Das Thema „Erblichkeit“ wird in vielen Studien behandelt, in Medien und Fachbüchern aufgegriffen und diskutiert. Dabei werden, so habe ich festgestellt, oft Begriffe verwechselt oder es ist unklar, was es überhaupt bedeutet, wenn angenommen wird, dass eine Eigenschaft X zu Y % erblich bedingt ist. Da ich mich in den letzten Tagen mit dem Thema etwas genauer auseinander gesetzt habe, habe ich beschlossen, eine kleine Zusammenfassung zu schreiben und das Thema auf einfache Weise zu visualisieren.
Was bedeutet es, dass Autismus zu 80 % erblich bedingt ist?
Eine multinationale Studie (2019) mit über 2 Millionen Personen, darunter über 22000 diagnostizierte Autisten, kommt zu der Schätzung, dass der Risikofaktor für Autismus zu ca. 80 % erblich und zu ca. 20 % umweltbedingt ist. [Studie; Übersicht: Spectrum News] Doch was bedeutet das genau?
Risikofaktoren werden in zwei Gruppen unterteilt:
1. erbliche Faktoren und 2. Umweltfaktoren
Risikofaktoren werden an Hand einer deskriptiven Statistik erstellt und stellen keinen Beweis für die tatsächliche Ursache von X (in diesem Fall Autismus) dar.
Unter geteilten Umweltfaktoren ist z. B. das Aufwachsen im gleichen Haushalt zu verstehen. Unter nicht-geteilte Umweltfaktoren fallen z. B. Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen, aber auch genetische Faktoren, die nicht erblich sind, also spontane Mutationen.
Wichtig: erblich != genetisch
Auch nicht-erbliche Faktoren können genetisch bedingt sein.
Was bedeutet „erblich“?
Unter Heritabilität, also Erblichkeit, wird der Anteil der genotypischen Variation (zwischen Individuen einer Population) an der Gesamtvarianz der Population bezeichnet.
Was untersucht eine Heritabilitätsstudie?
Die Variabilität eines phänotypischen Merkmals innerhalb einer Population wird betrachtet. Die Frage, die untersucht werden soll, ist die, zu welchen Anteilen diese Variabilität auf genetischen Unterschieden zwischen den Individuen beruht und welche Anteile auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Sie lässt keine Rückschlüsse auf das Individuum zu.
Beispiel: Die Heritabilität des Merkmals „zwei Beine“ bei einem Menschen ist sehr gering. Die aller meisten Fälle, in denen ein Mensch nicht zwei Beine hat, sind auf Umweltfaktoren zurückzuführen. Zweibeinigkeit kann also nur zu einem sehr geringen Prozentsatz als erbliches Merkmal betrachtet werden.
Welche Schlüsse können aus den Studienergebnissen (nicht) gezogen werden?
- Autismus beruht zu nur geringen Anteilen auf Umweltfaktoren. Welche das sind, beantwortet die Studie jedoch nicht.
- Es wurde nicht untersucht, welche Gene involviert sind, ebenso wenig wie das (mögliche) Zusammenspiel zwischen Umwelt, Genen und epigenetischen Faktoren abläuft.
- Die individuelle Ursache einer ASS kann durch ein solches Studiendesign nicht bestimmt werden. Der Autismus eines Individuums kann zu 100 % erblich sein; zu 100 % nicht erblich, aber genetisch; zu 100 % nicht erblich und auch nicht genetisch sein. [In den meisten Fällen wird von multifaktoriellen Ursachen ausgegangen, z. B. einer Mischung erblicher Faktoren und spontaner genetischer Mutationen. Auch der Epigenetik wird eine bedeutsame Rolle zugeschrieben.]
Quelle zum Thema Heritabilität: https://en.wikipedia.org/wiki/Heritability