US-amerikanische Autismuskultur und der Begriff "Aspie"

  • Die klinische Bedeutung des Unterschieds lag m.M.n.

    Das, was ich als Unterschied gehört, hatte war, ob eine Sprachverzögerung vorlag als Kind oder eben nicht. Und, dass der IQ des Asperger Kindes gleich oder höher normal sein musste.

    Und es gibt eben nicht auf der einen Seite die super hochfunktionalen Autisten und auf der anderen Seite die super niedrig funktionalen, sondern noch ganz viel dazwischen und auf diesem Spektrum befinden sich die meisten nicht ihr Leben lang an einer Stelle.

  • und auch wenn ich äusserlich in vielem anders agiere kann ich das Verhalten eines Kannerautisten auf vielen Gebieten dennoch irgendwie nachvollziehen, und es erscheint mir dennoch irgendwie vertrauter und näher als vieles, das ich sonst in der Welt mitbekomme.

    Dazu habe ich zwar keine eigenen Erfahrungswerte, aber meine Schwester (NA, aber mit VA-Vater und zwei AS-Brüdern), die als Betreuerin in einer WfbM arbeitet, ist dort diejenige, die den besten Zugang zu dem Kanner-Autisten findet. Sie selbst meint, dass es daran liegt, dass sie eben autistische Verhaltensmuster - wenn auch in ungleich schwächerer Ausprägung - ihr Leben lang kennt.

    Es ist eben ein Kontinuum, aber das ist Intelligenz auch, und trotzdem wird selbstverständlich von überdurchschnittlicher Intelligenz und Hochbegabung gesprochen. Aber wahrscheinlich kommt demnächst jemand um die Ecke, der auch das für diskriminierend hält. Der eine fahndet eben in jedem Begriff nur danach, ob irgendjemand ihn möglicherweise als diskriminierend meinen oder verstehen kann, den anderen reicht es vollkommen, sich im entsprechenden Umfeld (und die meisten hier nutzen den Begriff "Aspie" ja offenbar nur intern) kurz und klar auszudrücken.

  • Im Alltag verwende ich einfach für mich:

    autistisch geprägte Wesensart, autistisch und autistischer Mensch.

    Das sind meine Worte. Das klingt für mich am Stimmigsten und Natürlichsten. Denn es hat auch etwas individuell Subjektives und das Adjektiv beschreibt eher das Sein, was für mich schöner klingt, statt Objekt bezogen zu deklarieren. Gefühlt macht so auch die Spektrum-Sichtweise Sinn.
    Interessanterweise verwende ich nicht das Wort 'Aspie', warum weiß ich gar nicht, vielleicht weil es für mich wie ein leichter Anglizismus klingt, dies aber ohne Wertung, selten sage ich vom Asperger-Syndrom Betroffener (klingt mir zu unnatürlich und geschwollen)

    Wenn ich jemandem, der sich nicht damit auskennt 'autistisch' etwas näher probiere zu erläutern, erkläre ich gerne die neurobiologischen Zusammenhänge. Dies kann Wunder wirken in der Kommunikation.

    Ein Beispiel von vielen:

    Meinem Arbeitgeber habe ich gesagt, dass bei mir das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde. Damit konnte er nicht viel anfangen und hat einfach mit den Schultern gezuckt und gesagt 'Sie sind eben nicht so belastbar'. Erleichtert dachte ich: 'Auch gut.' Mehrere Wochen später habe ich ihm beiläufig in einem Gespräch die genaueren neurobiologischen Hintergründe aufgezeigt, die mittlerweile etwas klarer erforscht sind.

    Dies führte bei ihm zu einem 'Aha-Erlebnis' und er sagte, NUN mache das Sinn für ihn und JETZT verstehe er mich besser. Daraufhin war ich noch erleichterter :)

    Einer Kollegin habe ich ohne ihr von meiner Diagnose zu erzählen auch diese Zusammenhänge, die mich bei weitem weniger belastbar machen, aufgezeigt, und auch sie hat mit Erleichterung zu verstehen geben 'Aha, nun verstehe ich, dass macht Sinn.'

