Was haltet ihr von Weltseele auf YouTube?

  • Einschränkungen sind Einschränkungen und man kann sich eingeschränkt fühlen mit oder ohne Leidensdruck.

    Eben. Und deshalb ist die Behauptung, Leidensdruck sei Diagnosevoraussetzung, auch schlicht und einfach falsch - "klinisch relevante Einschränkung" ist eben kein Synonym für Leidensdruck.

  • Eben. Und deshalb ist die Behauptung, Leidensdruck sei Diagnosevoraussetzung, auch schlicht und einfach falsch - "klinisch relevante Einschränkung" ist eben kein Synonym für Leidensdruck.

    Mein Leben war während eine lange Zeit sehr eingeschränkt aber weil es meinen Bedürfnissen entsprach hatte ich nicht darunter gelitten. Erst als diese einfache, mir angemessene Lebenssituation zusammengebrochen war hatte ich Leidensdruck. Sogar jetzt habe ich hauptsächlich dadurch Leidensdruck dass ich zufrieden bin mit meinen ziemlich autistischen einsamen Tätigkeiten aber kein nennenswertes Leben habe gemeinsam mit anderen Menschen was ich mir doch wünsche.

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

  • Laut "Weltseele" bekommen nahezu alle in Köln Diagnostizierte bei der Studie in Göttingen ihre Diagnose bestätigt, während anderswo Diagnostizierte ihre Diagnose in Göttingen oft nicht bestätigt bekommen. Aber ich glaube da nicht dran. So wie ich "Weltseele" einschätze, würde er mir wahrscheinlich nicht glauben, dass ich eine Diagnose aus Köln habe. Er hat meinem Eindruck nach ein zu engstirniges Bild vom hochfunktionalen Autismus.

    Der aus Göttingen meinte ich habe keinen Autismus, während Dr. Schilbach (ehemals Köln) sich sehr sicher war dass ich Autismus habe. Vielleicht hätte der aus Göttingenm mich aber für einen "lupenreinen, echten Autisten" gehalten, wenn er von der Schilbach-Diagnose vorher gewusst hätte...

    Das sehe ich anders. Wer hochkompensiert ist, mag nach außen völlig unauffällig wirken, verbraucht dafür aber wesentlich mehr Energie als die meisten Menschen. Typischerweise kommt dann oft in den späten 30ern oder 40ern der Totalzusammenbruch, häufig mit anschließender Frührente. Da fände ich Nachteilsausgleiche auch bei Hochkompensierten besser, um länger fit zu bleiben.

    Es gibt ja leider keine Studien, wie (un)glücklich Spätdiagnostizierte im Vergleich zu Frühdiagnostizierten sind (es gibt diese Studien noch nicht, weil es sie von vom zeitlichen Ablauf noch nicht geben kann). Man geht hier davon aus, dass Spätdiagnostizierte unglücklicher sind und öfter Depressionen, Angststörungen ect haben. Genausogut ist es aber denkbar, dass viele Spätdiagnostizierte glücklicher sind (viele, nicht alle), als Frühdiagnostizierte, da ersteren mehr zugetraut wurde und sie am realen Leben teilnahmen ohne Sonderstellung, sich also als "normale Menschen" empfinden, also ein ganz anderes Selbstbild/Selbstwert haben. Evtl haben Spätdiagnostizierte im Leben auch mehr erreicht, was ebenfalls mit Lebenszufriedenheit einhergehen kann. Das jetzt nur mal als Hypothesen... für mich ist noch gar nicht geklärt, ob (im Durchschnitt, nicht der individuelle Fall betrachtet) man das so sagen kann, dass es schlechter ist, etwas erreicht zu haben und dann erschöpft zu sein, oder niemals etwas erreicht zu haben und niemals am "normalen Leben" teilgenommen zu haben (ohne Behindi-Bonus)

    Diese Vorgehensweise finde ich ebenfalls problematisch. Das würde ja bedeuten, man kann die Diagnose, wenn es einem besser geht, eventuell wieder verlieren. Und damit dann auch die Hilfen, die man bekommen kann. Dann sind die Probleme vielleicht bald wieder da .... Zudem widerspricht diese Auffassung der gängigen These, dass Autismus angeboren sei. Demnach wäre höchstens eine Vulnerabilität angeboren, die unter bestimmten Umständen zu Autismus führt, der dann aber auch wieder heilbar wäre. Ich denke, das passt nicht wirklich.

    Dass Autismus angeboren ist, heißt ja nicht, dass die Ausprägung fest für immer vorgegeben ist. Gerade bei Kindern ändert sich da noch viel. Bei Kindern/Jugendlichen ist eine Verlaufskontrolle auch üblich (ein paar Jahre später).
    Wer aber bereits erwachsen ist (sagen wir mal, so Mitte 20 bis 30) wird wohl auch auf diesem Autismus-Level bleiben.

  • Wer aber bereits erwachsen ist (sagen wir mal, so Mitte 20 bis 30) wird wohl auch auf diesem Autismus-Level bleiben.

    Denke ich auch. Wahrscheinlich stimmt das für NAs auch? Man bleibt wer man (geworden) ist, auch wenn man vieles noch hinzulernen und erleben kann.

    Dass meine Beiträge so oft editiert werden hat meistens aber nicht immer damit zu tun dass ich sowohl grammatikalische oder syntaktische wie auch stilistische oder einfache Schreibfehler nicht immer sofort sehe und sie deswegen nachträglich korrigieren muss.

  • Habe gerade nochmal drüber nachgedacht. Mir ist es doch nicht egal, ob es besagtes Kriterium gibt oder nicht. Ich finde es gut, dass es das gibt, und zwar aus folgendem Grunde: es wertet Autismus nicht ab. Die Forschung stellt zwar fest, dass es ein "Phänomen" Autismus mit einer alternativen Reizverarbeitung usw. von Geburt an und auch ein Leben lang gibt, aber sie wertet es nicht. Beim ICD und DSM hingegen geht es um Krankheitsbilder , in diesem Falle um psychiatrische Auffälligkeiten, die Autisten zeigen können (aber nicht müssen).

