Soziale Kontakte haben eher negative Auswirkungen?

  • Hallo,

    Studien beweien ja gemeinhin die positive Auswirkung sozialer Kontakte und bis vor Kurzem war ich mir auch sicher, dass
    ich zu wenig Kontakte habe und mich das (ua) depressiv macht.
    In letzter Zeit stelle ich mir aber die Frage, ob mich nicht eher soziale Kontakte depressiv machen?
    Wenn ich mit mir alleine bin und ich mache Dinge, die meine SIs sind - mich um meine Tiere kümmern oder generell mit
    Tieren beschäftigen und schreiben/lesen - kann ich einen Zustand der Zufriedenheit erlangen, wobei mich alltägliche
    größere Sorgen (wie aktuell finanzielle) davon abhalten können, weshalb dies nicht jeden Tag gut klappt.
    Ich verrpüre dann kein wirkliches Bedrüfnis, andere zu sehen, es kann sogar eher stören, weil ich aus meiner Gedankenwelt
    gerissen werde.
    Das wäre ja nun nicht weiter tragisch, wenn sich halt solche und solche Phasen abwechseln würden.
    Allerdings habe ich neuerdings verstärkt den Eindruck, dass es mich oft depressiv macht, wenn ich mit anderen zusammen
    bin - auch wenn das jemand ist, den ich mag. Als Grund sehe ich, dass ich dann mit der Welt der "Normalen" konfrontiert
    werde und sehe, dass mit mir was nicht stimmt. Dann treffe ich auf Menchen, die viel aktiver sind und nicht gerne den ganzen
    Tag alleine in der Wohnung verbringen, die Partner haben usw., was man halt so "normalerweise" macht. Die ihren Fokus
    auf andere Menschen oder die Menschheit allgemein legen, während ich Tiere und Bücher bevorzuge.
    Ich denke, dann fangen die Vergleiche in meinem Kopf an. Vielleicht auch, da ich es von klein auf so gelernt ... und dann
    ist es aus mit irgendeiner Zufriedenheit.

  • Das habe ich bei mir auch schon beobachtet. Ich war mal 5 Wochen krank geschrieben und habe in dieser Zeit niemanden getroffen. Die 5 Wochen waren richtig toll. Meine Depressionen wurden viel besser und ich fing irgendwie an zu strahlen. Hab mich manchmal nicht mehr im Spiegel erkannt, weil ich so viel fröhlicher aussah. Ich hatte dann die Theorie, dass ich im Grunde sehr zufrieden mit mir und meinem Leben, aber wohl nicht sonderlich resilient bin. So beeinflusst mich schnell die schlechte Stimmung anderer und ich fühle mich schnell erdrückt, belästigt o.ä. durch den für mein Verständnis wenig achtsamen Umgang der NTs untereinander. So nehmen mich viele Dinge da draußen viel mehr mit und hängen mir viel länger nach, sodass mein Basisgefühl mehr und mehr überlagert wird.

    "Leute mit (...) Charakter sind den anderen Leuten immer sehr unheimlich." - Hermann Hesse

  • Als Grund sehe ich, dass ich dann mit der Welt der "Normalen" konfrontiert werde

    Das kommt mir bekannt vor...

    Besser komme ich daher mit Leuten klar, die entweder selbst nicht "normal" sind (muss nicht heißen, dass sie ähnlich wie ich sind, aber es hilft einfach, dass dann der Bezugsrahmen der "Normalität" wegfällt).
    Oder mit streng themenbezogenen Kontakten, wo wenig über Privates geredet wird. (Das ist z. B. in meinem Schachverein der Fall - die Leute dort sind zwar (vermutlich :roll: ) nicht alles Autisten, aber man redet dort eben wirklich nur über Schach - keiner erzählt von seinem Partner / seiner Familie, erzählt, was er am Wochenende gemacht hat, wohin er in Urlaub fährt, welchen Film er sich mit seinen Freunden angeguckt hat oder angucken will etc. - und damit fallen die möglichen "Konfrontationspunkte" weg, also die Momente, wo meine Andersartigkeit plötzlich ins Gewicht fallen würde, weil ich nichts Sinnvolles zum Gespräch beizutragen habe.)

    Ansonsten ist es erfahrungsgemäß auch im 1:1-Kontakt etwas besser als in größeren Gruppen (wieder, weil sich hier die Maßstäbe, was "normal" ist, verschieben).