    Wir alle sind ja nur Menschen ...
    Menschen mit individuellen Geschichten, da ist mir die subjektive Sichtweise die 'meine Geschichte' erzählt, doch oftmals lieber als die objektive nominative Fremdbezeichnung, wenn ich das so nennen darf. Und das ist wohl, das erste Mal, dass ich einen etwas sichtbareren Sinn der Spektrum-Idee erkenne.
    :)

    3 Mal editiert, zuletzt von maksa (25. September 2020 um 10:58)

  • @maksa
    Den Begriff "Aspie" verwende ich "intern" als Eigenbezeichnung.
    Also wenn ich mit anderen Autist*innen spreche, oder mit NTs, die schon etwas über Autismus wissen, über die Klischees hinaus.

    Ansonsten handhabe ich das wie du. Spannend auch jedesmal, wenn sowie wir "jetzt verstehe ich meinen Cousin besser"als Antwort kommt.

    Ich merke auch, wie der eigene entspannte Umgang damit anderen das Verstehen erleichtert.
    Menchmal war jemand sehr betroffen bei der Vorstellung, wie das wäre, wenn er selbst..
    "Das muss ja unheimlich anstrengend sein..."
    Antwort " Ja, ist es oft, andererseits bin ich vom ersten Tag meines Lebens daran gewöhnt, und freue mich, wenn mal nicht, so wie jetzt".
    Gerade Menschen mit Empathie sind oft emotional betroffen, haben dann Angst, Fehler zu machen, und brauchen dann etwas Unterstützung, damit es für sie emotional etwas leichter wird.
    Auch dieses "dann musst du ja unheimlich intelligent sein..." - ich muss dann immer lachen und erwähne a) dass eher nicht, sonst würde ich mehr hinkriegen, und b) auch Intelligenz nicht anders verteilt ist als auch sonst so. Das eben beides nicht zusammenhängt. Und das die beste Intelligenz nix nutzt, wenn man damit nichts anfangen kann, sogar hinderlich sein kann.
    Mittlerweile habe ich eine Menge kleiner "Bausteine", aus denen dann der zum Wissenssrand des anderen passende individuelle kurze "Fachvortrag" zusammengestellt werden kann.
    Regel: Maximal 10 Sätze, mit einem einfachen Beispiel darin, dann abwarten ob Nachfragen kommen, wenn nicht, Themenwechsel.
    Und vor allem nix in Richtung "Mein schweres Schicksal". Das belastet die anderen, erzeugt dort "Hilflos"-Gefühle, die blockieren immer die Aufnahme der Informationen. Egal ob NT oder Aspie.

  • Ich würde sagen, jemand der so ist wie von Unbewohnte Insel beschrieben, wird sich nicht so entwickeln, dass er später nicht von einem Aspie zu unterscheiden ist. Das sind andere frühkindliche Autisten, die sich so entwickeln, dass es als Erwachsene egal ist, welche Diagnose man stellt. Die Unikliniken haben ja oft gar nicht mehr unterschieden.Aber die frühkindlichen Autisten, die sich so gut entwickeln, die haben auch als Kind geringere Einschränkungen.

    Der Meinung bin ich auch. Wenn bei einem Kind eine geistige Behinderung festgestellt wird, dann verliert es die ja nicht plötzlich, nur weil es ganz viel übt und unterstützt wird - leider. Ich finde, man sollte da schon auch sprachlich unterscheiden dürfen.

    anyone can carry his burden,
    however hard, until nightfall.

  • Für Dich scheint jemand, der als Kind die Kanner-Autismus-Diagnose bekommen hat auch als Erwachsener zwangsläufig noch derart "niedrigfunktional" zu sein wie Du es beschreibst. Wenn es so wäre, wäre es ja vollkommen okay an dem Begriff festzuhalten und damit seinen Status quasi lebenslang zu zementieren. Hätte ich kein Problem mit.