    Wenn es dieses Kriterium der klinisch signifi... bei der Diagnose *nicht* gäbe, würde es bedeuten dass diese in der Forschung festgestellte andersartige Reizverarbeitung in ganz gleich welcher Ausprägung per Definition immer eine Krankheit ist. Auch dann, wenn jemand ein glückliches und zufriedenes Leben lebt. Es wäre ein Statement gegen die Vielfalt des Seins und eine massive Abwertung von Autismus.

  • Sorry, aber das halte ich für Polemik. Wie bereits ausgeführt bleibt ihr gar nichts anderes übrig als nach den Kriterien zu arbeiten wenn sie sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen möchte, unseriös zu arbeiten.

    Nein, die Frage war ernst gemeint. Es macht einen Unterschied, ob sie beispielsweise bei einem Erwachsenen, der in seiner Kindheit vor vielen Jahren mal eine Autismusdiagnose hatte, noch eine Diagnostik für nötig hält, oder bei jemandem, der etwa vor fünf Jahren eine Autismusdiagnose bekam und sich ausführlich damit auseinandergesetzt hat. Die dann noch erst zu nehmen, wenn keine andere Gründe dagegen sprechen (etwa, dass sie einem überhaupt unpassend für die Person erscheint) ist doch nicht unseriös. Ich finde es tatsächlich interessant, welchen Zeitrahmen sie da ansetzt. Ich habe schon einige Vorträge von Fachleuten zu Autismus gehört, und dort wurde nie erwähnt, dass eine solche Diagnose "verfällt" und das von den Richtlinien her so vorgeschrieben sein. Dass sie für den Antrag auf Feststellung eines Grades der Behinderung einigermaßen aktuell sein sollte, kann ich noch verstehen. Aber da reicht normalerweise ein Gespräch mit dem Arzt, es muss nicht noch einmal eine volle Diagnostik sein.

    Mein Leben war während eine lange Zeit sehr eingeschränkt aber weil es meinen Bedürfnissen entsprach hatte ich nicht darunter gelitten. Erst als diese einfache, mir angemessene Lebenssituation zusammengebrochen war hatte ich Leidensdruck.

    Ich glaube, das ist gar nicht so selten. Christine Preißmann berichtet in ihren Vorträgen, dass sie wegen Autismus viele Grenzen akzeptieren musste. Sie hat weder Partner noch Familie, als Ärztin weder eine eigene Praxis noch eine Karriere in der Klinikhierarchie, sie hat keine persönlichen Freunde, und viele Unternehmungen, wie Kinobesuche, Parties etc. funktionieren auch nicht für sie. Anders als früher hat sie dieses in vieler Hinsicht eingeschränkte Leben aber akzeptiert, zumal sie doch eine interessante Tätigkeit macht, sich mit ihren Stärken einbringen kann und darüber auch Erfolg und interessante Erlebnisse und Begegnungen hat. Sie meint, es sei letztlich doch "eine gute Mischung geworden". Ich fände es aber abwegig, ihr die Diagnose deshalb abzusprechen.

    Es gibt ja leider keine Studien, wie (un)glücklich Spätdiagnostizierte im Vergleich zu Frühdiagnostizierten sind (es gibt diese Studien noch nicht, weil es sie von vom zeitlichen Ablauf noch nicht geben kann). Man geht hier davon aus, dass Spätdiagnostizierte unglücklicher sind und öfter Depressionen, Angststörungen ect haben. Genausogut ist es aber denkbar, dass viele Spätdiagnostizierte glücklicher sind (viele, nicht alle), als Frühdiagnostizierte, da ersteren mehr zugetraut wurde und sie am realen Leben teilnahmen ohne Sonderstellung, sich also als "normale Menschen" empfinden, also ein ganz anderes Selbstbild/Selbstwert haben. Evtl haben Spätdiagnostizierte im Leben auch mehr erreicht, was ebenfalls mit Lebenszufriedenheit einhergehen kann.

    Studien dazu fände ich auch interessant, aber es wird wohl noch eine Weile dauern, bis es die gibt. Persönlich bin ich schon für frühe Diagnosen, allerdings auch dafür, daraus dann die richtigen Schlüsse zu sein. Meiner Ansicht nach ist es für die eigene Entwicklung meist nicht förderlich, immer wieder scheinbar grundlos als "komisch" eingeschätzt zu werden und auf Ablehnung und "unerklärliche" Schwierigkeiten zu treffen. Nicht wirklich gefördert zu werden, weil die Schwächen aufgrund der Intelligenz für nicht so wichtig gehalten werden, während andererseits die Schwächen verhindern, dass sich die Stärken wirklich entfalten können. Einen höheren Selbstwert hat man dadurch nicht unbedingt, im Gegenteil, es kann zutiefst verunsichern.

    Eine Diagnose, die dazu führt, dass einem dann nichts mehr zugetraut wird, ein höherer Schulabschluss, ein Studium etc. einem verweigert werden oder man sogar gleich von vornherein in "Sonderwelten" wie Förderschule, Berufsbildungswerk und anschließend vielleicht Behindertenwerkstatt landet, wäre natürlich kein bisschen besser. Die Diagnose sollte eher die Türen zur richtigen Unterstützung öffnen. Nicht "das Kind kann nichts", sondern "das Kind ist ein bisschen anders und braucht an manchen Punkten etwas Unterstützung". Aber natürlich sieht die Realität oft anders aus.

    Dass Autismus angeboren ist, heißt ja nicht, dass die Ausprägung fest für immer vorgegeben ist. Gerade bei Kindern ändert sich da noch viel. Bei Kindern/Jugendlichen ist eine Verlaufskontrolle auch üblich (ein paar Jahre später).
    Wer aber bereits erwachsen ist (sagen wir mal, so Mitte 20 bis 30) wird wohl auch auf diesem Autismus-Level bleiben.

    Das sehe ich auch so, wobei es meiner Einschätzung nach unter ungünstigen Umständen auch bei Erwachsenen eine negative Entwicklung mit Verlust der Fähigkeiten geben kann. Umgekehrt können sich erwachsene Autisten nach Krisen bei passenden Rahmenbedingungen wieder erholen. Aber die Ausprägung des Autismus selbst wird sich kaum grundlegend ändern.

