US-amerikanische Autismuskultur und der Begriff "Aspie"

  • In Deutschland tritt die ICD-11 erst 2022 oder so in Kraft.

    Ich bin da nicht so. Wenn jemand nach 2022 noch immer nicht darüber nachgedacht hat und daher den Begriff "unschuldig" weiterverwendet, mache ich ihm ebensowenig einen Vorwurf wie heute. Es gibt da für mich keine Regelung, dass man ab einem bestimmten Stichtag die veralteten Worte nicht mehr nutzen sollte und bis dahin schon.

    Die Theorie wurde nicht aufgegeben, das ist ein Missverständnis. Sie fanden bloß noch keine Unterscheidungsmerkmale, daher schmissen sie erstmal wieder alles zusammen. Das ist mehr eine Kapitulation vor der (bisherigen) Erfolglosigkeit der Forschung, als ein Fortschritt ("es ist alles dasselbe").

    Ok, kann man natürlich so sehen. Könnte natürlich sein, dass eines Tages tatsächlich Unterscheidungsmerkmale gefunden werden, das will ich jetzt auch nicht ausschließen. Da bisher aber keine gefunden werden konnten würde ich das schon als Fortschritt werten, dass man diese Unterschiede bis dahin (sollte man sie je finden) auch nicht mehr macht. Ein Kanner-Autist, der in der späteren Entwicklung nicht von einem Asperger zu unterscheiden war, bleibt nun nicht mehr für immer ein Kanner-Autist. Das kann aus Sicht von "Aspies" unter dem Aspekt von Identifikationsfaktoren zwar schmerzhaft sein, für die ehemaligen Kanner-Autisten die nicht von Aspies zu unterscheiden waren ist es aber denke ich auf jeden Fall ein Gewinn. Aber unabhängig davon für wen das nun besser ist spiegelt es halt einfach den Stand der Forschung wider, und da bleibt mir halt gar nichts anderes übrig als das anzuerkennen.

    Ich persönlich glaube nicht, dass der Unterschied hinfällig geworden ist. Also empfinde ich die große Gleichmacherei als schlicht nicht den Tatsachen entsprechend.

    Vielleicht ist auch das ein Missverständnis. Ich würde natürlich weiterhin zwischen Störungsbildern unterscheiden. Was aber zumindest bis auf weiteres wegfällt ist der Nährboden für Ideologien, die unüberwindbare Hindernisse zwischen allen bisherigen Subtypen ausmachten. Wie in dem obigen Beispiel bereits genannt: man muss anerkennen, dass der Kanner-Autist ein Aspie werden kann. Das heißt natürlich nicht, dass jeder Autist zu jeder Zeit ein vergleichbares Störungsbild zeigt und in diesem Sinne alle gleich sind.

    Ich denke dass der Begriff weit vielschichtiger und breiter in der Bedeutung ist, als du ihn jetzt verstehst. Nur weil Atwood den in dem Text verwendet hat, heißt das nicht, dass er nur noch diese einzige Konnotation hat und keine andere mehr, und für immer "verseucht" ist.

    So eindimensional verstehe ich ihn gar nicht. Es sind halt zwei Dimensionen, die dazu kommen: zum Einen ist es nicht so, dass diese Definition nur bei Attwood irgendwo quasi fast versteckt in einem seiner vielen Bücher wäre. Eigentlich mag ich es jetzt gar nicht verlinken, aber Du findest es z.B. hier https://autismus-kultur.de/autismus/autis…-von-aspie.html als deutschsprachige Version, die gerne weitergeteilt wird. Zum anderen, und das ist finde ich viel entscheidender, ist nicht nur die Verniedlichung "Aspie", sondern eben auch "Asperger" überholt. Klar, es mag noch ein Jahr dauern bis die Diagnosen auch in Deutschland nicht mehr das Wort beinhalten, und bis das Forum hier nicht mehr die Eintragung der verschiedenen Subtypen im Profil vorsieht dauert es vielleicht auch noch ein paar Jährchen länger. Es ist aber nur mehr eine Übergangszeit, in der der Begriff ausgeschlichen wird, eine weitergehende Bedeutung hat er abseits von autistic pride nicht mehr.

    Wie gesagt, ich mach' da auch niemandem einen Vorwurf, wenn er den Begriff bis dahin aus Gewohnheit weiterverwendet. Ob ich ihn noch ein Jahr, noch fünf Jahre weiterverwende oder es bereits seit einem Jahr nicht mehr tue spielt keine Rolle. Nur: einen Grund, an dem Begriff festhalten zu wollen, den sehe ich nicht.

