Wie wurde/wird mit euren Problemen umgegangen? Wie wurdet ihr gefördert?

  • … Ich las mal, dass der Abschied von der Uni/ der Wissenschaft oft einen Milieuwechsel erfordert, und das für manche auch Trauerarbeit erfordern kann. Dann "gleichwertiges" zu finden, kann auch schwierig sein, vielleicht sollte man auch gar nicht erst vergleichen und den Anspruch auf eine "Gleichwertigkeit" nicht haben.

    das passt, Trauerarbeit musste ich auch leisten. und ich denke auch nicht, irgendwas annähernd für mich persönlich Gleichwertiges zu finden, das gibt es einfach nicht.

    Das kann ich gut verstehen. Autisten wird ja häufig ein Fernstudium empfohlen, aber ich denke, das passt nicht unbedingt für jeden. Unter anderem ist extrem viel Selbstdisziplin dafür nötig, und man findet nicht so leicht Zugang zu aktuellen Debatten. Zugleich erfordert es meiner Einschätzung nach eine hohe Stabilität, weit jenseits des üblichen Studien- und Ausbildungsalters noch einmal ein Studium aufzunehmen. Gerade, wenn man seine "Nische" im Leben weder beruflich noch privat gefunden hat, ist es dann sicher besser, sehr genau zu wissen, was man damit will, andernfalls kann das sehr triggern.

    das Fernstudium war dann der dritte gescheiterte Versuch :( da hatte ich dann bald einfach keine Kraft mehr wegen der zunehmenden Probleme in der Partnerschaft und der Belastung durch Erwerbsarbeit. ich bin dann exmatrikuliert worden, weil ich ab so 2016 in eine wirklich schwere Krise geraten bin und so administrative Dinge nicht mehr auf die Reihe bekommen habe.

    In vieler Hinsicht war das alte System vor "Bologna" meiner Einschätzung nach barrierefreier. Zwar gibt es heute mehr Struktur, dafür aber meiner Vermutung nach auch mehr Druck und Gruppenarbeit, und es ist schwerer, eigene Schwerpunkte zu setzen. Da wäre es gut, wenn es wieder alternative Wege geben würde. Ansonsten stimme ich Dir zu, ich würde ein Studium heute auch ganz anders und strukturierter angehen, und mir über Nachteilsausgleich etc. Hilfe holen.

    das alte System mit den Magisterstudiengängen war insofern barrierefreier, weil man (ich) halt dann Seminare etc machen konnte, wenn ich neben der Arbeit Zeit hatte und auch nicht dauernd Leistungsnachweise auf dem Plan standen.
    Wobei grundsätzlich wäre der strukturierende Rahmen vom jetzigen Bachelor-System schon hilfreich für mich, aber ich hab mir mal in Frage kommende Stundenpläne angeschaut und die sind unmöglich mit der Arbeit vereinbar. die Arbeit zu wechseln ist völlig undenkbar, ich bin heilfroh, dass ich ohne Qualifikation eine relativ gut bezahlte Arbeit in Teilzeit habe. ich wüsste nicht, was ich sonst barbeiten soll, sowas wie Handel ofder gastronomie, wo ja ständig gesucht wird, ginge überhaupt nicht, viel zu viele andere Menschen und Kontakte

    2 Mal editiert, zuletzt von Pechblende (11. Juni 2020 um 11:39)

  • Zitat von Pechblende


    Trauerarbeit musste ich auch leisten. und ich denke auch nicht,
    irgendwas annähernd für mich persönlich Gleichwertiges zu finden, das
    gibt es einfach nicht.

    Das ist das Fatale an der Trauer. In der Trauer kann man sich nicht vorstellen, dass etwas anderes gleichwertig sein könnte, man will ja das Verlorene genau so zurück.

    Die Vorstellung, dass ein "anders" irgendwann mal genau so viel Freude machen könnte, wie das Verlorene erscheint völlig irre.