    Die Forschung stellt zwar fest, dass es ein "Phänomen" Autismus mit einer alternativen Reizverarbeitung usw. von Geburt an und auch ein Leben lang gibt, aber sie wertet es nicht. Beim ICD und DSM hingegen geht es um Krankheitsbilder , in diesem Falle um psychiatrische Auffälligkeiten, die Autisten zeigen können (aber nicht müssen).

    Die Formulierung "Krankheit" ist tatsächlich unglücklich. Tatsächlich ist ja eine "Entwicklungsstörung", ein spezifischer Verlauf in der Kindheit gemeint. Der Beginn in der Kindheit wird für die Diagnose auch zwingend vorgeschrieben. Dass zwischen dem Phänomem und der Diagnose Autismus in der Forschung unterschieden wird, trifft meines Wissens nach nicht zu. Eher wird in der diagnostischen Praxis in manchen Fällen trotz Erfüllung der Diagnosekriterien die Diagnose nicht gestellt, weil manche Diagnostiker halt der Ansicht sind, das sollte Menschen mit Leidensdruck vorbehalten bleiben. Das sehe ich persönlich kritisch, Du hältst es für richtig, man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein. Meiner Einschätzung nach geht es da nicht darum, eine Wertung zu vermeiden, sondern der Kreis der eventuell Hilfeberechtigten soll klein gehalten werden. Wenn die psychiatrischen Auffälligkeiten, die in den Diagnosekriterien beschrieben sind, zutreffen, trifft auch Autismus zu (gleichgültig, ob der Mensch leidet), wenn sie nicht zutreffen, ist die betreffende Person nicht autistisch. Natürlich können autistische Menschen daneben noch weitere psychiatrische Auffälligkeiten haben, unter denen sie leiden (Depressionen, Angststörungen, Sozialphobien und vieles mehr), aber die haben eigentlich nichts damit zu tun, ob sie eine Autismusdiagnose bekommen.

    Mit Deiner Definition setzt Du implizit diejenigen mit voll ausgeprägter autistischer Persönlichkeitsstruktur, die aktuell gut im Leben klarkommen, mit denen gleich, die sich in der "Übergangszone" zwischen Autismus und Nichtautismus befinden. Hochsensible oder Menschen, für die Begriffe wie "Broader Autism Phenotype" (BAP) oder "Schattensyndrom" zutreffen. Auch die Forschung geht ja von einem "fließenden Übergang" aus. Aktuell gut kompensierter Autismus und Hochsensibilität/BAP sind meiner Auffassung nach aber überhaupt nicht das gleiche.

    Auch dann, wenn jemand ein glückliches und zufriedenes Leben lebt. Es wäre ein Statement gegen die Vielfalt des Seins und eine massive Abwertung von Autismus.

    Das sehe ich genau umgekehrt. Indem man einen Menschen mit autistischer Persönlichkeitsstruktur nur dann als Autisten bezeichnet, wenn er aktuell unter den Folgen dieser Persönlichkeitsstruktur leidet, blendet man alle aus, die mit und trotz Autismus einen guten Weg für sich gefunden haben. Damit blendet man auch die Stärken aus.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Es wird halt davon ausgegangen, dass die Tatsache, dass man eine psychiatrische Diagnose bekommt, kein Kompliment ist, bzw eine "Abwertung" ist. Das ist bei vielen psychiatrischen Diagnosen so. Viele davon werden auch umgangssprachlich als Abwertung, Beleidigung verwendet, oder zumindest für negative Eigenschaften/Handlungen.

    Jmd, der Autismus nur als eine andere Art zu sein betrachtet, und nicht als zwingend "Krankheit" ("man leidet nicht am Autismus, sondern am Umfeld" oä), könnte also denken: Ich bin Autist, aber dies ist gut und muss deswegen auch nicht per Erhalt einer psychiatrischen Diagnose abgewertet werden. Das wird aber natürlich paradox, denn woher soll ein Mensch wissen, ob er Autist ist (bzw, wie soll ihm die Umwelt glauben), wenn er keine Diagnostik machen will...
    Von ihrer Logik her müssten die Pride-Leute, es ablehnen, eine psychiatische Diagnose einzuholen, denn damit begeben sie sich ja in das System, das sie eigentlich ablehnen (Autismus als Krankheit). Sie müssten aber ansonsten in der der Masse der "NT" mitlaufen ohne Bestätigung, dass sie Autisten sind...


    Für mich sind "klinisch signifikante Beeinträchtigungen" nicht gleichbedeutend mit "Leidensdruck": zb ein geistig Behinderter Mensch, hat ja Einschränkungen, leidet aber oft trotzdem nicht, er ist sich evtl nichtmal bewusst, was er hat, bzw er kann es nicht erfassen, weil gerade darin ja seine Behinderung besteht.
    So ähnlich stelle ich mir das mit Autismus auch vor. (wenn Beeinträchtigungen im sozialen/kommunikativen Bereich vorliegen, beeinträchtigen die aber auch die Fähigkeit, die eigenen Defizite überhaupt vollumfänglich zu verstehen).
    Am oberen Bereich des Spektrums (hohes Funktionsniveau, also AS/HFA) sind die Fähigkeiten im sozial/kommunikativem Bereich immerhin noch so gut, dass oft erkannt werden kann, was man nicht kann. Das macht dann Leidensdruck.

  • Für mich sind "klinisch signifikante Beeinträchtigungen" nicht gleichbedeutend mit "Leidensdruck"

    Sehe ich ganz genauso und ich finde super wichtig das zu unterscheiden. Ich brauche bei einigen, naja vielen, Dingen Hilfe. Ich bin im Alltag signifikant eingeschränkt, und mit Autismus als unheilbarer Entwicklungsstörung das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mein Leben lang. Jedoch plane ich nicht mein Leben mit Leiden zu verbringen.
    Genau wie bei Körperbehinderten, die auf Hilfe angewiesen und eingeschränkt sind, sehe ich das auch bei Autisten. Es gibt die Möglichkeit, wenn nicht sogar das Recht auf ein glückliches Leben.
    Würde da immer Leidensdruck statt Einschränkungen genommen, hätten viele Personen, die z.B. stark eingeschränkt sind, aber nicht so sehr darunter leiden keine Diagnose, während Personen mit ggf. weniger Einschänkungen, die aber stärker darunter leiden, dann eine. mMn brauche doch wohl beide Personengruppen Hilfe.