    Nur ist das ja nicht der Fall. Er kann so große Fortschritte machen, dass er als Erwachsener nicht mehr von einem Aspie zu unterscheiden ist. Wenn man ihn dann dennoch weiterhin Kanner-Autist nennen muss, weil er nach den bisherigen Kriterien niemals Aspie werden konnte wenn er mal Kanner-Autist war, hält das diese die von Dir beschriebene Vorstellung aufrecht.

    Das waren Menschen, die auch als Erwachsene Kanner-Autisten blieben, sie bekamen aber den Zusatz "hochfunktional" (heute bedeutet "hochfunktionaler Autismus" meist nur "Asperger", aber das war mal ein Begriff für solche Menschen die du hier beschreibst)

    Vor allem aber wurden die Beobachtungen von "Autismus" ja unabhängig voneinander an unterschiedlichen Orten von unterschiedlichen Personen durchgeführt, und so ist die Trennung in kanner und Asperger zum großen Teil einfach der Historie geschuldet. Hätten die beiden zusammengearbeitet, hätte es diesen Unterschied vermutlich nicht gegeben.

    Irgendwann äußerte sich Hans Asperger dazu, dass die von Kanner beschriebenen Fälle anderer Natur wären. Aber ich weiß nicht mehr wo das war.

    Was man dazu wissen sollte ist auch, dass das was wir heute haben, schon lange nicht mehr die Original-Kriterien von Asperger bzw Kanner sind, sondern die heutigen Kriterien sind verändert und verwaschen und eignen sich zur Unterscheidung nicht mehr wirklich.

    Hier hast du zb mal die Kriterien für Autismus von 1980 (DSM) (damals war mit dem Wort "Autismus" der Kanner-Autismus gemeint, und das Asperger-Syndrom gab es noch nicht in den beiden großen Diagnosehandbüchern DSM und ICD)

    -- Abwesenheit von Symptomen, die auf Schizophrenie hindeuten
    -- Beginn vor dem 30. Monat
    -- Tiefgreifendes Fehlen von Interesse gegenüber anderen Menschen
    -- Große Defizite in der Sprachentwicklung
    -- Falls Sprache vorhanden, sonderbare Sprechweisen wie unmittelbare und verzögerte Echolalie, metaphorische Sprache und Umkehr von Pronomen
    -- Bizarre Reaktionen auf verschiedene Aspekte der Umgebung, z.B. Widerstand gegen Veränderungen, sonderbare Interessen gegenüber bewegten oder starren Objekten
    https://factsaboutklinefelter.com/2014/10/11/ges…smus-diagnosen/

    Mittlerweile ist man sich halt einig, dass es sich um ein und dasselbe Phänomen handelt.

    Man ist sich meines Wissens einig, dass sehr viele verschiedene biologische Ursachen, zu äußerlich sehr ähnlichem Verhalten führen. ('Autismus' wäre somit nicht die Krankheit selbst, sondern das Symptom; wie zb 'Fieber' nur ein Symptom einer ganzen Reihe von Krankheiten ist, aber 'Fieber' ist nicht die Krankheit selber)
    Ein Psychiater sagte mir sogar, dass man in Studien feststellte, dass in Familien mit mehreren Autisten, diese -nicht- dieselben Gen-Auffälligkeiten haben; soll heißen: selbst innerhalb derselben Familie haben die Mitglieder nicht unbedingt denselben Autismus.

    Mit diesem Wissen mutet es daher auch etwas absurd an, anzunehmen, aus einem Kanner-Autist könne ein Asperger-Autist "werden", wenn es doch auf unterschiedlichen biologischen Ursachen beruht. Wenn man trotzdem die Diagnose ändert, dann entweder weil die erste Annahme in der Kindheit nicht stimmte, oder aus praktischen Gründen.
    Verkomplizierend zu dieser ganzen Sache kommt aber auch noch hinzu, dass auch die Schublade "Asperger" nicht einheitlich ist, und die "Schublade" Kanner sogar noch viel weniger.

