Kompensation und Tarnung bei erwachsenen Autisten (2 Paper von 2019 und 2020)

  • Das geht mir genau umgekehrt. Ich mag es nicht gerne, auf den Anfang eines Events zu warten, und finde es oft schwierig, die ungeplante Zeit davor mit anderen zu füllen. Außerdem habe ich gerne Kontrolle darüber, zu wem ich mich hinsetze. Sitze ich als erstes, kann es sein, dass sich Leute zu mir setzen, die ich als anstrengend empfinde und neben die ich mich von mir aus nie gesetzt hätte.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Sitze ich als erstes, kann es sein, dass sich Leute zu mir setzen, die ich als anstrengend empfinde und neben die ich mich von mir aus nie gesetzt hätte.

    Setz ich mich dagegen als letztes, ist bei denen, wo ich mich gerne hingesetzt hätte, schon alles belegt. Ich sitz eigentlich nie dort, wo ich will ;)

  • Das stimmt leider oft. Am liebsten ist mir, ich kann mich wo dazu setzen, wo es mir einigermaßen angenehm erscheint.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Ich mag es überhaupt, wenn ich in einen Raum mit vielen Menschen komme. Mir wäre es viel lieber gewesen, ich wäre einer der ersten gewesen, und der Raum hätte sich dann langsam gefüllt. Dann hätte ich mich an den steigenden Lärmpegel und die (alten) Neuankömmlinge besser gewöhnen können.

    Genau das haben meine Eltern bei mir bei Kindergeburtstagen festgestellt. Wenn ich als erster Gast dort war, dann ging es - wenn beim Eintreffen aber schon viel los war, ging nichts mehr. Bei meinen Kindern ist es ähnlich.

    “The amount of energy needed to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.”
    ― Alberto Brandolini

  • Was habt ihr denn bei diesem Fragebogen, den Pompeji in seinem ersten Beitrag verlinkt hat (unterster Link)? (Achtung, die Fragen mit Sternchen, werden umgekehrt bepunktet). Ich habe da 94. Aber ich weiß gar nicht, was andere haben und kann das somit gar nicht einschätzen (die maximale Punktzahl wären 175). Was haben Autisten? Was haben NTs? Was habt ihr?

    (Compensation: 23, Masking: 35, Assimilation: 36)

  • "Der NT" kann normalerweise auch wenn er genervt ist etc. einen bittenden freundlichen Tonfall ganz intuitiv anschlagen. In der Regel macht er das nur dann nicht wenn er damit etwas mitteilen möchte, z.B. dass er eine Person nicht mag oder geringschätzt.

    Wie kann man das können? Also woher bzw. warum? Warum kann ich das nicht?

    Mir kommt es inkongruent vor (von der Logik): Wenn ich genervt bin, spricht meine Stimme von selbst nicht freundlich und es ist ein Kraftaufwand, das dann doch zu tun, den ich irgendwie nicht hinbekomme und der mir auch nicht logisch erscheint. Ich will das von selbst nicht.
    Vor allem würde ich mich damit nicht vielleicht selbst verwirren? Woher soll ich noch wissen, wie ich mich fühle, wenn die eigene Stimmung schlecht ist aber der Ausdruck positiv. Ich finde, dadurch kann man auch ganz 'toll' die Verbindung zu sich selbst verlieren und ist irgendwann nur noch eine Maske, hinter der man sich versteckt. So möchte ich nicht werden. Ich finde es schade, dass man nicht auch neutral sprechen darf, sondern die Leute das offenbar gleich auf sich beziehen.
    Mir kommt aber gerade die Idee (aus einem anderen Thread), dass man vielleicht, wenn man wirklich sehr genervt oder schlecht drauf sein sollte, der Person vorab eine kurze Information dazu gibt, damit die es nicht in den falschen Hals bekommt. Vielleicht sowas wie "mir geht es heute sehr schlecht. Bitte wundern Sie sich nicht.." :| Könnte man sowas bringen? In der Situation mit der Bestellung kommt es mir aber unpassend vor. Vielleicht hätte man es höchstens so machen können, dass man in einem ruhigen Moment zu der Wirtin hingegangen wäre und ihr erklärt hätte, dass man Probleme mit der Gruppengröße hat und nah am eigenen Limit ist und sich deshalb etwas abschottet. Dann hätte sie es einem vielleicht nicht krumm genommen. :roll:

    Ich überlege allgemein, ob das helfen könnte, damit Leute mich nicht so oft missverstehen.

    Einmal editiert, zuletzt von FruchtigBunt (2. März 2020 um 19:01)

  • Zitat von Leonora

    In dem Artikel meinte die Autorin, es sei, als ob die anderen einen gewissermaßen als "social deadzone" erkannt hätten und daher intuitiv ausweichen.