  • Nicht umsonst werden werden zu Diagnosik Schulzeugnisse und Befragung enger Freunde und Eltern verlangt auch , wenn man es noch hat Unterlagen von der Testung zur Einschulung. Diagnosen aus der Kindheit.

    Dazu kommt evtl noch Frühgeburt .

    Finde es nicht richtig die Diagnose wieder weg zunehmen. Es ja keine temporäre Sache .

    Und ein SBA zu bekommen müssen die Einschränkungen mindestens 6Monate vorhanden sein.

    Habe nie im Leben von mir gedacht irgendwann Mal ein SBA zu bekommen und das Ausbildung im Bildungswerk ansteht.

    War aber immer schon anderes.

    Das Do ist der Weg. :prof:

  • Eher wird in der diagnostischen Praxis in manchen Fällen trotz Erfüllung der Diagnosekriterien die Diagnose nicht gestellt, weil manche Diagnostiker halt der Ansicht sind, das sollte Menschen mit Leidensdruck vorbehalten bleiben. Das sehe ich persönlich kritisch, Du hältst es für richtig, man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein.


    Ich hoffe dass es mir gelingt, mich verständlich auszudrücken:

    Ich bin persönlich (mittlerweile) der Meinung, dass es solch ein Kriterium geben sollte. Im DSM und ICD11 ist es aus meiner Sicht gegeben. Ob es im ICD10 auch zwingend erforderlich ist (obwohl es nicht ausdrücklich in den Kriterien beschrieben wird), weiß ich nicht, da ich mich zuwenig mit dem ICD auskenne. Ich kann nicht ausschließen, dass ein Diagnostiker an dieser Stelle vielleicht erklären würde, warum er auch bei einer Diagnose nach ICD10 einen Leidensdruck als gegeben ansehen muss. Wenn Du der Meinung bist, dass es dieses Kriterium nicht geben sollte, kann ich das akzeptieren und ich will Dich da auch von gar nichts anderem überzeugen.

    In Bezug auf die Diagnostik (also dort, wo es nicht mehr um meine persönliche Meinung geht) muss beim DSM und ICD11 dieses Kriterium zum Zeitpunkt der Diagnostik erfüllt sein um eine Diagnose vergeben zu können, hierüber lässt sich aus meiner Sicht nicht diskutieren. Bei allen Ansätzen in der Art von etwa „ist zwar nicht gegeben, aber könnte ja zukünftig eintreten“ oder „ist zwangsläufig erfüllt, sonst wäre derjenige ja gar nicht hier“ arbeitet der Diagnostiker unseriös und läuft Gefahr, seine Zulassung zur Diagnostik zu verlieren. Es ist unerheblich, ob er persönlich vielleicht sogar dieselbe Ansicht wie Du hat und dieses Kriterium für blödsinng hält. Er darf die Diagnose nicht vergeben, wenn es nicht erfüllt ist. Auch dann nicht, wenn sie früher vielleicht einmal erfüllt waren (das wäre auch reichlich bescheuert, da eine Fehldiagnose sich dann niemals als eine solche herausstellen könnte). Mit "Ablaufdatum" hat das alles nichts zu tun.

    Also anders ausgedrückt: ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass eine Diagnose nicht vergeben werden sollte, wenn zwar alle Kriterien erfüllt sind, aber kein Leidensdruck besteht. Ich bin - genau umgekehrt - der Meinung, dass eine Diagnose nur dann vergeben werden darf, wenn auch alle Kriterien erfüllt sind. Und das unabhängig davon, was meine persönliche Meinung zu den Kriterien ist.

    Wenn Du der Ansicht bist, dass Diagnosen trotz Erfüllung der Kriterien nicht vergeben werden halte ich es für möglich, dass das daran liegt, dass Du dieses eine Kriterium nicht anerkennst oder anders verstehst, als es Diagnostiker tun.

    Indem man einen Menschen mit autistischer Persönlichkeitsstruktur nur dann als Autisten bezeichnet, wenn er aktuell unter den Folgen dieser Persönlichkeitsstruktur leidet


    Nein, da haben wir uns noch nicht verstanden. Ich bezeichne nicht Autisten nur dann als Autisten wenn sie leiden, sondern nur dann einen Autisten als einen Autisten im diagnostischen Sinne(!) nach den Kriterien des ICD und DSM, wenn diese erfüllt sind. Es sind unterschiedliche Bezeichnungen für unterschiedliche Sachverhalte. Es gab natürlich auch schon Autisten, bevor ICD und DSM entsprechende Krankheitsbilder in Zusammenhang mit Autismus definiert haben. Ein Autist ist für mich persönlich(!) auch dann ein Autist, wenn er bspw. gar keine Diagnose haben möchte, aber zu Selbsterkenntniszwecken abklären lässt, ob er alle Kriterien bis auf dieses eine erfüllt und ihm als Ergebnis dann „autistische Züge ohne ICD-Code“ bescheinigt werden. Für einen Psychiater oder Therapeuten wiederum wird es aber wohl kein Autist sein.

    Ich sehe bei diesem Thema unterschiedliche Erwartungshaltungen und Ansprüche an eine Diagnostik. Nehmen wir mal an, es gäbe eindeutige und zuverlässige Speichelprobentests, die Aufschluss darüber geben können, ob Autismus im Sinne einer veränderten Reizverarbeitung usw. vorliegt. So, wie ich Dich verstehe wärest Du damit zufrieden und bräuchtest dann gar kein ICD oder DSM mehr, um Selbsterkenntnis zu gewinnen. Aus Sicht der Psychiatrie und des Gesundheitssystems ist es aber überhaupt nicht das, was sie wissen wollen und auch nicht das, womit sie sich begnügen würden. Deren Ziel ist es, Krankheitsbilder, Verhaltenauffälligkeiten und -muster, unter denen ein Patient leidet, korrekt klassifizieren zu können. Das ist, was ich mit dem Unterschied zwischen Forschung und Psychiatrie meine.