    Klar, es wäre ja auch nicht die gleiche Freude - also nicht zu genau dem Gleichen.
    Erst wenn die Trauer verarbeitet ist, kann erst wieder auch das Gefühl Freude zu etwas ANDREM enstehen, und dann dazu stärker. Ohne durch den Verlust beeinträchtigt zu werden, sondern NEBEN diesem, und dann DORT eine immer höhere Wertigkeit bekommen.
    Das lässt sich nicht "gegenrechnen".

  • das passt, Trauerarbeit musste ich auch leisten. und ich denke auch nicht, irgendwas annähernd für mich persönlich Gleichwertiges zu finden, das gibt es einfach nicht.

    Ja, das bleibt wohl oft auch dann ein Problem, wenn man Trauerarbeit geleistet und losgelassen hat. Sicher ist es sinnvoll, nicht zu vergleichen und offen für Neues zu sein. Doch oft geht es ja nicht nur um einzelne Interessen, sondern um Interessen-/ Themenfelder und zugehörige Lebenswelten. Von denen hat man sich ja nicht ohne Grund angezogen gefühlt. Da ist längst nicht gesagt, ob man in ganz anderen Kontexten etwas finden kann, was eine ähnlich wichtige und erfüllende Rolle im Leben spielt. Ob so etwas überhaupt existiert und zugänglich für einen ist. Bei vielen ist es so, dass sie Abschied nehmen müssen, dafür aber im Privatleben, in Partnerschaft und Familie eine positive "Nische" haben. Wenn auch das fehlt, kann es mit der Perspektive sehr, sehr schwierig sein.

    das alte System mit den Magisterstudiengängen war insofern barrierefreier, weil man (ich) halt dann Seminare etc machen konnte, wenn ich neben der Arbeit Zeit hatte und auch nicht dauernd Leistungsnachweise auf dem Plan standen.

    Ja. Für mich wäre etwas wie das alte System mit einem persönlichen Ansprechpartner/ Coach, der bei der Strukturierung hilft, eventuell zu schwierigen Gesprächen mitkommt etc. wohl ideal gewesen.

    Wobei grundsätzlich wäre der strukturierende Rahmen vom jetzigen Bachelor-System schon hilfreich für mich, aber ich hab mir mal in Frage kommende Stundenpläne angeschaut und die sind unmöglich mit der Arbeit vereinbar. die Arbeit zu wechseln ist völlig undenkbar, ich bin heilfroh, dass ich ohne Qualifikation eine relativ gut bezahlte Arbeit in Teilzeit habe. ich wüsste nicht, was ich sonst barbeiten soll, sowas wie Handel ofder gastronomie, wo ja ständig gesucht wird, ginge überhaupt nicht, viel zu viele andere Menschen und Kontakte

    Das sind ja auch für Nichtautisten schon extrem stressige Jobs, die viele nicht lange durchhalten. Zudem finde ich den Druck und den Zwang zur ständigen Gruppenarbeit schwierig, für ältere Quereinsteiger, die in die Gruppen gar nicht mehr passen, wäre es das wohl erst recht.

    Klar, es wäre ja auch nicht die gleiche Freude - also nicht zu genau dem Gleichen.
    Erst wenn die Trauer verarbeitet ist, kann erst wieder auch das Gefühl Freude zu etwas ANDREM enstehen, und dann dazu stärker. Ohne durch den Verlust beeinträchtigt zu werden, sondern NEBEN diesem, und dann DORT eine immer höhere Wertigkeit bekommen.
    Das lässt sich nicht "gegenrechnen".

    Nicht absolut. Aber wie gesagt, es hat seine Gründe, dass man sich bestimmte Lebenswelten ausgesucht und andere nicht weiter verfolgt wird, nicht immer gibt es eine wirklich passende "Nische". Am realistischsten erscheint mir, aus der Behinderung selbst eine Qualifikation zu machen und Richtung Peer-Arbeit zu gehen. Das finde ich allerdings auch alles andere als einfach.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.