    Den Eindruck habe ich bei mir auch oft. Ich nehme oft direkt am Anfang Kontakt zu den Leuten auf. Manchmal komme ich dann für ein paar Treffen in Kontakt mit einzelnen Menschen. Sobald sich aber eine Gruppe findet, bin ich außen vor. Scheinbar stimmen sich die Leute, sobald sie in der Gruppe sind, lautlos darüber ab, dass ich doch nicht so passend bin. Genau dieses 'social deadzone'. So fühlt es sich oft an.
    Als einzelner Gesprächspartner tauge ich offenbar etwas, aber für das Gruppengefüge bin ich ein 'No-Go'. :|

  • Zitat von Leonora

    Normalerweise bin ich im Kontakt sehr freundlich

    Ich glaube, dass Menschen unter dem Begriff 'freundlich' sehr vieles verstehen bzw. dass der Begriff recht schwammig ist. Ich finde z. B., dass ich höflich bin und Menschen korrekt behandele. Ich bedanke mich, ich spreche ganze Sätze und wähle die Worte meist vorher mit Bedacht aus (versuche ich zumindest), ich verwendet das Wörtchen 'bitte' und achte auch auf Gesten anderer Menschen und bin schon sehr aufmerksam und reiche z. B. Menschen am Tisch Dinge, weil ich oft erkenne, was sie haben wollen.
    Aber trotzdem würde man mich vermutlich nicht als 'freundlich' bezeichnen, weil mir einfach diese soziale Wärme oder Bezogenheit fehlt.
    Früher dachte ich hingegen, ich wäre freundlich, weil ich ja alle 'Vorgaben' einhielt. Damals wusste ich nichts von diesen ganzen komischen ungeschriebenen Gesetzen.

    Was meinst du denn, woran man ablesen kann, dass du im Kontakt sehr freundlich bist? Ich frage das aus Neugierde bzw. um herauszukriegen, was man tun muss, damit man auf andere Menschen freundlich wirkt.

  • @Neoni glaube man kann das gar nicht sagen, ob das nun ein NT ist oder ein wenig kompensierender Autist

    Ich fand meine Antworten schon recht "stark" (also in dem Sinne, dass ich viel "kompensiere"), und 94 Punkte ist ja mehr als die Hälfte (ich glaube die Maximale Punktzahl erreicht wohl keiner, da müsste man ja jedesmal das extremste wählen, was 7 Punkte gibt). Naja wäre interessant zu wissen, wo man das einordnen kann...

  • Was haben Autisten? Was haben NTs? Was habt ihr?

    Ich finde solche Fragebögen schwierig bis sinnlos, wenn sie nicht nach dem "Warum" fragen (wofür man dann wiederum eher einen Menschen bräuchte, der entsprechend nachhakt, ich weiß nicht, ob das per Fragebogen überhaupt möglich wäre). Zum Beispiel: "In social interactions, I do not pay attention to what my face or body are doing", da würde ich zustimmend antworten. Bei der Frage nach dem Warum würde ich sagen, dass ich in einer sozialen Interaktion schlichtweg davon überfordert wäre, auch noch auf meine Körpersprache zu achten. Das wäre dann ein Hinweis auf geringe Kompensation, weil meine Kompensationsleistung da "unterentwickelt" ist.
    Genauso würde ein Klischee-NT vielleicht zustimmend antworten, weil er das Bedürfnis gar nicht verspürt, da irgendwas zu kontrollieren - warum auch, es läuft ja alles intuitiv und automatisch. Die Punktzahl wäre dieselbe, aber das, was der Punktzahl zugrundeliegt, ist etwas komplett anderes. Und wo ist dann der Erkenntnisgewinn?

  • Danke @filipendula du hast das besser formuliert.

    Niedrige Werte können sowohl für einen NT aber auch einen wenig kompensierenden Autisten sprechen und hohe Werte sowohl für einen sehr kontrollierenden NT, eine stark kompensierenden Aspie oder einen Menschen mit Sozialphobie...

  • Denn gerade kompensierende Autisten stoßen bei der Diagnostik oft auf Probleme, fallen durchs Raster.

    Ich kenne jemandem dem genau das in Zürich in der Diagnosestelle passiert ist. Der Person wurde gesagt das die Tests zwar alle Test die Diagnose bestätigen würden und auch sonst der Eindruck da sei das diese Person im Spektrum sei, aber aufgrund der kompensation beim Diagnosealter über 50 man die Diagnose ablehnt. (!)

    Erschreckend das hier die Diagnostiker sich des Problems der Kompensation sogar bewusst waren aber die Diagnose sogar deswegen ablehnen. Dazu solte noch erwähnt werden das die Diagnose nach nur zwei Stunden gestellt wurde. Die Person hat dann einige Zeit später bei einer anderen Klinik wo die Diagnose über mehrere Halbtätige Sessions und befragung von anderen Menschen die die Person kennen eine positive Diagnose bekommen.