    Die Formulierung "Krankheit" ist tatsächlich unglücklich. Tatsächlich ist ja eine "Entwicklungsstörung", ein spezifischer Verlauf in der Kindheit gemeint. Der Beginn in der Kindheit wird für die Diagnose auch zwingend vorgeschrieben. Dass zwischen dem Phänomem und der Diagnose Autismus in der Forschung unterschieden wird, trifft meines Wissens nach nicht zu.

    Die Diagnosen, von denen wir hier reden sind psychiatrische Diagnosen in einem Krankheitskatalog. Man kann diesen Kontext meiner Meinung nach kaum schönreden. Darin sehe ich aber auch die Entstehung und das Problem dieser verschiedenen Erwartungshaltungen: da es keine andere Diagnosemöglichkeiten als diese gibt, muss jemand, "der nur wissen will ob er Autist ist", sich danach richten. Andernfalls würde es überhaupt gar keinen Sinn machen, sich in diesen psychiatrischen Kontext zu begeben. Dass es sich um einen solchen Kontext handelt, wird m.M.n. übersehen wenn man fordert, dass eine Diagnose auch dann vergeben werden muss, wenn keine klinisch signif... bestehen.

  • Also anders ausgedrückt: ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass eine Diagnose nicht vergeben werden sollte, wenn zwar alle Kriterien erfüllt sind, aber kein Leidensdruck besteht. Ich bin - genau umgekehrt - der Meinung, dass eine Diagnose nur dann vergeben werden darf, wenn auch alle Kriterien erfüllt sind. Und das unabhängig davon, was meine persönliche Meinung zu den Kriterien ist.

    Ob "klinisch signifikante Beeinträchtigungen" als Synonym zu "Leidensdruck" zu verstehen ist, ist allerdings Interpretationssache. Das ist Ergebnis Deiner Exegese/ Quelleninterpretation der Diagnosekriterien, aber nicht meiner. Und dass Deine die objektiv richtige und meine die falsche ist, ist keineswegs so eindeutig, wie Du offenbar meinst. Nachdem ich schon einige Jahre in diesem Forum und auch anderswo im Netz aktiv bin, ist mir "Mansplaining" selbstverständlich vertraut, aber wie die Beiträge anderer User (nicht nur Userinnen) hier zeigen, sind hier keineswegs alle Deiner Ansicht.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Ja, das sagte ich doch aber schon. Du darfst dieses Kriterium gerne anders nennen.

    Die Begrifflichkeit ist es finde ich nicht wert, darüber zu streiten. Der Punkt bleibt ja derselbe. (..) wie auch immer man das nennt.

    Ich nutze die Begrifflichkeit als Synonym für den viel zu langen Satz, der im DSM und ICD11 steht. Besonders am Handy wollte ich nicht jedesmal "klinisch signifikante Einschränkungen in den Bereichen bla, bli, blub" schreiben. (..) Du darfst es aber gerne anders als mit Leidensdruck umschreiben).

    Mir geht es um das Kriterium, und ich kann es leider nicht sinnvoller benennen ohne hier jedesmal Absätze aus dem dem dsm und ICD einzufügen. Daher hatte ich im folgenden immer mit klinisch signif.. abgekürzt.

    Ich habe null Aussage darüber getroffen, dass ich meinen würde dieses Kriterium im Gegensatz zu dir richtig interpretieren zu können. Im Gegenteil sagte ich, dass ich kein diagnostiker bin und der diagnostiker es als erfüllt ansehen muss.

  • Mir geht es um das Kriterium, und ich kann es leider nicht sinnvoller benennen ohne hier jedesmal Absätze aus dem dem dsm und ICD einzufügen. Daher hatte ich im folgenden immer mit klinisch signif.. abgekürzt.

    Ich glaube allerdings nicht, dass es immer wieder wechselt, ob eine Person klinisch signifikante Einschränkungen im Sinne einer Autismusdiagnose hat oder nicht. Auch in guten Lebensphasen, bei sehr guter Kompensation (die oft nur eine gewisse Zeit über durchgehalten werden kann) und bei passenden Rahmenbedingungen sind sie da. Wenn man genau hinschaut, aber in vielen Fällen auch offensichtlich. Der Typus "zerstreuter Professor" ist ein Beispiel dafür. Ich halte es für richtig, dann auch die Diagnose zu geben. Den Persönlichkeitstypus kann man nicht so einfach wechseln, und er wechselt im Leben auch nicht ständig. Ja, ich weiß, Du meinst, bei Autismus als Diagnose geht es um die krankhafte Ausprägung. Dieser scheinbare Widerspruch verschwindet, sofern man Autismus in der Ausprägung, die eine Diagnose rechtfertigt, eher als Behinderung denn als psychische Krankheit sieht. Behinderungen haben ja auch medizinische Klassifikationen. Es handelt sich um eine Abweichung in der Entwicklung in so vielen Aspekten, dass das Gesamtbild oft behindernd sein kann, der Mensch vulnerabler ist als viele andere. Deshalb ist es doch als tiefgreifende Entwicklungsstörung mit notwendigem Beginn in der Kindheit klassifiziert. Wenn es sich um eine psychische Krankheit handeln würde, von der man auch wieder genesen kann, würde diese Notwendigkeit des Beginns in der Kindheit meiner Ansicht nach gar keinen Sinn machen.

    Nehmen wir mal an, es gäbe eindeutige und zuverlässige Speichelprobentests, die Aufschluss darüber geben können, ob Autismus im Sinne einer veränderten Reizverarbeitung usw. vorliegt. So, wie ich Dich verstehe wärest Du damit zufrieden und bräuchtest dann gar kein ICD oder DSM mehr, um Selbsterkenntnis zu gewinnen.