    -

    So beeinflusst mich schnell die schlechte Stimmung anderer und ich fühle mich schnell erdrückt, belästigt o.ä. durch den für mein Verständnis wenig achtsamen Umgang der NTs untereinander. So nehmen mich viele Dinge da draußen viel mehr mit und hängen mir viel länger nach, sodass mein Basisgefühl mehr und mehr überlagert wird.

    Jap, das kenne ich auch von mir. Irgendwie erlebe ich viele Dinge wohl "intensiver" als "normale" Menschen. Daher "reicht" es mir auch, Leute seltener zu treffen und sich nicht bspw. mehrmals pro Woche zu sehen.

    "He that can take rest is greater than he that can take cities." ~ Benjamin Franklin

    Ich hab mehr Spielwiesenbeiträge als du!

  • Früher, bevor ich von meinem Autismus wusste, bin ich jedes Jahr zwei mal allein verreist. In recht einsame Gegenden. Da habe ichnmit niemandem kommunizieren müssen, auśer mal beim Einkaufen. Eine himmlische Ruhe! Die Zeiten brauchte ich immer zum Auftanken. Hätte gern viel länger sein können.

    Auch jetzt genieße ich Zeitn ohne andere Menschen. Allerdings habe ich jetzt festgestellt, dass ich mit meinen AspieFreunden genauso auftanken kann. Irre.


    Also die Geschichte von positiver Auswirkung sozialer Kontakte passt eher zu NTs, aber eher nicht zu ASs.

  • Ich brauche auch viel Zeit allein.

    Aber mit Sozialkontakten ist es so eine Sache: ich finde sie immer stressig, wenn sie bevorstehen, aber bin froh über sie, während sie stattfinden oder hinterher (vorausgesetzt sie laufen für mich gut ab). So ganz ohne würde mir glaub ich etwas fehlen. Allerdings habe ich auch nur wenige, ich lebe ja allein und sehe den ganzen Tag niemanden, wenn ich zu Hause bin.

    Das Problem mit den Vergleichen habe ich nicht oder nur selten.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Aber mit Sozialkontakten ist es so eine Sache: ich finde sie immer stressig, wenn sie bevorstehen, aber bin froh über sie, während sie stattfinden oder hinterher (vorausgesetzt sie laufen für mich gut ab). So ganz ohne würde mir glaub ich etwas fehlen.

    So ist es bei mir auch.
    Ich finde das sie Spaß machen können, aber dafür müssen die Vorraussetzungen stimmen.
    Zum Beispiel wenn ich selbst entscheiden kann was ich dort mit wehm mache und wie lange. Solange es sich auch generell in Grenzen hält, kann ich mich gur davon erholen weil das hin und her fahren finde ich schon ansträngend genug.
    Ich denke manchmal das ich wie ein Hobbit bin in der Hinsicht XD
    Ich hätte es auch nicht gern wenn die Leute vom Autismustreffen alle zu mir nachhause kämen, wenn ich schon nicht selbst von zuhause weg muss.
    Das wäre für mich sicherlich genauso stressig.
    Abenteuer sind schön, aber bitte nur in Maßen.
    Deswegen schlauchen mich meist auch Schule, Arbeit etc so sehr weil diese wirklich regelmäßig über Stunden pro Tag stattfinden, so das ich mich nicht wirklich davon erholen kann.
    Diese Dinge waren für mich meist nur erträglich wenn ich mit "mir ähnlichen Menschen" zusammen war, aber da wo Nichtautisten und auch keine anderen "besonderen Menschen" waren, hat mir das idR nicht gut getan. Ich kam irgendwann nicht mehr mit und man hat mich nur mitgezogen (RW) oder aussortiert. Das nützt am ende niemandem etwas.
    Wenn das mit Corona vorbei ist, kann ich in eine Behindertenwerkstatt. Ich bin gespannt wie das dann dort wird.
    Meine Erfahrungen mit anderen Menschen mit Handicap sind bislang meist mehr positiv als negativ gewesen und auch die Arbeiten in der Förderschule und an den Nachmittagen danach war ich gut gewachsen und auch zufrieden damit. Ich fände es toll wenn ich da endlich einen für mich geeigneten Platz finden würde.

    Go bad or go home!