    Einmal editiert, zuletzt von Prof. Dr. X (22. September 2020 um 22:49)

  • Ein Kanner-Autist, der in der späteren Entwicklung nicht von einem Asperger zu unterscheiden war, bleibt nun nicht mehr für immer ein Kanner-Autist.

    Ich sehe da zwei Möglichkeiten:
    A: Ein Asperger, der als Kind aus verschiedenen Gründen für einen Kanner-Autist gehalten wurde (niedriger IQ und/oder ADHS, Aussprachestörung aufgrund motorischer Probleme oder auditiver Verarbeitungsstörung, "normale" Entwicklungsverzögerung wie sie NT-Kinder auch haben können, oä)
    B: Ein Kanner-Autist, der als Erwachsener aufgrund hoher Intelligenz und hoher Anpassungsfähigkeit für einen Asperger-Autist gehalten wird und nach außen auch so wirkt, die Welt aber dennoch ganz anders wahrnimmt und auch andere Schwierigkeiten hat.

    Bist du B hast du Pech gehabt, weil jeder sagt: das gibt es nicht, es gibt keinen Unterschied. Es kommt auch zu selten vor.


    Was aber zumindest bis auf weiteres wegfällt ist der Nährboden für Ideologien, die unüberwindbare Hindernisse zwischen allen bisherigen Subtypen ausmachten.

    Ist das nicht ein bisschen zu hoch gehängt? Also nehmen wir mal an es gäbe eine "Kopfschmerz-Spektrum-Störung": der eine hat Migräne und der andere hat Kopfschmerzen von zu hohem Blutdruck. Da muss man doch keine Politik mit betreiben, oder behaupten, der eine würde den anderen benachteiligen, sich besser stellen wollen ect... das sind einfach medizinische Zustandsbeschreibungen, das hat mit Politik nichts zu tun.

  • Ist das nicht ein bisschen zu hoch gehängt? Also nehmen wir mal an es gäbe eine "Kopfschmerz-Spektrum-Störung": der eine hat Migräne und der andere hat Kopfschmerzen von zu hohem Blutdruck. Da muss man doch keine Politik mit betreiben, oder behaupten, der eine würde den anderen benachteiligen, sich besser stellen wollen ect... das sind einfach medizinische Zustandsbeschreibungen, das hat mit Politik nichts zu tun.

    Sollte man meinen, aber dem ist ja nicht so.

    Ich weiß nicht, ob ich das jetzt so einfach auf Dein Beispiel übertragen kann. Es gibt aber keine Kopfschmerz-Pride-Fraktion ("ja ich habe Kopfschmerzen und bin stolz darauf, denn ich kann durch die Kopfschmerzen Dinge, die Menschen ohne Kopfschmerzen nicht können!") und dass es sich bei Kopfschmerzen überhaupt um Schmerzen handelt wird ja auch nicht angezweifelt ("es ist kein Kopfschmerz, sondern bloß die natürliche Vielfalt von Bewusstseinszuständen").

    Wenn es sie gäbe, würde dieses Positivkonstrukt jedoch nur in Abgrenzung zu den Migräne-Leuten funktionieren. Dass es bloß eine andere, vollkommen funktionale Daseinsart sein soll wenn man aufgrund der Migräne nichts mehr hinbekommt, nimmt einem niemand ab und diejenigen, die darunter so leiden können mit solch einer Ideologie auch nichts anfangen, sie wollen stattdessen bloß Hilfe.

    Wenn dann der Punkt kommt an dem man feststellt, dass es sich bei beiden Störungsbildern um Kopfschmerzen handelt, die halt mal mehr und mal weniger intensiv aber nicht grundsätzlich voneinander abgrenzbar sind, fällt dieses ideologische Konstrukt der Kopfschmerz-Pride-Fraktion in sich zusammen.

    Ab dann kann man sich nun entweder versuchen dagegen zu wehren ("nein die Migräne-Leute haben keine Kopfschmerzen, das haben nur wir!") und weiter auf Forderungen beharren ("Kopfschmerzen gehören aus der Liste der Krankheiten gestrichen!") und weiter Identität formen ("wir sind nicht einfach nur Menschen mit Kopfschmerzen, wir sind ganz besondere Menschen, mit den Migräne-Leuten haben wir nichts zu tun") oder, wie Du es ja auch vorschlägst, einfach Realitäten anerkennen. Wenn ich letzteres tue, muss ich die bisherigen Begriffe als überholt ansehen und von einer Kopfschmerzspektrumstörung reden.

