Eine "bowel condition" ist aber etwas wo jemand Probleme hat mit seinen bowels, obwohl bowels auch in einer guten condition sein können und keine negative Sache sind (ohne bowels würde man sterben). Die Bedeutung "Krankheitswert" kommt, meiner Ansicht nach, von dem Kontext, von der Tatsache dass man gerade dabei ist über Krankheit oder Störungen oder Diagnosen oder Prognosen zu reden. Jemand kann keine house condition oder mountain condition oder blue condition oder balloon condition haben, aber im medizinischen Bereich kann man eine finger condition, ear condition, knee condition, leg condition, eye condition, inflammatory condition, infectious condition, dangerous condition, blood condition, capillary condition, rare condition usw. haben. Auch eine autism spectrum condition.

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

    Einmal editiert, zuletzt von Unbewohnte Insel (2. November 2020 um 22:37)

  • Mir geht und ging es nie in meiner Formulierung um die (bewusste, beabsichtigte) Vermeidung und Negierung des Begriffes 'Störung', mir geht es eher um die (kreative menschliche) Erweiterung, sei es hinsichtlich starrer Formulierungen, Toleranz, dem Abbauen verhärteter Abgrenzungen.

    Hier der grundlegende Vortrag von Simon Baron-Cohen discusses ASD vs. ASC, der die Begrifflchkeit im englischsprachigen Raum eingeführt, bzw. mehr verbreitet hat

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  • Schöner Vortrag. Danke. :)

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

  • Der Begriff Krankheit passt hier vor allem deshalb nicht, weil man (noch?) keine objektivierbare medizinische Ursache kennt

    Letztlich ist es "nur" eine angeborene andere Verschaltung von Nervenbahnen im Gehirn (ohne Umwege durchs Limbische System), somit eine "Normvariante".


    mir scheint es so, dass diese beiden Aussagen sich widersprechen. also wenn ich „eine angeborene andere Verschaltung“ als „objektivierbare medizinische Ursache“ auffasse

  • Autismus-Spektrum-Störungen sind in der (derzeit gültigen) ICD 10
    (Internationale Klassifikation von Krankheiten) in den Ziffern F 84.0,
    84.1 und 84.5 genannt
    zugleich eine Behinderung i.S.d. § 2 SGB IX bzw. § 35 a SGB VIII,
    d.h. Beeinträchtigung der Teilhabe
    Ziel der Autismustherapie ist gemäß Aufgabe der Eingliederungshilfe
    §§ 53, 54 SGB XII (körperlich, geistig oder mehrfachbehindert)
    bzw. § 35 a SGB VIII (nur seelisch behindert)
    Eingliederung in die Gesellschaft entsprechend der jeweiligen
    Lebensaltersstufe
    Es geht um die Milderung der Folgen der Behinderung Autismus

    Hier zu finden :
    https://www.lvr.de/media/wwwlvrde…smus-Tagung.zip

  • § 35 a SGB VIII (nur seelisch behindert)

    und gilt nur für Kinder und Jugendliche!

    Der Begriff Krankheit passt hier vor allem deshalb nicht, weil man (noch?) keine objektivierbare medizinische Ursache kennt.

    Letztlich ist es "nur" eine angeborene andere Verschaltung von Nervenbahnen im Gehirn (ohne Umwege durchs Limbische System), somit eine "Normvariante".

    mir scheint es so, dass diese beiden Aussagen sich widersprechen. also wenn ich „eine angeborene andere Verschaltung“ als „objektivierbare medizinische Ursache“ auffasse

    Der Stand der Forschung ist, dass es wohl mindestens einige tausend messbare (anatomische, neurologische, genetische) Merkmale gibt, wo sich eine Gruppe von Autisten signifikant von einer Gruppe von Nichtautisten unterscheidet.

    Ein paar dieser Merkmale werden auch in dem oben verlinkten Vortrag von S. Baron-Cohen erwähnt:

    • Die Amygdalae in einer Gruppe von Autisten ist signifikant kleiner als in der Kontrollgruppe
    • Das corpus collosum in einer Gruppe von Autisten ist signifikant kleiner als in der Kontrollgruppe
    • Die präfontale Aktivität im Gehirn als Reaktion auf bekannte Gesichter ist in einer Gruppe von Autisten signifikant geringer als in der Kontrollgruppe
    • Das Hirnwachstum in der frühen Kindheit ist in einer Gruppe von Autisten stärker als in der Kontrollgruppe
    • ...

    Man könnte diese Liste noch sehr lange fortsetzen. Baron-Cohen führt nur exemplarisch ein paar solcher Merkmale auf.

    Alle diese Merkmale haben folgendes gemeinsam
    1. Es ist -für sich allein betrachtet- völlig harmlos. Man kann z.B. gar nicht sagen, ob es besser ist, ein großes corpus collosum zu haben oder ein kleines.
    2. Es gibt auch Autisten, die dieses Merkmal nicht haben
    3. Es gibt auch Nicht-Autisten, die dieses Merkmal haben

    Allerdings lässt ein statistischer Zusammenhang mit Autismus nicht den Schluss zu, dass auch ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Und keines dieser Merkmale lässt den eindeutigen Schluss zu, dass der Betroffene eine Form von Autismus hat. Zur Diagnostik sind die Merkmale allesamt ungeeignet.