  • Ja, das bleibt wohl oft auch dann ein Problem, wenn man Trauerarbeit geleistet und losgelassen hat. Sicher ist es sinnvoll, nicht zu vergleichen und offen für Neues zu sein. Doch oft geht es ja nicht nur um einzelne Interessen, sondern um Interessen-/ Themenfelder und zugehörige Lebenswelten. Von denen hat man sich ja nicht ohne Grund angezogen gefühlt. Da ist längst nicht gesagt, ob man in ganz anderen Kontexten etwas finden kann, was eine ähnlich wichtige und erfüllende Rolle im Leben spielt. Ob so etwas überhaupt existiert und zugänglich für einen ist.

    ja. die Universität ist halt eine einzigartige Lebenswelt.

  • @'Leonora
    ich glaube, also zumindest erlebe ich es so, ohne das durch irgendwas anderes als häufig, wahrscheinliche oder gar wahr belegen zu können,
    dass mit jeder Erfahrung, und vor allem der von verarbieten Verlusten, es schwieriger wird, eine Nische zu finden. Weil in vorhandenen Nischen diese Erfahrung nicht geteilt wird, nicht verstanden wird.
    Auch wird peer-Arbeit nicht unbedingt gewünscht. Sie "greift" ja gefühlt in das "Spezialgebiet" der "Fachkräfte" - die ein Phänomen von außen betrachten, aber nicht unbedingt von innern her kennen.
    Ich dachte ja oft, es läge an meinen fehlenden Abschlüssen, dann erlebte ich, dass gerade die Erfahrung dazu führte, agelehnt zu werden (Die könnten dich ernster nehmen als uns), in einem blog las ich von einer AS-Frau, DIE alle Abschlüsse hatte, und in einem ATZ keine Stelle bekam, weil "Autisten nie zum Ende kommen". Ich war fassungslos.

    Letztendlich müssten von Autist*innen für Autist*innen parallele Strukturen geschaffen werden. Tja, und da enden dann endgültig zumindest meine Qualifikationen. Also auf der Handlungsebene.
    Was dann auch für andere Wissens-/Interessensbereiche gilt.
    Wo keine Strukturen sind, in die man passt, bleibt nur, selbst eigene zu schaffen, mit anderen, die diese Erfahrung teilen.

    Was aber bedeutet, sich von der Idee, eine Nische zu finden, zu verabschieden.
    Daran "knabbere" ich gerade gewaltig.

  • ...und diese natürlich (in doppelter Bedeutung') parallel zu erklären, z.B. Augen Folgen dem Fingern beide Pupillen werden kleiner, wenn du in den Himmel schaust, Gehirn ist in Ordnung, Kopfweh keines, schlecht ist dir nicht, Schwindelig auch nicht, keine Gehirnerschütterung usw bis runter zu den Zehen".
    Oder wenn ich beschrieb, was das für eine Verletzung ist, wie die sich anfühlt, was in der Haut passiert, wie der Körper das repariert, wie lange es dauert, und ab wann und wie schnell der Schmerz weniger wird...und er konnte alles selbst überprüfen. )

    Danke @Happy to be, du hast mir gerade Tränen und eine Erinnerung mit meinem Vater gebracht. Er machte es so wie du, wenn er mich checkte. Er erklärte dabei immer alles ganz genau.
    Bei meiner Mutter war es nur immer nichts. Egal ob ich Schmerzen hatte, oder zwischenmenschliche Probleme.