  • Als Synonym für Autismus oder für...?

    Als Synonym für Asperger Syndrom.

    Wenn man Autismus sagt, denken manchen Menschen eher an Kanner als an hochfunktionale Autisten. Und da benutze ich Aspie oder auch Asperger, damit es besser verstanden werden kann.
    Den Begriff 'hochfunktionalen Autismus' mag ich persönlich nicht, weil er in meinem Ohren arrogant und nach 'was Besserem' klingt. Weil viele Menschen auch erst den Begriff 'hochfunktional' höhren - und dann schon nicht mehr auf den Begriff 'Autismus' achten.

    Ich möchte, dass Menschen, die mich nach meinen Problemen fragen, mich verstehen. Und da rede ich halt mit Laien anders, als ich es mit Fachleuten evtl. tun würde.

    Auf der anderen Seite habe ich mir vor vielen Jahren angewöhnt, Dinge so zu erklären, dass Grundschulkinder mir grundsätzlich folgen können. Ich brauche keine Fremdwörter oder Fachbegriffe um mich zu profilieren oder mein Gegenüber zu verwirren.

    ~ Es ist kein Zeichen von Gesundheit, an eine von Grund auf kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein. ~

  • (...) das sind einfach medizinische Zustandsbeschreibungen, das hat mit Politik nichts zu tun.

    Das ist der entscheidende Punkt.ASler unterscheiden sich von anderen "Autisten" durch unterschiedliche Grunderkrankungen.Auch die nicht "aspergerischen" Autisten können sich sehr voneinander unterscheiden.

    "Stand der Forschung"... Sorry,aber da kann ich nur noch lachen.Die Erfindung des "Autismus-Spektrums" beruht doch nur darauf daß die Forscher keine Ahnung von den Ursachen haben und nicht in der Lage sind eine klare und sinnvolle Definition von "Autismus" zu liefern.

    Was den Begriff "Aspie" angeht:Ich verwende den schon sehr lange nicht mehr.Wenn ihn aber andere verwenden hab ich kein Problem damit.

  • Ich mag daß Wort Aspie. So rein vom Klang her.
    Insofern verwende ich es auch.
    Auch wenn mir mein Autismus immer wieder Probleme macht und Anstrengungen erfordert, ist das deutlich weniger, als Kanner-Autist*innen täglich leisten müssen. Eine ganze Weile empfand ich sogar die Aussage "Ich bin Autistin" ohne den Hinweis auf Aspie eher wie "Hochstapelei".
    Das änderte sich erst durch den Austausch mit einer Kanner-Autistin. Es gab einfach zu viele Gemeinsamkeiten, um noch eine "Abgrenzung" vornehmen zu können.
    In Folge dann unter uns "Wir Aspies" als liebevolles Kosewort zu gemeinsamen Anders, weil im Autismusspektrum ASS.
    Das aber würde - wenn man ein ähnlich kürzt zu....
    "Assis" - und ob das jetzt echt so eine gute Alternative wäre.... :d

  • Worin liegt der Unterschied zwischen einem Kanner-Autisten und einem Asperger-Autisen? Außer, dass
    laut DSM-IV:

    Verzögerungen oder abnorme Funktionsfähigkeit in mindestens einem der folgenden Bereiche mit Beginn vor dem dritten Lebensjahr: soziale Interaktion, Sprache als soziales Kommunikationsmittel oder symbolisches oder Fantasiespiel.

    Verstehe ich das richtig, dass nur der Beginn der 'Auffälligkeiten', also Kanner-Autist VOR dem dritten Lebensjahr und Asperger-Autist AB dem vierten/fünften Lebensjahr, der Unterschied ist?

    (kleine Ergänzung: Georg Theunissen schreibt in Menschen im Autismus-Spektrum auf S. 16, 2014. Auch in Deutschland rechnen Experten mit etwa 1,16% Menschen im Autismus-Spektrum, davon werden 2/3 dem sogenannten Asperger-Syndrom oder hochfunktionalen Autismus zugeordnet.)

    Einmal editiert, zuletzt von maksa (23. September 2020 um 08:12)

  • Den Begriff 'hochfunktionalen Autismus' mag ich persönlich nicht, weil er in meinem Ohren arrogant und nach 'was Besserem' klingt. Weil viele Menschen auch erst den Begriff 'hochfunktional' höhren - und dann schon nicht mehr auf den Begriff 'Autismus' achten.

