In Deutschland tritt die ICD-11 erst 2022 oder so in Kraft.
Ich bin da nicht so. Wenn jemand nach 2022 noch immer nicht darüber nachgedacht hat und daher den Begriff "unschuldig" weiterverwendet, mache ich ihm ebensowenig einen Vorwurf wie heute. Es gibt da für mich keine Regelung, dass man ab einem bestimmten Stichtag die veralteten Worte nicht mehr nutzen sollte und bis dahin schon.
Die Theorie wurde nicht aufgegeben, das ist ein Missverständnis. Sie fanden bloß noch keine Unterscheidungsmerkmale, daher schmissen sie erstmal wieder alles zusammen. Das ist mehr eine Kapitulation vor der (bisherigen) Erfolglosigkeit der Forschung, als ein Fortschritt ("es ist alles dasselbe").
Ok, kann man natürlich so sehen. Könnte natürlich sein, dass eines Tages tatsächlich Unterscheidungsmerkmale gefunden werden, das will ich jetzt auch nicht ausschließen. Da bisher aber keine gefunden werden konnten würde ich das schon als Fortschritt werten, dass man diese Unterschiede bis dahin (sollte man sie je finden) auch nicht mehr macht. Ein Kanner-Autist, der in der späteren Entwicklung nicht von einem Asperger zu unterscheiden war, bleibt nun nicht mehr für immer ein Kanner-Autist. Das kann aus Sicht von "Aspies" unter dem Aspekt von Identifikationsfaktoren zwar schmerzhaft sein, für die ehemaligen Kanner-Autisten die nicht von Aspies zu unterscheiden waren ist es aber denke ich auf jeden Fall ein Gewinn. Aber unabhängig davon für wen das nun besser ist spiegelt es halt einfach den Stand der Forschung wider, und da bleibt mir halt gar nichts anderes übrig als das anzuerkennen.
Ich persönlich glaube nicht, dass der Unterschied hinfällig geworden ist. Also empfinde ich die große Gleichmacherei als schlicht nicht den Tatsachen entsprechend.
Vielleicht ist auch das ein Missverständnis. Ich würde natürlich weiterhin zwischen Störungsbildern unterscheiden. Was aber zumindest bis auf weiteres wegfällt ist der Nährboden für Ideologien, die unüberwindbare Hindernisse zwischen allen bisherigen Subtypen ausmachten. Wie in dem obigen Beispiel bereits genannt: man muss anerkennen, dass der Kanner-Autist ein Aspie werden kann. Das heißt natürlich nicht, dass jeder Autist zu jeder Zeit ein vergleichbares Störungsbild zeigt und in diesem Sinne alle gleich sind.
Ich denke dass der Begriff weit vielschichtiger und breiter in der Bedeutung ist, als du ihn jetzt verstehst. Nur weil Atwood den in dem Text verwendet hat, heißt das nicht, dass er nur noch diese einzige Konnotation hat und keine andere mehr, und für immer "verseucht" ist.
So eindimensional verstehe ich ihn gar nicht. Es sind halt zwei Dimensionen, die dazu kommen: zum Einen ist es nicht so, dass diese Definition nur bei Attwood irgendwo quasi fast versteckt in einem seiner vielen Bücher wäre. Eigentlich mag ich es jetzt gar nicht verlinken, aber Du findest es z.B. hier https://autismus-kultur.de/autismus/autis…-von-aspie.html als deutschsprachige Version, die gerne weitergeteilt wird. Zum anderen, und das ist finde ich viel entscheidender, ist nicht nur die Verniedlichung "Aspie", sondern eben auch "Asperger" überholt. Klar, es mag noch ein Jahr dauern bis die Diagnosen auch in Deutschland nicht mehr das Wort beinhalten, und bis das Forum hier nicht mehr die Eintragung der verschiedenen Subtypen im Profil vorsieht dauert es vielleicht auch noch ein paar Jährchen länger. Es ist aber nur mehr eine Übergangszeit, in der der Begriff ausgeschlichen wird, eine weitergehende Bedeutung hat er abseits von autistic pride nicht mehr.
Wie gesagt, ich mach' da auch niemandem einen Vorwurf, wenn er den Begriff bis dahin aus Gewohnheit weiterverwendet. Ob ich ihn noch ein Jahr, noch fünf Jahre weiterverwende oder es bereits seit einem Jahr nicht mehr tue spielt keine Rolle. Nur: einen Grund, an dem Begriff festhalten zu wollen, den sehe ich nicht.