  • Allerdings habe ich neuerdings verstärkt den Eindruck, dass es mich oft depressiv macht, wenn ich mit anderen zusammen
    bin - auch wenn das jemand ist, den ich mag. Als Grund sehe ich, dass ich dann mit der Welt der "Normalen" konfrontiert
    werde und sehe, dass mit mir was nicht stimmt. Dann treffe ich auf Menchen, die viel aktiver sind und nicht gerne den ganzen
    Tag alleine in der Wohnung verbringen, die Partner haben usw., was man halt so "normalerweise" macht.

    Aus diesem Grund finde ich Kontakte mit "Normalen" zunehmend anstrengender und schwieriger. Zugleich habe ich da eher das Gefühl, mich "rechtfertigen" zu müssen. Gerade bei neuen Kontakten merke ich, dass andere recht schnell die jeweiligen Lebensverhältnisse "abklopfen", um den Gesprächspartner einordnen zu können. Bei mir sind scheinbar unverfängliche Themen da schnell schwieriges Terrain. Im Kontakt mit Autisten und/oder Menschen mit Behinderungen oder psychischen Krisenerfahrungen ist das hingegen anders, da sind sehr viele in ähnlicher Situation, und ich fühle mich deutlich selbstbewusster und offener.

    Aber mit Sozialkontakten ist es so eine Sache: ich finde sie immer stressig, wenn sie bevorstehen, aber bin froh über sie, während sie stattfinden oder hinterher (vorausgesetzt sie laufen für mich gut ab).

    Das geht mir ebenso, wenn sie angenehm ablaufen. Von angenehmen Erinnerungen in der Richtung "zehre" ich auch manchmal noch lange.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Ich bin zwar nie besonders kontaktfreudig gewesen, aber als ich jünger war, habe ich schon versucht mich dem "Normalem" etwas anzupassen. Letztendlich war ich aber fast immer überfordert und psychisch auch richtig fertig. Seitdem ich überwiegend für mich alleine bin, geht es mir wesentlich besser. Die Aspietreffen, die ich hin und wieder mitnehme, tun mir allerdings ausnahmslos gut.

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    Glaub nicht alles, was du denkst.
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  • Gerade bei neuen Kontakten merke ich, dass andere recht schnell die jeweiligen Lebensverhältnisse "abklopfen", um den Gesprächspartner einordnen zu können. Bei mir sind scheinbar unverfängliche Themen da schnell schwieriges Terrain.

    Ja. Jedes noch so "lockere" Gespräch über jedes noch so unverfängliche Thema kann da schnell zum ungewollten "Auting" werden. (Nicht explizit durch Nennen der Diagnose, aber der andere merkt eben sofort, dass man "komisch" ist.)

    Im Kontakt mit Autisten und/oder Menschen mit Behinderungen oder psychischen Krisenerfahrungen ist das hingegen anders, da sind sehr viele in ähnlicher Situation, und ich fühle mich deutlich selbstbewusster und offener.

    Erlebe ich auch so.
    Außerdem finde ich den Kontakt mit, sagen wir, leicht "nerdigen" Leuten oft sehr angenehm - nicht unbedingt, weil die selbst "krisenerfahren" sind, sondern einfach weil die irgendwie "offener" sind für komische Interessen, komische Hobbys etc.

    "He that can take rest is greater than he that can take cities." ~ Benjamin Franklin

    Ich hab mehr Spielwiesenbeiträge als du!

  • Ja. Jedes noch so "lockere" Gespräch über jedes noch so unverfängliche Thema kann da schnell zum ungewollten "Auting" werden. (Nicht explizit durch Nennen der Diagnose, aber der andere merkt eben sofort, dass man "komisch" ist.)

    Ja, genau. Besonders intensiv merke ich das beispielsweise bei Workshops zu Kommunikation, zum beruflichen Neustart oder zu Freiberuflichkeit und Selbständigkeit. Dort sind meistens Leute, für die das Thema Berufsleben auch schwierig ist bzw. die nach einer Lösung für sich suchen, aber ansonsten ein "normales" Leben und zumeist Partnerschaft und Familie haben. In derartigen Veranstaltungen geht es ja zumeist interaktiv zu, das heißt, man kann auch nicht "ausweichen". Da falle ich tatsächlich sehr schnell als "komisch" auf. Ebenso bei Konferenzen oder ähnlichen Veranstaltungen, die sich nicht auf den Bereich Behinderung beziehen oder bei denen ich nicht "geautet" bin. Das war im Studium noch anders, da hatte ich gewissermaßen eine "legitime Identität". Inzwischen habe ich durch diese Schwierigkeiten so etwas wie eine sekundäre Sozialphobie entwickelt. Bei "Normalos" muss ich einfach viel zu viel erklären und passe dann doch nicht rein, weil die Leute zugleich auf so viele Erklärungen und Menschen in komplexer Lebenssituation auch gar keine Lust haben.