    Genau das, da schwingt für viele Hörer im Hintergrund doch immer "hochintelligent" mit, auch wenn es nicht so gemeint ist.

    Aber wie wir zur Zeit ja auch bei sehr viel wichtigeren Dingen sehen, kann man alles und jedes zu einem angeblichen Fehlverhalten aufblasen - gern durch völlig überzogenene Interpretation einer Wortwahl. Wer's braucht, soll es im Kleinen machen so wie bei "Aspie", da stört es weit weniger als das dämliche Geschwafel von der "Gleichschaltung der Presse".

  • Wenn man Autismus sagt, denken manchen Menschen eher an Kanner als an hochfunktionale Autisten. Und da benutze ich Aspie oder auch Asperger, damit es besser verstanden werden kann.

    Das verstehe ich insofern gut, alsdass es z.Zt. vielleicht tatsächlich noch der Fall sein kann. In den letzten zwei Jahrzehnten war in den Medien aufklärungstechnisch von Aspies, Aspergern die Rede, manche haben davon gehört.

    Es wird halt denke ich aber der Punkt kommen, an dem sich das komplett gewandelt hat. Wenn dann gefragt wird: "hä Aspie, was ist denn das?" - "(lange Erklärung)" - "achso Du bist Autist, sag' das doch gleich! Oder gibt's da einen Unterschied?" - "Nein" - "Alter, warum benutzt Du dann so seltsame Wörter die niemand versteht. Ist das autistisch?"

  • Eine Unterscheidung oder Betitelung als low functioning oder high functioning wird übrigens auch verurteilt, weil das dehumanisierend und unmenschlich sei, weil Menschen nicht nach Funktionalität beurteilt werden sollen. Ich find das hammerhart bescheuert, weil eben nicht ein Autist wie der andere ist. Und weil eben Ärzte ebenfalls unterteilen.

    Mein Papa muss bei Autismus immer an LFA-Kannerautisten denken, weil das eben die sind, die man im TV meistens zu sehen bekommt (weil natürlich "extreme" Fälle von TV-Redakteuren immer bevorzugt werden...). Hätte ich ihm mich sofort als Asperger vorgestellt, hätte er das vermutlich akzeptieren können. Jetzt hat er aber sofort das Bild von LFA im Kopf und sagt, ich sei nicht so und deswegen müsse das eine Fehldiagnose sein. Und sowas hab ich schon öfter gehört, auch im Job.

    In meinen Augen gibt es sehr wohl verschiedene Arten von Autismus. Das zu sagen und zu anzuerkennen bedeutet nicht, dass man eine für besser oder schlechter hält (obwohl, sind wir mal ehrlich: ich bin froh, kein LFA zu sein!) oder sich darüber stellen oder profilieren will. Ich empfinde auch, dass man, alleine aus Respekt heraus, eine eigene Bezeichnung beibehalten sollte, damit man eben nicht LFA ihren Begriff "mopst". Das führt am Ende nur zu Problemen - weil die Leute dann vll, anders herum, das Bild eines Aspergers im Kopf haben, der vll ganz gut klar kommt, und nicht verstehen, dass es auch andere Autisten gibt, die mehr Hilfe benötigen.

    Mir ging es übrigens auch so, dass ich am Anfang das Gefühl hatte, nicht "Autist" sagen zu wollen, weil mein Autismus nicht so schwer ist wie der von anderen...

    anyone can carry his burden,
    however hard, until nightfall.


  • Es wird halt denke ich aber der Punkt kommen, an dem sich das komplett gewandelt hat. Wenn dann gefragt wird: "hä Aspie, was ist denn das?" - "(lange Erklärung)" - "achso Du bist Autist, sag' das doch gleich! Oder gibt's da einen Unterschied?" - "Nein" - "Alter, warum benutzt Du dann so seltsame Wörter die niemand versteht. Ist das autistisch?"

    Als Linguistin gesprochen: Dieses Szenario halte ich für extrem unrealistisch, zumindest für die nächsten Jahrzehnte. So schnell werden Begriffe nicht vergessen oder ersetzt. Sprache ist dynamisch, aber wir sprechen hier von Dynamiken über Jahrzehnte oder, für manche Strukturen, sogar Jahrhunderte. Sprache wandelt sich auch nicht schneller, weil etwas von außen nun so diktiert wird.