  • selbst innerhalb derselben Familie haben die Mitglieder nicht unbedingt denselben Autismus.

    Das kann ich nur bestätigen: meine Tochter ist da anders als ich, und es ist sogar klar, dass die Geräuschempfindlichkeit bei ihr (die ich nicht habe) von der mütterlichen Seite dazugekommen ist. Dafür fehlt ihr meine ausgeprägte Flatterei. Und mein Neffe ist der Einzige in der Familie (von insgesamt 3 sicheren und 2 vermuteten Aspies), der eine auffällige Sprachmelodie hat.

  • @Neoni Danke für Deine Ergänzungen.

    Wichtig ist der Kontext, in dem wir uns bewegen. In denen, um die es hier bisher hauptsächlich ging, also in denen man jemandem erklären möchte, dass man ein Aspie (und kein Kanner-Autist) sei, kann es m.M.n. nicht darum gehen zu sagen "ich bin zwar aus psychiatrischer Sicht nicht von dem Kanner-Autist dort drüben zu unterscheiden, aber wir haben beide Gentests gemacht die auf unterschiedliche Auffälligkeiten hindeuten, deshalb lege ich Wert auf die Unterscheidung dass ich Aspie bin und er nicht".

    Im Forschungskontext sind solche Beobachtungen aber zweifellos interessant und vielleicht auch relevant, gar keine Frage. In der Umgangs- oder Alltagssprache sehe ich da jetzt aber eher keine Bedeutung.

    Ich hatte es zwar in einem anderen Thread mal falsch formuliert wie Du es nun vielleicht gelesen hast, mir diesmal aber Mühe gegeben präziser zu sein: ein Kanner-Autist, der nicht von einem Aspie zu unterscheiden ist (nicht: ein Kanner-Autist, der zu einem Aspie wird). "Aus psychiatrischer Sicht" könnte man jetzt noch hinzufügen, aber andere Definitionen haben wir ja auch gar nicht wenn wir uns auf Diagnosen beziehen.

    Wenn man diese Diagnose mitteilen und darüber aufklären möchte, kann es diese Unterscheidung die Du nennst m.M.n. daher in diesem Kontext nicht geben, da die Unterscheidung von unterschiedlichen Auffälligkeiten in den Genen bei der Diagnostik keine Rolle spielt.

  • Ich fühle mich da manchmal etwas blöd, wenn ich merke, ich empfinde anders, nehme anders wahr, habe andere Probleme; bzw habe Probleme der anderen nicht... aber sie behaupten dauernd es gäbe keine Unterschiede. (Es geht dabei nicht um die Gene.)

  • Verstehe ich. Potential für Missverständnisse gibt es da zweifellos. Wobei ich jetzt gar nicht glaube, dass die alten Begriffe diese besser vermeiden würden. (edit: wenn ich erkläre dass ich zwar kein Kanner-Autist bin sondern Aspie muss ich wiederum erklären, dass ich kein Sheldon Cooper und keine Greta bin, sondern...)

    Ich sehe das halt auch im entsprechenden Kontext. Dein Beispiel mit Fieber fand ich da gar nicht schlecht. Den Arbeitgeber interessiert nur wenn man sich krankmeldet dass man Fieber hat, wenn überhaupt. Nicht aber, wie stark es ist, was genau es verursacht hat, usw. Da würde man mit Informationen überfluten, Fieber ist dann einfach nur Fieber.

    Den Arzt und nahestehende Personen interessiert vielleicht schon eher, wie das Fieber genau aussieht, woher es kommt usw.

    Wir haben halt das Problem, dass bei Fieber (im übertragenen Sinne, also stellvertretend für Autismus) viele noch gar nicht wissen, dass das nicht zwangsläufig permanent 41,9°C Körpertemperatur bedeuten muss.

    Meine Botschaft oder Anschauung ist auch nicht, dass 39°C und 41,9°C dasselbe ist.

    Im akademischen Kontext wiederum maße ich mir gar keine Meinung an. Da weiß ich vielzuwenig über Autismus.