    Überhaupt nicht. Autismus ist eine psychiatrische Diagnose, die könnte man auf diese Weise nicht feststellen. "Psychiatrische Diagnose" ist für mich aber eben nicht synonym mit "psychische Krankheit" in dem Sinne, in dem das landläufig verstanden wird. Es spielt eher in einer "Liga" mit Teilleistungsstörungen wie ADHS oder Dyspraxie. Ich las schon mal das Argument, Autismus müsse eher unter die Sinnesbehinderungen fallen, weil es sich um eine Wahrnehmungs- und Wahrnehmungsverarbeitungsbesonderheit handelt. Auch die könnte man nicht mit Gentest etc. feststellen.

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    Einmal editiert, zuletzt von Leonora (28. Mai 2020 um 19:47)

  • Deshalb ist es doch als tiefgreifende Entwicklungsstörung mit notwendigem Beginn in der Kindheit klassifiziert. Wenn es um eine psychische Krankheit handeln würde, von der man auch wieder genesen kann, würde diese Notwendigkeit des Beginns in der Kindheit meiner Ansicht nach gar keinen Sinn machen.

    Der Sinn liegt dabei aus meiner Sicht einzig und allein in der Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern. Wenn die "Störung" (ich fürchte, damit jetzt schon wieder einen kontroversen Begriff zu wählen) nicht schon ab Kindesalter vorgelegen hat, müsste man bei der vorliegenden Problematik (klinisch signif...) evtl. andere Diagnosen in Betracht ziehen, um sie korrekt einordnen zu können. Ich schließe daraus nicht die Bedeutung, dass man die Diagnose ein Leben lang behält.

    Es ist ein bisschen schwierig, manchmal habe ich den Eindruck dass wir uns verstehen, dann aber doch wieder nicht. Der Gentest war natürlich hypothetisch gemeint. Verstehe ich Dich richtig, dass wenn es solch einen Test gäbe, der Autismus außerhalb des Psychiatriesystems diagnostizieren könnte, Du für jeden bei dem dieser Test "positiv" ergibt den Anspruch auf eine zusätzliche psychiatrische Diagnose siehst?

  • Wenn die "Störung" (ich fürchte, damit jetzt schon wieder einen kontroversen Begriff zu wählen) nicht schon ab Kindesalter vorgelegen hat, müsste man bei der vorliegenden Problematik (klinisch signif...) evtl. andere Diagnosen in Betracht ziehen, um sie korrekt einordnen zu können. Ich schließe daraus nicht die Bedeutung, dass man die Diagnose ein Leben lang behält.

    Das verstehe ich nicht. Etwas, das als "Entwicklungsstörung" klassifiziert wird, ist doch nicht plötzlich verschwunden, und dann doch wieder da, und dann wieder weg etc. pp. Wenn es sich wirklich um eine "Krankheit", die auch wieder heilen kann, handeln würde, wäre die Notwendigkeit der Entstehung in der Kindheit meinem Verständnis nach sinnlos.

    Der Gentest war natürlich hypothetisch gemeint. Verstehe ich Dich richtig, dass wenn es solch einen Test gäbe, der Autismus außerhalb des Psychiatriesystems diagnostizieren könnte, Du für jeden bei dem dieser Test "positiv" ergibt den Anspruch auf eine zusätzliche psychiatrische Diagnose siehst?

    Nein, natürlich nicht. Autismus ist kein Down-Syndrom, die Ursachen sind wesentlich komplexer (die Folgen können auch beim Down-Syndrom sehr unterschiedlich und vielfältig ausgeprägt sein, die Ursachen sind aber genetisch und eindeutig feststellbar). Da gibt es nicht "das eine Gen", auch nicht die eine Genkombination, sondern viele unterschiedliche Gene und ein jeweils einmaliges Zusammenspiel. Und dann spielt noch die Epigenetik eine Rolle, und die Sozialisation ebenso. Autismus wird aktuell in erster Linie über die sozial-interaktiven Auffälligkeiten diagnostiziert. Meiner Ansicht nach gibt es viele Aspekte, die außerhalb dessen liegen und noch stärker berücksichtigt werden könnten, die Reizfilterschwäche etwa oder die Motorik. Und ja, ich bin dafür, das stärker einzubeziehen, stärker das Gesamtbild zu sehen. Ein Gentest wäre bei Autismus Blödsinn, dem heutigen Wissensstand nach, denke ich.

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  • Etwas, das als "Entwicklungsstörung" klassifiziert wird, ist doch nicht plötzlich verschwunden, und dann doch wieder da, und dann wieder weg etc. pp.

    Korrekt, da sind wir uns einig.

    Wenn es sich wirklich um eine "Krankheit", die auch wieder heilen kann, handeln würde, wäre die Notwendigkeit der Entstehung in der Kindheit meinem Verständnis nach sinnlos.

    Hier nicht. Angenommen, jemand hat soziale Ängste und möchte eine Therapie machen. Nun könnte man ihm irgendeine F-Kodierung für eine Angststörung geben (F40 irgendwas sagt eine kurze Google-Suche). Das Problem dabei wäre, dass möglicherweise die falschen Ansätze für die Therapie gewählt würden. Zur Behandlung von sozialen Ängsten bei Autisten gibt es andere Ansätze.

    Vielleicht ist Angststörung jetzt nicht das beste Beispiel. Aber das Kriterium "muss seit Kindesalter vorliegen" hilft dabei, das vorliegende Krankheitsbild (hier: "soziale Ängste") in seiner Entstehung und seinen Ursachen (hier: "Autismus") von anderen abgrenzen und richtig einordnen und die richtigen Therapieansätze wählen zu können. Wenn die Probleme in der sozialen Interaktion nicht schon seit Kindesalter vorliegen, liegt möglicherweise kein Autismus, sondern ein Trauma in jüngster Vergangenheit vor und es bräuchte eine ganz andere Therapie. Daher macht es Sinn, dieses Kriterium der Notwendigkeit der Entstehung im Kindesalter zu benennen.