    Man wird immer den Ausdruck verwenden, der die höhere Aussagekraft besitzt, also distinktiver ist. Das ist in diesem Fall der Begriff "Asperger". Der von dir beschrieben Fall wird in naher Zukunft nicht eintreten. Da müssten ganze Generationen dazwischenliegen und der Begriff zwanghaft ausradiert werden, und selbst dann würden sich die Leute vermutlich andere Wörter einfallen lassen, um innerhalb einer großen, unmarkierten Gruppe genau und markiert benennen zu können, *welcher* Autist man ist - da es eben keinem gerecht wird, wenn man LFA, HFA, Asperger in einen Topf wirft.

    anyone can carry his burden,
    however hard, until nightfall.

  • Georg Theunissen schreibt in Menschen im Autismus-Spektrum auf S. 16, 2014. Auch in Deutschland rechnen Experten mit etwa 1,16% Menschen im Autismus-Spektrum, davon werden 2/3 dem sogenannten Asperger-Syndrom oder hochfunktionalen Autismus zugeordnet.

  • In der ICD-11 ist eine Aufteilung nach Fähigkeiten vorgesehen, also ob eine geistige Behinderung vorliegt oder nicht, ob eine Einschränkung der Sprache vorliegt oder nicht.
    Ich frage mich, ob es dann auch Leute geben wird, die es als überheblich auffassen, wenn jemand sagt, dass er in die Kategorie 6A02.0 eingeteilt wurde.

    https://icd.who.int/browse11/l-m/e…ity%2f334423054

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Ich frage mich, ob es dann auch Leute geben wird, die es als überheblich auffassen, wenn jemand sagt, dass er in die Kategorie 6A02.0 eingeteilt wurde.

    Das sind immerhin ca. 635.000 autistische Menschen mit der Diagnose
    6A02.0 Autism spectrum disorder without disorder of intellectual development and with mild or no impairment of functional language, heutzutage Asperger-Syndrom/HFA F84.5

  • Als Linguistin gesprochen: Dieses Szenario halte ich für extrem unrealistisch, zumindest für die nächsten Jahrzehnte.

    Ich vermag keine Prognose zu nennen, es hängt eben auch sehr davon ab wie groß der "Widerstand" ist. Wenn in den nächsten zwei Jahrzehnten im Gegensatz zu den letzten zwei Jahrzehnten in den Medien über "Autisten" statt über "Aspies" aufgeklärt wird, wird "Aspies" umgangssprachlich dahingehend vermutlich keine Bedeutung mehr haben. Diejenigen, die damals von "Aspies" gehört haben werden es zwar natürlich noch erinnern (und vielleicht fragen, warum man den Begriff immer noch verwendet).


    selbst dann würden sich die Leute vermutlich andere Wörter einfallen lassen, um innerhalb einer großen, unmarkierten Gruppe genau und markiert benennen zu können, *welcher* Autist man ist

    Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Ich verstehe zwar was Du meinst, aber die Idee, überhaupt genau benennen zu können "welcher Autist" man sei entspringt ja der überholten Vorstellung, dass man solche Unterscheidungen überhaupt machen könne. Interessant in diesem Kontext die Erzählung von @Happy to be mit ihrer Begegnung einer Kanner-Autistin.

    Das änderte sich erst durch den Austausch mit einer Kanner-Autistin. Es gab einfach zu viele Gemeinsamkeiten, um noch eine "Abgrenzung" vornehmen zu können.


    Es stellt sich also die Frage, ob man an dieser Vorstellung der grundsätzlichen Verschiedenheit festhalten will und wenn ja, warum. Wenn man nicht an dieser Vorstellung festhalten will, braucht es diese "anderen Wörter", denke ich, nicht.

    Das ist deswegen aber keine Gleichmacherei und auch kein alles in einen Topf werfen. Es gibt ja nicht nur noch den Begriff "Autist", sondern eben auch den Begriff der Autismus-Spektrum-Störung. Das "Spektrum" beinhaltet ja bereits die Bedeutung, dass es einen großen Bereich gibt, innerhalb dessen etwas erscheinen kann. Es ist letztlich das Gegenteil von Gleichmacherei, denn es gibt nun eine viel größere Bandbreite.

  • Ich frage mich, ob es dann auch Leute geben wird, die es als überheblich auffassen, wenn jemand sagt, dass er in die Kategorie 6A02.0 eingeteilt wurde.

    Ich wüsste nicht, wieso. Es stellt ja die dann gegenwärtige Klassifizierung dar, die man nutzt. Man zweifelt damit nicht an den Forschungsergebnissen der Fachwelt usw.