    2 Mal editiert, zuletzt von Prof. Dr. X (25. September 2020 um 16:43)

  • Nennt ihr euch Aspie?

    Nein, ich habe mich immer Autist genannt oder "Ich habe das Asperger-syndrom" was zwar etwas veraltet daherkommt aber viele mit denen ich schon darüber sprach, haben darüber zurmindest schonmal was gehört auch wenn sie nicht wissen was es genau ist.


    Legt ihr wert auf sprachliche Regeln? Wie denkt ihr dazu?

    Ich sehe das in diesem Bezug hier selbst nicht so eng, ich bin nicht beleidigt wenn mich jemand als Aspie benennt. Es macht mich nicht zu einem Kind das von Asperger abstammt oder besagt das ich irgendwas mit dem Arzt Hans Asperger zutun habe, weil ich ihn weder kannte, noch von seinem Leben irgendwas mitbekommen konnte.
    Komischerweise ist das Kanner Syndrom als Begriff hier weniger bekannt, also in Deutschland. Wie das in den USA ausschaut kann ich nicht sagen.
    Ich glaube die haben damals schon überwiegend nur Autism gesagt bevor das mit der Spektrumstörung kam und bevor das mit "Asperger war Nazi" aufkam.
    Ich kenne jemanden in den USA schon ziemlich lange, seit ca 2008 oder so die auch autistisch ist und sie sprach auch immer nur von autism und nicht von Asperger's syndrome, auch wenn sie es mal erklärte das sie eben dieses hat und nicht das andere.
    Das das autism spectrum disorder heißt, sagte mir vor mehreren Jahren mal ein Engländer der auch Autismus hat und ich war darüber überascht weil ich vorher nichts darüber wusste das sich das inzwischen anders nennt und anders bewertet wird als früher.
    Ich hatte da meine Diagnose erst frisch gehabt oder war in der Testung, ich weiß es nicht mehr, es ist jedenfalls so um 2015/2016 gewesen.

    Die Debatte die du auf Facebook hattest ist dennoch extrem, selbst wenn die Leute da vielleicht triftige Agumente haben, sollte sie einen nicht beleidigen oder defamieren wie das da passiert ist, das ist kindisch und zeigt mal wieder was da bei Facebook los ist.
    Ich bin dort kaum aktiv, poste allenfalls mal was auf Seiten die mir gefallen oder poste was was ich mag oder mal wieder gemalt hab bei mir selbst und das wars. An Rückmeldung kommt da kaum was.
    Wenn man sich austauschen will, ist es online echt schwer das auf einem anständigen Niveau zu tun, das habe ich auf deviantart auch schon oft erlebt, egal ob auf deutsch oder auf englisch. Man muss dort nur an jemanden geraten der nicht deiner Meinung ist und deine Agumente nicht hören will, und emotional damit überfordert ist das man eben eine Meinung hat.
    Wenn der dann noch Freunde hat, heult der sich meist bei denen aus und die kommen dann an und verteidigen den (Whitenighting) und schon hat man was losgetreten was man nie wollte.
    Ich mag solche Situationen auch nicht. Das einzige was hilft ist, möglichst nicht diskutieren.

    Go bad or go home!

  • Ich sehe das halt auch im entsprechenden Kontext. Dein Beispiel mit Fieber fand ich da gar nicht schlecht. Den Arbeitgeber interessiert nur wenn man sich krankmeldet dass man Fieber hat, wenn überhaupt. Nicht aber, wie stark es ist, was genau es verursacht hat, usw. Da würde man mit Informationen überfluten, Fieber ist dann einfach nur Fieber.