  • Ich finde solche Fragebögen schwierig bis sinnlos, wenn sie nicht nach dem "Warum" fragen (wofür man dann wiederum eher einen Menschen bräuchte, der entsprechend nachhakt, ich weiß nicht, ob das per Fragebogen überhaupt möglich wäre). Zum Beispiel: "In social interactions, I do not pay attention to what my face or body are doing", da würde ich zustimmend antworten. Bei der Frage nach dem Warum würde ich sagen, dass ich in einer sozialen Interaktion schlichtweg davon überfordert wäre, auch noch auf meine Körpersprache zu achten. Das wäre dann ein Hinweis auf geringe Kompensation, weil meine Kompensationsleistung da "unterentwickelt" ist.Genauso würde ein Klischee-NT vielleicht zustimmend antworten, weil er das Bedürfnis gar nicht verspürt, da irgendwas zu kontrollieren - warum auch, es läuft ja alles intuitiv und automatisch. Die Punktzahl wäre dieselbe, aber das, was der Punktzahl zugrundeliegt, ist etwas komplett anderes. Und wo ist dann der Erkenntnisgewinn?

    Ja stimmt schon, bei diesen Fragen ging mir das genauso. Aber immerhin könnte man die Punktzahlen von Autisten vergleichen, um zu wissen, ob man im Vergleich nun viel oder wenig kompensiert.

  • Im Paper wird unter "Limitations" auch genannt, dass zwar die Kompensationsstrategien abgefragt werden, aber nicht, wie effektiv sie sich tatsächlich erweisen, also ob es tatsächlich gelingt, als neurotypisch durchzugehen.

  • Im Paper wird unter "Limitations" auch genannt, dass zwar die Kompensationsstrategien abgefragt werden, aber nicht, wie effektiv sie sich tatsächlich erweisen, also ob es tatsächlich gelingt, als neurotypisch durchzugehen.

    Das ist in der Tat eine Schwäche, aber trotzdem finde ich die Studie interessant. Wäre natürlich spannend, zu untersuchen, wie effektiv die Kompensation bei Autisten ist. Ich kann mir vorstellen, dass sie bei vielen nur kurzfristig funktioniert, sie bei längerem Kontakt aber doch auffallen. Und dass das letztlich ihr Leben auch nicht einfacher macht.

    Ich finde solche Fragebögen schwierig bis sinnlos, wenn sie nicht nach dem "Warum" fragen (wofür man dann wiederum eher einen Menschen bräuchte, der entsprechend nachhakt, ich weiß nicht, ob das per Fragebogen überhaupt möglich wäre). Zum Beispiel: "In social interactions, I do not pay attention to what my face or body are doing", da würde ich zustimmend antworten. Bei der Frage nach dem Warum würde ich sagen, dass ich in einer sozialen Interaktion schlichtweg davon überfordert wäre, auch noch auf meine Körpersprache zu achten. Das wäre dann ein Hinweis auf geringe Kompensation, weil meine Kompensationsleistung da "unterentwickelt" ist.

    Stimmt. Mir geht es beispielsweise auch so, dass ich mich nicht bewusst zugleich auf Körpersprache und Stimme und auf Inhalte konzentrieren kann. Kompensation ist eben nicht nur von Willen und intellektuellen Fähigkeiten abhängig, gerade, was die Steuerung des Körpers betrifft. Umgekehrt gibt es außerdem ja auch Menschen, die ganz bestimmt keine Autisten sind, aber aus den unterschiedlichsten Gründen sehr auf ihre Körpersprache achten.

    Ja stimmt schon, bei diesen Fragen ging mir das genauso. Aber immerhin könnte man die Punktzahlen von Autisten vergleichen, um zu wissen, ob man im Vergleich nun viel oder wenig kompensiert.

    Ich kann mir auch vorstellen, dass Autisten doch einigermaßen charakteristische Punktzahlen erreichen, weil da ja verschiedene Aspekte eine Rolle spielen.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Ich finde mich ja nur teilweise bei den Punkten wieder. Gerade das Masking trifft eher auf NTs zu, zB dieses hier:

    "Hold back your true thoughts and opinions in conversation (e.g., agree with others even if you disagree with them, tolerate behaviour of others). "

    Solches Verhalten erlebe ich täglich bei den meisten Menschen. Man kann mit den wenigsten vernünftig diskutieren, weil sie sich immer gegenseitig nach dem Mund reden wollen. Während ich fast immer meine Meinung darlege (zumindest, wenn mir was wichtig ist), da es mich weniger stört, als andere, was andere darüber denken.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!