    Die Überheblichkeit kommt aus meiner Sicht erst dann als möglicher(!) Grund in Frage, wenn man das alles nicht akzeptieren will und weiter auf die Einteilung in verschiedene Subtypen besteht, die sich als nicht tragfähig herausgestellt hat.

  • Dieses Mal ging es um das Wort "Aspie". Eine US-Amerikanerin sagte: Das ist verletzend und gefährlich, "wir" wollen so nicht genannt werden, denn Asperger war ein Nazi.
    Ich habe höflich und sachlich geantwortet, dass man das mMn differenziert betrachten muss und es komplex ist; der Konsens der Forschung ist: Er hat mitgearbeitet, aber er war wohl selbst kein überzeugter Nazi. Außerdem, dass ich mich meistens als "Aspie" bezeichne und das auch bsp. in Deutschland nicht verpönt ist.
    Ich wurde übel beschimpft und beleidigt, sogar als Rassist, Bully, Tyrann und Ableist, weil ich einen Nazi verteidige. Offenbar gibt es keine Möglichkeit, etwas differenziert zu betrachten.

    Ach, dieses Thema schon wieder. Einigen Leuten zufolge muss man Personen aus unserer Kultur verbannen, weil sie irgendwann, irgendwie irgendwen diskriminiert haben. Oder eben Nazis waren. Ebenso halten sie es für schick, mit abwertenden Bezeichnungen zu argumentieren, deshalb haben sie dich auch so schnell Rassist, Ableist und so weiter genannt.
    Mir kommt vor, das ist ein übertriebener Reinheitskult. Hat das nicht mit diesen Social Justice Warriors zu tun, oder bringe ich da etwas durcheinander?

    "Igitt, die Muse hat mich geküsst." ~ ein autistischer Künstler

  • Es wird halt denke ich aber der Punkt kommen, an dem sich das komplett gewandelt hat.

    Ich bin jetzt 61 und schätze, dass ich diesen Punkt nicht mehr erleben werde.

    Hat das nicht mit diesen Social Justice Warriors zu tun, oder bringe ich da etwas durcheinander?

    Sehe ich auch so.

    ~ Es ist kein Zeichen von Gesundheit, an eine von Grund auf kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein. ~

  • Woraus jemand Überheblichkeit ableitet ist ja willkürlich.
    Tatsache ist, diese wird bei solchen gebraucht, um den schwachen Selbstwert aufzupimpen.
    Dazu kann alles benutzt werden, und jeder Begriff damit belegt werden.
    Formte "Bier diesen schönen Körper" - stolz auf Kumpels mit denen getrunken wird und die Menge, die verzagen wird....im Unterschied zu den spaßbefreiten miesepetrigen Asketen, mit dem Bauch "Leistungsnachweis",
    oder handelt es sich um einen "geistig minderbemittelten Typen, der die einfachsten Zusammenhänge nicht kapiert und dazu nicht mal auf sich achtet, die Gesellschaft mit Gegröhle in der Gruppe anderer Dummer belästigt und verantwortungslos andere die Folgekosten tragen lässt?"
    Das Wort "Wampe" kann so oder so "aufgeladen werden mit Bedeutung".
    Problematisch wird es dort, wo die hineingelegte "Mit-Bedeutung" sich von sachlich-beschreibenden löst, und mit auf/abwertende Subtext belegt wird, um dann für diesen die Deutungshoheit zu erlangen. Und zwar inclusive der eigenen jeweiligen Auf/Abwertungen
    So htaten viele Jahre ja die Nazis und Rechtsradikalen daß Wort Heimat für sich in ihrer BeDeutung belegt. Bis dahin, dass andere ihnen dieses Wort überlassen hatten und mieden.
    Wer das unbelegt als "Ort, an den ich mich angenommen und zu Hause fühle" verwendete, bekam von denen, die es den Rechten überlassen! hatten, dann den Vorwurf ab. Und Rechte dachten, einen ebenso Denkenden gefunden zu haben.
    Letztendlich findet vor allem da, wo versucht wird, ein schwaches Ego zu kompensieren über Auf/Abwertung, Selbsterhöhung und Niedermachen, als Subtext in den Vergleichen, auch ein "Kampf um Wörter" statt.
    Dabei weist der auf ganz andere Probleme und Kämpfe hin. Auch gesellschaftliche, die auch dort wirken und dann mit gleichen ungeeigneten Methoden beantwortet werden.
    Da sind dann auch Autist*innen/Aspies/Autis/Assis nicht unbedingt "logisch" und "lösungsorientiert".

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