    Da inzwischen mehrere tausend solcher Merkmale bekaant sind, dürfte jeder Autist (und jeder Nichtautist) seine ganz persönliche Kombination haben, welche von diesen Merkmalen er hat und welche nicht. Der Autist hat wahrscheinlich mehr von diesen Merkmalen, als der Nichtautist, aber es gibt vielleicht keinen Menschen auf der ganzen Welt, der gar keines von diesen Merkmalen hat.

    Auch wenn jedes einzelne Merkmal für sich betrachtet völlig harmlos ist, kann natürlich die Kombination vieler solcher Merkmale letztlich auch ursächlich sein für Autismus. Aber derzeit ist man noch weit davon entfernt, sagen zu können, welche Kombinationen dieser Merkmale sicher zu Autismus führen, und noch viel weiter entfernt davon, zu verstehen, waum das so ist. Und damit haben wir letztlich eben noch keine "objektivierbare medizinische Ursache".

    Schöner Vortrag.

    Zumindest ein interessanter Vortrag.

    Grundsätzlich stimme ich auch zu, dass die von ihm exemplarisch aufgeführten Merkmale -jedes für sich- völlig harmlos sind und man gar nicht sagen kann, ob es besser ist, es zu haben oder es nicht zu haben.

    Allerdings sind es ja auch nicht diese neurologisch messbaren Einzelmerkmale, die Autismus zu einer Störung machen, sondern es sind die in den Diagnosekriterien genannten Eigenarten der sozialen Kommunikation und Interaktion. Und in diesen Punkten unterscheidet sich jeder Autist so deutlich von einem Nichtautisten, dass der Unterschied klinisch bedeutsam ist und die Bezeichnung "Störung" rechtfertigt.

    Interessant fand ich auch, dass Simon Baron-Cohen sich nicht nur mit der Formulierung "Störung", sondern auch mit dem Wort "tiefgreifend" in "tiefgreifende Entwicklungsstörung" nicht einverstanden ist.
    Da gebe ich ihm eigentlich Recht: die Formulierung ist zumindest nichtssagend und schafft wenig Klarheit, was da eigentlich genau gestört sein soll. "Störung der sozialen Kommunikation und Interaktion" fände ich da treffender.

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
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    Einmal editiert, zuletzt von Tuvok (9. November 2020 um 20:36)

  • um den § 35 a SGB VIII etwas mehr Leben einzuhauchen:

    Wir betreuen in unserer Einrichtung nach SGB XIII. Wir nehmen Kinder und Jugendliche mit dem § 34 und 35a auf. Grundlegend geht es darum, dass Kinder zu Hause nicht die Möglichkeit haben die für sie nötige Unterstützung, Forderung und Förderung zu bekommen. Ziel ist es die Bewohner soweit zu unterstützen, dass sie irgendwann soweit den Alltag meistern können, dass eine Rückführung in die Familie oder ein eigenständiges Wohnen (mit entsprechendem Alter und Voraussetzungen) möglich ist. Die seelische Behinderung ist nicht immer von Anfang an diagnostiziert, oft wird das während dem Aufenthalt gemacht, selten ist es nur eine einzelne Einschränkung, meist kommen frühkindliche Bindungsstörungen, Intelligenzminderungen, Lernschwächen, usw dazu.

  • Gibt es dazu evtl. eine Übersicht des aktuellen Forschungstandes?

    Ich fürchte, eine vollständige Übersicht dazu wird es nirgends geben.

    Dafür sind es einfach viel zu viele Einzelmerkmale, die man da auflisten müsste. Allein bei den Genen sind es mehrere hundert, die mit Autismus assoziiert sind.

    Aber es gibt wirklich unzählige, zum Teil sehr spezielle und aufwändige Untersuchungen (z.B. mit MRT und/oder Eyetracking), wo signifikante Unterschiede zwischen einer autistischen Gruppe und einer nicht-autistischen Kontrollgruppe gefunden wurden. Und man müsste eigentlich jedesmal die Originalveröffentlichung lesen, um zu erfahren, was da ganz genau gemacht wurde. Ich selbst habe allein bei vier solchen Studien (mit jeweils mehreren Teiluntersuchungen) als Proband teilgenommen.

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    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
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  • Aber es gibt wirklich unzählige, zum Teil sehr spezielle und aufwändige Untersuchungen (z.B. mit MRT und/oder Eyetracking), wo signifikante Unterschiede zwischen einer autistischen Gruppe und einer nicht-autistischen Kontrollgruppe gefunden wurden. Und man müsste eigentlich jedesmal die Originalveröffentlichung lesen, um zu erfahren, was da ganz genau gemacht wurde. Ich selbst habe allein bei vier solchen Studien (mit jeweils mehreren Teiluntersuchungen) als Proband teilgenommen.

    Gibt es zu den Studien mit dem Eyetracking Veröffentlichungen, bzw Links?? Würde mich sehr interessieren.

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