    Ich verstehe denke ich was du meinst. Ganz recht geben kann ich dir auch nicht, weil Fieber natürlich nur ein Beispiel war für "etwas ist nur Symptom aber nicht die Krankheit selbst", aber natürlich kann man eine lebenslange neurologische Behinderung nicht damit vergleichen.
    Gerade beim Arbeitgeber würde ich dir eher davon abraten, nur zu sagen du habest 'Autismus', da eben das viele Jahrzehnte lang das Wort für den Kanner-Autismus war, wovon die meisten eben nicht wie Asperger sind. Ich würde da eher zu Formulierungen raten wie "Asperger-Syndrom, eine milde Form von Autismus". Wenn dir der Begriff Asperger nicht gefällt, wäre ja auch sowas denkbar wie "Autismusspektrum, auf der Seite, die an die Normalität grenzt". Der Arbeitgeber will ja am liebsten jemanden, den er voll belasten kann, da wäre es kontraproduktiv, sich ohne Not behinderter darzustellen als man ist.

    Im Falle von AS <--> HFA geht es mir aber gar nicht mal um leichter <--> schlimmer, sondern eher um: anders. Aber ja, das sind dann Details, von denen Laien wie Arbeitgeber nichts mehr wissen.

    Ich rede mit Fremden sowieso so gut wie nie über Autismus, wenn es nötig wird, sage ich "angeborene neurologische Störung" oder etwas in der Art, oder ich sage "sowas wie Asperger". Wenn ich also über Kanner oder Asperger rede, dann passiert das beim Arzt oder hier.

  • Zitat

    "Autismusspektrum, auf der Seite, die an die Normalität grenzt".

    ich kenne zumindest 2 Arbeitgeber, beii denen die Formuöierung schon reichen würde, eine*n Bewerber*in NICHT einzustellen.

    Bei einer Wirtschaftsprüfer-Kanzlei würde dann das Fazit nach einem Bewerbungsgespräch ungefähr so lauten:
    "Der*die Bewerber*in zeigt, dass sie die eigene subjektive Definition von Normal und dessen Grenzen als allgemein gültig betrachtet und bei anderen ebenfalls voraussetzt.
    Aus ihrer Normalitätsdefinition und deren Grenzen bewertet sie sich selbst als "nicht ganz so unnormal" zu sein wie andere "Unormale". Daraus leitet sie für sich selbst ab, von einem Arbeitgeber als "Ausnahme" betrachtet werden zu können, und trotz Unnormalität nach ihrer eigenen Definition eingestellt werden zu können.
    Diese Haltung widerspricht dem Diversitätsgedanken, der zu unserer Unternehmenskultur gehört.

    Diese Denkweise findet auch erfahrungsgemäß dann auch bei anderen Diversitätstthemen, wie interkulturellen Fragen, sexueller Orientierung usw. wieder.
    Dies kann zu innerbetrieblichen Prolemen führen, wenn der subjektive Normalitätsdefinition der Bewerber*in nicht entsprochen wird, bzw wenn sie Entscheidungen zu andere Mitarbeiter*innen betreffende "Ausnahmen" nicht akzeptieren kann, sobald diese Personen ihrer Meinung nach die Grenzen zu ihrer subjektven Normalitätsdefinition "zu weit" überschreiten."

    Tja, und daraus wür de dann ein dreifaches Nein, einmal wegen "Normalität", dann wegen "ich bin eine Ausnahme" und dann aufgrund zu erwartender Probleme.
    Dagegen kommen dann auch die besten Noten nicht mehr an.

    Na ja, und in dem einen Handwerksbetrieb wäre das einfach ein "Wieso bewirbst du dich überhaupt, wenn du eh schon weißt, dass du nicht mehr normal bist".

    Btw, in beiden Unternehmen arbeiten "Behinderte" - aber eben nicht als "Ausnahmen" von der Normalität, sondern als normale Mitarbeiter*innen. Bei denen halt das eine und andere berücksichtigt wird, wie bei dem einen im Rollstuhl, dem anderen, der kaum noch was hören kann, die ja auch "die Grenzen der Normalität" sogar weit überschreiten". Als "an der Grenze zur Notmaalität, weil nicht so behindert wie jemand der völlig gelähmt ist" oder "nichts so unnormal, wie jemand der gar nichts mehr hört" haben die sich auch nicht vorgestellt.