    Eine Aussage darüber, dass jemand ein Leben lang Autismus haben wird, wird dadurch dann aber gar nicht getroffen. Wichtig: ich bestreite nicht, dass ein Autist immer Autist sein wird. Ich sage nur, dass es in diesem Kontext gar keine Rolle spielt.

  • Eine Aussage darüber, dass jemand ein Leben lang Autismus haben wird, wird dadurch dann aber gar nicht getroffen. Wichtig: ich bestreite nicht, dass ein Autist immer Autist sein wird. Ich sage nur, dass es in diesem Kontext gar keine Rolle spielt.

    Das ist wohl der Punkt, wo wir unterschiedlicher Meinung sind. Ich sehe Autismus als eine Variante der Entwicklung, die den Menschen in vielen Dingen vulnerabler macht als die meisten andere. Wo genau die Probleme liegen, ist sehr individuell und kann unterschiedlichste Bereiche betroffen, immer jedoch sind das intuitive soziale Verständnis und die Reizverarbeitung in irgendeiner Weise betroffen. Häufig führt diese Besonderheit auch zu Stärken und Fähigkeiten, die im gewissen Sinne von den Schwächen nicht zu trennen sind, weil die "Andersartigkeit" immer die Person als ganzes betrifft. Ich halte es nicht für sinnvoll, diese Andersartigkeit nur im Sinne einer medizinischen Diagnose zu beschreiben, wenn sie aktuell zu Leidensdruck führt. Damit bleiben eben die ausgeblendet, bei denen es gut gegangen ist. Und man lässt die Menschen allein, wenn sie doch Probleme bekommen und dann erst noch eine Diagnostik haben müssten. Meinem Verständnis nach hat diese Diagnose auch eine Schutzfunktion, eben, weil autistische Menschen deutlich vulnerabler als andere sind. Beispielsweise könnten viele von ihnen etliche vermeintlich "einfache" Jobs nicht aushalten. Da ist es sinnvoll, nicht dazu gezwungen zu werden und erst bis zum Zusammenbruch weitermachen zu müssen, nur, weil man gerade keine geltende Diagnose hatte, als man in Hartz IV fiel. Die Diagnose hilft, wenn man eine Psychotherapie machen möchte. Sie hilft, die eigenen Probleme einordnen zu können und konstruktiv damit umzugehen. Vielleicht meinst Du, dafür reicht die Selbstdiagnose. Ich nehme einen Eigenverdacht durchaus ernst, aber das Feedback von Fachleuten kann einem da eine andere Sicherheit geben. Anders als manche vielleicht glauben, zieht die Diagnose nicht gleich einen "Rattenschwanz" an Hilfsmöglichkeiten hinter sich, Hilfen muss man sich immer noch einzeln erkämpfen. Ich verstehe nicht, warum man für autistische Menschen zusätzliche Hürden einführen und die Diagnosestellen noch überfüllter machen sollte, weil die Leute die Diagnostik alle paar Jahre wieder brauchen.

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  • @Leonora

    Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir wirklich unterschiedlicher Meinung sind, wenn wir uns im gleichen Kontext bewegen. Ich habe bisher überwiegend aus der Perspektive der Psychiatrie, Diagnostiker und derjenigen argumentiert, die die Klassifizierungen von Krankheiten erarbeitet haben: dass das alles so ist, wie es ist hat seinen Sinn, man kann nicht Kriterien auslassen usw. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch Deine (vermutete) Perspektive verstehen oder die Probleme nicht auch sehen würde, die sich in einem anderen Kontext ergeben. Ich denke nur, dass die dann vielleicht auch woanders gelöst werden müssen.

    Ich halte es nicht für sinnvoll, diese Andersartigkeit nur im Sinne einer medizinischen Diagnose zu beschreiben, wenn sie aktuell zu Leidensdruck führt. Damit bleiben eben die ausgeblendet, bei denen es gut gegangen ist.

    Bis hierhin würde ich dabei erst einmal kein Problem sehen. Wem es gutgeht/gutgegangen ist, sollte keine Diagnose anstreben, die sich über negative Aspekte definiert und die bei ihm nicht einmal vorliegen. Er braucht sie nicht und er sollte sich auch nicht abwerten. Das Problem, das Du ansprichst beginnt aus meiner Sicht frühestens bei der „vorausschauenden Diagnostik“:

    Und man lässt die Menschen allein, wenn sie doch Probleme bekommen und dann erst noch eine Diagnostik haben müssten.


    Ein praktischer Lösungsansatz dafür wurde aber schon genannt. Ich weiß nicht mehr wer es schilderte und finde den Beitrag nicht mehr, daher in eigenen Worten: es ist möglich, sich „vorausschauend“ in die Diagnostik zu begeben. Wenn dann alle Kriterien bis auf dieses klinisch signif… erfüllt sind, kann zwar keine Diagnose erteilt werden, aber es können autistische Züge bescheinigt werden (man kann es aber auch anders nennen). Wenn es dann zu dem kommt, was Du beschreibst muss man nicht erst wieder zwei Jahre auf der Diagnoseliste stehen. Es muss keine aufwendige Diagnostik mehr durchlaufen werden, es müssen nur noch „Probleme“ bescheinigt werden und die Diagnose kann vergeben werden. Man wäre dann nicht mehr auf dem Level von „jahrelanges Warten bei akutem Bedarf“, sondern nur noch bei „nagut, könnte noch einfacher sein“.

    Was spricht aus Deiner Sicht gegen eine solche Lösung?

    Ich denke, dass es nicht nur die einfachste, sondern auch die praxisnaheste ist. Andere Lösungen wie „Kriterien ignorieren“ oder „Kriterien verändern“ gehen ja nun entweder nicht oder es würde mindestens viele, viele Jahre bis dahin dauern, dann aber auch wieder viele andere, neue Schwierigkeiten implizieren.

    Die Diagnose hilft, wenn man eine Psychotherapie machen möchte.

