Guten Morgen zusammen,
ich bin schon lange Leser des Forums, habe nun aber selbst ein wichtiges Anliegen, zu dem ich händeringend um Hilfe suche. Aufgrund der etwas komplizierten Situation und meiner Hilflosigkeit wende ich mich hoffnungsvoll an euch:
Zu mir: Ich bin männlich, 35, habe seit Ende letzten Jahres die "Verdachtsdiagnose" ASS (Asperger, High Functional) bekommen und mich nach einem Moment der Verdauung Mitte Februar um einen Diagnosetermin bemüht. Aufgrund der Corona-Situation wurde der ursprüngliche Termin abgesagt, so dass ich nun einen neuen Termin für Mitte September bekommen habe. Mein Vater ist diagnostizierter Asperger, das war mir aber so nicht bewusst, war auch nie Thema. Ich habe also (noch) keine Diagnose, bin aber "wahrscheinlich" Asperger. Auch wenn ich weiß, dass das dem einen oder anderen nicht passt, bitte ich euch das für den Moment zu akzeptieren.
Zu meiner Situation: Ich hatte schon immer Probleme im sozialen Umgang, mit Fragen und Antworten, Kommunikation generell, Schulaufgaben, Unterricht, etc. Ich habe trotzdem Kindergarten, Grundschule und Gymnasium mit (nicht so gutem) Abitur geschafft. Ausbildung und berufsbegleitendes Studium (zu meinem Vorteil mit sehr wenig physischer Anwesenheitspflicht) konnte ich auch noch anhängen. Danach ging es mir erst mal 2 Jahre körperlich nicht gut. Habe dann auch den Arbeitgeber gewechselt. Vor 5 Jahren habe ich nochmal den Arbeitgeber zu einem großen IT-Konzern gewechselt. Nun habe ich über 10 Jahre Berufserfahrung, die Firma wird intern neu strukturiert (wir werden "agil") und ich soll ein "Product Owner" werden. (Kurz erklärt: Mir "gehört" das Produkt Server, ich soll es weiterentwickeln, mit den davon abhängigen Abteilungen abstimmen, viel in Meetings unterwegs sein, reisefür Fortbildungen reisen, etc pp. Früher hätte man darunter vielleicht einen "Fachverantwortlichen" verstanden. Der disziplinarische Teil fällt raus, weil es einen "Team Coach" geben soll, der sich um die Kollegen und das Erfüllen der Aufgaben kümmern soll. Das zur Einordnung...). Sprich: Ich soll vom "Administrator" zum "Fachverantortlichen" werden, was eine Beförderung bedeutet.
Zu meiner Vergangenheit: In den letzten 5 Jahren bin ich immer mehr mit Aufgaben betraut worden, die Richtung Führungskraft ging. Die soziale Komponente dabei fiel mir immer sehr schwer. Meetings, Telefonate und vor allem das "Immer zur Verfügung stehen müssen" machten mir zu schaffen. Insbesondere auch in Eskalations- und Problemzeiten immer präsent sein zu müssen, um die Stabilität unserer Umgebung zu gewährleisten und die Teamkollegen am Arbeiten zu halten, setzen mir zusehens zu. Ich habe bereits körperliche Auswirkungen (Herzstolpern, Verspannung, Schwindel, fühle mich immer "vergesslicher" und überlastet). Mein Herz hängt an der "Administration der Server", meine Fähigkeiten der Firma werden bei der Weitsicht und der Stabilitätsverantwortung von mir geschätzt. Für mich ist das jetzt eine riesen Chance, aber ich befürchte ich bin ihr nicht gewachsen. Von Außen merkt mir das anscheinend keiner an, weil ich sehr gut im Kompensieren geworden bin. Nach Feierabend bin ich zu Hause aber nicht mehr in der Lage zu Kochen oder etwas zu unternehmen. Ich lebe so schon sehr zurückgezogen und gehe kaum unter Leute, weil mich das fertig macht. Aber so komme ich nicht mehr zu meinen normalen Lebensaufgaben, geschweide denn zu Hobbys.
Annäherung an mein Problem: Ich konnte gefühlt im ganzen Internet niemanden finden, der mit Asperger-Grundvoraussetzung versuchte eine Führungsposition zu bekleiden. Auch keinen, der versucht "sich zu optimieren" oder eine Therapie macht, um das zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Ich konnte nur Leute finden, die versuchen "ihr normales Leben" in den Griff zu bekommen, die versuchen einen festen Job zu bekommen und "zu ertragen", etc. Das fällt mir auch alles schwer, aber irgendwie funktioniert es, zum Teil auch weil ich mich selbst (körperlich) in den Hintergrund stelle um für den Job alles zu geben. Ich kompensiere auf Kosten meiner Gesundheit und bin damit (bis auf den gesundheitlichen Schaden) auch ziemlich erfolgreich.
Meine kurzfristigen Anfragen bei psychologischer Hilfe wurden aktuell alle abgelehnt, weil ich noch keine Diagnose habe und die "Stammpatienten", die sicher diagnostiziert sind, Vorrang haben. Somit bleibt mir nur Selbstrecherche - und eben hier "die Betroffenen" um Austausch zu bitten.
Alle Therapieangebote, die ich grundsätzlich finden konnte, drehten sich um die alltäglichen Probleme. Ich konnte keinen Therapeuten finden, der sich auf "Wie gehe ich als Autist/Asperger mit Verantwortung und Druck in Führungspositionen um" spezialisiert hätte.
Mein Osteopath, den ich auch erst seit Anfang des Jahres besuche, stellte bisher diverse Verspannungen (Rücken, Nacken, Tinnitus, Schwindel, etc) fest und meinte, dass bei mir grundsätzlich was im Argen sei. Da er keine Spezialisierung Richtung Autismus hat, kann er nur die körperlichen Symptome abfedern bzw bewerten. Seine einzige psychologische Aussage war, dass ich anscheinend ein Problem mit dem Thema Abgrenzung habe und zu sehr Erwartungen anderer erfülle und mich selbst vernachlässige. Sein eindringlicher Hinweis: Nicht so weitermachen wie bisher
Meine Fragen:
- Gibt es eine Möglichkeit, als Asperger der schon unter "Alltagsproblemen" leidet, eine Therapie/ein Coaching zu erhalten, was einem den Umgang mit den Aufgaben/Herausforderungen einer Führungskraft vereinfacht?
- Gibt es dafür Spezialisten?
- Sind meine Ansprüche zu hoch? Sollte ich mich eher um meine "normalen" Aspie-Probleme kümmern?
- Ist es ein "Versagen", wenn man Dinge rein fachlich/kognitiv kann, aber nicht aushält?
Erkenntnisse während des Schreibens des Beitrags:
- Frage ich das alles wirklich? Während des Schreibens kommt es mir so dumm vor nicht einfach einzusehen, dass ich der Firma auf Kosten meiner Gesundheit vorrübergehend helfen will
- Ich denke ich sollte lieber froh sein, dass ich mein Leben halbwegs auf die Reihe bekomme.
- Ich sollte meine Gesundheit in den Vordergrund stellen und auf meiner bisherigen Position "zur Ruhe kommen" und mich privaten Dingen (wieder normal Essen, Freunde finden, Hobbys genießen) widmen
Jetzt schäme ich mich schon fast den Text abzuschicken, weil er so überrumpelt, undurchdacht und im Ergebnis viel offensichtlicher ist, als er vorher noch in meinem Kopf war. Ich nehme trotzdem Mal meinen Mut zusammen, denn zu verlieren habe ich nichts.
Viele Grüße vom Schatten