    Mein Vater war es auch, bei dem ich auf den Schoß oder daneben saß, wenn er etwas reparierte oder an einer Konstruktion arbeitete.
    Grobmotorisch bin ich noch immer eine Niete - aber mit Uhrmacherschraubendreher und Lötkolben konnte ich umgehen, bevor ich ohne Stützräder Radfahren konnte.
    Vielleicht war das war seine Art der Förderung, mir alles genau zu erklären und mich mitarbeiten zu lassen. Ich habe dabei vermutlich gelernt, wie ich bestimmte motorische Probleme umgehen kann um trotzdem zum Ziel zu kommen. Bei manchen Tätigkeiten, wie z.B. feine SMD Lötarbeiten, staunten meine Arbeitskollegen oft, wie es dieser "zittrige Hund" (eine Bezeichnung für mich) überhaupt schafft, das Bauteil sauber und gerade aufzulöten.
    Mein Interesse für elektronische oder mechanische Konstruktionen wurde wohl unbewusst schon sehr früh gefördert. So wie damals im Kindergartenalter kann ich mich noch heute stundenlang damit beschäftigen z.B. eine kaputte Spiegelreflexkamera Teil für Teil zu zerlegen und die Raffinessen und Funktion der Konstruktion zu erkunden. Damals fragte ich einfach gerade heraus, ob jemand dieses oder jenes Gerät noch benötigt. "Der alte Plattenspieler dort ist schon sehr eingestaubt und wird scheinbar nicht mehr benutzt, darf ich den haben?" Meist bekam ich das Objekt meiner Begierde dann zwar doch nicht, aber manche hatten noch irgend ein altes Gerät im Keller, welches ich dann mit nach Hause schleppen und zerlegen durfte. Vermutlich waren meine Eltern froh, dass funktionierende Geräte Zuhause meist unangetastet blieben, weil ich immer genug Schrott geschenkt bekam :d

    So gesehen, war das damals der Grundstein für meine Nische, in der ich heute beruflich Platz gefunden habe. Es hat zwar einige Jahre und viele Zusammenbrüche bei mir gebraucht, aber das Kämpfen hat sich gelohnt.

  • ich glaube, also zumindest erlebe ich es so, ohne das durch irgendwas anderes als häufig, wahrscheinliche oder gar wahr belegen zu können,
    dass mit jeder Erfahrung, und vor allem der von verarbieten Verlusten, es schwieriger wird, eine Nische zu finden. Weil in vorhandenen Nischen diese Erfahrung nicht geteilt wird, nicht verstanden wird.

    Das halte ich für einen wichtigen Aspekt. Die anderen Menschen, auf die man dort trifft, haben halt oft keinen vergleichbaren Hintergrund.

    Auch wird peer-Arbeit nicht unbedingt gewünscht. Sie "greift" ja gefühlt in das "Spezialgebiet" der "Fachkräfte" - die ein Phänomen von außen betrachten, aber nicht unbedingt von innern her kennen.

    Ja, ich weiß. Dort, wo Peers eingestellt werden, haben sie, soweit ich gehört habe, oft auch große Probleme mit der Rollenklärung, weil das vom Arbeitgeber gar nicht richtig vorbereitet wurde, sondern der Peer quasi selber eigentlich eher ein "Aushängeschild" zum Imagewandel ist. Da werden Menschen zum Teil auch instrumentalisert, ohne wirklich etwas zu ändern.

    Ich dachte ja oft, es läge an meinen fehlenden Abschlüssen, dann erlebte ich, dass gerade die Erfahrung dazu führte, agelehnt zu werden (Die könnten dich ernster nehmen als uns), in einem blog las ich von einer AS-Frau, DIE alle Abschlüsse hatte, und in einem ATZ keine Stelle bekam, weil "Autisten nie zum Ende kommen". Ich war fassungslos.

    Den Satz hörte ich von einer Beraterin auch einmal. Aus diesem Grund hielt sie auch nichts davon, dass Autisten später noch einmal eine Ausbildung machen oder jenseits des typischen Alters noch einmal studieren.

    Letztendlich müssten von Autist*innen für Autist*innen parallele Strukturen geschaffen werden. Tja, und da enden dann endgültig zumindest meine Qualifikationen. Also auf der Handlungsebene.

    Dito. Aber ja, das würde es brauchen.

    Was aber bedeutet, sich von der Idee, eine Nische zu finden, zu verabschieden.
    Daran "knabbere" ich gerade gewaltig.

    Kann ich gut verstehen.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

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