    Jain. Für eine Psychotherapie ist die richtige Einordnung des Krankheitsbildes und damit diese Kriterien wie „klinisch signif...“ und „seit frühester Kindheit“ unerlässlich. Ein Autist kann Probleme haben, die gar nicht mit Autismus zusammenhängen. Ich könnte da jetzt das Beispiel mit der Angststörung fortführen, in dem ein Autist zwar soziale Ängste hat, aber erst seit zwei Jahren nachdem er ein Trauma durchlebt hat. Wenn er dann zuvor aber nie „klinisch signif...“ hatte, dennoch Autismus diagnostiziert bekam, wäre es wieder kontraproduktiv bei der Suche nach einer geeignete Therapie, diese Diagnose bereits zu haben. Man würde von einem ganz anderen Krankheitsbild ausgehen und es dementsprechend falsch behandeln.

    D.h. ich verstehe ICD und DSM eher als Tool zur richtigen Einordnung des Problems, welches behandelt werden soll als einen gerechtigkeitsschaffenden Mechanismus innerhalb unseres landesspezifischen Sozialsystems. Gerne soll es letzteres geben, aber diesen kann m.M.n. nicht in einem ICD oder DSM gestalten.

  • Was spricht aus Deiner Sicht gegen eine solche Lösung?

    "Autistische Züge" ist kein Synonym für "Autismus ohne aktuelle schwerwiegende Probleme". Das kann auch BAP/ "Schattensyndrom" bedeuten oder Phänomene, die ähnlich aussehen, aber andere Ursachen haben (wie Hospitalismus). Wenn Autismus vom Persönlichkeitstypus her zutrifft, halte ich es nicht für sinnvoll, da so eine "wischi-waschi"-Antwort zu geben. Und selbst wenn man dann eine klarere Auskunft bekommen würde wie "Sie haben einen Persönlichkeitstypus, der bedeutet, dass Sie wahrscheinlich autistisch werden würden, wenn in Ihrem Leben mal ernsthafte Probleme auftauchen", würde das dennoch eine zusätzliche Hürde bedeuten. Würde heißen, dass man mit der Diagnosestelle Kontakt aufnehmen und erst einmal einen Termin vereinbaren und dann wahrnehmen muss, wenn es einem akut schlecht geht, akut Handlungsbedarf besteht. Auch einen einfachen Arzttermin bekommt man nicht immer gleich morgen oder nächste Woche. Und man muss auch erst einmal die Kraft dazu haben. Die Praxis, die Du forderst, wäre, die Diagnose im Grunde etwas vage ohne Diagnoseschlüssel und rein mündlich zu stellen. Vielleicht aus Angst, dass ansonsten Menschen Hilfen bekommen könnten, denen es "zu gut" dafür geht. Gut, das kann man vielleicht wohlwollend als typisch autistischen Gerechtigkeitssinn verstehen. ;) Aber die Angst ist gar nicht nötig, denn Hilfen gibt es nicht automatisch wegen der Diagnose, die müssen gesondert beantragt und begründet werden. Ich glaube auch nicht, dass es so viele "Abzocker" gibt, die Hilfen beantragen, die sie nicht brauchen.

    In der Praxis, davon bin ich überzeugt, würde die Vorgehensweise, die Du forderst, gerade für die "Hochfunktionalen" zusätzliche Hürden bedeuten, und zwar gerade dann, wenn es ihnen aktuell schlecht geht. Aber die Hürden sind doch jetzt schon hoch genug, was soll das dann? Es würde bedeuten, sich immer wieder dem belastenden Prozess der Diagnostik, wo es teils um recht intime Probleme gehen kann, aussetzen zu müssen. Schon jetzt werden Autisten von vielen Ärzten und Therapeuten nicht ernst genommen, gibt es Fachleute, die das für eine "Modediagnose" oder "Ausrede" zu halten, um nicht "an sich arbeiten" zu müssen. Diese Dynamik würde durch eine solche Praxis noch verstärkt. Und nicht zuletzt würde es viele Hochfunktionale mit Eigenverdacht davon abhalten, überhaupt in die Diagnostik zu gehen. Denn viele hinterfragen sich sehr stark und können ihre Probleme ganz schlecht einschätzen. Auch diese Tendenz würde sich verstärken. Ich glaube, es hat keinen Sinn, hier weiter zu diskutieren. Wir sind unterschiedlicher Meinung, da Du den Aspekt "psychische Krankheit" im Vordergrund siehst, und ich den Aspekt "Behinderung". Aber meiner Überzeugung nach wäre die Praxis, die Du für richtig hältst, gerade für die auf den ersten Blick relativ Unauffälligen fatal.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Ein Autist kann Probleme haben, die gar nicht mit Autismus zusammenhängen. Ich könnte da jetzt das Beispiel mit der Angststörung fortführen, in dem ein Autist zwar soziale Ängste hat, aber erst seit zwei Jahren nachdem er ein Trauma durchlebt hat. Wenn er dann zuvor aber nie „klinisch signif...“ hatte, dennoch Autismus diagnostiziert bekam, wäre es wieder kontraproduktiv bei der Suche nach einer geeignete Therapie, diese Diagnose bereits zu haben. Man würde von einem ganz anderen Krankheitsbild ausgehen und es dementsprechend falsch behandeln.

    Nein, eben nicht. Natürlich kann ein autistischer Mensch ein Trauma haben. Aber wenn der Psychotherapeut nichts von der autistischen Persönlichkeitsstruktur und Kommunikationsweise weiß, wird er ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit trotzdem falsch behandeln und im schlimmsten Fall die Probleme sogar verstärken. Er hat eventuell ein völlig falsches Bild davon, wie der Mensch wäre, wenn es ihm gut geht, dass er dann vielleicht immer noch eine vergleichsweise eingeschränkte Mimik hat. Nein, da braucht es jemanden, der sich mit beidem auskennt oder zumindest vom Autismus weiß und offen dafür ist.

    Selbst bei somatischen Erkrankungen ist das mangelnde Wissen von Ärzten über Autismus oft schädlich für Autisten. Denn es fällt ihnen häufig gar nicht so leicht, körperliche Beschwerden so darzustellen, dass der Arzt sie richtig einordnet. Schon allein, weil viele Ärzte in ihrer Beurteilung, wie ernsthaft eine Erkrankung ist, recht intuitiv nach der Körpersprache entscheiden.

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