    Außerdem finde ich den Kontakt mit, sagen wir, leicht "nerdigen" Leuten oft sehr angenehm - nicht unbedingt, weil die selbst "krisenerfahren" sind, sondern einfach weil die irgendwie "offener" sind für komische Interessen, komische Hobbys etc.

    Dito. Mit Leuten aus solchen Zusammenhängen sind die Gespräche auch eher inhaltsbasiert und weniger auf die jeweiligen Lebenssituationen bezogen. Deshalb gehe ich schon seit vielen Jahren gelegentlich zu einem kleinen Fantreffen, obwohl die Mehrheit der Leute dort meiner Einschätzung nach weder Autisten noch unbedingt krisenerfahren sind. Eine Spektrumsaffinität haben viele allerdings schon.

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  • Ja, sie können je nachdem, mit welchen
    Menschen man sich abgibt, negative Auswirkungen auf das eigene Wohl haben! Soziale Kontakte können wiederum auch mit den „richtigen“ Menschen sehr inspirierend und
    motivierend sein!

    Ich für meinen Teil, bin lieber
    allein für mich, weil ich mich mit den
    meisten Leuten einfach nicht identifizieren kann, und somit auch keine Lust habe mich überhaupt mit ihnen zu beschäftigen.

    Mein Vorteil: Ich kann tun und lassen was ich will, ohne das Hinz und Kunz
    irgend etwas von mir wollen.

    Dennoch muss ich eingestehen, dass auch ich mich gerne mit Leuten, die meine Interessen teilen, austauschen würde, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen
    für mich zu übernehmen.

  • Als Grund sehe ich, dass ich dann mit der Welt der "Normalen" konfrontiert
    werde und sehe, dass mit mir was nicht stimmt. [...]
    Ich denke, dann fangen die Vergleiche in meinem Kopf an.

    Das wäre auch mein Eindruck anhand des Beschriebenen. Vielleicht fehlt dann in der Gesamtheit die Bereicherung, so dass man gar nicht so scharf darauf ist, das Erlebnis so bald wie möglich zu wiederholen.

    Was dieses Rausreißen aus der Gedankenwelt angeht... das kann sicherlich störend sein... es kann aber auch Phasen von unschönen Gedanken geben. Ich glaube zumindest, dass da dann schon manche ihre Gedanken zumindest mal loswerden wollen oder so. Und da geben Menschen dann sicherlich schon mehr, vor allem wenn eben auch so etwas wie Zuhören, Feedback usw. erwünscht ist.


    ***

    So beeinflusst mich schnell die schlechte Stimmung anderer und ich fühle mich schnell erdrückt, belästigt o.ä. durch den für mein Verständnis wenig achtsamen Umgang der NTs untereinander.

    Miese Stimmung zieht sicherlich runter. Vor allem im RL kann ich so etwas gar nicht gebrauchen. Ich sehe das fragwürdige Miteinander allerdings bei Menschen allgemein, ganz egal welches Etikett sie tragen oder man ihnen gibt (→ AS, → "NT" etc.).

    In letters of gold on a snow white kite I will write "I love you"
    And send it soaring high above you for all to read