    Sich darüber aufwerten zu wollen bei einer Bewerbung, in dem auf andere aus der eigenen Gruppe hingewiesen wird, die weniger können, und mehr Probleme haben, und damit diese ja vergleichend abzuwerten, kann nur schiefgehen.
    Klappt auch nicht bei "Schau mal, ich bin nicht ganz so doof wie andere Frauen/Männer, deswegen kannst du mich als Partner*in wählen".
    Eine "Ausnahme" sein zu wollen, bedeutet auch, ein Privileg zugestanden bekommen zu wollen, das anderen nicht zugestanden wird - auch eher ungünstig bei Bewerbungen jeglicher Art.
    Das gilt auch für Autist*innen.

  • Fieber natürlich nur ein Beispiel war für "etwas ist nur Symptom aber nicht die Krankheit selbst"

    Das hatte ich auch so verstanden.

    Gerade beim Arbeitgeber würde ich dir eher davon abraten, nur zu sagen du habest 'Autismus',

    Klar, das war mit dem Fieber auch nur beispielhaft für einen Kontext gemeint, in dem allzu große Unterscheidungen nicht interessieren.

    Wie ich mich selber gegenüber jemandem nennen würde, weiß ich gar nicht. Es kommt halt auch stark auf das Vorwissen bei dem anderen an und warum/ob es erwähnt werden muss. maksa hatte ja ein Beispiel gemacht, bei dem "Asperger" auch nur schulterzuckend zur Kenntnis genommen wurde bis ein paar Erklärungen mehr kamen. Da ist also auch nicht zwangsläufig etwas gewonnen. Und wie gesagt, wenn jemand an Sheldon Cooper denkt wenn ich Asperger erwähne, muss ich den Eindruck sowieso korrigieren und darüber aufklären, dass "wenn man einen Autisten kennt, dann kennt man einen Autisten". Dann kann ich aber genausogut gleich von Anfang an vom Autismus-Spektrum reden.

    Wenn dir der Begriff Asperger nicht gefällt, wäre ja auch sowas denkbar wie "Autismusspektrum, auf der Seite, die an die Normalität grenzt".

    Das finde ich im ersten Moment eine gute Formulierung, im zweiten kommt mir aber die Sorge die hier schon oft in anderen Threads geäußert wurde, dass Leid damit verharmlost wird. Deswegen ist da wieder der Kontext so wichtig, bei einem Arbeitgeber wäre das vielleicht wirklich eine gute Formulierung weil er sich darauf einstellen kann dass ich im Umgang fast normal bin. Dass ich mein Privatleben dann vielleicht dennoch nicht auf die Reihe bekomme, kann ihm ja egal sein.

    Wenn ich mich "wegen Autismus" aber in einen psychiatrischen Bereich begebe, gewinne ich nicht viel mit einer solchen Formulierung, da käme dann ja der Eindruck auf dass ich auch nur ein bisschen Hilfe bräuchte wenn ich fast normal wäre. Leider ist das aber nicht so, und darin stimme ich Dir dann auch zu: die Probleme sind zwar andere, aber deswegen auch nicht unbedingt weniger schwerwiegend. Eine qualitative Einteilung möchte ich da jedenfalls nicht machen, entscheidend ist da ja nur der Leidensdruck und der kann auch bei einem "fast normalen Autisten" extrem hoch sein. Wenn ich eine solche Einteilung mache, muss ich auch feststellen, dass es "niedrigfunktionalere" Autisten als mich gibt, die deutlich mehr in ihrem Leben vorzuweisen haben als ich. Die eine Arbeit, Kontakte (vielleicht sogar einen Partner) und einen Wohnraum haben in dem sie sich wohlfühlen und daher deutlich näher an der Normalität sind als ich. Daher funktioniert eine solche wertende Einteilung für mich nicht. Ich kann zwar feststellen, dass meine Probleme von außen vielleicht weniger offensichtlich sind. Einen Vorteil daraus ziehen kann ich bislang aber auch nicht.

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