  • Hi Fidoline,


    ich kenne das gefühl, deprimiert zu sein, wenn ich Leute oder sogar Freunde getroffen habe, sehr gut. Denn sie scheinen alle ein so viel erfolgreicheres und leichteres Leben zu leben und mehr erreicht zu haben als ich. Von wegen Familie gründen, einen sicheren Arbeitsplatz haben, in dem sie glücklich sind, sich im Leben eingerichtet haben - während ich immer kämpfen muss, um all das auch nur im Ansatz zu erreichen.
    Ich sage mir dann zum Trost allerdings, dass ich bestimmte Dinge (z.B. Kinder haben) vielleicht selbst gar nicht möchte. Dass auch Menschen, die selbst eine Familie gründen, nicht immer glücklich sind und auch Ehen sehr oft scheitern. Dass diese ganzen bürgerlichen "Erfolge" die Menschen vill. auch nicht immer glücklich machen und sie doch sehr in ihrem Lebensplan gefangen sind. Es gibt noch andere Arten und Weisen, sein Leben zu leben und solange du niemandem etwas antust, sind alternative Lebensentwürfe sehr gut. Du musst nur selbst glücklich sein :)
    Ich habe bei erschwerten Bedingungen für meine Verhältnisse und mich selbst schon sehr viel erreicht. Das kann ich nicht direkt mit anderen vergleichen, aber ich habe mich entwickelt und habe beispielsweise Ängste, die ich früher hatte abgelegt. Ich habe viel über den sozialen Umgang gelernt, und das war schwer. Habe nie aufgegeben und immer dazu gelernt.

    Ja, das sind so Tröstungsmechanismen. Vielleicht helfen sie ja auch dir?


    LG Konny

    Raum und Zeit existieren seit geraumer ...

    (Piet Klocke)

  • In letzter Zeit stelle ich mir aber die Frage, ob mich nicht eher soziale Kontakte depressiv machen?

    Kann ich bestätigen. Zumindest wenn es mir schlecht geht ist "geh unter Menschen" der schlechteste Rat von allen für mich. Als Aspie erschöpft mich das dann noch mehr.
    Auf der anderen Seite ohne wenige vertraute und rücksichtsvolle Kontakte fühle ich mich auch sehr isoliert.

  • Diese Beobachtung mache ich bei mir schon lange. Es gibt nur ganz wenige Menschen, auf die ich mich immer freue, wenn ich die Möglichkeit habe, sie zu sehen und die ich auch mehrere Stunden um mich haben kann. Das sind auch die, die ich jetzt sehr vermisse.

    Aber auch hier bleibt nach Begegnungen oft ein gedrücktes Gefühl zurück, wenn wir uns verabschieden. Ich führe das vor allem auf meinen nachhängenden Verarbeitungsmodus zurück, der mich zwingt, alles was gemacht oder geredet wurde noch mal durchzuprozessieren, einschließlich der Stimmungen. Das ist super anstrengend. Und wehe, es ist etwas nicht gut gelaufen! Dann komm ich tagelang nicht mehr so richtig zu mir selbst zurück. Das arbeitet und arbeitet....Das fällt weg ohne Sozialkontakte.

    Andererseits merke ich jetzt, wenn ich länger nicht spreche, muss ich erst wieder Anlauf nehmen um reden zu können ohne nach jedem zweiten Wort hängen zu bleiben.
    Und permanente Selbstfokussierung ist einfach ungesund. Menschen brauchen Menschen. Es müssen halt Leute sein, die passen. Und das ist für uns Autisten vermutlich richtig schwierig. Für die meisten zumindest.

  • Aber mit Sozialkontakten ist es so eine Sache: ich finde sie immer stressig, wenn sie bevorstehen, aber bin froh über sie, während sie stattfinden oder hinterher (vorausgesetzt sie laufen für mich gut ab).

    So geht mir das auch, und ich bin mir manchmal nicht sicher, ob ich mir diesen Stress auferlege, weil ich Kontakte haben möchte oder weil ich denke, dass ichs nur lange genug üben muss, damit es entspannter für mich wird.
    An vielen Freunden liegt mir aber wirklich etwas und ich möchte eine Beziehung, merke aber, dass es, selbst wenn ich gut drauf bin, nicht einfach und kinderleicht funktioniert.

    Und permanente Selbstfokussierung ist einfach ungesund. Menschen brauchen Menschen. Es müssen halt Leute sein, die passen. Und das ist für uns Autisten vermutlich richtig schwierig. Für die meisten zumindest.

    Das ist für mich ein wichtiger Punkt, der mich ständig motiviert. Ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, mich besser reflektieren zu können, weil ich mehr verstanden habe, was andere über sich denken und wie es ihnen wirklich geht.

    Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es mit "Menschen, die dem autistischen Spektrum nahe sind" besser klappt, viele meiner aktuellen Vertrauenspersonen sind zB: eher logisch als emotional, brauchen viel Struktur und sind keine Smalltalk-Liebhaber.
    Ich habe das schon öfter erwähnt, aber meine längste Beziehung war mit einem Menschen, dem seine Psychologin Autismus attestiert hat. Und bei ihm war ich wirklich gern, ich hatte das überraschende Gefühl, dass ich ich selbst sein kann, was ein wirklich seltenes Gefühl bei mir war.

    Ich habe außerdem festgestellt, dass es manchmal mit sehr intellektuellen oder intelligenten Menschen doch ganz gut funktioniert. Zwar war kann ich schon jetzt nicht mehr mithalten, was erreichte Erfolge/Berufe/Beziehungen angeht, aber Unterhalten geht meist viel besser, als mit anderen Normalos.

    Einmal editiert, zuletzt von Mugwump (2. April 2020 um 08:38)

  • Und permanente Selbstfokussierung ist einfach ungesund.

    Wobei ich mich beim Schreiben ja auf andere Personen fukossiere - und diese sind viel einfacher als die realen Leute :d .

    Ich habe außerdem festgestellt, dass es manchmal mit sehr intellektuellen oder intelligenten Menschen doch ganz gut funktioniert. Zwar war kann ich schon jetzt nicht mehr mithalten, was erreichte Erfolge/Berufe/Beziehungen angeht, aber Unterhalten geht meist viel besser, als mit anderen Normalos.

    Womöglich weil du selbst so intelligent bist? Wäre für mich eine logische Erklärung.

    Also bei bestimmten Autistentreffen geht es mir auch besser, als wenn ich andere Menschen treffe. Aber es gibt ja auch sehr leicht betroffene Autisten oder Autisten, mit denen man außer der Diagnose keine Überschneidungen hat.

  • Ich brauche auch viel Zeit allein.

    Aber mit Sozialkontakten ist es so eine Sache: ich finde sie immer stressig, wenn sie bevorstehen, aber bin froh über sie, während sie stattfinden oder hinterher (vorausgesetzt sie laufen für mich gut ab). So ganz ohne würde mir glaub ich etwas fehlen. Allerdings habe ich auch nur wenige, ich lebe ja allein und sehe den ganzen Tag niemanden, wenn ich zu Hause bin.

    So geht es mir auch. Ich lebe auch alleine und habe nur ganz wenige soziale Kontakte.

  • Soziale Kontakte können wiederum auch mit den „richtigen“ Menschen sehr inspirierend und motivierend sein!

    Das erlebe ich immer wieder auch. Für mich dauert die Zeit, die ich mich diesen "richtigen" Menschen verbringe, vielleicht weniger lang als bei bei anderen, bei NTs (zwei bis drei Stunden statt eines ganzen Abends oder sogar Tags), und mir reicht ein Treffen mit diesen "richtigen" Menschen in weiteren Abständen als andere das Bedürfnis nach Treffen haben, aber: So ganz grundsätzlich möchte ich sozialen Kontakten keine Absage erteilen.

    Wer die richtigen Menschen sind, ist sicher individuell ganz verschieden. Ich brauche Leute um mich, die nicht permanent mein Sein, mein Verhalten hinterfragen, solche, die mir mit Akzeptanz begegnen statt mit dem Wunsch, mich zu "entlarven". Und dann natürlich solche, mit denen ich inhaltlich ein bisschen tiefer schürfer kann (RW). Gespräche auf dem Niveau von Blondinen-Witzen langweilen mich schnell.

    Und dann finde ich, dass "soziale Kontakte" ja nicht unbedingt bedeutet, dass man mit anderen Menschen in Zweier-, Vierer- oder noch größeren Runden zusammensitzt und wie auch immer interagiert. Ich gehe zum Beispiel gern in Cafés, in Kneipen, lese dort Zeitung, ein Buch, bin auch mal im Forum und erlebe die anderen um mich herum als eine Art Kontakt, der mir gut tut, auch ohne dass ich mit ihnen rede. Sie sind dann so eine Art Kulisse. Weihnachtsmarktgedränge ist mir zuviel, aber eine gut besuchte Stadtpark- oder Freibadwiese (zurzeit unerreichbar :( ) hat schon was, solange die Leute nebenan Abstand halten und kein Lautsprecher dröhnt.

    Und permanente Selbstfokussierung ist einfach ungesund. Menschen brauchen Menschen. Es müssen halt Leute sein, die passen. Und das ist für uns Autisten vermutlich richtig schwierig.

    Ja, das halte ich für absolut richtig. Mit dem Spagat muss man leben. Und jeder gestaltet ihn anders.

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

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